„Wir alle sind systemrelevant“ – ganz im Selbstverständnis einer Demokratie

Bevormundung, erzieherisches Geleit und moralische Anleitung – manche nennen das auch „Anreize“

Unsere Beiträge zu Anreizen finden Sie hier.

Nur um die, die Leistung erbringen, muss sich die Politik kümmern…

…der Auffassung war einst Peer Steinbrück im Jahr 2003 und beschloss einen Meinungsbeitrag in Die Zeit mit folgenden Worten:

„Der Staat hat die Aufgabe, für eine gerechte Einkommens- und Vermögensverteilung zu sorgen. Soziale Gerechtigkeit muss künftig heißen, eine Politik für jene zu machen, die etwas für die Zukunft unseres Landes tun: die lernen und sich qualifizieren, die arbeiten, die Kinder bekommen und erziehen, die etwas unternehmen und Arbeitsplätze schaffen, kurzum, die Leistung für sich und unsere Gesellschaft erbringen. Um die – und nur um sie – muss sich Politik kümmern.“

Alle anderen, müsste man daraus schließen, können wir vergessen. Führt diese Haltung nun in die Zukunft eines politischen Gemeinwesens, wenn es nicht mehr darum geht, Politik für seine Bürger um ihrer selbst willen zu machen, ohne die ein Gemeinwesen nicht bestehen könnte? Der Schritt zum „Vorrang für die Anständigen“ ist schon zu erkennen.

Sascha Liebermann

„Bedingungslosigkeit irritiert Paternalismus“

In seinem Beitrag in Jacobin – zumindest in den Ausführungen zu Beginn, da er hinter einer Bezahlschranke ist – beschreibt Alexander Brentler gleich zu Beginn die Folgen von Langzeitarbeitslosigkeit, ohne deren Grund zu nennen. Es ist nicht (Erwerbs-)Arbeitslosigkeit als solche, die diese Folgen verursacht, es ist ihre normative Seite, ein gesellschaftlich unerwünschter Zustand zu sein, der deswegen sobald als möglich wieder verlassen werden soll. Darauf sollen alle vom Gesetzgeber bestimmten Instrumente hinwirken. Stigmatisierung ist also Folge einer normativen Bewertung eines bestimmten Handelns. Dann schreibt er:

„Als Kompensation für Sorgearbeit ist das BGE ein wenig zielgenaues Instrument. Wer sich wirklich Vollzeit um andere kümmert, hat mehr verdient als ein Existenzminimum. Die »Freiheit«, die das BGE verspricht, zielt eher auf Selbstentfaltung ab – daher sein besonderer Appeal unter Kreativen. Die unausgesprochene Erwartung lautet, das Leben über die Erwerbsarbeit hinaus als zielorientierte Karriere zu begreifen.“

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„‚Aufstocker‘ im Hartz IV-System. Darunter sind überdurchschnittlich viele Alleinerziehende (mit ihren Kindern)“…

…ein Überblick von Stefan Sell über die jüngst von der Bertelsmann Stiftung veröffentlichten Studien und etwaigen Lösungsvorschlägen. Zu deren Folgen findet sich in dem Beitrag nichts, auch dazu nicht, dass diese Vorschläge widersprüchlich sind, wenn sie auf der einen Seite eine größere Wertschätzung von „Care-Arbeit“ für nötig halten, auf der anderen aber dafür plädieren, dass am Ende weniger Zeit für diese übrig bleibt, wenn die Lösung in mehr Erwerbsbeteiligung Alleinerziehender gesehen wird.

Siehe meinen Kommentar zur Bertelsmann-Studie hier.

Sascha Liebermann

„Beim Bürgergeld bleibt die Armut politisch gewollt“…

…so ist ein Gespräch mit dem Sozialberater Ulrich Franz in der Freitag übertitelt, in dem Franz den Finger in die Wunde des Bürgergeldes legt und manches andere berichtet.

An einer Stelle weist Franz auf Folgen hin, die digitalisierte Prozesse in der Beantragung und Bearbeitung für Leistungsbezieher hätten, denn:

„[Franz] […] Viele Menschen mit wenig Geld sind digital nicht gut ausgestattet, Viele haben zwar ein – oft veraltetes – Smartphone, aber keinen Laptop, was das Schreiben von E-Mails und Verschicken von Formularen kompliziert macht. Zudem ist die Frage, ob die Software der Jobcenter dann funktioniert: Viele Fälle landen vor Gericht, in denen ein Formular eingeworfen wurde, aber keine Bestätigung kam – und es als „nicht eingereicht“ galt. Wie sicher ist es, dass ein digital eingereichtes Formular registriert wird? In der Corona-Zeit litten zudem viele darunter, dass es keinen Kontakt gab, zu den Beratungsstellen und auch beim Jobcenter. Ich kenne einen Fall, in dem ein Mann dringend Geld brauchte, Kühlschrank leer und nichts auf dem Konto. Ein Security-Angestellter wies ihn vorm Jobcenter ab – obwohl man in diesem Fall einen Anspruch auf eine „Notfallzahlung“ hat.“

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