Nachdenkseiten. – Werthaltung die zweite

Macht es Sinn, eine Idee zum Dauerthema zu machen, wenn sie nie realisiert werden wird?“ – fragt Albrecht Müller in der Überschrift seiner Antwort auf Kritik an seinen Auslassungen zum Grundeinkommen, die wir und andere kürzlich vorgebracht haben. Die Kritik ist also gehört worden, die Antwort bietet die Chance einer Klärung.

Zuerst sei ein Blick auf die Überschrift der Antwort geworfen. Woher weiß Albrecht Müller, dass das Grundeinkommen nie realisiert werden wird? Er spricht nicht davon, dass er geringe Chancen sehe oder dass es unwahrscheinlich sei, nein, es wird nicht realisiert, das steht für ihn fest. Diese Gewissheit kann niemand haben, denn wir wissen nicht, was die Zukunft bringt. Hat die Gewissheit allerdings ihren Grund in einer inneren Realität, in einem Nicht-haben-wollen, dann leuchtet die Haltung ein. Albrecht Müller will das bGE nicht, warum spricht er es dann nicht gleich aus. Hier sehen wir schon eine erste Bestätigung für die Vermutung, dass nicht Argumente entscheidend sind, sondern eine Werthaltung, die sich Gründe sucht. Unsere politische Ordnung hingegen bietet keinen Anlass, das bGE für eine weltfremde oder unrealistische Idee zu halten. Wir leben heute schon auf den Voraussetzungen, die das Grundeinkommen benötigt. Es will sie nicht beseitigen, sondern stärken – es sind die Voraussetzungen der Demokratie. Deswegen ist es nicht an den Haaren herbeigezogen zu sagen, das Menschenbild des Grundeinkommens ist dasjenige unserer Demokratie. Dass über die Ausgestaltung unserer Demokratie immer wieder nachgedacht und gestritten werden muss, gehört dazu, der Grund dafür ist die stetig neue Suche nach Kompromissen, die alle zu tragen bereit sind.

Weiter heißt es:

„…Ich habe auch bisher schon mehrmals erklärt, dass ich es durchaus verstehe, wenn sich Menschen, denen es wirtschaftlich schlecht geht und die in totaler Unsicherheit leben, an eine solche Idee wie das bedingungslose Grundeinkommen klammern.“

Albrecht Müller ist mit der Diskussion keineswegs vertraut. Es sind eben nicht überwiegend Menschen, denen es wirtschaftlich schlecht geht, die sich für das bGE einsetzen, wie ein näherer Blick auf die intensive Diskussion schnell gezeigt hätte. Interessanter noch aber ist eine zweite Aussage, die er hier trifft. Müller spricht den Befürwortern ab, gute und tragfähige Argumente für das Grundeinkommen zu haben und kanzelt sie als Verzweifelte ab, die in der Not nach dem nächsten rettenden Strohhalm greifen. Sie sind, das soll wohl auch die Botschaft sein, leicht verführbar. Elitär und hochnäsig kann man diese Haltung getrost nennen.

Wie geht es weiter:

„Aber diejenigen, die als Politiker/innen oder Wohlsituierte diese Idee seit Jahren propagieren, müssten wissen, dass sie damit bodenlose Hoffnungen machen. Denn die Idee hat so viele Schwächen, dass sie nie realisiert werden wird. (Über die Schwächen haben wir übrigens schon ausführlich berichtet – siehe hier). Es erhebt sich deshalb hier wie bei anderen Themen auch die Frage, ob es Sinn macht, Ideen zu einem politischen und gesellschaftlichen Dauerthema zu machen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nie umgesetzt werden.“

Ein Blick in die Beiträge, die die vermeintlichen Schwächen aufzeigen, reicht aus, um zu erkennen, wie wählerisch Gründe gegen das bGE gesucht werden. Da wird Christoph Butterwegge zitiert, auf dessen erstaunlich undemokratische Haltung in seiner Argumentation wir kürzlich wieder hingewiesen haben. Im Mantel der Fürsorge plädiert er für im wesentlichen für eine Erneuerung des alten bevormundenden Sozialstaats. Die größter Gefahr sieht er darin, dass Bürger durch den bGE-Vorschlag zu etwas verführt werden könnten, das sie gar nicht haben wollten. Des weiteren wird vor allem das Althaus-Modell angegriffen, auf dessen Schwächen die bGE-Befürworter selbst schon wiederholt hingewiesen haben (siehe auch unseren Brief an die Nachdenkseiten). Die üblichen Einwände gegen den Konsumsteuervorschlag werden vorgebracht und an der Illusion einer angeblich paritätisch finanzierten Sozialversicherung festgehalten, als seien Bruttokosten eines Unternehmens, also auch alle Aufwendungen für einen Arbeitnehmer nicht auf bloß einem einzigen Weg zu decken: über den Absatz. Folglich tragen eben die Verbraucher auch die paritätische Sozialversicherung. Das alles könnte auch Albrecht Müller sehen, wenn er sich denn mit den Argumenten für ein bGE und der Kritik am Bestehenden, die Befürworter vorbringen, auseinandergesetzt hätte.

Die Befürworter, so Albrecht Müller, müssten einige Fragen (nachfolgend fett gesetzt) beantworten können, wenn das bGE ernst genommen werden soll. Welche sind das?

„Ist die Idee irgendwann realisierbar? Wann?“
Wenn es dafür eine Mehrheit gibt, das gilt für alle politischen Vorhaben, dann ist sie auch realisierbar.
An Argumenten dafür, welche Veränderungen ein bGE mit sich brächte und wie es sich auf bestehende Leistungen des Sozialstaats auswirken könnte, mangelt es nicht. Hier sei auf wenige Beispiele aus unserem Blog verwiesen: Kunst und Wissenschaft, Familie, Leiharbeit, Mindestlohn (hier und hier), Bevormundung durch Fürsorge, Bildung, Demokratie, strukturschwache Regionen.

„Wie steht es um die Finanzierbarkeit wirklich? Auch unter Beachtung der Reaktionen im Verhalten der Menschen? Welche Folgen für das Verhalten der Menschen haben die verschiedenen Finanzierungsvorschläge?“
Hierzu gibt es verschieden Studien, unter anderem von Helmut Pelzer und Ute Fischer, aber auch zum Vorschlag von Dieter Althaus und weiteren. Die Frage bleibt eine politische, welches Grundeinkommen man will, ein wirklich freiheitsförderndes oder ein Sparmodell, davon hängt ab, welche Aufwendungen zu bestreiten sind. Grundlegender jedoch als die Frage der Finanzierungsrechnung (Anmerkungen zur Problematik des Berechnens) ist, wie Albrecht Müller zurecht hervorhebt, die danach, weshalb Menschen wie handeln, was letztlich darauf hinausläuft zu verstehen, warum die Bürger sich überhaupt einbringen wollen. Auch dazu gibt es genügend Darlegungen, siehe z.B. hier.
Auch könnte auf wissenschaftliche Untersuchungen zurückgegriffen werden, um Möglichkeiten und Folgen eines bGEs auszuloten, aber wie es sich für die Wissenchaft gehört, wird dort über Ergebnisse und Erklärungen gestritten. Vorliegende Erkenntnisse beantworten auch die normative Frage nicht, was wir denn wollen. Von daher ist eine verbindliche Antwort zum bGE nicht aus der Wissenschaft zu beziehen, es handelt sich vielmehr um eine genuin politische Entscheidung, es geht darum, ob wir es wollen. Manche mutmaßen deswegen, dieses Plädoyer laufe auf ein riskantes Unterfangen hinaus, auf ein Abenteuer, dessen Ausgang wir nicht kennen und deswegen sei es abzulehnen. Nun, zum einen gilt für jede Entscheidung, dass wir um ihren Ausgang nicht wissen. Wir hoffen das Beste, sind vom Gelingen eines Vorhabens überzeugt usw. – wie es ausgehen wird, wissen wir aber niemals (siehe auch „Die Ungewissheit der Zukunft“). Was bleibt? Ein Blich auf die Grundlagen unseres gegenwärtigen Zusammenlebens, also auf die Grundlagen der Demokratie.

Einfacher zu beantworten ist diese Frage, wenn wir uns die Grundlagen der Demokratie vor vor Augen führen, dann wissen wir, was zählt. Wir gehen wie selbstverständlich davon aus und sind darauf angewiesen, dass die Bürger sich einbringen. Eines der frappierendesten Phänomene der öffentlichen Diskussion ist, wie sehr auf der einen Seite diese Bereitschaft stets gefordert wird, auf der anderen aber, wie wenig ernst das tatsächliche Engagement genommen wird, ganz gleich von welcher Seite. Wir haben dies einmal zum Anlass genommen, Neoliberale und Verteidiger des alten Sozialstaats als Brüder im Geiste zu bezeichnen.

„Lässt sich die Idee in einem System realisieren, das von Wettbewerb und marktwirtschaftlichen Elementen geprägt ist?“
Mühe hat man hier, die Frage zu verstehen. Es muss ja unser System gemeint sein, zweifelt die Frage etwa am Vorrang des Politischen, sofern er gewollt ist? Haben wir nicht – bei aller Kritik am Bestehenden – auch heute Leistungen, die überhaupt nicht nach dem Marktprinzip erfolgen (z.B. öffentlicher Dienst, Sozialleistungen)? Und ist, zuletzt noch, die Demokratie nicht als solche etwas vollkommen Marktfernes in ihren Geltungsprinzipien? Es geht also nicht um eine Systemfrage, die sich mit dem Grundeinkommen stellt, sondern darum wie ernst wir es mit der Demokratie und der Stärkung der Bürger meinen. Es handelt sich um eine systemimmanente Frage.
Ähnlich wie Albrecht Müller argumentiert auch Spiegelfechter, in einer Replik auf den Beitrag „Schafft die Arbeitslosenversicherung ab!“ von Frank Thomas .

Wird die Idee zur politischen Profilierung genutzt? Beim früheren Ministerpräsidenten von Thüringen, Althaus, war dies deutlich erkennbar. Die Idee diente dem Aufbau eines sozialen Images unabhängig von der realen Politik dieses Politikers.
Also, was hat das mit dem bGE zu tun? Solange die Profilierung damit einhergeht, dass Umgestaltungen auf den Weg gebracht werden, die zu einem radikalen bGE führen, spielt das keine Rolle. Wo das nicht geschieht, ist für jeden sichtbar, ob jemand nur sein Image pflegen oder tatsächlich verändern will. Die Glaubwürdigkeit steht dann auf dem Spiel – so wie für die Nachdenkseiten, wenn sie Werthaltungen hinter Argumenten verstecken, statt sie offen zu benennen.

Was könnten die Motive des Chefs der Drogeriekette DM, Götz Werner, sein? Meines Erachtens sind es in diesem Fall lautere Motive und dennoch muss er sich die Frage gefallen lassen, ob sein Dauerthema nicht inzwischen die Funktion von Spielmaterial hat.
Auch diese Frage ist nicht so einfach zu verstehen. Soll damit gesagt sein, dass das bGE missbraucht werden kann für andere, unlautere Absichten? Wenn das gemeint ist, ist die Frage banal, denn Missbrauch ist mit jeder Idee möglich, wo er beabsichtigt ist. Weil also Ideen missbraucht werden können, sollte man sie erst gar nicht verfolgen? Das endete in Selbstblockade, man bliebe in der Gegenwart stecken. Soll das ein ernst gemeinter Einwand sein? Streiten die Nachdenkseiten nicht gerade gegen dieselben „Missbräuche“ und halten ihr Vorhaben keinesfalls für abwegig?

Woran liegt es, dass sich bisher keine der Parteien das Thema zum Bestandteil ihres Programms erkoren hat? Liegt das nur an unseren Parteien und ihrer angeblichen Ideenlosigkeit? Das glaube ich nicht. Es hat viel mit der Unausgegorenheit der Idee zu tun.
Die maßgebliche Antwort hierfür findet sich in der Idolatrie der Erwerbsarbeit, die nun gerade in den letzten zehn Jahren die politische Debatte besonders deutlich geprägt hat. Gepaart mit dem gewaltigen Misstrauen (wider alle Lebenswirklichkeiten) in die Bereitschaft des Einzelnen, sich einzubringen, bilden sie – Idolatrie und Misstrauen – die wahren Hindernisse für eine andere Politik. Schon die früheren Einwände von Albrecht Müller (Replik darauf von Sascha Liebermann) und Heiner Flassbeck gegen das Grundeinkommen bestätigen, welche geringe Bedeutung es für sie hat, die Freiräume der Bürger zu erweitern. Auch sie predigen das Erwerbs- bzw. Beschäftigungsmantra. Von einer Ideenlosigkeit der Politiker im Sinne einer Orientierungslosigkeit kann man sehr wohl sprechen. Das Festhalten an einst bewährten Wegen hat zu dem geführt, wo wir heute stehen. Unsere heutige Lage rührt nicht vor allem vom Verlassen bewährter Wege, sondern vom Festhalten an Zielen, die mit diesen Wegen verbunden, die aber nicht mehr unseren Lebensmöglichkeiten gemäß sind. Statt Erwerbsarbeit vom Sockel zu holen ist sie in den letzten Jahren um so mehr zum höchsten Ziel erklärt worden. Obwohl unser Wohlstand volkswirtschaftlich gewaltig ist, soll die Erwerbsquote erhöht werden. Wo also mehr Freiräume möglich wären, wird um so strikter an Erwerbsarbeit festgehalten. Die Orientierungslosigkeit ist eine Verunsicherung, die der Lösung harrt. Solange es also ein jenseits der Erwerbsidolatrie normativ nicht geben darf, kommt ein Grundeinkommen als Alternative auch nicht in Frage. So einfach ist die Antwort, mit der Unausgegorenheit der Idee hat sie gar nichts zu tun, sondern mit den Werthaltungen, die vorherrschen. Sie sind auch viel bedeutsamer als irgendwelche Ideologien, seien sie neoliberal oder sonst etwas.

„Transportiert die Debatte wenigstens Ideen und Ziele, die helfen könnten, anderes Wichtiges zu erreichen? Hier bin ich sehr skeptisch. Denn die Agitation für das Grundeinkommen lenkt ab von der notwendigen politischen Arbeit für eine Beschäftigungspolitik, die der Mehrheit der Menschen Arbeitsplätze und Alternativen schafft…“
Zu betonen ist hier wohl „Arbeitsplätze“, nicht aber „Alternativen“. Konsequent wird von „Beschäftigungspolitik“ (Erwerbsarbeit) gesprochen, wo das bGE diese Frage ganz anders stellt: es fragt nach Möglichkeiten und Freiräumen dafür, dem nachzugehen, was man für wichtig und richtig erachtet, ganz gleich, ob es sich um Erwerbsarbeit handelt oder nicht. Diese Perspektive scheint den Nachdenkseiten vollkommen fremd, da nimmt es auch nicht Wunder, dass das bGE in seiner Tragweite nicht interessiert.

Folgerichtig geht der vorangehende Absatz weiter:

„Deutlich erkennt man das beim Öffnen einer Seite, die mir zu lesen gestern als Reaktion auf meinen Beitrag empfohlen worden ist. Dort wird “Freiheit statt Vollbeschäftigung” propagiert. An diesem Titel wird schon sichtbar, dass hier eine Alternative zur Beschäftigungspolitik gesehen wird. Diese sehe ich nicht. Im Gegenteil: Menschen Beschäftigung zu schaffen und alternative Arbeitsplätze zu schaffen ist die Grundvoraussetzung dafür, dass sie zu Zumutungen der Leiharbeit, der Niedriglöhne und der Minijobs Nein sagen können…“
Sehen wir einmal ab, wie das gelingen soll, was hier vorgeschlagen wird. Sicher, „Freiheit statt Vollbeschäftigung“ streitet für eine Alternative zur Beschäftigungspolitik, die stets nur Erwerbsarbeit vor Augen hat. Wir streiten für eine weitreichende Alternative zur Erwerbsidolatrie, ohne aber den Leistungsgedanken aufzugeben, auch wenn wir ihn umdeuten. Den Nachdenkseiten hingegen geht es nur um Variationen der Erwerbszentrierung.
Wundern kann einen, dass nicht gesehen wird, welch ein Segen gerade ein bGE für die Arbeitswelt wäre. Es erlaubte Arbeitsbedingungen mit zu definieren, ohne auf sie angewiesen zu sein und sie im Zweifelsfall abzulehnen bei gleichzeitiger Absicherung. „Niedriglöhne“ (siehe eine Anmerkung zu Mindestlöhnen) hätten eine andere Bedeutung als heute, wenn die Freiheit bestünde, „Nein“ sagen zu können. Hinzukommt, was heute als Niedriglohn ein Problem darstellt, auf der Basis der Grundeinkommens keines mehr sein müsste, wegen des Grundeinkommens. Auch hier gilt: es kann nicht sein, was nicht sein darf.

Weiter heißt es:
„…Die Debatte um das Grundeinkommen könnte eine gute Vorbereitung auf eine Gesellschaft ohne Erwerbsarbeit sein. Wenn man dies für möglich hält, wenn man das Ende der Arbeit für möglich hält und propagiert, dann ist auch die Debatte um das Grundeinkommen sinnvoll. Aber an diese Perspektive glaube ich nicht.“
Auf unserer Website hat Herr Müller das sicher nicht gelesen, auch beim von ihm erwähnten Götz W. Werner nicht, denn von einer Gesellschaft ohne Erwerbsarbeit ist nirgendwo die Rede – von einem anderen Arbeitsbegriff sehr wohl. Zwar hantieren auch bGE-Befürworter mit der These vom Ende der Vollbeschäftigung oder dem Ende der Arbeit, doch lässt sich dies auch anders deuten: als Einsicht in ein stetig sinkendes Arbeitsvolumen bei steigender volkswirtschaftlicher Leistung. Erwerbsarbeit abschaffen, wollen die bGE-Befürworter unseres Wissens nicht, ihr den angemessen Platz zuweisen schon. Albrecht Müller baut sich hier einen Pappkameraden auf und argumentiert ganz wie es üblich ist, um das bGE loszuwerden.

Schlussendlich bleibt ein Fazit: Der Gedanke, dass ein bGE eine Anerkennung der Person in Absehung von ihrer Leistung ausspricht, damit also urdemokratisch ist, denn es richtet sich an den Souverän als Souverän; dass es Freiräume gerade für dasjenige Engagement schafft, das wir heute sträflich missachten, das Ehrenamt; dass es eine wirklich brauchbare Förderung von Familie ermöglicht, ohne dirigistisch zu sein wie das Elterngeld und endlich mit der Ideologie der „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ bricht, die treffender heißen sollte „Vom doppelten Verzicht“; dass Eltern für ihre Kinder zuhause bleiben könnten, solange sie es wollten – all das wird keines Blickes gewürdigt und bestätigt nur, was in meinem ersten Beitrag die Feder führte: Herauszustellen, wie sehr Werthaltungen Denkmöglichkeiten bestimmen und wie wenig ein bGE als Möglichkeit in Betracht gezogen werden kann, wenn es überkommene Werthaltungen – wie die Vorrangstellung der Erwerbsarbeit – in Frage stellt. Genau deswegen ist auch im neuen Jahr die Diskussion darum so wichtig, wie wir leben wollen und welche Chancen ein bGE bietet. Beharrlich für es zu werben und geduldig sich mit den Einwänden auseinanderzusetzen sind das A und O. Es bedarf keiner Jünger und Jasager, sondern mündige Bürger.

Sascha Liebermann

„Leistungsprinzip? Nein, Leidenschaftsprinzip“

Genau dieses Motto steht am Ende eines Beitrags im Magazin der Süddeutschen Zeitung mit dem Titel „Sie spinnen, Herr Jauch“.

Die Autorin, Meike Winnemuth, spricht treffend aus, was das Motto wäre, wenn wir das bGE eingeführt hätten:

„Vielleicht ist das die wahre Millionenfrage, nennen wir sie den Günther-Jauch-Test: Wer auf die Frage, ob er beim Gewinn von viel Geld kündigen würde, »sofort« sagt, sollte vielleicht auch ohne die Million gehen. Denn er ist am falschen Ort und hat fast schon die Pflicht, sich etwas zu suchen, was ihn glücklich macht – man hat nur ein Leben. Aber gehen, wenn man glücklich ist? Aufgeben, was man liebt? Um sich am Rand eines Swimmingpools zu langweilen?

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich habe auch schon gekündigt, immer dann nämlich, wenn keine Liebe für das da war, was ich tat. Und wenn ich jetzt sage: Ich würde auch dann noch arbeiten, wenn ich nicht müsste, dann meine ich nicht, dass Arbeit nicht gut bezahlt werden sollte. Im Gegenteil: Diejenigen sollten Geld verdienen, sogar wahnsinnig viel Geld, die für das, was sie tun, brennen: die Krankenschwester, die lieber einmal zu viel nach dem Rechten schaut, der Lehrer, der nachmittags einen Workshop nachschiebt. Denn wer liebt, was er tut, macht es auch gut. Leistungsprinzip? Nein, Leidenschaftsprinzip. Was für ein Geschenk, so einen Beruf zu haben. Und das dem Leben vor die Füße werfen? Ganz ehrlich: Sie spinnen wohl.“

Auch heute ist die Suche nach dem, was einen erfüllt, nicht von einer anderen, sondern von dieser Welt (siehe „You’ve got to find what you love“). Doch, wer kann so einfach kündigen, wenn er Familie hat? Für Alleinstehende ohne Kinder ist das auch heute noch viel leichter möglich als für Eltern. Mit einem bGE wäre es allen möglich. Wer die Möglichkeiten nicht nutzen würde, müsste dafür selbst geradestehen.

Wer nun einwendet, das treffe vielleicht für Leute mit guter Ausbildung zu, dem sei unser Beitrag zu dieser Frage empfohlen.

Sascha Liebermann

"Nie mehr arbeiten und trotzdem Geld für alle?" – SWR Fernsehen 31. Oktober 2007

Unter diesem tendenziösen Titel wurde im SWR-Fernsehen über Grundeinkommen (Dieter Althaus, Boris Palmer) diskutiert. Neues an Einwänden gegen das bedingungslose Grundeinkommen gibt es nicht zu vermelden. Doch, um zu sehen, wo die Diskussion steht, ist die Sendung interessant.

Wo die SPD-Bundespolitiker stehen, wurde an der Äußerung Ludwig Stieglers (SPD) deutlich, die er Ralf Engelke (ALG II-Empfänger und Mitglied imNetzwerk Grundeinkommen) entgegenhielt: „Sie [Herr Engelke] leben von der Gemeinschaft und Sie müssen Ihren Teil der Gemeinschaft geben und Sie können nicht sagen, ihr alle anderen zahlt eure Steuern, damit ich mein Leitbild leben kann. Das geht eben nicht, sondern Sie sind genauso verantwortlich, sich einzubringen. Und wenn Sie eine Stelle in Köln oder in Stuttgart kriegen, dann müssen Sie dort auch hingehen. Als Langzeitarbeitsloser! Das kann ich Ihnen nicht ersparen, ich habe das Gesetz mitgemacht, Herr Althaus auch. Wir waren miteinander im Vermittlungsausschuss und dazu müssen wir auch stehen, weil ja das Grundprinzip besteht: Jeder muss zunächst einmal für sich selber aufkommen“. Christoph Keese (Welt am Sonntag) stand dem SPD-Politiker zur Seite gegen das Grundeinkommen und sprach zuvor von den „Anreizen“, die beim bGE fehlen und zu einem Absinken der Beschäftigungsquote führen. Als bloßes Gerede ist das darauf folgende Plädoyer für Bildung zu werten. Christoph Keese will sie offenbar verordnen, obwohl doch allzubekannt ist, daß Bildung nur mit und nicht gegen eine Lebensgeschichte möglich ist. Auch hier aber war deutlich genug: statt auf die Initiative des Einzelnen zu setzen, sie zu ermöglichen, wollen wir über das Leben des Einzelnen bestimmen.

Was es heißt, davon zu sprechen, daß jemand von oder gar auf Kosten der Gemeinschaft lebe, haben wir ausführlich kommentiert. Diese Denkhaltung zeigt, wie eng unser Verständnis von Leistung und Wertschöpfung ist, wie wir sehen wollen, daß wir alle von jedem leben und niemand „sich selbst versorgt“, wie es so gerne heißt. Dies erkennen wir nicht an, weil Erwerbsarbeit alles sein soll, nur, was einen Preis hat, zählt offenbar. Andere Leistungen, ohne die Erwerbsarbeit gar nicht möglich wäre, werden verächtlich behandelt, uns Bürgern wird unterstellt, daß wir sofort den Griffel fallen lassen, wenn ein bGE für unsere Absicherung sorge. Der „Freizeit“-Zuwachs, den ein bGE brächte, wie manche das nennen, lasse unser Sozialgefüge erodieren (Siehe „Leben auf Kosten anderer“. Man beachte die Kritik an den Berechnungen von Opielka und Strengmann-Kuhn zum Solidarischen Bürgergeld. Ihnen wird vorgehalten, sie seien statisch und enthielten die zu erwartenden dynamischen Effekte nicht, die vom bGE ausgehen – als könnten Berechnungen darüber jemals Auskunft geben. Daß nun auf den „Nachdenkseiten“, einer sonst durch reflektierte Kommentare auf sich aufmerksam machenden Website dem beipflichtet wird, ist erstaunlich – unreflektiert). Daß es im Gefolge eines bGEs überhaupt zu einer Abnahme von Initiative und Engagement komme, was Christoph Keese bezogen auf Erwerbsarbeit behauptete – blieb eine Behauptung. Vergeblich wird man nach Belegen suchen, denn dort, wo man sie zu finden meint, zeigt sich z.B. eins: Ein bGE wird wohl dazu führen, daß Eltern sich mehr Zeit für ihre Kinder nehmen, in den Augen Christoph Keeses ein großes Problem. Dabei wäre es doch für unser Gemeinwesen wünschenswert, wenn nicht nur Eltern, sondern wir alle mehr Freiräume hätten, ganz gleich, wozu wir sie nutzen. Wo sich Bürger nicht engagieren, in keiner Weise, können wir, wenn wir wollen, auch Gründe erkennen – sie sind mit der Lebensgeschichte des Einzelnen verbunden. Ein bGE ließe jeden in Würde leben, statt ihn zu etwas zu drängen, dem er nicht gewachsen ist.

Die öffentliche Diskussion um Alternativen kann also – im Gegensatz zur Aufassung, die Boris Palmer in der Sendung vertrat – nicht umhin, auch über das Menschenbild zu diskutieren, von dem wir ausgehen. Allerdings ist dieses Menschenbild keines, was jenseits der Gegenwart zu suchen wäre. Wir müssen uns nur klar machen, welches Menschenbild unserer Demokratie zugrundeliegt. Wollen wir unsere Demokratie stärken, dann müssen wir den Bürgern mehr zutrauen, sie sind der Souverän. Ohne ihre Bereitschaft sich einzubringen, wäre unsere Demokratie gar nichts, sie existierte nicht. Offenbar können wir das noch nicht sehen, sonst wäre es nichts als konsequent, ein bGE einzuführen.

Sascha Liebermann

„Kostgänger“ des Staates – ein Einwand gegen das Grundeinkommen

Ein häufig gegen das bedingungslose Grundeinkommen (bGE) vorgebrachter Einwand besagt, es mache die Bürger zu „Kostgängern“ des Staates; es halte sie in Abhängigkeit, statt ihnen Möglichkeiten zur Selbstversorgung zu eröffnen.

Angesichts der Möglichkeiten, die ein bGE uns Bürgern tatsächlich eröffnete, angesichts der Verantwortung, die es in unsere Hände legte, kann dieser Einwand nur verwundern. Die bevormundende Fürsorglichkeit, die unser heutiges Sozialsystem kennzeichnet und schon immer gekennzeichnet hat, all die Kontrollen und Überwachungen, höbe ein bGE ja gerade auf. Wir erklärt sich dann dieser Einwand?

„Kostgänger“ soll wohl heißen, der Einzelne werde vom ‚Staat’ abhängig, entmündigt und in seiner Initiative geschwächt. Hier wird ein Bild vom Gemeinwesen gezeichnet, in dem seine grundlegende Bedeutung für Entwicklung und Entfaltung des Einzelnen gar nicht gesehen wird. Schon jedes Kind ist, da es unselbständig auf die Welt kommt, von der bedingungslosen Anerkennung durch seine Eltern abhängig, um sich zu entwickeln. Nur in dem von ihnen gewährten Schutzraum und durch ihre Liebe kann es reifen und nur dadurch wird es einmal in der Lage sein, seine Familie zu verlassen, um sein Leben in die Hand zu nehmen und eine eigene zu gründen. Familie gibt es aber nur dort, wo es ein Gemeinwesen gibt, das sie wiederum schützt und unterstützt, das also Möglichkeiten schafft, damit Eltern sich auch ihren Kindern widmen können. Schon diese ‚Abhängigkeit’, wenn man sie so nennen will, ist eine Voraussetzung für eine selbstbestimmte Lebensführung. Diese ‚Abhängigkeit’ ist also Bedingung des Bestehens und nicht, wie manche offenbar noch heute glauben, ein notwendiges Übel, dessen man sich besser entledigen sollte, wie der ‚Staat’ ein Übel sei, mit dem man „wohl“ leben müsse. Der ‚Staat’ ist aber unser Gemeinwesen, das Gemeinwesen etwas, ohne das wir nicht wären und zugleich wäre es nicht ohne uns. Nähmen wir Bürger nicht ohnehin unser Leben in die Hand, achteten nicht unsere politische Ordnung und trügen nichts zum Gemeinwohl bei, dann existierte unser Gemeinwesen gar nicht – wir aber auch nicht.

Ideologische Schlagworte wie „Kostgänger“ oder auch Wendungen wie „Sozialhilfeempfänger liegen dem Gemeinwesen auf der Tasche“ offenbaren also lediglich, dass diejenigen, die sie benutzen, noch gar nicht begriffen haben, weshalb ihr Leben möglich ist. Alle, so müßte es eigentlich heißen, liegen in einem Gemeinwesen notwendig allen auf der Tasche, alle sind „Kostgänger“ aller, denn ein Gemeinwesen ist ein Solidarverband. Zwar benötigen wir auch Geldmittel zur Finanzierung unserer öffentlichen Infrastruktur, so daß manche sagen könnten, die Erwerbstätigen finanzierten den Sozialstaat. Doch auch diese Leistung sowie die Leistungsbereitschaft hat ihre Wurzeln in der Solidarität, in der Anerkennung des Einzelnen – des Bürgers – um seiner selbst willen. Nicht durch Geld erhält sich ein Gemeinwesen, sondern durch Loyalität. Leistungen in Familie und Ehrenamt sind ebenso wichtig wie solche im Beruf, keine ist wichtiger als die andere – ohne eine von allen, ohne Loyalität, wäre unser Gemeinwesen gar nichts, es würde nicht existieren.

Weshalb dem Einzelnen eine bestimmte Solidarität, eine bestimmte Loyalität abfordern – also: Ewerbsarbeit zu leisten -, wenn wir ohnehin auf sein Engagement vertrauen können und es auch müssen? Solidarisch und loyal ist der Einzelne am besten, wenn man ihn das tun läßt, womit er einen Beitrag leisten kann – und nicht wenn wir ihm sagen, welchen er zu leisten hat.

Sascha Liebermann

Gregor Gysi und Hans Werner Sinn – eine Allianz gegen das bedingungslose Grundeinkommen

Eine wunderbare Bestätigung für die einen, ein untrüglicher Beweis für die anderen war in „Menschen bei Maischberger“, am 13. Februar, der Auftritt von Gregor Gysi. Wer noch Zweifel daran hatte, daß Hans Werner Sinn und Gregor Gysi (wie auch im letzten Jahr schon Oskar Lafontaine, Rudolf Hickel und Albrecht Müller) am selben Strang ziehen, konnte sich des Gegenteils vergewissern.

Während Hans Werner Sinns beharren auf der vermeintlich notwendigen Berechenbar- und Finanzierbarkeit des Grundeinkommens einen deutlich buchhalterischen Geist erkennen ließ, für den nichts wirklich sein kann, was nicht in Zahlenkolonnen ausdrückbar ist, gab sich Gregor Gysis Verständnis von Gerechtigkeit und Menschenwürde deutlich zu erkennen: Wo kein Arbeitswille bzw. keine Arbeitsbereitschaft – da soll es auch keine Gegenleistung geben, „ein bißchen Druck ist schon nötig“. Bürger, die um ihrer selbst willen geachtet werden, weil sie das Fundament unseres Gemeinwesens, der Volkssouverän, sind, scheint es für Gregor Gysi nicht zu geben. Menschenwürde ist in seiner Vorstellung die Menschenwürde durch Erwerbsarbeit – wer sich daran nicht beteiligt, verletzt die Menschenwürde der anderen. Mit solchen Vorstellungen steht der Rückkehr in den Arbeiter- und Bauernstaat, in die alte Gesellschaft der Werktätigen nichts mehr entgegen.

Ist Hans-Werner Sinn nun auch Sozialist oder Gregor Gysi Neoliberaler?

Will Hans Werner Sinn also durch den Niedriglohnsektor Druck auf uns Bürger als Erwerbstätige ausüben, da nur so buchhalterisch „bessere“ Zahlenkolonnen zu erzeugen sind, darf es nach Gysi an Druck nicht fehlen, damit Arbeitsfähige auch zu Arbeits- also Erwerbsarbeitssuchenden werden. Denn nur das sei gerecht, nur das verletzte die Menschenwürde nicht. Ein gewaltiger rhetorischer Aufwand Gysis war notwendig, um das Mißtrauen in die Eigeninitiative der Bürger nicht ganz so obrigkeitstaatlich erscheinen zu lassen und die entsprechenden Vokabeln wie Solidarität, Gerechtigkeit, Sozialstaat und dergleichen abzuspulen. Doch nur, wer sich davon blenden ließ, konnte überhören, worum es eigentlich geht: Vertrauen ist ein hehres Ideal, Mißtrauen ist notwendig, deswegen ist eine Kontrolle der Bürger, eine Überwachung ihres ausreichend an den Tag gelegten Arbeitsanreizes am besten.

Können Entscheidungen, die unser Gemeinwesen betreffen und die Zukunft eröffnend gestalten sollen, überhaupt berechnet werden? Können wir ernsthaft die Frage, wie wollen wir leben, derjenigen danach, ob wir es nach heutigen Vorstellungen auch bezahlen können unterordnen? Ließen wir uns darauf ein, was würden wir noch zu verändern in der Lage sein – gar nichts. Wer die Frage nach der Finanzierbarkeit stellt, behauptet zugleich, die Folgen einer Entscheidung, die in die Zukunft reicht, seien zu errechnen. Doch Rechenmodelle, die nicht zufällig auch Simulationen genannt werden, setzen nur das Denken der Vergangenheit in die Zukunft fort. Wo aber umgedacht werden muß, müssen wir auch mit den Vorstellungen der Vergangenheit brechen.

An einem kann doch kein Zweifel bestehen, daß nämlich unser Wohlstand auf die Leistungsbereitschaft von uns Bürgern zurückgeht. Nichts spricht dafür, daß diese Leistungsbereitschaft mit einem Grundeinkommen schwächer würde, sie nähme doch wohl eher zu, denn das Grundeinkommen stellte alle Bürger gleich, behandelte ihre Engagement gleichwertig, ob sie zusätzlich ein Erwerbseinkommen erzielten oder nicht.

Sascha Liebermann

Brüder im Geiste – die sogenannten Neoliberalen und ihre sogenannten Kritiker

„Warten auf’s Jobwunder“ so übertitelte das SWR 2-Radio einen Beitrag von Joachim Meißner über „Wirtschaftsmärchen heute“ (gesendet am 23.11.), in dem auch Rudolf Hickel, Professor an der Universität Bremen, zu Wort kam.

Rudolf Hickel ist, wie auch Albrecht Müller, ein renommierter und bekannter Kritiker des sogenannten Neoliberalismus. Beide vertreten konsequent eine Gegenposition zu der seit Jahren verbreiteten Verklärung des Marktes und informieren über einseitige Darstellungen zu Fragen der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik.

Beide sind – ähnlich wie Ulrich Busch – aber zugleich auch Brüder im Geiste des Neoliberalismus, denken genauso ökonomistisch verkürzt, wenn es um die Frage geht, ob wir in die Bereitschaft der Bürger vertrauen können, ihren Beitrag zum Gemeinwohl leisten zu wollen. Ihre Antwort ist: Nein, wir können es nicht, denn mit einem bedingungslosen Grundeinkommen falle der Anreiz zu arbeiten weg. Dieselbe Behauptung in derselben Sprache kennen wir von den sogenannten Neoliberalen (siehe den Kommentar zu „Althaus‘ Radikalkur“). Nun hebt insbesondere Albrecht Müller stets seinen volkswirtschaftlichen Sachverstand hervor, über den er, im Unterschied zu den Befürwortern eines Grundeinkommens, verfüge.

Haben sich beide jemals gefragt, woher Leistung rührt, auf welchem Boden sie gedeiht? Alles spricht dafür, daß sie derselben Vorstellung einer sozialmechanischen Erzwingung von Leistung anhängen wie diejenigen, die den Druck auf Arbeitslose weiter verstärken wollen. Druck und Anreiz liegen näher beieinander, als es die Kritiker des Neoliberalismus wahrhaben wollen. Daß jede Leistung, auch die routinierteste, zuallererst eines inneren Antriebs desjenigen bedarf, der sie erbringt – diese Vorstellung stammt für die Anreizdenker aus einer Welt, in der es bessere Menschen gibt als die verderbten der Gegenwart. Daß ein um so stärkerer innerer Antrieb Voraussetzung dafür ist, tragfähige Lösungen für Probleme zu erdenken, halten sie für naiv.

Ein Blick in die Gegenwart und in die Vergangenheit würde sie eines Besseren belehren. Der Wohlstand, in dem wir leben, wäre ohne die Bereitschaft der Bürger, etwas beizutragen, nie entstanden. Genausowenig wie es unser demokratisches Gemeinwesen gäbe, wäre es auf Anreize angewiesen. Jeder kann dieses Engagement, wenn er mit offenen Augen durch die Welt geht, beobachten.

Deutlicher als zuvor wird in der zunehmenden öffentlichen Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen, was sich schon lange abgezeichnet hat: Die Scheidelinie zwischen Befürwortern eines freiheitlichen solidarischen Gemeinwesens und ihren Gegnern verläuft jenseits von rechts und links, neoliberal und keynesianisch. Die Gegner der Freiheit stehen dort, wo in Anreizen ein Heilmittel gesehen wird. Beide sind gleichermaßen Vertreter eines Weltbildes, das den Menschen mißtraut – sie sind die wirklichen Gegner der Freiheit.

Sascha Liebermann