„…ich möchte unabhängig sein“… oder: Einwände gegen ein Grundeinkommen dafür

Gegen Ende ihres Vortrags auf der re:publica sagte Bundesministerin Andrea Nahles den entscheidenden Satz, der begründen sollte, weshalb sie gegen ein BGE ist (gesamte Videoaufzeichnung, 2:06:30 bis 3:09:00):

„…ich will das nicht haben, ich will weder Geld von meinem Ehemann, ich will auch kein Geld von meinen Eltern, ich will auch kein Geld von meinem Staat, es tut mir leid, es widerstrebt mir […] ich möchte unabhängig sein“

„…ich möchte unabhängig sein“… oder: Einwände gegen ein Grundeinkommen dafür weiterlesen

KörberForum: „Radikal gerecht“ Thomas Straubhaar und Ulrike Herrmann

Die Aufzeichnung des Gesprächs zwischen Thomas Straubhaar und Ulrike Herrmann (taz) enthält auch Zuschauerfragen. Eine Leseprobe des Buches finden Sie hier.

An einer Stelle des Gesprächs kommt Frau Herrmann auf die Rente zu sprechen und dass es sich dabei um Eigentumsansprüche handele. Wie wollte Straubhaar damit umgehen? Zuerst verweist er auf den Bestandsschutz. Dann allerdings stellt er die Frage, was denn von diesem Rentensystem in Zukunft zu erwarten sei. Mit dem Hinweis auf die erworbenen Eigentumsansprüche könne noch jeder Wandel verhindert werden. An dieser Stelle hätte ein einfacher Hinweis auf die aktuelle Durchschnittsrente nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung (S. 34 f.) ausgereicht. Sie lag Ende Dezember 2015 in den alten Bundesländern bei 1040 (Männer) bzw. bei 580 € (Frauen). Auf S. 38 des Berichts der Deutchen Rentenversicherung zeigt sich, dass etwa 50% der Männer und etwa 89% der Frauen eine Rente bis 1050 € erhalten. Mit einem BGE würden also für die große Mehrheit erhebliche Verbesserungen erreicht gemessen an heutigen Daten.

Sascha Liebermann

„Heilserwartung“, „sozialpolitische Widerstände“ – und blinde Flecken

Stefan Sell, der das Blog „Aktuelle Sozialpolitik“ betreibt, hat sich in einem längeren Artikel „Zwischen Heilserwartung und sozialpolitischen Widerständen“ mit den Beiträgen in jüngster Zeit zum Bedingungslosen Grundeinkommen befasst. Der Titel kommt zwar etwas reißerisch daher, das erklärt sich jedoch teils aus der Kritik an fundamentalistschen Zügen, die Sell in der Diskussion auf beiden Seiten ausmacht. Er schreibt das zu Beginn:

„Um es gleich an den Anfang dieses Beitrags zu stellen: Hier soll und kann es nicht um eine abschließende Bewertung des Konzepts eines bedingungslosen Grundeinkommens gehen (oder sagen wir besser: der vielen teilweise sehr unterschiedlichen Vorstellungen davon). Zuweilen hat man in der heutzutage sowieso immer gleich von Null auf Hundert beschleunigenden Nicht-Diskussionslandschaft des „Dafür“ oder „Dagegen“ den Eindruck, dass die Auseinandersetzung mit dem, was unter dem Etikett des „bedingungslosen Grundeinkommens“ verhandelt wird, partiell fundamentalistische Züge trägt. Die einen erwarten sich davon die Erlösung von Hartz IV und dem Erwerbsarbeitsjoch unserer Tage, die anderen sehen den Totalabriss der bestehenden sozialen Sicherungssysteme und ein perfides Täuschungsmanöver der Kapitalseite ante portas. Man kann aus guten Gründen die Debatte über ein bedingungsloses Grundeinkommen mit großer Sympathie verfolgen für den gedanklichen Grundansatz, ohne deshalb die skeptischen Stimmen und die Gegenargumente hinsichtlich einer Umsetzbarkeit verdrängen zu müssen.“

Da trifft Sell einen Punkt, der sich in der medial aufbereiteten Debatte in der Tat häufiger findet. Wenig pragmatisch wird mit dem BGE umgegangen, hochgejubelt oder verteufelt wird es allzu oft. Es gibt jedoch durchaus eine sachliche, bodenständige Diskussion, die schon länger auslotet, welche Möglichkeiten ein BGE bietet ohne Heilsversprechen zu machen. In dieser Diskussion wird auf Grenzen dessen hinzugewiesen, was sich über tatsächlich eintretende Folgen eines BGE sagen lasst, da diese ja davon abhängen, was die Bürger mit dem BGE machen. Und selbstverständlich spielt die Ausgestaltung eine Rolle. Für diese realistisch-pragmatische Haltung, die auf Grenzen des Bestimmbaren hinweist, wird man dann durchaus ebenso gescholten, denn es sei ja fahrlässig, über die tatsächlichen Folgen nichts sagen zu können. Als hätte man bei Gründung der Bundesrepublik Deutschland gewusst, was aus der Demokratie wird, für ein Gelingen sprach damals nicht allzuviel angesichts dessen, dass das deutsche Volk die Schrecken des Dritten Reiches zu verantworten hatte und nicht in der Lage war, den Krieg zu beenden.

Sell schreibt über die Zustimmung unter Vorständen großer Unternehmen, die Volksabstimmung in der Schweiz, den internationalen Aufwind für die Idee und die Unterstützung aus der IT-Branche im Silicon Valley. Er referiert die Ausführungen Thomas Straubhaars, der jüngst in verschiedenen Tageszeitungen publizierte, sowie die Rezension dessen Buches durch Christoph Eisenring in der Neuen Zürcher Zeitung.

Zu Straubhaars Ausführungen schreibt er an einer Stelle:

„Und man könnte und müsste an dieser Stelle ergänzen: Und noch höhere Steuersätze würden anfallen müssen, wenn man berücksichtigt, dass in einer idealen Welt vielleicht der Normalbürger über das Grundeinkommen halbwegs abgesichert werden kann – was aber ist mit den Behinderten und den Leistungen zur Inklusion, die sie erhalten? Was ist mit Zuschlägen beispielsweise für Alleinerziehende oder andere Personengruppen, die einen höheren Bedarf haben? Und auch wenn es nervt, müsste man die Frage stellen – wie anders als über einen Staatsstreich will man die erworbenen Ansprüche an die Sozialversicherungssysteme – man denke hier nur an die Rentenanwartschaften – beseitigen, um alles zu ersetzen durch ein einheitliches Grundeinkommen?“

Was Straubhaar in seinem Buch zu diesen Fragen sagt, weiß ich nicht. Meines Wissens hat er in jüngerer Zeit deutlich betont, dass es bedarfsgeprüfte Leistungen weiter geben kann und muss, weil ein BGE sie nicht decken könne. Würde das nicht vorgesehen, würde ein BGE eben nicht leisten können, was es leisten soll: Freiräume zu eröffnen, um Entscheidungen breiter treffen zu können als heute.

Und was ist mit erworbenen Ansprüchen? Das ist eine eminent politische Frage. Das BGE könnte einen Teil dieser Ansprüche ersetzen, den Teil, der darüber hinaus besteht, nicht. Es könnte eine Umwandlung der Ansprüche angestrebt werden, wenn das politisch gewollt ist. Oder das Rentenversicherungssystem wird beibehalten, die Rente aber stärker besteuert. Wege sind viele denkbar.

Aber wie ist es mit der heutigen Rente, worüber reden wir da? Die Deutsche Rentenversicherung verfügt über entsprechende Daten (siehe hier, S. 34). So betrug die durchschnittliche Altersrente in Westdeutschland in 2015 787 € (Männer 1040, Frauen 580). Vergleicht man diese Werte mit den von Straubhaar – und früher schon von anderen – ins Spiel gebrachten 1000 Euro BGE pro Monat und Person, lässt sich leicht erkennen, dass Frauen sich erheblich besserstellen würden, Männer würden auf dem heutigen Niveau etwa verbleiben. Auf Haushalte bezogen würde sich die Lage erheblich verändern, da BGEs in einem Haushalt kumulieren, also sich addieren. Ein weiterer Effekt des BGE ist, dass es immer zur Verfügung steht, so wird der Einzelne in den Stand gesetzt, Vermögen aufzubauen, wenn er es will. In Haushalten wirkt dies noch stärker möglich und würde gerade denjenigen zugutekommen, die heute am wenigsten dazu in der Lage sind. Dafür spielt es eine entscheidende Rolle, dass ein BGE für Erwachsene wie Kinder gleichermaßen hoch ist und kein Unterschied in der Höhe gemacht wird. Dann erst würde es Alleinerziehenden auch helfen.

Es gibt noch einen ganz anderen Punkt, der gegen die bisherige Rentenversicherung spricht: Sie ist erwerbszentriert und bezieht andere Tätigkeiten kaum ein. Haushaltstätigkeiten, Sorge um die Familie, um Angehörige – sie finden nur geringe Berücksichtigung. Gemäß dem Motto „(Erwerbs)Arbeit schützt vor Armut“ – was nicht stimmt – setzt deswegen die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik darauf, die Erwerbsteilnahme weiter zu erhöhen, das betrifft vor allem Frauen, die meist diejenigen sind, die sich um Haushalt und Familie kümmern. Das hat jedoch zur Folge, die Anwesenheiten im familialen Nahraum zu reduzieren, weniger Zeit für die Kinder zu haben, weniger gemeinsame Erfahrungen zu machen. Denn gegenwärtig wird angestrebt, Fremdbetreuung immer früher zu nutzen. So wird indirekt Druck auf diejnigen ausgeübt, die das nicht wollen, aber sehen müssen, dass sie einen Ü3-Platz bekommen können, wenn in derselben Einrichtung auch U3-Betreuung angeboten wird. Denn die U3-Kinder wachsen in die Ü3-Plätze hinein. Was für Väter schon als Missstand gelten kann, wird durch eine solche Sozialpolitik für Mütter nun zum Leitstern. Ein BGE würde eine Abkehr von dieser Haltung erlauben und den Sorgetätigkeiten die Basis verschaffen, die sie benötigen. Warum taucht dieses Argument für das BGE bei Sell in keiner Weise auf, wo es doch von so großer Bedeutung ist?

Gegen Ende seines abwägenden wohlwollenden Beitrags schreibt Sell, indem er einen anderen Beitrag zitiert:

„Aber man sollte vorsichtig sein, wenn uns wieder einmal eine allzu einfache Lösung in Aussicht gestellt wird. So auch die Kritik bei Andreas Hoffmann in seinem Kommentar Das Grundeinkommen würde uns alle überfordern: »Je mehr ich über das Konzept nachdenke, umso mehr Fragen stellen sich mir. Es ist, als hätte sich die Tür in ein Labyrinth geöffnet. Bald taucht die nächste Tür auf. Dann noch eine. Und noch eine.« Als Beispiel: »Wie steht es mit Tarifverträgen oder Kündigungsschutz? Die Arbeitgeber könnten dann jeden sofort rausschmeißen und sagen: „Du hast ja dein Grundeinkommen.“ Wozu noch Abfindungen oder Betriebsräte? Oder Gewerkschaften? Das alles kann auf den Müllhaufen des Sozialstaats.“

Nach wessen Dafürhalten kann das auf den „Müllhaufen des Sozialstaats“? Hier entscheidet nicht eine Partei, kein Unternehmen, sondern politische Willensbildung. Wenn dieser Wille tatsächlich alles auf den „Müllhaufen“ werfen will, wird das geschehen, wenn nicht, dann eben nicht. Natürlich kann es Tarifverträge mit BGE ebenso geben, sie haben jedoch nicht mehr dieselbe Bedeutung wie heute. Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass Tarifverträge in etlichen Bereichen heute gar nicht greifen. Die Tarifbindung lag nach Sells eigenem Verweis auf eine Erhebung in 2015 in Westdeutschland bei 59% der Beschäftigten. Weitere 21% hatten Arbeitsverträge die sich an Tarifverträge anlehnten. 20% hatten Verträge gänzlich ohne Tarifbindung. Auch mit BGE wird es Arbeitsverträge geben, wird es ein Arbeitsrecht geben – Arbeitsverhältnisse bewegen sich nicht im luftleeren Raum. Wenn Betriebsräte für wichtig gehalten werden, wird es sie geben. Allerdings wird durch ein BGE ohnehin die Stellung der Belegschaften gestärkt. Das sollte nicht übersehen werden. Auch ein Betriebsrat ist nur so stark, wie er Unterstützung erfährt. Warum sollten Abfindungen nicht in Arbeitsverträgen geregelt werden können? Auch hier wieder ein blinder Fleck, weshalb taucht dieser gewichtige Aspekt in Sells Beitrag nicht auf? Straubhaar weist immerhin daraufhin.

In derselben Passage geht es mit Bezugnahme auf die Anfänge der „Hartz-Reform“ weiter:

„Arbeitslos ist nicht gleich arbeitslos. Es gibt die alleinerziehende Mutter, die arbeiten und ihre Kinder versorgen will. Es gibt den schlecht ausgebildeten jungen Mann, der sucht und sucht. Es gibt den Langzeitarbeitslosen, der mit physischen und psychischen Problemen kämpft. Und. Und. Und. Die Idee der Pauschale wurde still beerdigt.«“

Sell zitiert wieder den Beitrag von Hoffmann. Nun, Thomas Straubhaar spricht von 1000 Euro BGE im Monat. Werden wir konkret. Eine alleinerziehende Mutter mit einem Kind hätten 2000, eine mit zwei Kindern 3000 Euro zur Verfügung. Wäre das eine Verschlechterung? Der hier zitierte junge Mann könnte sehr wohl weitersuchen, ohne sich den Regularien der Jobcenter unterwerfen zu müssen. Er könnte Beratungsangebote annehmen, die wirkliche Angebote sind, ohne Rechtsfolgenbelehrung wie heute. Wäre das keine Verbesserung? Würde die Befreiung von Druck nicht ihm vielleicht am meisten helfen? Zugleich ist das BGE Ausdruck eines starken Solidargefühls, weil es jedem zuallererst etwas zutraut. Auch das würde der junge Mann spüren können. Dasselbe gilt für den Langzeitarbeitslosen, der nicht mehr ausgeschlossen würde und sich angesichts des heute herrschenden Erwerbsideals als Gescheiterter sehen muss. Da sehe ich mehr Chancen als Probleme, die Probleme haben wir doch heute, nicht mit BGE.

Sell knüpft an die von Hoffmann zitierte Passage zu den Anfängen der Hartz-Reform an:

„An dem letzten Punkt könnte man etwas korrigierend ansetzen und sagen: Das Hartz IV-System hat genau deshalb so viele Probleme, weil es irgendwo hängen geblieben ist zwischen den Polen einer Einzelfallgerechtigkeit und einer unterschiedslosen Pauschalierung für alle, die aber aus fiskalischen Gründen zu niedrig bemessen wurde und ist. Und dann ist das „Grundeinkommen“ nach Hartz IV auch noch ein nicht-bedingungsloses Grundeinkommen, also an Verhaltenserwartungen und bürokratische Nachweispflichten geknüpft, die alle Beteiligten erschöpfen und einige teilweise zerstören. Aber wenn das schon so ist im Grundsicherungssystem SGB II, soll man wirklich glauben dürfen, dass das bei einem Grundeinkommen für alle ganz anders ausfallen wird?
Fragen über Fragen.“

Wenn das BGE ein gänzlich anderes Gefüge bildet und all die erniedrigenden Prozeduren des SGB II nicht enthält, dann wäre das ganz anders, sofern es nicht zu einer Sparversion eingedampft wird. Es steht außer Frage, dass es ein BGE in einer vernünftigen Variante nur geben wird, wenn die „schwarze Pädagogik“ aufgegeben wird, die den heutigen Sozialstaat durchzieht. Es erfordert eine Verbschiedung des Vorrangs von Erwerbstätigkeit, ohne diese Verabschiedung wird es ohnehin nicht kommen. Sorgen, die sich auf das BGE richten, müssten sie sich nicht genauso auf das heutige Gefüge richten? Wenn sich etwas ändern soll, muss das gewollt werden. Das ist immer so. Was dabei herauskommt, hängt von den Bürgern ab, da sind es leerlaufende, vielleicht sogar entmündigenden Vorbehalte, dem BGE Sorgen zuzuschieben, die in der Gegenwart genauso angebracht sind.

Sascha Liebermann

„Rente für die Überflüssigen“…

…das versteht Mathias Greffrath in der taz unter einem Bedingungslosen Grundeinkommen, das er im Zusammenhang seines Beitrags zu Digitalisierung und Automatisierung anspricht. Er knüpft darin an ein Feature im Deutschlandfunk an, auf das wir kürzlich hingewiesen haben.

Er schreibt unter anderem folgendes:

„…Um „den sozialen Frieden zu erhalten und Konsumenten in die Lage zu versetzen, Produkte zu kaufen“, werde über kurz oder lang das „bedingungslose Grundeinkommen“ kommen, glaubt Höttges. Und auch der zum Zukunftsguru avancierte McAfee plädiert für dessen Einführung.“

Ein BGE würde dies in der Tat leisten. Es jedoch damit zu begründen, wie es die zitierten Denker womöglich tun, reduziert den Menschen, reduziert die Bürger eines Gemeinwesens, auf Konsumenten. Das BGE als Befriedungsinstrument – oder auch Disziplinierungsinstrument -, um das Aufbegehren im Zaum zu halten, so zumindest klingt, was Greffrath wiedergibt. Thomas Straubaar hatte sich einmal ähnlich geäußert, und zwar in einem Interview mit brand eins. Allerdings sagte er einiges andere, das viel weiterreicht, als die von ihm abwegige Zuspitzung nahelegte.

So würde man vertun, was das BGE im Grunde ist: eine Wertschätzung und Anerkennung der Bürger um ihrer und des Gemeinwesens um seiner willen.

Greffrath fährt fort:

„Kein Grund zu linker Freude: Den Leistungseliten, die seinen Vorträgen lauschen, nimmt McAfee die Angst vor „Sozialistischem“ mit Power-Point-Porträts der Ultraliberalen Hayek und Friedman: sie, nicht Marx oder Lenin seien die Vordenker eines arbeitslosen Einkommens. Und das ergibt auch Sinn: denn unter den Bedingungen des globalen Konkurrenzkapitalismus ist eine Überflüssigen-Rente die billigste Lösung für die technologische Arbeitslosigkeit – und die einzige, die alles lässt, wie es ist.“

Aufgedeckt wird, was es mit diesem Grundeinkommen angeblich auf sich habe, wenn schon Hayek und Friedman als Ahnen zitiert werden. Doch bei genauerer Betrachtung geht es bei diesen beiden gar nicht um ein Bedingungsloses Grundienkommen von der Wiege bis zur Bahre, sondern um ein Mindesteinkommen bzw. Existenzminimum. Beide waren dafür, Friedman ging es ausdrücklich darum, die Bedürftigkeitsprüfung abzuschaffen. Stärker noch bei Hayek ist es daran geknüpft, sich nicht selbst helfen zu können. Beider Vorschläge belassen die Mindesteinkommenssicherung jedoch im Status eines Ausgleichssystems, das einen Mangel kompensieren soll (siehe hier). Greffrath kümmert sich nicht um Differenzierungen, ist er ohnehin gegen ein BGE, ganz gleich, wie es aussehen würde. Doch für eine ernsthafte Auseinandersetzung um das BGE ist es wichtig, solche Unterschiede deutlich zu machen, der Teufel wohnt, wie so oft, im Detail.

Dann setzt er im nächsten Absatz dem Grundeinkommen etwas entgegen:

„Die Klassiker des Sozialismus, aber auch John Maynard Keynes versprachen sich von der Vollautomatisierung der Produktion etwas anderes: Zeitwohlstand für Kultur, Spiel, Selbstbetätigung, Muße und die Beteiligung an der Politik, kurz: die allseitige Entfaltung der menschlichen Fähigkeiten – aller Menschen. So etwas klingt altbacken und abwegig in einer Zeit, in der in Europa einerseits der Kampf um den Achtstundentag wieder aktuell wird, andererseits Millionen von jungen Menschen ohne Arbeit, ohne Bildung, ohne Zukunft bleiben.“

Worin besteht nun der Gegensatz zwischen Keynes und dem BGE? Wenn „Zeitwohlstand“ eine souveräne Verfügung über Zeit bedeutet, dann wäre er erreicht, wenn der Einzelne entscheiden könnte, was er mit dieser Zeit tun will – ohne diesem Wollen eine bestimmte Richtung geben zu müssen. Ein Scheingegensatz also, der hier aufgemacht wird, denn gerade ein BGE würde mit Zeitwohlstand ernst machen, ohne dem Einzelnen die Verantwortung zu nehmen, diese Zeit zu füllen. Das Gemeinwesen wäre keineswegs aus der Verantwortung entlassen, eine Bildungsinfrastruktur zu unterhalten und Hilfsangebote zu machen für den Fall, dass jemand mit dem BGE nicht klarkommt. Doch die Voraussetzungen für diese Hilfsangebot sowie ihr Charakter könnten gänzlich anders sein als heute, da sie von der Erwerbsorientierung befreit wären, die heute noch bis in Behindertenwerkstätten und Hilfsangebote für psychisch kranke Menschen hineingreift (siehe hier, hier und hier).

Greffrath jedoch sieht das anders:

„Ein allgemeines, bedingungsloses Grundeinkommen würde den Sieg des Kapitalismus über das humanistische Versprechen der Aufklärung endgültig besiegeln und die hochtechnisierte Gesellschaft auf Dauer spalten: in eine produktive, hochtechnisierten Kernbelegschaft mit Premium-Konsum und eine mit Rationen zum physischen Überleben versehene und im Übrigen mit virtuellen Genüssen und Gadgets stillgestellte Unterschicht ohne Ansprüche, Qualifikation oder Perspektiven.“

Man kann ob dieser Schlussfolgerung staunen, denn um zu ihr zu gelangen, müssen einige Annahmen getroffen werden. Weshalb sollte das BGE zu einer Spaltung führen? Es würde sie doch vielmehr aufheben, wenn es zu einer Zeitsouveränität für alle führen würde. Wenn Greffrath meint, Menschen ließen sich stillstellen, und die Möglichkeiten, die ein BGE schüfe, dann wäre eine wahre Befreiung nur möglich, wenn sie in eine bestimmte Richtung führte. Greffrath weiß also, worin die Befreiung liegt und wohin sie führen soll. Das wäre unfreier als unser heutiges Zusammenleben. Wenn das humanistische Versprechen der Aufklärung in der Emanzipation des Untertanens zum Bürger besteht, wenn es um Mündigkeit und Volkssouveränität dabei geht, dann wäre das BGE genau das richtige Instrument – allerdings nicht für diejenigen, die die Lebensführung der Einzelnen bestimmen wollen.

Abschließend schreibt er:

„Ein Jahrhundert lang hat die europäische Arbeiterbewegung für die allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit gekämpft und für eine Bildungsrevolution, die allen Menschen die Chance gibt, zu qualifizierten Lenkern einer hochtechnischen Produktion zu werden und zu mündigen Bürgern, die in der Lage sind, über die Richtung des Fortschritts zu entscheiden.“

Ja, steht das BGE dem denn entgegen?

Der mündige Bürger allerdings, der citoyen, spielte in der Arbeiterbewegung keine so große Rolle, der mündige Arbeiter schon eher und die Sorge vor den Nichtstuern ebenfalls. Deswegen sehen noch heute die Gewerkschaften – und andere – nach wie vor im Erhalt der „Arbeitsgesellschaft“ ihren Auftrag, wenngleich sie daran so recht nicht mehr glauben mögen, wie Greffrath mit Verweis auf das Grünbuch Arbeiten 4.0 des Bundesminsiteriums für Arbeit und Soziales heraushebt. Dabei könnte gerade das BGE zur Stärkung des mündigen Bürgers beitragen, indem es ihn in das Zentrum des Sozialstaats stellte. Davon will Greffrath nichts wissen. Stattdessen übernimmt er die zynische Rede von den „Überflüssigen“, wenn er das BGE als „Überflüssigen-Rente“ bezeichnet.

Ja, in der Arbeitsgesellschaft, die meint, Arbeit, also Erwerbsarbeit, halte sie zusammen, da gibt es überzählige menschliche Arbeitskraft (zur Vertiefung siehe hier), sofern sie durch Maschinen substituiert werden kann, wo es vernünftig ist. In einem Gemeinwesen von Bürgern hingegen gibt es keine Arbeitskraft, die nicht benötigt wird, weil das Benötigtwerden gar nicht das Kriterium ist, an dem die Existenz gemessen wird. Alle gehören dazu, die zum Gemeinwesen gehören bzw. sich in ihrem Rechtsbereich dauerhaft aufhalten.

Sascha Liebermann