„Comeback des Grundeinkommens“ – Befürworter sind nicht dasselbe wie „Fans“

Ulrich Schulte schreibt in der taz über den bevorstehenden Parteitag der Grünen, auf dem das neue Grundsatzprogramm beschlossen werden soll. Das Grundeinkommen spielt in einigen Anträgen eine Rolle, der Bundesvorstand allerdings – Annalena Baerbock und Robert Habeck – hat sich dagegen ausgesprochen und favorisiert eine Garantiesicherung. Schulte schreibt dann unnötig unsachlich:

„Ein Grundeinkommen, versprechen seine Fans, könne das komplexe System der deutschen Sozialleistungen ersetzen, gebe allen Menschen Sicherheit und ermögliche Selbstverwirklichung frei vom Zwang der Lohnarbeit. Auch Parteichef Habeck hegt dafür Sympathien. Schon 2010 dachte er in seinem Buch „Patriotismus. Ein linkes Plädoyer“ über ein Grundeinkommen nach, das nur an eine einzige Bedingung geknüpft ist: sich weiterzubilden.“

Zum einen ist der Ausdruck „Fans“ hier geradezu degradierend, als gehe es nicht um Argumente, sondern um identifikatorische Bejubelung. Auch soll ein BGE in den wenigsten Fällen das gesamte System der Sozialleistungen ersetzen – das wäre leicht nachzulesen gewesen. Auf der anderen Seite wird hier etwas deutlich, was schon in früheren Vorschlägen bei den Grünen zu erkennen war. Habeck verknüpfte seine frühere Befürwortung eines Grundeinkommens (genauer wird er in seinem Buch nicht) mit einer  Bildungspflicht. Ähnlich sah schon ein früherer Vorschlag einer Grünen Grundsicherung eine Kitapflicht vor (siehe dazu hier und hier). Da ist ein Rest an fürsorglicher Bevormundung zu erkennen, als gäbe es nicht schon lange eine Diskussion über Sinn und Unsinn einer solchen Verpflichtung, in der gewichtige Argumente negative Folgen einer Schulpflicht deutlich machen, die Grundlage des deutschen Schulwesens ist.

Frühere Beiträge zur Garantiesicherung finden Sie hier.

Sascha Liebermann

Von zweifelhafter Ablehnung zu Befürwortung – Branko Milanovic vollzieht eine überraschende Wende

Interview von Michael Hesse mit Branko Milanovic in der Frankfurter Rundschau. Milanovic übt in einer Passage, nur dort geht es um ein Bedingungsloses Grundeinkommen, Kritik an ihm:

„[FR] Viele fordern ein Grundeinkommen, um die Folgen des technologischen Wandels abzumildern. Was denken Sie darüber?

[Milanovic] Unsere Grundsicherungssysteme sollten auf alle erdenklichen Eventualitäten während unserer Lebenszeit reagieren. Sie versichern uns gegen Risiken und sollen dafür Sorge tragen, dass wir im Fall der Erwerbslosigkeit unseren Lebensstandard halten können. Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens ignoriert diese Risiken vollkommen. Es verteilt das Geld zu gleichen Teilen an alle Bürger. Für ein Grundeinkommen benötigt man also eine andere Philosophie unserer sozialen Demokratie. Der Wohlfahrtsstaat müsste komplett neu definiert werden. Linke glauben, dass so ein Grundeinkommen die Ungleichheit verringern und die höchsten Einkommen begrenzen würde. Die Rechte geht vom genauen Gegenteil aus. Es ist auch nicht klar, ob die Menschen einen Job suchen würden, wenn sie ein Grundeinkommen hätten. Zudem könnte es zu einer Spaltung unserer Gesellschaft beitragen: Neben jenen, die nicht arbeiten wollen, würden die stehen, die es aufgrund geerbter Vermögen nicht müssen, und diejenigen, die weiterhin arbeiten. Allerdings hat sich meine Position durch die Pandemie gewandelt. Ich bin skeptisch gewesen. Jetzt sehe ich es anders: Ein Grundeinkommen würde jetzt sehr helfen. Man bräuchte keine Kongressentscheidung über eine Ausweitung der Arbeitslosenhilfe, und auch andere Unterstützungen wären unnötig. Man wüsste, dass alle auch in der Krise überleben könnten.“

Von zweifelhafter Ablehnung zu Befürwortung – Branko Milanovic vollzieht eine überraschende Wende weiterlesen

„In anderer Verpackung“ – über Sprachkosmetik, Hartz IV und den Bundesarbeitsminister…

darüber schreibt Barbara Dribbusch in der taz.

Zurecht verweist Bundesarbeitsminister Heil darauf, dass die Grundsicherung einen Rechtsanspruch darstellen und kein Almosen sei (siehe „Rechtsanspruch oder Almosen“ und hier), doch Dribbusch weist zurecht auf die Bezugsbedingungen hin, auch wenn diese gelockert worden seien. Doch werden Einkommen weiterhin angerechnet, die für Selbständige aber auch in diesen Zeiten die Mittel zur Investition sind, die sie benötigen. Dabei ist Dribbusch selbst kein Gegner von Sanktionen im Arbeitslosengeld II-Bezug, siehe hier.

Sascha Liebermann

„Bedingungsloses Grundeinkommen – Existenz-Sicherung oder Faulenzer-Prämie?“…

…eine Diskussion im RBB, das Video finden Sie hier. Teilnehmer waren:

Michael Bohmeyer, Gründer der Initiative „Mein Grundeinkommen“
Rainer Schwadtke, Bäckermeister
Tonia Merz, Modemacherin
Christian Gräff (CDU), Landesvorsitzender Mittelstandsunion
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW)
Christoph Butterwegge, Armutsforscher

Der teilnehmende Bäckermeister war schon einmal bei Anne Will zu Gast. Seine Ausführungen haben mich damals zu dem Beitrag „‚Arbeitswelt im Wandel‘ – oder Unternehmen als Erziehungsanstalten?“ und „Wer will dann noch beim Bäcker arbeiten? Über Fragen, die tief blicken lassen“ veranlasst.

„Wen sollte man eigentlich in Hartz IV reinzwingen?“ – gute Frage

„…ob der Mensch nur handelt, wenn er dafür Anreize und Belohnungen erhält“ – keineswegs und schon vielfältig untersucht

Der Deutschlandfunk berichtete über die hohe Anzahl an Bewerbern für das Pilotprojekt des Berliner Vereins Mein Grundeinkommen. Das Ziel des Projekts wird hier wiedergegeben:

„Dabei steht im Zentrum, ob und wie sich ein bedingungsloses Grundeinkommen auf die Berufstätigkeit und das Wohlbefinden der Testpersonen auswirkt. Es soll untersucht werden, ob der Mensch nur handelt, wenn er dafür Anreize und Belohnungen erhält. Im Fokus stehen auch die psychologischen Aspekte, etwa ob das Grundeinkommen hilft, Stress zu verringern und in der Folge die Lebenszufriedenheit und gesellschaftliches Engagement erhöht.“

Weshalb wird so getan, als gäbe es zu diesen Fragen keine Befunde? Es gibt sie sogar jenseits der BGE-Forschung, dazu müsste nur einmal der Blick auf kindliche Entwicklungsprozesse und die Entstehung von Leistungsbereitschaft gerichtet werden, wie es Remo Largo vorbildlich getan hat. Zieht man hierzu noch Einsichten einer soziologischen Sozialisationstheorie hinzu (z. B. hier) wird man nicht ernsthaft mehr die unterkomplexen „Anreiz“-Theoreme in Betracht ziehen. Dazu müsste man aber zum einen grundsätzlicher die Frage angehen und Methoden hinzuziehen, die näher am konkreten Leben sind.

Sascha Liebermann

„Milliardenhilfe für Soloselbständige und KMU“ – zu bürokratisch; wie einfach wäre BGE, wie lange kann man sich dem noch versperren?

„Grünes Grundeinkommen“ – Diskussion über Grundsatzprogramm