„Keine Sozialhilfe für EU-Ausländer ohne Aufenthaltsrecht“ – auch für die Grundeinkommensdiskussion…

…ein interessanter Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, über den die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet. Er zeigt, wo die Sozialpolitik in der Europäischen Union steht, sie ist den Nationalstaaten überlassen. Solange es hier keine gemeinsame Lösung gibt, muss innerhalb der EU klar abgegrenzt werden, wer denn leistungsberechtigt ist und wer nicht – ganz konsequent. Selbst aber wenn es eine europäische Lösung gäbe, verschöbe das diese Anforderung nur, dann müsste die EU eine Abgrenzung zu Nicht-EU-Bürgern vollziehen. Abgrenzungen sind also immer nötig.

Sascha Liebermann

„Deutsche Illusionen“ – ein Blick auf Europa von Ralf Dahrendorf…

…im Jahr 2005 in einem Interview, das auf Zeit Online noch zugänglich ist. Angesichts des letzten Wahlkampfes zur Europawahl in Deutschland wirkt das Interview beinahe wie aus der Zeit gefallen und macht zugleich Beschränkungen der Diskussion über die Europäische Union deutlich. Ob Dahrendorf sich heute wohl des Einwands erwehren müsste, er verbreite anti-europäisches Gedankengut?

Auf ein garantiertes Mindesteinkommen kommt er ebenfalls zu sprechen, für das er große Sympathien hatte, bei ihm wäre es wohl der einzige Boden, der eingezogen würde.

Sascha Liebermann

„Die Sozialpolitik gehört nicht zu den Kompetenzen der Europäischen Union“…

…das zu wissen, ist für die Diskussion um ein Bedingungsloses Grundeinkommen wichtig, denn häufig wird gefragt, ob es denn überhaupt möglich sei, ein BGE in Deutschland einzuführen, ohne es auf EU-Ebene einzuführen. Weitere Informationen zu dieser Frage finden Sie im Artikel von Eckart D. Stratenschulte.

„Jeder Fünfte in EU von Armut bedroht“…

…schreibt die Tagesschau mit Bezug auf eine Erhebung von Eurostat. Demzufolge ist die Lage in Deutschland auch nicht so hervorragend, wie sie immer wieder gefeiert wird, jüngst von Carsten Schneider (MdB, SPD). Zur Berichterstattung über Eurostat passt die Veröffentlichung der Nationalen Armutskonferenz.

„Denn beim Volk, das ist eine paradoxe Wahrheit, ist die Demokratie nicht gut aufgehoben“…

…meint Jakob Augstein in seiner Kolumne bei Spiegel online mit dem Titel „Volk und Wahrheit„. Über manche Kommentare kann man nur staunen, auch darüber wie weit sie an der Realität vorbeigehen. Augstein erweist sich hier selbst als einer derer, die es besser zu meinen wissen als die Bürger, doch von welcher Warte aus? Die Einwände kommen einem, wenn man mit der Grundeinkommensdiskussion vertraut ist, bekannt vor.

Er schreibt unter anderem:

„…Zwischen Wahlvolk und Politik macht sich eine große Entfremdung breit. Es herrscht ein Notstand der politischen Legitimation. Wie behebt man den? Durch Partizipation? Sollen die Menschen an den politischen Entscheidungen mehr beteiligt werden? Bloß nicht.
„Wenn man Europa kaputtmachen will, dann braucht man nur mehr Referenden zu veranstalten.“ Jean Asselborn, Außenminister von Luxemburg, sagte das nach dem Nein der Niederländer zum EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine. Asselborn findet, dass Referenden in einer parlamentarischen Demokratie kein geeignetes Instrument sind, um schwierige Fragen zu beantworten…“

Nun, Referenden und repräsentative Demokratie widersprechen sich nicht. In der Schweiz wird beides praktiziert und man kann nicht gerade sagen, dass es nicht funktionieren würde. Dass die EU nicht gerade über Referenden erfreut ist, hat sich schon öfter gezeigt. Sie werden so lange für gut befunden, so lange die gewünschten Ergebnisse herauskommen. Solche Kommentare trifft man in Deutschland übrigens auch öfter, wenn – wie Augstein es ebenfalls tut – auf Abstimmungsergebnisse in der Schweiz geschaut werden. „Oben“ weiß man also besser als „unten“, was richtig und gut ist. Das ist der Elitismus, der den Bürgern vielleicht gerade zum Halse heraushängt.

In anderem historischem Zusammenhang hat Max Weber einmal etwas beschrieben, dass Augsteins Befürchtungen in einem besonderen Licht erscheinen lässt:

„Daß der Deutsche draußen, wenn er das gewohnte Gehäuse bürokratischer Bevormundung um sich herum vermißt, meist jede Steuerung und jedes Sicherheitsgefühl verliert, — eine Folge davon, daß er zu Hause sich lediglich als Objekt, nicht aber als Träger der eigenen Lebensordnungen zu fühlen gewohnt ist —, dies eben bedingt ja jene unsichere Befangenheit seines Auftretens, welche die entscheidende Quelle seiner so viel beklagten »Fremdbrüderlichkeit« ist. Und seine politische Unreife ist, soweit sie besteht, Folge der Unkontrolliertheit der Beamtenherrschaft und der Gewöhnung der Beherrschten daran, sich ohne eigene Anteilnahme an der Verantwortlichkeit und folglich ohne Interesse an den Bedingungen und Hergängen der Beamtenarbeit ihr zu fügen.“ (Max Weber, „Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland“, in: Gesammelte politische Schriften, S. 258, Tübingen 1988).

Theodor W. Adornos schon in den 1960er Jahren geäußerter Einwand gegen die Sorge, man könne den Menschen zuviel zumuten, weist in eine ähnliche Richtung.

Augstein schreibt weiter:

„…Wer mehr Partizipation in die Demokratie rührt, dem fliegen die Reagenzgläser um die Ohren. Aus gutem Grund gibt es Parlamente. Sie schützen die Demokratie vor dem Volk und das Volk vor sich selbst. Denn beim Volk, das ist eine paradoxe Wahrheit, ist die Demokratie nicht gut aufgehoben. Volkes Stimme und Fortschritt – das geht nicht gut zusammen. Die Schweizer wollten keine Minarette, die Hamburger keine Gemeinschaftsschulen und die Niederländer jetzt keinen Vertrag mit der Ukraine. Vernünftig war das alles nicht – und fortschrittlich erst recht nicht…“

Was ist an der Entscheidung der Schweizer unvernünftig oder undemokratisch gewesen? Läge es nicht zuerst einmal näher, sich zu fragen, was die Bürger damals dazu bewogen hat, den Neubau von Minaretten zu verbieten, statt die Entscheidung für unvernünftig zu erklären? Dasselbe gilt für die Entscheidungen in Hamburg und den Niederlanden.

Wenn Augstein auf Erkenntnisse der Wahlforscher verweist, dass bestimmte Milieus ihre Rechte, hier: das Wahlrecht, stärker wahrnehmen als andere, dann wäre ebenfalls zu fragen, ob die Bürger dafür nicht selbst gerade zu stehen haben, wenn sie ihre Rechte nicht wahrnehmen? Er scheint einen politischen Paternalismus vorzuziehen, der weiß, was für die Bürger gut ist. Das Wahlrecht ist zum Glück nicht mit einer Wahlpflicht verbunden und dennoch entlässt es die Mehrheit nicht aus der Verantwortung, auch die Interessen der Minderheit zu beachten.

Zum Schluss schreibt er noch:

„Das ist auch eine Erklärung dafür, wie es sein kann, dass seit zwanzig Jahren in den westlichen Staaten die soziale Ungleichheit trotz freier Wahlen immer weiter zunimmt. Offenbar ist die Demokratie kein geeignetes Instrument, um für Gerechtigkeit zu sorgen. Die Welt hat ihren Siegeszug gesehen. Aber das Wort Demokratie bedeutet nichts mehr.“

Wie schnell dann doch die Bereitschaft sich zeigt, die Demokratie auch abzuräumen, wenn sie Entscheidungen zustande bringt, die einer für ungerecht hält.

Sascha Liebermann

Siehe auch folgende Kommentare zu Augsteins Beitrag:
Kommentar von Mehr Demokratie e.V.
Kommentare auf den Nachdenkseiten
Kommentar von Susanne Wiest

Wie etwas loswerden, das man nicht haben will? Jürgen Borchert über das Bedingungslose Grundeinkommen

Im vergangenen Jahr ist Jürgen Borcherts Buch „Sozialstaatsdämmerung“ erschienen. Der Verfasser ist Vorsitzender Richter am Hessischen Landessozialgericht und hat sich wiederholt kritisch zur Verfasstheit des deutschen Sozialstaats geäußert. In Kapitel 9 (S.213-226) seines Buches widmet er sich dem Bedingungslosen Grundeinkommen. Seine Ausführungen stellen, das kann ohne Übertreibung gesagt werden, eine Abrechnung dar, eine, die viele Klischees bedient, sich nicht auf die differenzierte Diskussion einlässt – all das aber mit großem Selbstbewusstsein. Im gesamten Kapitel wird nicht eine Veröffentlichung aus der jüngeren oder auch älteren deutschen Grundeinkommensdiskussion zitiert. Pauschal wird über Modelle und Konzepte gesprochen. Verwiesen wird an den Stellen, die dem Verfasser gerade recht sind ,auf Autoren wie Karl Polanyi und Erich Fromm. In Rezensionen zum, Buch, die ich auf die Schnelle finden konnte, wird auf das BGE-Kapitel gar nicht eingegangen, z.B. bei Spiegelfechter und auch bei der taz. Spiegelfechter hat zum BGE allerdings ohnehin eine festgefügte Meinung.

Wie etwas loswerden, das man nicht haben will? Jürgen Borchert über das Bedingungslose Grundeinkommen weiterlesen

Bürgerarbeit und Grundeinkommen – Wie Ulrich Beck beides zusammenführt

In einem Interview mit NGZ-Online äußert sich der Soziologe Ulrich Beck zu Bürgerarbeit und Grundeinkommen. Vor etwa zwei Jahren sprach er sich für ein BGE aus und sorgte für Irritation, da er zuvor stets einer Bürgerarbeit das Wort redete, die eine Voraussetzung dafür war, Transferleistungen zu beziehen. Unklar war damit, wofür Beck nun eigentlich steht. Jetzt aber hat er die Verhältnisse wieder in Ordnung gebracht, wie an nachstehendem Zitat zu erkennen ist:

Frage: Als Ausweg plädieren Sie für Bürgerarbeit. Was heißt das?

Beck: Bürgerarbeit eröffnet den Menschen neben der Erwerbsarbeit eine zweite Perspektive: Ihnen wird ein Grundeinkommen für Arbeiten garantiert, die auf kommunale Belange ausgerichtet sind und von den Bürgern selbst organisiert werden. In vielen Kommunen gibt es solche Projekte schon, finanziert von Landesregierungen, von den Kommunen selbst und teilweise aus eigenen Einnahmen: Bürger organisieren ein Theater oder Café, sie arbeiten mit Einwanderern oder Lernbehinderten zusammen, sie kümmern sich um Umweltbelange. Das schafft Identität und Anerkennung. Auch Arbeitslose sollten ermutigt werden, solche Tätigkeiten zu übernehmen.

Beck hält also an alten Vorstellungen fest. Seine Vorstellung von Grundeinkommen hat mit dem BGE nichts gemein. Becks Bürgerarbeit ist also das, wofür sie schon lange gelten mußte, ein Helfer der Workfare-Politik.

Interessant ist in dem Interview auch eine andere Passage, in der Beck seine Kritik am nationalstaatlichen Denken wiederholt, die er seit Jahren vorträgt:

Beck Wir sind mit einer Entwicklung konfrontiert, in der die Sicherheiten des Nachkriegs-Sozialstaates überholt sind. Ein Grund ist, dass der Staat von der weltweiten Standortkonkurrenz der Unternehmen überfordert ist. Der Nationalstaat als Antwort auf soziale Verwerfungen hat ausgedient.

Wer aber sollte sonst Antworten auf diese Verwerfungen bieten? Bislang ist die einzige Instanz hierfür der durch die Bürger legitimierte Nationalstaat. Alle existierenden transnationalen Kooperationen sind Kooperationen zwischen Nationalstaaten und nur dadurch legitimiert. Einzig die Europäische Union (Lissabonvertrag) könnte nach bisherigen Entwicklungen eine solch transnationale Gemeinschaft werden, die an die Stelle des Nationalstaats zu treten in der Lage wäre. Aber, und hier ist auch das entscheidende Defizit auszumachen, man muss sich nur die Verfassungsverträge und die Praxis der EU anschauen: sie wird nicht vom Parlament im vollen Umgang kontrolliert, sie ist eben noch keine politische Union – darauf wird immer wieder hingewiesen. Beck gibt sich als Technokrat zu erkennen, wenn er vorschnell den Nationalstaat verabschiedet und an seiner Statt vom Volkssouverän nicht kontrollierte Instanzen zu Hilfe ruft. Ihm kommt gar nicht in den Sinn, daß das Hauptproblem der EU gerade das Demokratiedefizit sein könnte.

Sascha Liebermann