„Wir statten Arbeitgeber mit billigem Menschenmaterial aus“…

…ein Beitrag in der Süddeutschen Zeitung, der auf ein Gespräch mit einem Arbeitsvermittler in einem Berliner Jobcenter zurückgeht.

Was in der Übertitelung wie eine zynische Bemerkung klingt, ist tatsächlich eine Analyse des Arbeitsvermittlers, mittels der klar wird, wozu die scharfe Sozialgesetzgebung führt.

Verschärfung der Regelungen beim Arbeitslosengeld II – Stellungnahme von Harald Thomé und Frieder Claus

Nachdem wir kürzlich wieder über etwaige bevorstehende Verschärfungen im Sozialgesetzbuch II informiert haben, hier der Link zur Stellungnahme von Harald Thomé und Frieder Claus zum Kabinettsentwurf (siehe eine weitere Stellungnahme hier). Die junge welt und Frankfurter Allgemeine Zeitung (Montagsausgabe) berichteten über ein Schreiben der Jobcenter-Personalräte, in denen das Vorhaben kritisiert wird.

Eine Verschärfung der Regelungen beim Arbeitslosengeld II? Aber sicher…

so könnte man kommentieren, was ein Gesetzentwurf aus dem Bundesarbeitsministerium nach Meldung von neues deutschland enthalten soll. Siehe auch die Meldung von gegen-hartz dazu, die sich auch auf Ute Fischer beruft, die am Ende der Meldung noch mit einem Vorschlag zitiert wird, wie denn im gegenwärtigen Gefüge schon Verbesserungen zu ereichen wären. Ihre Ausführungen entstammen diesem Interview, auf das gegen-hartz nicht verweist. Der Vorschlag im Original lautet so:

„Wo sehen Sie denn aufgrund Ihrer Analysen weitergehenden Reformbedarf in den Jobcentern?
Organisatorisch und inhaltlich. Die Vielzahl an Verwaltungsrichtlinien und Anweisungen, die die Beschäftigten in den Jobcentern befolgen und umsetzen müssen, nimmt durch die Reform nicht ab. Daher verfehlt das Gesetz die gewünschte Wirkung. Eine stärkere Vereinfachung wäre zu erzielen durch eine Trennung von Auszahlung und Beratung bei möglichst starker Pauschalierung des Grundsicherungsbetrags. Nur so könnten Einzel- und Sonderfallberechnungen entfallen. Der Pauschalbetrag, der Regelsatz, müsste dann hoch genug sein, damit auch Wohnungs- und Nebenkosten abgedeckt sind. Am wichtigsten aber scheint mir ein Umdenken zu sein: Wenn die Behörde – und der Gesetzgeber – darauf verzichten würde, besser zu wissen, was der oder die Einzelne wirklich will und welche Tätigkeiten zu ihm oder ihr passen, erst dann würde auch die Beratung in den Jobcentern zu einer professionellen Hilfeleistung. Solange aber die Eingliederung in Arbeit um jeden Preis den „Geist“ der Sozialpolitik prägt, werden Hilfebedürftige entmündigt und der Entwicklungsprozess nachhaltig gestört.“

„Wie die Jobcenter Arbeitslose in die Armut treiben“…

…einen Einblick in die Absurditäten und Fallen des gegenwärtigen Sozialstaats gibt ein Beitrag der Süddeutschen Zeitung.

Aus dem Ende des Beitrags:

„…Auch Julia Meier sollte im Augenblick auf neue Schulden verzichten. Seit knapp drei Jahren ist sie im Insolvenzverfahren. Dabei muss sie sich auf ein geringes Einkommen beschränken und weitere Kredite könnten ihr Verfahren scheitern lassen. Für ein neues Bett und einen Kühlschrank hat sie beim Jobcenter deshalb Beihilfe beantragt. „Da Sie diese Gegenstände schon einmal besessen haben, ist eine Bewilligung als Beihilfe (…) nicht mehr möglich“, antwortet ihr das Amt. Aber: „Es besteht die Möglichkeit, ein Darlehen zu beantragen.“

„Die Würde des Menschen ist unantastbar…“…

…schrieb Lutz Hausstein auf den Nachdenkseiten über Ralph Boes‘ Sanktionshungern. Trotz „massiven Drucks“ aus der „Bevölkerung“, der es vermocht hat, die Sanktionen in die öffentliche Debatte zu bringen, sei nichts geschehen, heißt es in seinem Beitrag. Er zeichnet ein deutliches Bild davon, was die gegenwärtige Sozialgesetzgebung für Folgen hat.

Dass eine Abschaffung der Sanktionen in der Sozialgesetzgebung erstrebenswert ist, steht außer Frage. Doch zu erreichen ist das nur, wenn ein Mindesteinkommen als Regelfall bereitgestellt wird und nicht als Notfall- oder Ausnahmeleistung. Erst ein Bedingungsloses Grundeinkommen ebnet diesen Weg, weil nur es die normative Vorrangstellung von Erwerbstätigkeit aufhebt. Davon ist in dem Beitrag hingegen keine Rede, obwohl Ralph Boes Engagement gerade vor diesem Hintergrund zu verstehen ist.

Eine auffällige Lehrstelle ist das, denn wer von Menschenwürde spricht, müsste sogleich zu dem Schluss kommen, dass jedes System sozialer Sicherung, das Sicherungsleistungen nur als Ausgleichsleistungen zu fehlendem Erwerbseinkommen rechtfertigt, gerade nicht die Würde der Person im Zentrum hat. Hier besteht ein offener Widerspruch im Denken derer, die zwar mit der Würde des Menschen aus dem Grundgesetz gegen „Hartz IV“ argumentieren, aber kein BGE haben wollen (siehe z.B. hier, hier und hier).

Lutz Hausstein argumentiert darüber hinaus ausschließlich juristisch, wenn er die Verfassungswidrigkeit der Sanktionen hervorhebt. Diese Argumentation ist insofern problematisch, als sie die juristische Auslegungslehre an die Stelle der politischen Willensbildung setzt. Es ist vorstellbar, dass das Bundesverfassungsgericht keineswegs „Hartz IV“ für verfassungswidrig erklärt. Für diejenigen, die juristisch argumentieren, wäre damit die Diskussion erledigt oder sie müssten dagegen wiederum den Rechtsweg beschreiten. Die Willensbildung aber sollte in unserer politischen Ordnung in der Öffentlichkeit sich vollziehen, die Bürger als Bürger ansprechen und für einen Gestaltungsvorschlag werben. Im Parlament dann wäre über die Ausgestaltung und Absicherung durch Gesetz zu entscheiden. Nur dort entscheiden wir, wie wir zusammenleben wollen, nicht im Bundesverfassungsgericht (siehe meine Kommentare zu dieser Frage hier und hier).

Sascha Liebermann