„Schluss mit Hartz IV“ – Jobcenter-Mitarbeiterin Inge Hannemann bei „stern tv“

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Interessant ist eine Passage in diesem Mitschnitt, in der eine junge Frau darüber Auskunft gibt, wie sie durch Frau Hannemann beraten wurde (ab Minute 7’10). Im Jobcenter, so stellt es die Reportage dar, habe sie „Termine geschwänzt… blockiert“. Die beharrliche und offenbar auf die individuierte Lage bezogene Hilfe von Frau Hannemann habe der jungen Frau erst – wie sie selbst sagt – einen Ausweg gewiesen, sie angespornt. Wenn diese Aussage authentisch ist und den Tatsachen entspricht, bezeugt sie, wie wichtig für das Gelingen von Hilfe und Beratung genau diese Ausrichtung auf die konkrete Lebenssituation und die Fähigkeiten einer Person ist. Da Frau Hannemann keine Sanktionen verhängte, wie die Reportage sagt, schuf sie eine besondere Beratungssituation, die derjenigen nahekommt, die auf frewilliger Basis zustandekommt. Das entspricht aber gerade nicht dem, was laut gesetzlichen Bestimmungen der Auftrag der Jobcenter ist. Statt Beratung auf freiwilliger Basis hat sie den Charakter von Zwangsberatung mit Sanktionsvorbehalt. Eine solche Beratung ist zum Scheitern verurteilt und birgt auch für die Berater enorme Frustration. Genau dieser Aspekt wird vom Moderator im Studiogespräch gar nicht aufgegriffen, weil er derart fixiert ist auf den in seinen Augen doch ganz richtigen Umstand, von denen eine Gegenleistung zu erwarten, die von den „anderen“ „finanziert“ werden.

„Petitionsausschuss will Petition zum Grundeinkommen abschließen“

Susanne Wiest weist auf diese Meldung hin, die der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Strengmann-Kuhn (Bündis 90/ Die Grünen) am 7. Juni über Twitter versandt hat. Vier Jahre sind seit Abschluss der Petitionszeichnung vergangen, beinahe drei Jahre seit der Anhörung im Petitionsausschuss. Was nun? Wie könnte jetzt verfahren werden? Dazu stellt Susanne Wiest Überlegungen an. Angesichts der laufenden, noch weniger verbindlichen Europäischen Bürgerinitiative zum Grundeinkommen (siehe hier und hier) muss für die deutsche Diskussion, noch mehr aber für die europäische gefragt werden, ob das der richtige, wirkungsvolle Weg ist, in Sachen Bedingungsloses Grundeinkommen etwas zu erreichen. Oder wird hier ein enormer Aufwand betrieben, der Kräfte bindet und letztlich wenig bewirkt?

„Jede zweite Rente 2012 war niedriger als Hartz IV“

„…fast jede zweite Rente [kam] auf weniger als 700 Euro, wie die „Bild“-Zeitung (Dienstag) berichtet. 48,21 Prozent der Alters- und Erwerbsunfähigkeitsrentner erhielten demnach 2012 weniger als die Summe, die Senioren im Schnitt als Grundsicherung im Alter inklusive Miete und Heizung zusteht…“

Diese Meldung der FAZ macht deutlich, welche große Veränderung ein Bedingungsloses Grundeinkommen bedeutete, zumal in ausreichender Höhe. Wie komplex das gesamte Leistungsgefüge nach dem Sozialgesetzbuch ist, zeigt der Blick in eine Broschüre der Arbeitsagentur. Dass aber auch der Durchschnittsrenter vom BGE profitieren würde, darauf haben wir in diesem Beitrag hingewiesen: „Standardrentner, Durchschnittsrenter, Rentenanwartschaften und Bedingungsloses Grundeinkommen“

Sich beteiligen oder beteiligt werden? – Anmerkungen zu einem jüngeren Interview mit Friedhelm Hengsbach

Friedhelm Hengsbach hat in einem Interview auf heute.de die These vertreten, die „Mehrheit der Menschen in Deutschland“ lebe unter ihren Verhältnissen. Vom Bedingungslosen Grundeinkommen hält er nichts, warum eigentlich? Seine Antwort ist verwunderlich und bezeichnend:

„…heute.de: Wäre das bedingungslose Grundeinkommen ein Weg zu mehr Gerechtigkeit?
Hengsbach: Ich bin kein Anhänger davon. Die Mehrheit der Menschen in Deutschland lebt unter ihren Verhältnissen. Es geht dabei nicht nur um materielle Güter, sondern um vitale Bedürfnisse, die nicht befriedigt sind: Gelingende Partnerschaften, den Kinderwunsch sich frühzeitig zu erfüllen und nicht erst, wenn die Karriere so weit fortgeschritten ist, dass er sich erübrigt. In einer natürlichen Umwelt zu leben, die nicht krank macht. Vor allem: Autonomie über die eigene Zeit wieder zu gewinnen für sich, für Kinder, füreinander…“

Kein Argument gegen das BGE zu erkennen. Hengsbach reduziert die Befürwortung auf Anhängerschaft, als handele es sich um ein sektenähnliches Phänomen. Dann zählt er unbefriedigte Bedürfnisse der Menschen auf, die alle Grund genug wären, ein BGE zu befürworten, das mehr Selbstbestimmung ermöglichte, ohne in eine Richtung zu leiten. Doch, weit gefehlt. Hengsbach – so kann seine Äußerung gelesen werden – reduziert das BGE auf Geld, auf ein materielles Gut. Das ist es zwar auch, das Geld ist aber kein Selbstzweck, sondern ermöglicht Tausch, es ist eine Ermöglichungsmittel. Nicht das Geld ist der Zweck, es sind die Freiräume, die der Einzelne dadurch gewinnen könnte, weil sein Auskommen nicht mehr von einer bestimmten Tätigkeitsform abhinge. Das BGE würde den Einzelnen stärken, ohne individualistisch zu sein, es wäre gemeinschaftsfördernd, ohne kollektivistisch zu sein. Es verbindet zwei Momente, die dadurch wiederum klar werden: Freiheit des Einzelnen bedeutet zugleich Anerkennung seiner Abhängigkeit von anderen. Ein starkes Individuum kann es ohne Gemeinwesen nicht geben. Hengsbach sieht diese Zusammenhänge eines BGE offenbar nicht.

Im Schlusssatz der zitierten Passage, wird deutlich, weshalb er sie nicht sehen kann oder will:

„…Dies kann nur gelingen, wenn möglichst viele an zusätzlicher, gesellschaftlich organisierter Arbeit beteiligt werden…“

Nicht das Schaffen von Freiräumen steht im Zentrum, sondern die Hinführung zu einem bestimmten Zweck: gesellschaftlich organisierter Arbeit. „Beteiligt werden“ ist etwas anderes als die Möglichkeiten zu geben, sich zu beteiligen. Hengsbach hebt die passivische Form hervor, was letztlich heißt, die Gesellschaft soll die Menschen beteiligen. Und wenn sie diese Arbeit nicht wollen, was dann? Was sieht er da vor? Werden sie sanktioniert? Es reicht ihm offenbar nicht, Möglichkeiten zu schaffen, wodurch er – sicher wider Willen und entgegen seiner Absicht – in die Nähe der Sozialpolitik gerät, die wir heute haben. Vermutlich ungewollt sind auch andere Kritiker der heutigen Sanktionssozialpolitik schon in diese Richtung gegangen, siehe hier und hier.

Vor einigen Jahren stand Friedhelm Hengsbach dem BGE noch wohlwollend gegenüber und befürwortete es, allerdings mit einer besonderen Begründung:

„…Wenn, wie in Deutschland gegenwärtig Arbeitslose diskriminiert und in pathologische Arbeitsverhältnisse wie Mini-Jobs oder Ein-Euro-Jobs gedrängt werden, ist das bedingungslose Grundeinkommen die Sicherung des Grundrechtes jedes Bürgers, eine Arbeit auch ablehnen zu können. 80 Prozent der Arbeitsplätze sind schlechte Arbeit…“

Es geht ihm also nicht um die Aufhebung der Erwerbsverpflichtung bzw. um die Aufhebung einer allgemeinen Arbeitsverpflichtung, es geht ihm lediglich um ein Abwehrrecht gegen eine bestimmte Form oder Ausformung dieser Verpflichtung. Damit wäre zumindest die obige Deutung erhärtet, dass gesellschaftlich organisierte Arbeit für ihn von zentraler Bedeutung ist. Verwirrend wiederum ist eine andere Passage aus einem weiteren Interview:

„…Hengsbach: Wenn das Grundeinkommen die unwürdigen Hartz-IV-Regelungen abschafft oder ersetzt, bin ich dafür. Aber ich sehe nicht ein, dass Höherverdienende und Vermögende auch noch ein bedingungsloses Grundeinkommen beanspruchen können…“

Es entsteht der Eindruck, dass sich Hengsbach mit dem BGE überhaupt nicht ernsthaft befasst hat, denn es zielt durch eine entsprechende Ausgestaltung ja gerade darauf, allgemeine Bedürftigkeitsprüfungen abzuschaffen.

Sascha Liebermann

„Kein Grund zum Feiern“ – von der Abwertung der „Hausfrau“

In der Neuen Zürcher Zeitung hat Joachim Güntner sich zum Verfall des Bildes von der Hausfrau geäußert. Am Beispiel dieses Verfalls kritisiert er das heutige Emanzipationsverständnis, das eben nicht – wie einst Simone de Beauvoir und andere erstrebten – zu einer Aufwertung der Haus- oder Sorgetätigkeiten geführt hat, sondern zu deren forcierter Abwertung. Siehe auch einen älteren Kommentar zur Sache von Sascha Liebermann.

„Da wird massiv Angst geschürt“ – Gerd Bosbach zum „Demografiegipfel“

Auf tagesschau.de findet sich ein Interview mit Gerd Bosbach, der Statistik, Mathematik und Empirik an der Fachhochschule Koblenz lehrt. Interessant ist es, um die Debatte über demographischen Wandel einzuschätzen, aber auch, um etwas über die Brauchbarkeit und Grenzen von Prognosen zu erfahren. Zu diesem Thema haben wir schon verschiedentlich Hinweise (siehe z.B. hier und hier) und Kommentare (siehe z.B. hier und hier) eingestellt.

Wieder einmal Spargelernte – Zeit, an den SpargelPanther zu erinnern

Vor drei Jahren berichteten wir das erste Mal über den SpargelPanther, eine Erntemaschine, die bis zu acht Arbeitskräfte ersetzt (siehe auch den Bericht in der FAZ). Produziert wird sie von der Firma ai-solution. Die technologischen Möglichkeiten machen deutlich, wie zynisch die Diskussion über den Einsatz von Erwerbslosen in der Spargelernte sind, ein „race against the machine“.