Anthony Atkinson ist ein renommierter britischer Ökonom, der sich seit Jahrzehnten damit beschäftigt „Ungleichheit“ zu erforschen. Anlässlich des Erscheinens der deutschen Übersetzung seines jüngsten Buches „Inequality. What Can Be Done?“ führte der Schweizer Tagesanzeiger ein Interview mit ihm. In dem Buch geht es neben vielen anderen Vorschlägen, wie Ungleichheit begegnet werden könnte, auch um seinen Vorschlag eines „participation income, den er schon 1996 unterbreitet hat. (siehe „The Case for a Participation Income“). Im Grunde ist er sehr nah an einem BGE dran, geht aber den nächsten Schritt nicht. In seinem Beitrag von 1996, als er den Vorschlag unterbreitete, klingt das so:
„In my proposal, the basic income would be paid conditional on participation. I should stress at once that this is not limited to labour market participation. While the qualifying conditions would include people working as an employee or self-employed, absent from work on grounds of sickness or injury, unable to work on grounds of disability and unemployed but available for work [Hervorhebung SL], it would also include people engaging in approved [Hervorhebung SL] forms of education or training, caring for young, elderly or disabled dependents or undertaking approved [Hervorhebung SL] forms of voluntary work, etc. The condition involves neither payment nor work; it is a wider definition of social contribution.“ (68–69)
In der Tat ist dies ein sehr weites Verständnis von „participation“, das zugleich die Frage aufwirft, welche Folgen es für die praktische Umsetzung hätte. Es bedarf einer Bestimmung dessen, was dann „approved“ sein soll, Atkinson nennt Beispiele. Doch wie rechtfertigt man die Abgrenzung in einem Gemeinwesen? Was wäre denn keine „participation“? Was heißt das für diejenigen, die nicht partizipieren? Es wird an diesen Fragen deutlich, welche Komplikationen ein participation income mit sich bringt, wie verwaltungsaufwendig es ist, und dass es dabei die Problematik aller Mindesteinkommensformen beibehält, die nach einem Leistungskriterium bereitgestellt werden. Es wird eben nicht die Person als Angehörige eines Gemeinwesens ins Zentrum gestellt und erhält deswegen eine Einkommenssicherung, sondern die Person, weil sie etwas Bestimmtes getan hat, tun soll oder tun wird. Eine ausführliche Kritik daran haben vor Jahren schon Jurgen De Wispelaere und Lindsay Stirton formuliert.
Im aktuellen Interview mit dem Tagesanzeiger sagt Atkinson folgendes:
„Tagesanzeiger: Er [der Mindestlohn, SL] hilft nicht bei Arbeitslosigkeit. Für wie wichtig halten Sie ein bedingungsloses Grundeinkommen?
Wichtig – da war Ihr Land ja Pionier.“
Zwar antworte Atkinson nicht direkt auf die Frage, aber entsprechend seiner Konzeption eines participation income wäre die Antwort konsequent – obwohl er ein BGE ja nicht befürwortet.
Dann wird er gefragt, ob er denn die Volksinitiative unterstützt hätte:
„Hätten Sie diese Vorlage unterstützt?
Ich finde die Debatte wichtig. Dass die Vorlage von rund einem Viertel der Stimmbürger unterstützt wurde, ist beachtlich. Ich hatte unter zehn Prozent Zustimmung erwartet. Die Schweiz hat in dieser Diskussion die Rolle eines Katalysators gespielt. Das Hauptproblem besteht darin, die Kriterien für die Bezugberechtigung zu definieren. Nur die Staatsbürger oder auch Immigranten? Nur Bürger scheint zu restriktiv und zugleich zu extensiv, dann müsste man auch jene im Ausland unterstützen. Ich schlage deshalb vor, dass jene bezugsberechtigt sind, die einen substanziellen Beitrag für die Gemeinschaft leisten, zum Beispiel in der Care-Economy.“
Weshalb besteht das Hauptproblem eines BGE darin, die Kriterien für die Bezugsberechtigung zu definieren? Gemeinwesen sind immer konkrete politische Gebilde, es gibt immer ein Innen-Außen-Verhältnis bezüglich der Frage, wer dazugehört und wer nicht, und zwar in dem strikten Sinne dessen, wer in einer Demokratie z.B. zum Souverän gehört und wer nicht. Denn der Souverän ist nicht nur Legitimationsquelle politischer Ordnung, er muss diese Ordnung auch tragen und an ihrer Durchsetzung bzw. Aufrechterhaltung mitwirken. Dazu gehört selbstverständlich auch Kritik an Missständen. Es geht also um Selbstbestimmung unter Gleichen, den Staatsbürgern.
Nicht-Staatsbürger haben nicht dieselben Verpflichtungen, weder müssen sie die politische Ordnung tragen, an ihrer Durchsetzung oder Erhaltung mitwirken, noch Kritik vorbringen. Sie müssen die Ordnung lediglich respektieren wie jeder Tourist, der in ein Land einreist. Von dieser Bestimmung ausgehend, wer in einem Gemeinwesen im Zentrum steht, ist es dann einfach abzuleiten, wie es sich mit Nicht-Staatsbürgern verhält. Wer darin lebt, seinen Lebensmittelpunkt darin hat, sollte entsprechend ebenfalls ein BGE erhalten. Davon lassen sich weitere Regelungen ableiten. Es ist auch keineswegs selbstverständlich, dass BGE im Falle von Staatsbürgern, die ihren Lebensmittelpunkt nicht im Gemeinwesen haben, dennoch dauerhaft bereitzustellen. Diese Vorstellung scheint heute selbstverständlich und rührt wohl daher, dass Rentenversicherungssysteme der Lebensstandardssicherung dien(t)en und diese wiederum der Anspruchsberechtigte „sich“ erarbeitet oder verdient hat (siehe auch „Statuserhalt oder Gleichheit der Bürger?“). Ist das aber die vorrangige Aufgabe des Gemeinwesens? Oder ist es nicht angemessener, ein Mindesteinkommen zu sichern, ohne es am Lebensstandard des Einzelnen zu orientieren, es ihm dafür aber über die Lebensspanne zur Verfügung zu stellen?
Sascha Liebermann