Anerkennung oder Hinterfragung des status quo? Anmerkungen zu einer Studie über Armut

Vor kurzem haben wir auf eine Studie hingewiesen, die sich mit Kinderarmut befasste und dafür die Erwerbssituation der Eltern untersuchte. Entscheidend für die Einkommenssituation sei, ob die Mütter erwerbstätig sind oder nicht. Gemeinhin wird daraus der Schluß gezogen, dass die Erwerbsquote von Frauen insbesondere von Müttern erhöht werden müsse, dazu bedürfe es des Ausbaus von Betreuungsangeboten usw. Denn nur so sei Altersarmut bei Frauen vermeidbar. Für die Nachdenkseiten hat Marcus Klöckner die beiden Sozialwissenschaftler Claudia Wenzig und Torsten Lietzmann, die die Studie durchgeführt haben, interviewt. Was haben sie zu den Befunden zu sagen, welche Schlüsse ziehen sie daraus?

„Torsten Lietzmann: In Paarfamilien beispielsweise leben nahezu alle Kinder in einer abgesicherten Lage, wenn die Mutter dauerhaft Vollzeit oder Teilzeit oder geringfügig arbeitet. Wenn sie dauerhaft nicht erwerbstätig ist, ändert sich das Bild. 32 Prozent der Kinder sind dann in einer dauerhaften oder wiederkehrenden Armutslage. […]

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„Wenn die Mutter nicht arbeitet, bleibt das Kind arm“…

…, wenn das so ist, liegt die Lösung nahe: ein Bedingungsloses Grundeinkommen, das gerade Alleinerziehenden besonders entgegenkäme. In welche Richtung aber gehen die Ergebnisse einer Studie des IAB für die Bertelsmann-Stiftung, über die Spiegel online berichtete? „Müttern muss es erleichtert werden, arbeiten zu gehen“, so Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung. Ergebnisse lassen sich in verschiedene Richtungen deuten und entsprechende Schlüsse ziehen. Was Dräger nicht sagt ist, welche Folgen seine Schlussfolgerung hat: weniger Zeit für Familie, für die Kinder. Diese Zeit ist aber gerade das, was es besonders braucht, wenn es ein Familienleben geben können soll, das sich nicht nur auf die Wochenenden, das Frühstück und das Abendessen bezieht. Die gegenwärtige Familienpolitik lenkt weg von Familie hin zu Erwerbstätigkeit, stärker denn je, alle etablierten Parteien sind sich einig, das zeigt ein Blick in die Programme zur Bundestagswahl. Familie ist ein Anhängsel der Arbeitsmarktpolitik, ihre Eigensinnigkeit wird nicht geachtet (siehe auch hier). Ein BGE würde hier ein starkes Gegengewicht bedeuten, ohne vorzuschreiben, was damit zu tun wäre. Aber alleine, dass die Option, mehr Zeit zuhause zu sein, dem Engagement in Erwerbstätigkeit gleichgestellt wäre, könnte viel verändern.

Sascha Liebermann

„Die Inszenierung des Sozialschmarotzers hat Methode“…

…zu diesem Thema hat Kathrin Hartmann unter dem Titel „Armut, die sich lohnt“ einen Beitrag auf freitag veröffentlicht. Siehe auch den älteren Beitrag dazu von Frank Oschmiansky und anderen „Faule Arbeitslose? Politische Konjunkturen einer Debatte“. Einen weiteren Beitrag von Oschmiansky finden Sie hier.

„Man kann davon überleben“…

…wer nun meint, dieser Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wolle Jens Spahn und anderen zur Seite springen, die leichtfertig darüber reden, was das Arbeitslosengeld II zu leisten vermag, lese genau und übertrage, wovon Sandra S. berichtet, auf seine eigene Haushaltssituation. Eine bittere Einsicht darein, welchen Sozialstaat wir uns angesichts des Wohlstandes leisten. Deutlich wird auch, um wieviel besser Sandra S. dastünde, wenn es ein BGE als Leistung pro Person gäbe, denn sie hat einen Sohn.

Siehe auch meinen Kommentar zur Armutsdiskussion im Anschluss an die Äußerungen Jens Spahns.

Sascha Liebermann

„Scham und Schikane…“ – Folgen einer gut gemeinten Sozialpolitik, die die Schwachen schwächt

Auch wenn der reißerische Titel dieses Beitrag bei Plusminus an der Sache vorbeigeht, so greift die Dokumentation gleich zu Beginn doch ein wichtiges Thema auf, dass nämlich Rechtsansprüche von Bürgern aus Scham nicht wahrgenommen werden. Für dieses Phänomen gibt es in der sozialwissenschaftlichen Forschung den Ausdruck „verdeckte Armut“. Erfahrene Experten auf diesem Gebiet kommen ebenfalls zu Wort. Worüber berichtet wird, dass aus Scham Leistungen nicht beansprucht werden, ist eines, dass Bezieher einem komplexen Gefüge von Gesetzen gegenüberstehen, die sie nicht durchschauen, ist das andere. Am ehesten schaffen es also diejenigen, darin ihre Interessen wahrzunehmen, die diese selbstbewusst genug verfolgen. Und die anderen? Sie haben das Nachsehen. Ist das womöglich der Preis eines Verständnisses von Sozialpolitik, das zwar besonders gerecht sein will, dazu jedoch besonders komplexe Gesetze benötigt, deren Befolgung kontrolliert werden muss?! Mehr Pauschalen ohne Vorbehalte können viel leisten, und zwar gerade die erreichen, die sie besonders benötigen. Das schließt darüber hinaus gehende Leistungen keineswegs aus. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen verliehe den Einzelnen erst die bestärkende Grundlage, um andere Leistungen selbstbewusst wahrzunehmen, auch wenn das Leben sie nicht privilegiert hat.

Sascha Liebermann