„Wo steht die Debatte um das Grundeinkommen“ – Interview mit Sascha Liebermann in info3

Zu dieser Frage hat die Zeitschrift info3 ein Interview mit Sascha Liebermann geführt. Das Interview können Sie online lesen oder hier den gesamten Schwerpunkt „Grundeinkommen“ des Hefts als PDF-Datei herunterladen.

Das Elterngeld und seine Versprechungen – ein Segen dagegen wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen

Ein aktueller Beitrag mit dem Titel „Der Preis des Elterngeldes“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 30. August 2008 weist auf praktische Schwierigkeiten hin, die den Versprechungen, die einst gemacht wurden, entgegenstehen.

Ziel des Elterngeldes ist es, wie wir der Website des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, entnehmen können: „Die Entscheidung für Familie und für Kinder und für ihre Betreuung ist immer individuell und privat. Der Staat kann und will jungen Eltern nichts vorschreiben.“

Genau dies aber macht das Elterngeld indirekt, in dem es ein Ideal errichtet: Eltern, die berufstätig waren, werden anders behandelt als solche, die es nicht waren.

Das Hin und Her in der Diskussion, die Bedingungen, an die wiederum die Gewährung von Leistungen wie das Elterngeld gebunden sind, haben eine Möglichkeit ganz verschüttet. Wenn die Eltern sich entscheiden können sollen, wie sie sich zur Elternschaft stellen, ob sie Beruf und Familie vereinbaren wollen oder nicht, dann sollten wir ihnen doch viel mehr Möglichkeiten zur Entscheidung geben. Nur das Kindergeld gewähren wir bislang, ohne es ins Verhältnis zur Erwerbsarbeit zu setzen. Beim Elterngeld sieht dies schon anders aus, wir schaffen zwei Klassen von Eltern, ehemals Erwerbstätige und andere. Damit signalisieren wir, dass erwerbstätige Eltern einen größeren Wert für uns haben als andere. Wir haben mit dem Elterngeld nun zwei Klassen von Eltern, besser und schlechter verdienende, und damit Kinder, die in besser und schlechter gestellten Familien aufwachsen.

Wie viel einfacher und weitreichender könnte unsere Familienpolitik sein, wenn wir diese Verbindung aufgäben. Ein bedingungsloses Grundeinkommen von der Wiege bis zur Bahre für jeden Staatsbürger, Eltern wie Kinder gleichermaßen, erlaubte eine andere Politik. Eine Familie mit zwei Kindern erhielte, unabhängig von Erwerbsleistung, vier Grundeinkommen. In ausreichender Höhe könnten Eltern damit wirklich frei entscheiden, ob sie für ihre Kinder zuhause bleiben oder das Grundeinkommen nutzen wollen, um vielleicht auch aus eigener Initiative, Betreuungsplätze zu organisieren und zu bezahlen, wo öffentliche fehlen. Mit dem Grundeinkommen wären sie dazu imstande. Die Familienpolitik würde näher an die Familie heranrücken, Entscheidungen wirklich in ihre Hände legen.

Nun könnte eingewandt werden, dieser Vorschlag sei weit weg, gar utopisch. In der Tat, denn noch haben wir ein bGE nicht. Doch, wie die öffentliche Diskussion zeigt, in der die Stimmen lauter geworden sind, die eine Diskussion darüber wünschen, könnte die Utopie bald gegenwärtig sein.

Mögliche erste Schritte könnten sein: Bloße Feststellung des Bedarfs für ALG II, aber keine weiteren Kontroll- und Zwangsmaßnahmen; Abschaffung der Anrechnung von Zuverdiensten auf ALG II; Erhöhung des Kindergeldes auf eine Höhe, dass Eltern mit ihm auch in der Lage wären, Betreuungsplätze zu finanzieren; Erhöhung der ALG II-Regelsätze. Weitere ließen sich nennen, doch bei all den Überlegungen zum Einstieg bleibt es entscheidend, wo diese Schritte denn hinführen sollen. Sie können also nur ein Einstieg sein, mehr nicht. (Vgl. auch die Diskussion um die Vorschläge von Götz W. Werner sowie seinen jüngsten Beitrag in der Frankfurter Rundschau zum Grundeinkommen für Kinder)

Die Erwerbsarbeit würde Schritt um Schritt vom Podest geholt, auf das wir sie heute stellen, Eltern wie Kinder wären als Eltern und Kinder gleichgestellt. Wir brächen zu anderen Ufern auf, an denen das bedingungslose Grundeinkommen schon auf uns wartet. Wir müssen nur wollen.

Sascha Liebermann

"Grundeinkommen" – ein Film von Enno Schmidt und Daniel Häni

Der Film von von Enno Schmidt und Daniel Häni wird an verschiedenen Orten vorgeführt. Am 17.9. ist Premiere in Basel im „Kult.Kino Atelier“. In vielen deutschen Städten wird er ebenfalls aufgeführt. Weitere Informationen finden Sie hier.

Zum Trailer geht es hier und das Heft zum Film gibt es hier.

Zu einer Besprechung des Films geht es hier, eine Ankündigung zur Premiere in Basel, zum Beitrag im Schweizer Radio DRS2.

"Wir brauchen härtere Maßnahmen" – Familienpolitik und Bevormundung

Unter diesem Titel äußert sich der Soziologe Hans Bertram in der taz vom 23. Juli dazu, dass nach wie vor viele Männer am Ernährermodell festhalten und die Möglichkeiten des Elterngelds nicht nutzen. Folglich bleibe die Hauptlast an den Frauen hängen. Im Interview wird allerdings erwähnt, dass viele Frauen mit dieser Aufteilung zufrieden seien und sich entsprechende Partner suchen. Sicher, wir wissen nicht, ob bei Verfügbarkeit von mehr Betreuungsplätzen nicht auch mehr Frauen ihren Beruf beibehalten würden, statt zuhause zu bleiben – das hängt von der Familienpolitik ab, die wir betreiben. Bis hierin würde Hans Bertram als Förderer von Selbstbestimmung gelten können, will er doch die Aufteilung der Verantwortung weitgehend den Eltern überlassen, zumindest an einer Stelle im Interview ist das zu lesen:

„Eine faire Arbeitsteilung hängt zunächst mal allein von dem Paar ab, wie es das untereinander aushandelt. Aber die Gesellschaft muss sicherstellen, dass sich dabei nicht immer der Stärkere durchsetzt. Das heißt, wir müssen dafür sorgen, dass Frauenberufe genauso gut bezahlt werden wie Männerberufe. Und wir müssen irgendwie sicherstellen, dass die Wertigkeit der Fürsorge für andere genauso wichtig ist wie der ökonomische Erfolg. Solange es unterschiedliche Gehälter und schlecht beleumundete Fürsorge gibt, ist ein fairer Aushandlungsprozess faktisch ausgeschlossen.“

Selbst aber, wenn diese Bedingungen gegeben wären, wäre es doch aber immer noch eine Entscheidung des Paares, wie es leben will, da ist der Mann nicht einfach „der Stärkere“.

In der Folge plädiert Hans Bertram dann auch für „härtere Maßnahmen“, um Väter zur Übernahme von mehr Verantwortung in der Familie zu bewegen, „sonst werden wir das mit ihnen [den Männern, SL] nie hinkriegen“. Es gilt also, sie zu erziehen. Damit stößt er ins selbe Horn, wie es in den vergangenen Jahren gang und gäbe war. Warum aber nicht auf Selbstbestimmung setzen, wie es das bedingungslose Grundeinkommen ermöglicht? Statt den Eltern vorzuschreiben, wie sie zu leben haben, sollten wir ihnen die Möglichkeiten geben, darüber selbst zu entscheiden. Wie Eltern mit der Verantwortung umgehen, ist doch zuallererst ihre Sache, solange das Kindeswohl nicht gefährdet ist. Wir sollten ihnen also Möglichkeiten geben, sich für das entscheiden zu können, was sie für vernünftig halten, vielleicht würden ja beide sogar für die Kinder zuhausebleiben wollen, wenn es möglich wäre. Dazu bedarf es aber u.a. eines Einkommens, und zwar eines bedingungslosen Grundeinkommens.

Stünde ein solches zur Verfügung, wäre die Verhandlungsmacht von Eltern auch gegenüber Arbeitgebern gestärkt. Diese würden dann um Mitarbeiter werben müssen, und auf diese Weise könnte manches erreicht werden.

Es ist bezeichnend für unsere politische Debatte, dass wir überwiegend zu dirigistischen Überlegungen greifen, wenn es darum geht, Veränderungen in Gang zu bringen. Immerzu soll den Bürgern vorgeschrieben werden, nach welchen Zielen sie zu streben haben. Solange wir diese Haltung nicht aufgeben, wird sich nichts in unserem Land zugunsten einer freiheitlicheren Politik ändern.

(Siehe auch die Kommentare zum Beitrag in der taz)

Sascha Liebermann

Statuserhalt oder Gleichheit der Bürger?

Welche dieser Aufgaben ein System sozialer Sicherung erfüllen muss, diese Frage stellt sich seit der Agenda 2010, aber auch durch die Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) von neuem. Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe unter der Regierung Schröder hat zwar einen Schritt dahin unternommen, die Gleichheit der Bürger als Prinzip sozialer Sicherung zu stärken, sie hat es aber auf eine Weise getan, die den Schritt nach vorne mit einem zurück verbindet. Zugleich ist das Arbeitslosengeld als Transferleistung, die im Verhältnis zum Erwerbseinkommen bezahlt wird, beibehalten worden. Konsequent ist dies, da sich die Sicherungssysteme am Erwerbsprinzip orientieren und nach wie vor einen deutlichen Unterscheid zwischen Erwerbstätigen und Nicht-Erwerbstätigen vollziehen, der bis in den Rentenanspruch hineinreicht. Ist aber diese Unterscheidung einem bürgerschaftlichen Gemeinwesen angemessen?

Diskutiert man z.B. mit Vertretern von Gewerkschaftern, dann richtet sich ein Einwand gegen das BGE der (Einkommens-) Gleichmacherei von Erwerbstätigen und Nicht-Erwerbstätigen, es geht hierbei vor allem um den relativ großen Abstand (für alle, die ein hohes Erwerbseinkommen beziehen) zwischen dem heutigen Arbeitslosengeld und einem BGE (1). Außerdem, ein weiterer Einwand, sei das BGE selbst in ausreichender Höhe etwa von 1000 € (Achtung Hausnummer) nicht hoch genug, um jemanden in die Lage zu versetzen, eine Stelle wegen schlechter Arbeitsbedingungen aufzugeben (2). Die Freiheitsversprechen, die BGE-Befürworter im Munde führen, werden also nicht erfüllt.
Aus Sicht eines BGEs aus dem Geiste einer die Bürger als Souverän anerkennenden Einkommensgarantie lässt sich hierzu folgendes erwidern.

  1. Welchen Lebensstandard oberhalb eines kulturellen Existenzminimums jemand erreichen will, ist eine private Entscheidung. Sie hat er auch als private Entscheidung zu verantworten. Wer also unter Bedingungen eines BGEs sich gegen eine Arbeitsstelle entscheidet, muss den Statusverlust in Kauf nehmen, der aufgrund der Differenz zwischen Erwerbseinkommen und BGE womöglich entsteht. Aber: Die Gewährung des BGEs pro Kopf, für Kinder und Erwachsene gleichermaßen, von der Wiege bis zur Bahre verändert die Lage. Denn selbst bei Statusverlust bleiben Freiräume erhalten, sofern das BGE ausreichend hoch ist. Selbst für Alleinlebende würde das BGE solche Freiräume erhalten.
  2. Ob jemand Freiräume, die ein BGE verschafft, nutzen wird, ob er also eine Stelle aufzugeben bereit ist, hängt auch davon ab, wie wichtig dem Einzelnen Freiheit und Selbstbestimmung auf der einen und Lebensstandardsicherung auf der anderen Seite sind. Wer Freiheit stärker gewichtet, wird auch bereit sein, einen etwaigen Statusverlust in Kauf zunehmen; wer hingegen Statussicherung für wichtiger erachtet, der wird auch widrige Arbeitsbedingungen womöglich akzeptieren, ganz gleich wieviele Freiräume er hat.

Mit der Diskussion um ein BGE sind also grundsätzliche Fragen aufgeworfen, die unser Selbstverständnis als Gemeinwesen betreffen. Das BGE in seinen Auswirkungen macht nicht, wie manche Gewerkschafter glauben, vor den Werkstoren halt. Da es Arbeitnehmern größere Verhandlungsmacht verleiht, wird es sich mittelbar auf die Arbeitsbedingungen sei es in Unternehmen, sei es in öffentlichen Einrichtungen auswirken. Wie sehr es sich auswirken wird, hängt von uns Bürgern ab – wie alles andere auch.

Sascha Liebermann

"Bringing UBI into the National Debate" – Vortrag von Sascha Liebermann

Anlässlich des 12. Kongresses des Basic Income Earth Networks in Dublin, vom 21.-22. Juni, hat Sascha Liebermann einen Vortrag über Erfahrungen in der Verbreitung der Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens in Deutschland berichtet. Aus der Sicht eines Aktivisten wird in dem Vortrag zuerst sehr knapp der gegenwärtige Stand der Debatte referiert; dann werden Anfangsprobleme geschildert, vor denen die Initiative vor 5 Jahren stand, welche Mittel zur Verbreitung hilfreich waren, wie in der Öffentlichkeit auf die Plakataktionen reagiert wurde und welche Einwände gegen ein BGE noch heute prominent sind. Der Vortrag enthält zahlreiche Fotos und steht zum Herunterladen bereit .



Bürgerarbeit und Grundeinkommen – Wie Ulrich Beck beides zusammenführt

In einem Interview mit NGZ-Online äußert sich der Soziologe Ulrich Beck zu Bürgerarbeit und Grundeinkommen. Vor etwa zwei Jahren sprach er sich für ein BGE aus und sorgte für Irritation, da er zuvor stets einer Bürgerarbeit das Wort redete, die eine Voraussetzung dafür war, Transferleistungen zu beziehen. Unklar war damit, wofür Beck nun eigentlich steht. Jetzt aber hat er die Verhältnisse wieder in Ordnung gebracht, wie an nachstehendem Zitat zu erkennen ist:

Frage: Als Ausweg plädieren Sie für Bürgerarbeit. Was heißt das?

Beck: Bürgerarbeit eröffnet den Menschen neben der Erwerbsarbeit eine zweite Perspektive: Ihnen wird ein Grundeinkommen für Arbeiten garantiert, die auf kommunale Belange ausgerichtet sind und von den Bürgern selbst organisiert werden. In vielen Kommunen gibt es solche Projekte schon, finanziert von Landesregierungen, von den Kommunen selbst und teilweise aus eigenen Einnahmen: Bürger organisieren ein Theater oder Café, sie arbeiten mit Einwanderern oder Lernbehinderten zusammen, sie kümmern sich um Umweltbelange. Das schafft Identität und Anerkennung. Auch Arbeitslose sollten ermutigt werden, solche Tätigkeiten zu übernehmen.

Beck hält also an alten Vorstellungen fest. Seine Vorstellung von Grundeinkommen hat mit dem BGE nichts gemein. Becks Bürgerarbeit ist also das, wofür sie schon lange gelten mußte, ein Helfer der Workfare-Politik.

Interessant ist in dem Interview auch eine andere Passage, in der Beck seine Kritik am nationalstaatlichen Denken wiederholt, die er seit Jahren vorträgt:

Beck Wir sind mit einer Entwicklung konfrontiert, in der die Sicherheiten des Nachkriegs-Sozialstaates überholt sind. Ein Grund ist, dass der Staat von der weltweiten Standortkonkurrenz der Unternehmen überfordert ist. Der Nationalstaat als Antwort auf soziale Verwerfungen hat ausgedient.

Wer aber sollte sonst Antworten auf diese Verwerfungen bieten? Bislang ist die einzige Instanz hierfür der durch die Bürger legitimierte Nationalstaat. Alle existierenden transnationalen Kooperationen sind Kooperationen zwischen Nationalstaaten und nur dadurch legitimiert. Einzig die Europäische Union (Lissabonvertrag) könnte nach bisherigen Entwicklungen eine solch transnationale Gemeinschaft werden, die an die Stelle des Nationalstaats zu treten in der Lage wäre. Aber, und hier ist auch das entscheidende Defizit auszumachen, man muss sich nur die Verfassungsverträge und die Praxis der EU anschauen: sie wird nicht vom Parlament im vollen Umgang kontrolliert, sie ist eben noch keine politische Union – darauf wird immer wieder hingewiesen. Beck gibt sich als Technokrat zu erkennen, wenn er vorschnell den Nationalstaat verabschiedet und an seiner Statt vom Volkssouverän nicht kontrollierte Instanzen zu Hilfe ruft. Ihm kommt gar nicht in den Sinn, daß das Hauptproblem der EU gerade das Demokratiedefizit sein könnte.

Sascha Liebermann

Stillstand durch Diskussion – bei Anne Will

Unter dem Titel „Hungern muß hier keiner, ein Land redet sich arm“ hatte Anne Will in die Sendung am 24. Mai Gäste eingeladen, um über Armut in Deutschland zu diskutieren.

Wie gewohnt wurden in den Einspielern Experten aufgeboten, dieses Mal um zu widerlegen, daß Armut in den letzten Jahren zugenommen habe. Auf die umstrittene Datenlage ist von verschiedenen Seiten hingewiesen worden (hier und hier). Auch die üblichen Klischees über ALG-II-Empfänger erhielten ihren Platz (Frau Knobel-Ulrich tat sich hier hervor) – da mußte sogar Hubertus Heil widersprechen. Aber, so Herr Heil, man könne doch die Wenigen nicht mit den Vielen vergleichen. Flucks waren Leistungsempfänger in zwei Klassen unterteilt, in gute und schlechte, und damit das Argument zum Mißbrauch des Sozialstaates vorbreitet, der zwar nur von wenigen (Wieviele denn und worin besteht der Missbrauch?) mißbraucht werde, dieser Zustand keinesfalls aber kleingeredet werden dürfe. Der Sozialstaat solle ja den „Bedürftigen“ nicht den „Faulen“ dienen, letztere seien doch „Schmarotzer“ (Westerwelle). Auf „Staatskosten zu leben“, das – so konnte man den Eindruck gewinnen – dürfe auf keinen Fall geschehen, dabei leben in einem Gemeinwesen immer alle auf Kosten aller und keiner aus sich selbst.

Statt bloß beklagend und ermahnend darauf hinzuweisen, wie sehr in manchen Milieus das Leben von Sozialhilfe für selbstverständlich gehalten werde, sollten wir uns fragen, woher diese Haltung kommt, was dahinter steckt. Ist jemand damit voll beschäftigt, sein Leben auf die Reihe zu bekommen, weil seine Lebensgeschichte ihm mehr nicht erlaubt, dann sollten wir ihn doch nicht schlagen und treten, sondern unterstützen – ein Bedingungsloses Grundeinkommen täte dies und noch viel mehr. Dann wäre auch die Stigmatisierung aufgehoben, die er oder sie heute noch erfahren. Gerade diejenigen, die sich am wenigsten verteidigen können, trifft die Hartz 4-Politik am stärksten.

Wo es Bürger gibt, die tatsächlich nichts beitragen wollen, werden wir dagegen ohnehin nichts ausrichten können, außer sie als Bürger zu kritisieren. Vielleicht aber sind die vielbeklagten Faulen auch nur mit etwas beschäftigt, das wir im allgemeinen nicht für richtig halten, weil es unseren Vorstellungen nicht entspricht. Darin kann zurecht ein großes Problem gesehen werden, die Neigung, andere daran zu messen, was man selbst für richtig hält.

Die Gäste waren also wieder einmal so gewählt, daß eine Polarisierung in die vertrauten Lager möglich wurde. Auf der einen Seite die Kritiker an dem zu niedrigen ALG-II-Regelsatz, die den Befürwortern einer härteren Gangart vorhielten, was es bedeutet, von ALG-II zu leben, wie weit die Schere von Arm und Reich auseinander gegangen sei und dass es eines Mindestlohns bedürfe. Auch müßten die Reichen, z.B. die „Brüder Albrecht“ (Butterwegge), stärker belastet werden. Auf der anderen Seite diejenigen, denen der Druck auf Leistungsempfänger noch nicht groß genug ist, denen zufolge die Faulen das System mißbrauchen und die wirklich Bedürftigen nicht genügend unterstützt werden. Heiner Geißler wies darauf hin, wie zerstörerisch gerade dieses ewig polare Denken ist.

Weder von Befürwortern noch von Kritikern gegenwärtiger Sozialpolitik fiel ein Wort über die Hartz-Mühle, die erniedrigende Antragsprozedur, den Druck auf Leistungsempfänger und die Verschärfung der Vergabebedingungen seit der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Was zeigt uns das?

Es wird viel über arm und reich und wenig über Freiheit und Selbstbestimmung geredet. Die Selbstbestimmung der Bürger wird nicht wirklich für wichtig erachtet, ihrer Bereitschaft zu Engagement vertraut man nicht, sonst müßten die Damen und Herren nicht ständig Ausnahmen skandalisieren, statt nach der Mehrheit der Bürger sich zu richten. Angst und Bange kann einem auch werden, wenn Hubertus Heil angesichts eines starken Zusammenhangs zwischen sozialer Herkunft und Bildungschancen sagt, wir müssen diesen Zusammenhang „durchbrechen“ (Heil). Soll Bildung nun verordnet, eine neue Zwangsveranstaltung eingeführt werden? Als setze Bildung nicht die Bereitschaft, sich zu bilden, voraus. In sie gilt es zuerst einmal zu vertrauen; wo sie nur in geringem Maße vorhanden ist, wäre sie umso behutsamer zu fördern. Das allerdings tut nicht einmal unser Schulwesen: es herrscht allgemeine Schulpflicht.

Das größte Hindernis für die Einführung eines BGEs bleibt also das Mißtrauen. Solange wir nicht bereit sind, den Bürgern die Verantwortung zu geben, die sie gemäß unser demokratischen Ordnung tragen müssen, solange werden wir auf der Stelle treten.

Sascha Liebermann

Subsidiarität und BGE – kein Gegensatz

Immer wieder wird gegen das Bedingungslose Grundeinkommen eingewandt (z.B. hier), dass es gegen das Subsidiaritätsprinzip verstoße. Dieses Prinzip ist folgendermaßen definiert:

„Wenn es nämlich auch zutrifft, was ja die Geschichte deutlich bestätigt, dass unter den veränderten Verhältnissen manche Aufgaben, die früher leicht von kleineren Gemeinwesen geleistet wurden, nur mehr von großen bewältigt werden können, so muss doch allzeit unverrückbar jener höchst gewichtige sozialphilosophische Grundsatz fest gehalten werden, andern nicht zu rütteln noch zu deuteln ist: wie dasjenige, was der Einzelmensch aus eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten kann, ihm nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit zugewiesen werden darf, so verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen können, für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen; zugleich ist es überaus nachteilig und verwirrt die ganze Gesellschaftsordnung. Jedwede Gesellschaftstätigkeit ist ja ihrem Wesen und Begriff nach subsidiär; sie soll die Glieder des Sozialkörpers unterstützen, darf sie aber niemals zerschlagen oder aufsaugen.“ (Enzyklika QUADRAGESIMO ANNO, Abschnitt 79)

Deutlich wird schon zu Beginn des Abschnitts, dass nicht feststehende Aufgaben zugewiesen werden, sondern Aufgaben im Verhältnis dazu stehen, ob ein „kleineres Gemeinwesen“ sie tragen kann. Es bedarf also eines steten Abwägens und Prüfens, welche Aufgaben im Wandel der Verhältnisse von welcher Einheit der Gemeinschaft getragen werden können. Es handelt sich um kein statisches oder Aufgaben dogmatisch festschreibendes Prinzip. Der sozialphilosophische Grundsatz, an dem festgehalten werden soll, vertraut in die Kräfte des Einzelnen, er soll gestärkt werden, ohne dass damit eine individualistische Vorstellung vom Einzelnen betont wird. Denn der Einzelne ist immer Einzelner im Gemeinwesen, weswegen ihm nicht Aufgaben abgenommen werden sollen, die er bewältigen kann, das Gemeinwesen aber helfen muss, wo ohne Hilfe der Einzelne geschwächt würde. Überlassen werden soll ihm bzw. den kleineren Gemeinwesen nur, was sie zum guten Ende führen können. Was er tragen kann und was ihn überfordert, ist also stets zu erwägen und gegebenenfalls vom Gemeinwesen zu übernehmen.

Aus dem Subsidiaritätsprinzip kann also keinesfalls abgeleitet werden, dass die Einkommenserzielung dem Einzelnen überlassen werden muss, wie immer wieder behauptet wird, denn von ihr ist nicht die Rede. Mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist auch ein BGE, denn der Einzelne wird durch es gestärkt und es erlaubt ihm, Aufgaben wieder in die Hand zu nehmen, die das Gemeinwesen ihm abgenommen hat. Deswegen sprechen wir auch davon, dass das BGE einen starken und zurückhaltenden Staat zugleich ermöglicht. Stark muß er sein, wo es gilt, den Einzelnen in seinen Fähigkeiten zu schützen und zu fördern; zurückhaltend muss er sein, wo es seiner Hilfe nicht bedarf. Auch dies ist nicht einfach festzuschreiben, sondern stets zu erwägen.

Auf die Vereinbarkeit christlicher Traditionen insbesondere des viel gescholtenen Protestantismus mit dem BGE ist – entgegen anderer Stimmen – von Bischof Knuth ausdrücklich hingewiesen worden. Die christliche Tradition ist – auch nicht der Apostel Paulus, worauf wiederholt hingewiesen wurde – kein Gewährsmann gegen das BGE.

Sascha Liebermann

Mindestlöhne befestigen das Erwerbsideal, das BGE befreit uns davon

Seit einiger Zeit wird verstärkt über Mindestlöhne diskutiert, Befürworter und Kritiker tauschen regelmäßig ihre Standpunkte aus (z.B. hier). Doch diese Debatte führt uns nicht weiter, es besteht sogar eher die Gefahr, dass die Einführung von Mindestlöhnen und die damit häufig verbundene Forderung nach einer allgemeinen Reduzierung der Arbeitszeit das Erwerbsideal weiter befestigen. Statt also mit diesem Schritt das Bestehende zu festigen, sollten wir lieber gleich einen Schritt in die Zukunft machen.

Besonders bedeutsam wird die Diskussion, weil Mindestlöhne und allgemeine Arbeitszeitverkürzung auch unter Grundeinkommensbefürwortern (z.B. im Netzwerk Grundeinkommen, Unterpunkt 20 der Fragen und Antworten) Anhänger haben. Hinter diesen Erwägungen geben sich noch Vorbehalte zu erkennen, und zwar Vorbehalte hinsichtlich dessen, ob der Einzelne die Verantwortung, die das bGE ihm aufbürdet, auch schultern kann.

Schauen wir uns manche der Einwände gegen ein BGE an:

1. Das bGE führt zu Lohndumping

Auf jeden Fall führt das bGE dazu, dass zwei Funktionen von Einkommen, die heute im Lohn vereint sind, getrennt werden: Existenzsicherung und Gehalt. Das bGE übernimmt die Existenzsicherung, das Gehalt ist dann nur noch ein Wertschöpfungsanteil am Erfolg des Unternehmens. Diese Trennung beider Funktionen erlaubte in der Tat ein Absinken der Gehälter. Entscheidend ist, welche Einkommenssumme (BGE + Gehalt) jedem zur Verfügung steht. Das BGE führt lediglich zu einer veränderten Zusammensetzung. Von dieser Seite aus betrachtet, stellt das Sinken der Gehälter kein Problem dar, weil es nicht zum Sinken der Einkommen führen muß.

Darüber hinaus ist allerdings festzuhalten, daß über Gehälter verhandelt wird und Unternehmen sie nicht diktieren können. Ein bGE in ausreichender Höhe verleiht ja gerade Verhandlungsmacht, die Arbeitnehmer heute in diesem Maße nicht haben. Jegliche Furcht vor Lohndumping ist also unberechtigt, sie ist noch noch Ausdruck von Mißtrauen in die Verhandlungsfähigkeiten des Einzelnen. Wer sich mit einem bGE im Rücken auf ein niedriges Gehalt einläßt, tut das aus freien Stücken und muß es dann auch verantworten.

2. Das bGE ist ein Kombilohn und subventioniert Erwerbsarbeit

Das bGE wird sich sehr wahrscheinlich auf die Gehaltsstruktur auswirken, das haben wir schon gesehen. Es wird jedoch nicht als Subvention für Erwerbsarbeit gewährt. Zweck und Effekt sind hier voneinander zu unterscheiden. Das BGE ist ein Bürgereinkommen, Auswirkungen auf die Gehaltsstruktur sind mittelbar, die Gewährung des bGE – im Unterschied zu Lohnsubventionen – ist nicht an Erwerbsarbeit gebunden und nur vom Bürgerstatus abhängig.

Es ist also mit allen Formen der Subventionierung von Erwerbsarbeit nicht vergleichbar. Wenn es etwas „subventioniert“, dann ist es Freiheit.

3. Die Untenehmen müssen einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten, das bGE jedoch entlastet sie davon

Was ist die Aufgabe von Unternehmen, welchen Beitrag können sie leisten? Sie sollen Werte erzeugen, also Dienste und Produkte für mögliche Kunden bereitstellen. Damit sie dies unter für sie förderlichen Bedingungen tun können, muß eine entsprechende Infrastruktur bereitgestellt werden. Sie wird aus Steuermitteln finanziert. Alle Kosten, die im Wertschöpfungsprozess entstehen, das ist wiederholt dargelegt worden (vgl hier und hier), müssen von einem Unternehmen erwirtschaftet werden – das geht nur über den Absatz. Deswegen reicht ein Unternehmen seine Kosten weiter – auch die Gehälter der Mitarbeiter -, so daß sie Bestandteil der Güterpreise werden. Wer also der Auffassung ist, Unternehmen müßten mehr beitragen und dürften von den Aufwendungen für Löhne nicht unverhältnismäßig entlastet werden (siehe z.B. Netzwerk Grundeinkommen, Unterpunkt 20 der Fragen und Antworten) glaubt, die Weiterwälzung der Kosten in Netzwerkdie Güterpreise verhindern zu können. Das ist aber nicht möglich. Will man also Unternehmen in ihrem Zweck fördern, dann ist eine Steuer am wirksamsten, die am Verbrauch ansetzt, erst dann also, wenn der Wert erzeugt ist und konsumiert werden kann. Das würde die Wertschöpfung entlasten. Ein solche Steuer macht transparent, welche Kosten tatsächlich angefallen sind, sie werden nicht, wie heute, in den Güterpreisen versteckt, sondern wären für jeden auf dem Rechnungsbeleg als Steuer ablesbar. Wie effizient und ressourcenschonend produziert wird, das liegt in der Verantwortung des Unternehmens. Hoher Ressourcenverbrauch kann entsprechend besteuert werden, das würde Unternehmen dazu drängen, ressourcenschondend zu produzieren.

4. Eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung ist nötig, damit Arbeitslast wie Arbeitschancen gerecht verteilt werden

Ein bGE soll die Entscheidungsfreiheit und damit einhergehend die Verantwortung des Einzelnen stärken. Von daher liegt es nahe, ihn über seine (Erwerbs-)Arbeitszeit genauso verhandeln zu lassen wie über die Höhe seines Gehalts. Ob er mehr oder weniger arbeiten will, darüber soll er selbst befinden, er alleine kann am besten bestimmen, wieviel er zu leisten in der Lage und willig ist.

Wer eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung zusätzlich zum bedingungslosen Grundeinkommen fordert, wertet Erwerbsarbeit auf, denn: Was verteilt werden muß, ist entweder besonders begehrenswert oder besonders wertvoll. Würden wir alle Arbeit gleich verteilen wollen, bedürfte es eines gigantischen Verteilungsapparats, der dann wieder eine Definition davon benötigte, was denn als Arbeit betrachtet wird. Jegliches Engagement jenseits der Erwerbsarbeit würde damit wieder abgewertet – wir hätten nichts gewonnen.

Vergleichbar verhält es sich mit der Forderung nach einem Mindestlohn: Nur wer dem Einzelnen nicht zutraut, vernünftig zu verhandeln, kann einen Mindestlohn für notwendig erachten. Beide, eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung wie ein Mindestlohn, sind noch Ausdruck eines Mißtrauens. So ganz können wir dem Einzelnen doch nicht vertrauen, das für ihn Angemessene auszuhandeln, deswegen diese Schutzmaßnahmen. Damit wird ihm aber Verantwortung aus der Hand genommen, die er auch selbst tragen kann – vorausgesetzt, daß bGE ist hoch genug.

Keineswegs führt ein BGE von selbst dazu, daß es keine Gewerkschaften mehr geben wird. Das wird sich zeigen. Eines jedoch ist gewiß,
sie hätten andere Aufgaben als heute.

Sascha Liebermann