„Übertriebene Heilserwartungen“, „Gefahren“, Märchen und die Sorge vor dem Verlust der Alltagstruktur

…auf diesen Nenner könnte man einen Kommentar von Ulrike Herrmann in der taz zum Pilotprojekt in Finnland und einen von Alexandra Borchardt in der Süddeutschen Zeitung zum Bedingungslosen Grundeinkommen bringen.

Ulrike Herrmann hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder zum BGE geäußert (siehe unsere Kommentare hier), die im jüngsten Kommentar angestellten Überlegungen wirken vertraut. Treffend spießt sie in mancher Hinsicht den Charakter des finnischen Experiments auf, unterschlägt Vorteile eines BGE nicht, um dann jedoch folgendermaßen zu schließen:

„Doch man sollte die Gefahren nicht unterschätzen. Ein Grundeinkommen kann schnell dazu genutzt werden, soziale Leistungen auf dieses garantierte Minimum zu senken. Deutschland hat es vorgemacht, wie man ein Kürzungsprogramm zulasten der Ärmsten sprachlich aufhübscht: Hartz IV wurde auch verkauft als „der Einstieg in die Grundsicherung“.

In der Tat kann jedwedes Vorhaben zu etwas anderem genutzt werden, als es ursprünglich gedacht war. Da jedoch in einer Demokratie nicht im Geheimen darüber befunden wird, wie das Zusammenleben gestaltet wird und es immer Vorläufer für Veränderungen gibt, kann daraus nicht folgen, keine Schritte Richtung BGE zu ergreifen. Gerade Hartz IV hat sich – was seinen Geist betrifft – frühzeitig angekündigt. Nicht erst die Rot-Grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder setzte ihn in die Welt, schon zuvor, z. B. in Hessen unter Roland Koch, war er zu vernehmen (Koch hielt auch später daran fest, siehe hier), er lag in der Luft – Geist der Zeit eben. Wolfgang Streeck und Rolf Heinze, beide Sozialwissenschaftler, veröffentlichten 1999 einen Beitrag im Spiegel mit dem Titel „An Arbeit fehlt es nicht“, in dem sie davon sprechen, dass „(fast) jeder Arbeitplatz besser ist als keiner“ – da sind wir dann bei „Sozial ist, was Arbeit schafft“. In dem Beitrag heißt es entsprechend: „Auch neigen Menschen dazu, sich in Abhängigkeit und Randständigkeit einzurichten, wenn ihnen die Erfahrung vorenthalten wird, daß sie für sich selbst sorgen können.“ Forschungsergebnisse bestätigen diese These nicht, die manchmal unter dem Schlagwort der Armuts- oder Arbeitslosigkeitsfalle verhandelt wird. Der Grund für „Hartz IV“ war also nicht, dass gute Ideen missbraucht werden oder schlechte geschickt verpackt werden können. „Hartz IV“ war möglich, weil die Vorstellung, die Bürger brauchen einen Tritt in den Hintern, um ihr Leben auf die Reihe zu bringen, weiter verbreitet ist, als es einem lieb sein kann. Hirngespinste wie die, ohne Tritt gehe es nicht, halten sich eben lang. Ulrike Herrmann liegt mit ihrer Einschätzung also nicht richtig, und zwar in zweierlei Hinsicht. Die Verschärfung der Sozialgesetzgebung war durchsetzbar, weil es dieses Hirngespinst gibt, dass ohne Druck nichts gehe. Der Realität der Lebensführung entspricht das zwar nicht, aber was schert sich ein Hirngespinst darum. Folglich ist es Sache der Bürger sich gegen eine Sparversion des BGE zu wehren, wenn sie diese nicht haben wollten. Und wenn sie sie doch haben wollen, ist das in einer Demokratie nicht nur legitim, es ist Ausdruck politischen Willens. Die Gefahren, von denen Ulrike Herrmann spricht, sind der politisch Wille. Wer ihn als Gefahr sieht, muss die Demokratie als Gefahr sehen. Die Sorge um Gefahren erweist sich als bevormundender Paternalismus, der ebenfalls so selten nicht ist (siehe hier).

Eine ähnliche Stoßrichtung hat der Essay Alexandra Borchardts in der Süddeutschen Zeitung. In ihm fallen besonders folgenden Passagen auf:

„Dieses Paradies könnte allerdings eine Falle sein. Denn ein Einkommen zementiert die soziale Schichtung. Ein Anreiz entfällt, sich aus eigener Kraft von den Fesseln der Staatsstütze zu befreien, etwas zu wagen, zu gründen, sich zu bilden, seinen Kindern eine bessere Zukunft zu erkämpfen. Warum dafür ins Zeug legen, wenn es sich doch auch so bescheiden leben lässt?“

Da ist das Hirngespinst wieder, obwohl dieselbe Autorin an anderer Stelle das Gegenteil bekundet. Sonderbar. Weiter heißt es:

„Doch das sind Rechenspiele. Viel wichtiger ist es, grundsätzlich über Arbeit zu reden. Denn für die meisten Menschen ist der Job mehr als der Garant des monatlichen Auskommens. Arbeit bietet Struktur im Alltag, das Gefühl, gebraucht zu werden, etwas Sinnvolles zu tun. Bei der Arbeit trifft man vertraute Menschen, tauscht Ideen aus, schafft sich ein Netzwerk. Gesund zu sein und einen guten Job zu haben seien die wichtigsten Faktoren für Lebenszufriedenheit, hat die OECD für ihren Better Life Index ermittelt. So schnell wird sich das nicht ändern, auch wenn die Digitalisierung vieles auf den Kopf stellen mag.“

Nun, die grundsätzliche Frage, die sich hier stellt, lautet: Beschäftigung schaffen oder Freiraum, sich entscheiden zu können? Das BGE votiert für letzteres. Wenn Arbeit all das bedeutet, was Borchardt schreibt, braucht sie sich keine Sorgen zu machen. Denn das BGE würde an dieser Bedeutung ja nichts ändern. Falls ein BGE aber den Blick weitet und andere Tätigkeiten von ihrer Zweitrangigkeit befreit, diese dann ausgeübt werden können, ohne erwerbstätig zu sein, dann wird diese Vielfalt zur Geltung kommen. Doch die Autorin zieht einen anderen Schluss:

„Insofern sollten sich all jene, die das Instrument [das BGE, SL] als ausreichenden Ersatz für potenziell entfallende Arbeitsplätze betrachten, nichts vormachen: Menschen möchten nicht nur konsumieren, sie wünschen sich einen guten Arbeitsplatz und wollen gebraucht werden.“

Ja, aber das spricht nun nicht gegen ein BGE. Der schleichende Paternalismus wird auch hier erkennbar, wenn angenommen wird, es könnte überhaupt der Zustand eintreten, dass „Menschen“ sich sagen ließen, was sie zu tun haben und ihr Leben auf das Konsumieren sich beschränken ließen, wenn sie es nicht wollten.

Was bleibt?

„Es gibt viele spannende Themen in der Debatte zur Zukunft der Arbeit, viele Aufgaben, die zu lösen sind: Wie können Menschen und Maschinen sinnvoll zusammenarbeiten, mithilfe von künstlicher Intelligenz mehr leisten, im Job zufriedener werden? Wie lassen sich Familienaufgaben und Erwerbsarbeit über die gesamte Lebensspanne hinweg klug verbinden? Wie lässt sich in einer Welt der digitalen Vernetzung die persönliche Freiheit erhalten? Welcher Ethik sollten Roboter folgen? Und ja, wie sieht ein guter Sozialstaat aus?“

Und dazu soll das BGE keinen Beitrag leisten können? Wie angesichts der Überlegungen, die über die Schlussfolgerungen der Autorin hinausreichen, gegen ein BGE votiert wird, ist erstaunlich.

Sascha Liebermann

„Basic Income Experiment 2017-2018“ – die finnische Sozialversicherungsanstalt Kela informiert…

…“The amount of the basic income remains the same throughout the experiment, and it is not reduced by any other income the participant may have. Participants who find work during the experiment continue to be paid a basic income. An amount equal to the basic income is deducted from certain social security benefits paid to participants.“

Hier geht es zur Website von Kela

Siehe „Free Cash in Finnland. Must Be Jobless“ (New York Times) und „Warum Finnland ein bedingungsloses Grundeinkommen einführt“ (bento)

Siehe Sascha Liebermanns Kommentare zu Feldexperimenten

Korruptionsvermeidung vor politischer Legitimation? Zum Feldexperiment in Kenia

Die Verbreitung der Nachricht, dass es in Kenia ein Feldexperiment zum Grundeinkommen geben soll, ist unter Grundeinkommensbefürwortern überwiegend begrüßt worden (siehe hier). Es haben sich wenige nachdenkliche Stimmen zu Wort gemeldet, die zu bedenken geben, dass einem solchen Vorhaben die politische Legitimation fehle (siehe z. B. meinen Kommentar hier), wenn die Regierung des Landes nicht selbst das Experiment trage. Das unterscheidet dieses Vorhaben grundsätzlich von den Überlegungen in Finnland, Kanada oder den Niederlanden. Und was bedeutet es, wenn eine Regierung das eigene Volk „teste“, wie es auf „cash transfers“ reagiere? Was bedeutet es, wenn ein solches Projekt nicht von der eigenen Regierung, vom eigenen Land getragen wird? Ist es dann nicht gewollt, aber geduldet, weil zusätzliches Geld ins Land kommt? Und was bedeutet es für diejenigen, die ihre Hoffnungen auf das Projekt und seinen Fortgang gesetzt haben, wenn sie danach wieder allein gelassen werden? (Siehe meinen früheren Kommentare dazu hier)

Nebenbei sei bemerkt, dass es schon seit 12 Jahren Pilotprojekte gibt. Guy Standing, der daran einen großen Anteil hat, verwies in seinem Vortrag auf der Future of Work-Konferenz darauf (etwa ab Minute 19 des Panels). Ob es tatsächlich zu dem Projekt in Kenia kommen wird, ist offen, weil bislang noch nicht genügend Spenden eingegangen sind.

Besonders erstaunen kann, mit welchen Begründungen das Projekt in der deutschen Rezeption befürwortet wird. Es sei ein Vorteil eines solch spendenfinanzierten Experiments, dass es das „Korruptionsrisiko minimiere“, weil das Geld nicht an die Regierung fließe, so komme es wenigstens bei den Menschen an. Ist dieses Misstrauen in die Regierung eines Landes nicht zugleich Entmündigung der Bürger des Landes, denn immerhin ist es ihre Regierung, eine andere haben sie nicht? Die Kenianer selbst, um bei dem Beispiel zu bleiben, sind es, die für eine andere Regierung streiten müssen, wenn sie denn eine andere haben wollen. Dasselbe gilt für ein Grundeinkommen, wenn sie es denn haben wollen. Womöglich gibt es ja Bestrebungen in Kenia in diese Richtung, die Ausführungen von Michael Faye auf der Future of Work-Konferenz (ab Minute 10) haben zumindest erkennen lassen, dass GiveDirectly mit den Behörden zusammenarbeitet.

Pfarrerin Ute Hedrich vom Amt für Mission, Ökumene und Weltverantwortung der Ev. Kirche von Westfalen (EKvW) berichtete kürzlich an einer Veranstaltung der Bonner Initiative Grundeinkommen über ethische Zweifel, die bezüglich einer Weiterführung des Projekts in Otjivero (Namibia) von kirchlicher Seite aufgekommen seien. Denn wie wolle man ein solches Projekt an einem Ort rechtfertigen, wenn es um diesen herum etliche weitere Dörfer gäbe, die ebenso arm sind?

Gilt nicht dasselbe für ein etwaiges Experiment in Kenia? Es ist ja etwas anderes, aufgrund beschränkter Mittel in einem Land zu überlegen, was damit nun als erstes finanziert werden soll und darüber durch politisch legitimierte Gremien zu befinden oder grundsätzlich zu sagen, dass nur bestimmte Personen oder Personengruppen bzw. Gemeinden davon profitieren werden, weil es sich um ein spendenfinanziertes Projekt handelt.

Sascha Liebermann

Feldexperimente zum Grundeinkommen – Nutzen oder Schaden?

Anlässlich des 25jährigen Bestehens der niederländischen Vereniging Basisinkomen fand Ende Januar eine Tagung in Maastricht statt. Stefan Füsers hat für Netzwerk Grundeinkommen einen Bericht darüber verfasst, der interessant ist, denn zum einen erfährt man mehr über die Experimente, die in Maastricht vorgesehen sind, zum anderen wird die Frage aufgeworfen, was man von Feldexperimenten überhaupt erwarten kann. Meine Einschätzung zu Feldexperimenten finden Sie hier.

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Grundeinkommen in den SAT.1 News

Die SAT.1-News berichteten am 10. Januar über das Grundeinkommen ab Minute 5:36. Aufhänger waren die Volksabstimmung in der Schweiz in diesem Sommer, etwaige Experimente in Finnland und das Gespräch mit einer Gewinnerin der Lotterie von Mein Grundeinkommen. Missverständlich allerdings ist, dass es in Zusammenhang damit gebracht wurde, alle anderen Leistungen der Sozialen Sicherung abzuschaffen. Zwar gibt es solche Vorschläge, doch wird ebenso dafür plädiert, dass Grundeinkommen in die Sicherungssysteme hineinwachsen zu lassen und nur die Leistungen zu ersetzen, die der Höhe des Grundeinkommensbetrages entsprechen.

„Grundeinkommen in der Schweiz und Finnland: Gleiches Geld für alle“…

…ein Beitrag auf Spiegel Online. Siehe auch die Umfrage am Ende des Artikels und die zahlreichen Kommentare. Der Titel ist, wie oft bei diesem Thema, missverständlich, weil das Bedingungslose Grundeinkommen nicht bedeutet, dass alle dasselbe Einkommen haben werden, lediglich das BGE ist für alle gleich.