„Herrschgier und zugleich Selbstverachtung“…

…so spitzte Theodor W. Adorno einst zu, was noch – wie hier der Hinweis auf die „Stilllegungsprämie“ zeigt – in der Diskussion um ein Bedingungsloses Grundeinkommen als Phänomen und Symptom zu beobachten ist. In einem Aufsatz schrieb er:

„Wohl ist Amerika nicht mehr das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, aber man hat immer noch das Gefühl, daß alles möglich wäre. Begegnet man etwa in soziologischen Studien in Deutschland immer wieder Aussagen von Probanden wie: Wir sind noch nicht reif zur Demokratie, dann wären in der angeblich so viel jüngeren Neuen Welt derlei Äußerungen von Herrschgier und zugleich Selbstverachtung schwer denkbar.“ (Adorno, Theodor W. (1982 [1969]): Wissenschaftliche Erfahrungen in Amerika. Gesammelte Schriften 10.2, Frankfurt, S. 735)

Obwohl schon lange zurückliegend scheint diese Zuspitzung sehr gut noch immer die Gegenwart zu treffen, wenn man sich die verschiedensten Einwände und Vorbehalte gegenüber einem BGE genauer ansieht und was im Vorwurf, es sei eine Stilllege-, manchmal auch eine Stillhalteprämie, zum Ausdruck kommt.

Dabei kann nicht oft genug betont werden, wie anders die Verfasstheit der politischen Grundordnung ist, welche Autonomiezumutung und welches Autonomievertrauen sie ausspricht. Doch das muss auch mit Leben gefüllt werden.

Sascha Liebermann

SoVD.TV: „Wie viel Armut können wir uns noch leisten?“ – Erwerbszentrierung…

…ohne Ende, viel Bekanntes, in der Analyse doch teils erheblich zu kurz gegriffen: Erhöhung der Regelsätze, Mindestlöhne, kein Blick darüber hinaus. Von Stigmatisierung (siehe auch hier) durch Erwerbszentriertheit keine Rede, die ein Grund für verdeckte Armut ist. Es wird nur von der Armut gesprochen, die in bloßem Einkommensmangel besteht, nicht aber von derjenigen, die ihren Grund in einer traumatisierten Lebensgeschichte hat. Sicher muss es Maßnahmen geben, die jetzt greifen, doch ohne die grundlegenden Zusammenhänge anzusprechen, ist auf lange Sicht kein Fortkommen zu erreichen.

Siehe auch:

Sascha Liebermann: „Souveränität gewinnen“, „Bittsteller oder Bürger“, „Bedingungsloses Grundeinkommen: Entlastung, Herausforderung, Zumutung“, „Kinder- und Jugendhilfe – und das BGE“

Ute Fischer: „Eingliederung in was?“

Sascha Liebermann

Zuschreibung und Geschichtsvergessenheit – bislang gab es keinen Sozialismus, der auf die Arbeitspflicht verzichtet hätte

Mindestlohn und Grundeinkommen, nicht einfach Fortentwicklung, sondern Bruch…

…mit dem bestehenden erwerbszentrierten Sozialstaat. Darin liegt die größte Hürde für die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens (sofern hier ein solches gemeint ist). Es geht nicht ums Können, sondern ums Wollen und dieses Wollen hängt davon ab, wie wir als Gemeinwesen zur vorbehaltlosen Anerkennung der Bürger stehen. Der Mindestlohn (auch der angemessene, der noch nicht existiert) weist nicht über die Erwerbszentrierung und zugleich Degradierung von unbezahlter Arbeit hinaus, er bekräftigt diesen Zustand noch, solange sanktionsbewehrte Sicherungssysteme fortbestehen. Selbst wenn die Sanktionen abgeschafft würden, bliebe noch der Vorrang von Erwerbstätigkeit bestehen, solange es kein BGE gäbe.

Sascha Liebermann

„Abschied von der Arbeitsgesellschaft?“ In der Tat „unaufgeregt“…

…und äußerst sachlich, ein paar Anmerkungen liegen dennoch nahe.

Gleich zu Beginn sagt Frau Spannagel, ein BGE komme dem gleich, die Gesellschaft von Grund auf umzukrempeln – ist das zutreffend? Auf die Idee kann man nur kommen, wenn man die Einschätzung teilt, dass wir in einer Arbeitsgesellschaft lebten. Wenn hiermit die Erwerbszentrierung des Sozialstaates gemeint ist, dann ist die Aussage zutreffend, doch sie ist es nicht, wenn die politische Grundordnung betrachtet wird, denn die kennt schon bedingungslos geltende Rechte in Verbindung mit dem Staatsbürgerstatus. Deswegen kann diesbezüglich treffend von einem Widerspruch zwischen dieser Grundordnung und der Ausgestaltung des Sozialstaats gesprochen werden. Warum findet das keine Erwähnung in dem Gespräch, auch die Journalistin fragt nicht nach? Hieran wird eine Bürgervergessenheit deutlich, die sich durch diese Diskussion zieht.

Frau Spannagel differenziert die Grundidee von der konkreten Ausgestaltung und zählt hierbei das liberale Bürgergeld der FDP zu den BGE-Konzepten. Das verwundert, hält das Bürgergeld Sanktionen ebenso bei wie die Integration in den Arbeitsmarkt als Ziel.

Gefragt wird dann nach den volkswirtschaftlichen Auswirkungen, die ein BGE habe, denn Güter und Dienstleistungen soll es weiterhin geben, wie wird damit umgegangen? Hier wäre eine Nachfrage hilfreich gewesen, denn weder kennt das Grundgesetz eine Arbeitspflicht, es schützt vielmehr die freie Berufswahl, noch gibt es irgendwelche Zwangsmittel dafür, die volkswirtschaftliche Leistung sicherzustellen. Die Grundordnung setzt auf die Leistungsbereitschaft der Bürger – das ist alles. Da die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch einen Rechtsanspruch darstellen, der von jedem beantragt werden könnte, vertraut das Gemeinwesen darauf, dass dies nicht geschieht. Trotz dieses Rechtsanspruchs werden Güter und Dienstleistungen heute erstellt. Wer also ein BGE als Experiment bezeichnet, muss auch die Demokratie als ein solches bezeichnen, das geschieht gemeinhin nicht.

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„Hartz IV ohne Sanktionen: Bei ihrem Bürgergeld begeht die Ampel 3 entscheidende Fehler“ – als Analyse…

…ist der Beitrag von Oliver Stock auf der Website von focus angekündigt, aber wo ist sie nur – die Analyse?

Werden Sanktionen ausgesetzt, Arbeitslosengeld-Beziehern keine Pflichten zur Wiedereingliederung auferlegt, stehen sie „dauerhaft außerhalb des marktwirtschaftlichen Systems“. Aber weshalb sollte das so sein? Auf diesen Schluss kann nur kommen, wer davon ausgeht, es bestünde auf Seiten der Bezieher kein Interesse, erwerbstätig zu sein.

Es herrsche doch Arbeitskräftemangel, deswegen sei die Entscheidung des Bundestages ein Zeichen in die falsche Richtung. Auch hier setzt Stock wieder voraus, Arbeitslosengeldbezieher wollten nicht erwerbstätig sein – wie kommt er darauf? Dass es gute Gründe gibt, sich anderen Aufgaben zu widmen als der Erwerbstätigkeit, wird in keiner Form bedacht. Dort, wo Mangel herrscht, gibt es verschiedene Gründe, z. B. die Tendenz der vergangenen Jahrzehnte, Ausbildungsberufe gegenüber einem Studium abzuwerten (da haben die Arbeitgeber mitgewirkt), schlechte Arbeitsbedingungen und eben keine „automatischen“ „Preisanpassungen“ im Gefolge von Knappheit. Bessere Bezahlung nützt auch bei widrigen Arbeitsbedingungen wenig.

Zuletzt wird noch im Geiste der Stilllegungsprämie behauptet, wozu die Entscheidung führe und – das darf natürlich nicht fehlen – der Mangel an Anreize im Hartz-IV-System. Da ist die sogenannte Analyse schon abgeschlossen. Der Beitrag hat unweigerlich Ähnlichkeiten mit dem, den ich gestern kommentiert habe.

Sascha Liebermann

Haltung, aber welche?

Diese Frage wirft der Beitrag von Nikolaus Blome auf Spiegel Online auf. Die Einseitigkeit seiner Haltung hatte ich gestern schon kommentiert, da Blome einen Gegensatz zwischen Solidarität und Bedingungslosem Grundeinkommen entwirft, der so nicht besteht, es sei denn, Haltung gewinne man durch sanktionsbewehrte Sozialleistungen. Es finden sich in dem Beitrag noch andere Passagen, die ähnlich einseitig sind. Blome schreibt:

„Das [Aussetzen von Sanktionen, SL] aber stuft den Wert von Arbeit und Arbeiten weit herunter, weil das individuelle Bemühen darum der Allgemeinheit fortan gleichgültig zu sein hat. Seit Beginn der Coronapandemie sind übrigens auch die Vermögenskontrollen und die Prüfung auf angemessenen Wohnraum ausgesetzt. Kurzum: Mit diesem letzten Federstrich hat die Bundesregierung de facto ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt, das obendrein von den markanten Inflationstreibern Miete und Heizung entkoppelt ist, weil dafür ja das Amt zahlt.“

Blome erwähnt in keiner Weise, dass es um das Existenzminimum geht und die Diskussion über Sanktionen eine ist, die sich dagegen ausspricht, das Minimum unter Vorbehalt zu stellen. Wenn, wie es weiter heißt, mit dem Aussetzen der Sanktionen die „Allgemeinheit“ nichts mehr an Gegenleistung erwarten dürfe, stuft das keineswegs den „Wert von Arbeit […] herunter“, es hebt hingegen heraus, dass erfolgreiche „Arbeit“ voraussetzt, dass sie zu einer Person passt und diese zu ihr. Apropos Haltung – die Haltung, die darin zum Ausdruck kommt, ist die, von der grundsätzlichen Bereitschaft bis zum Beweis des Gegenteils auszugehen, es ist dieselbe Haltung, die der Demokratie innewohnt und in der sie davon ausgeht, dass eine solche Bereitschaft sich nicht erzwingen lasse, ohne sich die eigenen Grundlagen wegzuziehen.

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