Zielgenau soll der Sozialstaat sein…

…hier scheint er am Ziel vorbeigegangen zu sein. Siehe unsere früheren Beiträge zur Frage der Zielgenauigkeit.

Sascha Liebermann

„‚Kein Anreiz, in Arbeit zu gehen‘ – Schon Hetze oder bloß Dummheit?“

Ein Kommentar unter diesem Titel bietet das Portal Sozialpolitik, der Beitrag ist vom 4. Oktober 2023.

Wie schon bei der Bürgergeld-Debatte vor einem Jahr (siehe unsere Beiträge dazu hier, nach unten scrollen) ist es erstaunlich, wie nachlässig Behauptungen über das Bürgergeld in die Welt gesetzt und wie wenig die auch Erwerbstätigen zustehenden Sozialtransfers berücksichtigt werden.

Sascha Liebermann

„Jobkiller Bürgergeld?“…

Übertitelt ist so ein Beitrag Enzo Webers zur Debatte über die Auswirkungen des „Bürgergeldes“ auf der Website von Makronom, der für die Diskussion der letzten Wochen hilfreich ist.

Darüber hinaus besteht die Argumentation aus Anreize, Anreize, Anreize und belegt wieder einmal die Eindimensionalität der Betrachtung, wenn es um Arbeitsaufnahme geht.

Sascha Liebermann

Da wieder „Das lohnt sich nicht“-Schnellrechner die Runde machen oder: die Untiefen der Sozialgesetzbücher…

„Löhne hoch, Arbeitszeit runter: Keinen Bock mehr auf Leistung?“

Was hat man bei diesem Titel der jüngsten „hart aber fair“-Sendung wohl zu erwarten? Der Geschäftsführer einer Dachdeckerfirma zu Beginn kritisiert schon einmal zurecht die Bezeichnung „Bürgergeld“, denn es steht nicht jedem Bürger zur Verfügung, solange er es nicht beantragt und die Bezugsbedingen erfüllt, das konterkariert den Bürgerbegriff (siehe unsere früheren Kommentare dazu hier).

Darüber hinaus geht es um Leistung und „Anreize“, leider mit den bekannten Verkürzungen. Dass selbst lebenserfahrene Menschen als Beispiele dafür, wie die Kündigungsneigung wegen des Bürgergeldes sei, Aussagen ihrer Angestellten einfach so zitieren, ohne zwischen einem „Spruch“ und einer ernsthaften Handlung zu unterscheiden, ist verwunderlich oder ideologisch bedingt. Sollte jemand es ernst meinen, nur deswegen seine Stelle zu kündigen, dann müsste sich der Arbeitgeber doch fragen, ob der Mitarbeiter seine Aufgabe zuvor gut ausgeführt hat, welche Sorgen ihn drücken oder ob er die Zeit für wichtige Dinge benötigt. Ein Spruch aber ist doch kein Beleg dafür, dass die entsprechende Konsequenz gezogen wird. Abgesehen davon hat Hubertus Heil deutlich gemacht, wozu ein solcher Schritt führen würde – Leistungssperre und -kürzung.

In der gesamten Diskussion – abgesehen von den Passsagen über die Vier-Tage-Woche und dort, wo es um Arbeitsbedingungen und -verständnis geht – konnte man den Eindruck gewinnen, ohne Erwerbstätigkeit ist das Leben gar nichts, es gibt auch keine Aufgaben jenseits davon und ein wirkliches Leben beginnt und endet in Erwerbstätigkeit.

Sascha Liebermann

„’Wer nach sechs Monaten immer noch keinen Job hat,…

… muss einer gemeinnützigen Tätigkeit nachgehen. Wer dem nicht nachkommt, dem muss die Stütze deutlich gekürzt werden‘, sagte der 46-Jährige.“ Carsten Linnemann, CDU-Generalsekretär, äußerte sich in dieser Weise laut Tagesspiegel.

Man kann sich nun über den Ton ärgern, der hier angeschlagen wird, dass es Konsequenzen für unerwünschtes Verhalten geben müsse usw., man kann sich aber auch die Hinweise der Bundesagentur für Arbeit „Rechte, Pflichten und Leistungskürzungen“ durchlesen und fragen, inwiefern sich Linnemanns Vorschläge davon nun unterscheiden – außer im Ton? Gemeinnützige Tätigkeit (siehe Bürgerarbeit), das wäre etwas Neues, erinnert ein wenig an die „chain gangs“ aus der „welfare to work“-Diskussion, an dem sich manche Politiker Ende der 90er Jahre orientierten, unterstützt durch meinungsstarke Beiträge mancher Sozialwissenschaftler (von denen manch einer sich wiederum für ein Grundeinkommen erwärmen kann). Vereine, die von bürgerschaftlichem Engagement leben, würden sich gewiss bedanken, wenn nun jemand einen Dienst bei ihnen ableisten müsste oder doch dann eben „chain gangs“, Straßen kehren, Parks aufräumen?

„’Wer nach sechs Monaten immer noch keinen Job hat,… weiterlesen

Das Bürgergeld, das Bürgergeld

Durch Sachlichkeit ist Kai Whittaker in diesem Zusammenhang in den vergangenen Jahren nicht unbedingt aufgefallen. Mit Bezug auf die Bild-Zeitung, die noch gerne skandalisiert, greift er deren Bericht darüber auf, dass Reinigungsfirmen vermelden, Angestellte würden kündigen, weil es das Bürgergeld gebe. Quelle dafür ist eine Umfrage unter entsprechenden Unternehmen. Dass die Gründe womöglich doch komplexer sind, als die Befragung zutage fördert, wird nicht einmal erwogen. Die Umfrage-Gläubigkeit ist bestechend. Wer ein wenig Erfahrung damit hat, wie anders sich Befragte in Forschungsgesprächen äußern, wieviel differenzierter und zugleich widersprüchlicher, wird auf den Befund der hier genannten Befragung nicht viel geben, schon gar nicht, ohne sie gesehen zu haben. Ein schöner Aufhänger für Bürgergeld-Bashing ist sie trotzdem.

Ein wenig vertiefende Lektüre in die Fraglichkeit solch vermeintlich einfacher Zusammenhänge wäre sinnvoll. Zu methodischen Beschränkungen standardisierter Befragungen siehe hier und hier.

Sascha Liebermann

Alle blasen in dasselbe Horn…

…und keiner fragt, ob diese „Anreize“ überhaupt so wirken, wie es behauptet wird. Sebastian Thieme spießt das zurecht auf. Wie es möglich ist, dass trotz differenzierterer Betrachtungen zur Entstehung und Entfaltung von Leistungsbereitschaft dennoch diese extrem vereinfachten und damit sachlich falschen Zusammenhänge hergestellt werden?

Siehe dazu auch hier und hier.

Sascha Liebermann