Degradierung der Bürger…

…als Bürger um ihrer selbst und des Gemeinwesen um seiner selbst willen. Das Bürgergeld als „Anreizsystem für Arbeitslosigkeit“, so Amthor in dem Gespräch mit Die Welt.

Der Sozialstaat ist dann „zielgenau“, wenn er denjenigen mit Einkommen im Sinne des Existenzminimums absichert, der ihn trägt und ihn als Vergemeinschaftung immer wieder von Neuem in Vollzug alltäglichen Handelns bekräftigt. Genau in dieser Hinsicht hinkt der heutige Sozialstaat den Grundlagen des Zusammenlebens hinterher. Dass diese Existenzsicherung dann für alle gelten muss, in der Verlängerung von dem Hautargument aus, die ihren Lebensmittelpunkt in ihm haben, liegt auf der Hand.

Siehe unsere früheren Beiträge zum Zusammenhang von Existenzsicherung, Demokratie und Republik hier; der Behauptung, wir lebten in einer Arbeitsgesellschaft hier; zur Bedeutung von Staatsbürgerschaft hier; zur politischen Vergemeinschaftung der Bürger hier; zu einem der wichtigsten Signalworte (Anreiz) der vergangenen Jahre hier.

Sascha Liebermann

Eine missverstandene Unabhängigkeit…

…steht hinter dieser Sorge vor dem Staat.

Siehe auch hier und hier.

Sascha Liebermann

Mündigkeit durch Erwerbsarbeit?

In einem Interview mit Axel Honneth auf Zeit Online (Bezahlschranke) äußert er sich dazu, weshalb er gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen sei, aber auch zum Verhältnis von Erwerbsarbeit und Mündigkeit. Beide Passagen seien hier kommentiert, zu früheren Ausführungen Honneths siehe hier und hier.

„ZEIT ONLINE: Wenn der Mensch Sicherheit und mehr Zeit braucht, um sich zu engagieren, warum sind Sie trotzdem gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen?

Honneth: Das Grundeinkommen [sic] aus meiner Sicht ein Mittel zur weiteren Privatisierung des Menschen. Der Einzelne würde sich wahrscheinlich nur noch als Empfänger einer staatlichen Zuwendung verstehen und sich immer weiter aus der sozialen Kooperation ausklinken. Das Grundeinkommen garantiert in keiner Weise, dass das Interesse des Einzelnen an sozialen und politischen Zusammenhängen zunimmt. Ich denke eher, dass es das Gegenteil bewirkt und zu einem immer stärkeren Rückzug in die eigene kleine Welt führt, die aus Gleichgesinnten besteht. Daher verstehe ich auch nicht, woher der Glaube kommt, dass sich durch das Grundeinkommen mehr Menschen politisch engagieren würden. Wenn die Privatisierung zunimmt, erlischt vielmehr die Triebfeder demokratischen Engagements.“

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„Politiken der Arbeit“

Die Zeitschrift Merkur hat einen Beitrag Axel Honneths mit diesem Titel veröffentlicht, dabei handelt es sich um einen Auszug aus seinem neuen Buch „Der arbeitende Souverän“. Da der Beitrag sich hinter einer Bezahlschranke befindet, kann hier nur soviel dazu gesagt werden, dass Honneth – wie schon in anderen Ausführungen – die entscheidende und für alles bestimmende Form sozialer Kooperation in der Erwerbsteilnahme (Arbeitsteilung) erblickt. Ein BGE führe folglich dazu, diese Kooperationserfahrung nicht zu machen bzw. gar den Zusammenhalt im Gemeinwesen zu gefährden, weil ja niemand mehr am Erwerbsleben teilnehmen müsse (eine Pflicht sieht er nicht vor). Welche Solidarerfahrungen in familialen Beziehungen, im bürgerschaftlichen Engagement und als Bürger eines Gemeinwesens gemacht werden, entgeht Honneth vollkommen, ohne zu erklären, weshalb er sie nicht einbezieht. Die sogenannte unbezahlte Arbeit fehlt völlig in dem Beitrag. An etlichen Stellen hat man den Eindruck, dass der Bürger als vereinzeltes, geradezu atomisiertes Wesen verstanden wird, das jeweils erst eine Kooperationserfahrung machen müsse und es dazu der Erwerbstätigkeit bedürfe, obwohl die entscheidenden Erfahrungen, die überhaupt jemanden erst befähigen, später an erwerbsbezogenen Kooperationen teilzunehmen, gerade nicht in Erwerbsverhältnissen gemacht werden. Die Bedeutung der Sozialisation hierfür taucht in dem Beitrag überhaupt nicht auf, vielleicht ist das im Buch an anderer Stell der Fall. Ingesamt überrascht doch die Einseitigkeit und reduktionistische Betrachtung politischer Vergemeinschaftung, in der es ja nicht bloß um einen Rechtsstatus geht, sondern um ein Lebensgefüge sozialer Praxis, eine Gemeinschaftsbildung eben.

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„Happy Bürgergeld: Endlich kein Hartzer mehr, endlich Bürgerin!“…

…mit diesem Beitrag macht Janina Schütt in der Freitag indirekt auf etwas aufmerksam, das schon lange hätte aufgespießt werden können, meines Wissens aber nicht aufgespießt wurde. Auch wenn es in ihrer Stellungnahme nur um den knapp bemessenen Betrag des Bürgergeldes geht, ist dies ein guter Anlass, sich einmal zu fragen, was denn eigentlich ein bzw. der Bürger ist und ob das Bürgergeld dem entspricht und vielleicht sogar das Gegenteil davon darstellt.

Da es sich beim Bürgergeld um eine sozialstaatlich organisierte und damit demokratisch legitimierte Leistung handelt, soll es hier nur um diese Seite des Bürgerbegriffs gehen, den citoyen also (und nicht um den bourgeois). Er kommt in der Diskussion um den Sozialstaat und ebenso um ein Bedingungsloses Grundeinkommen genauso zu kurz wie jetzt beim Bürgergeld (siehe z. B. hier und hier), das hat einen einfachen Grund. Zwar gibt es eine Fürsorgeverpflichtung des Gemeinwesens gegenüber seinen Angehörigen – den Staatsbürgern -, doch ruht diese bislang auf dem normativen Vorrang von Erwerbstätigkeit. Vom Kindergeld einmal abgesehen setzen alle sozialstaatlichen Leistungen zu ihrem Bezug entweder Erwerbsbeteiligung voraus oder haben sie zum Ziel, da gibt es kein Entkommen. Genau genommen steht also nicht der Bürger als Angehöriger des Gemeinwesens (bzw. davon abgeleitet als Person mit Lebensmittelpunkt in Deutschland) im Zentrum des Sozialstaats, sondern der Erwerbstätige. Das ist keine neue Erkenntnis und dennoch ist es verwunderlich, dass an diesem Umstand selbst außerhalb der BGE-Diskussion wenig kritisiert wird, es herrscht vielmehr große Einigkeit, dass diese so sein solle, auch dort, wo Sanktionen kritisiert werden.

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Sagt uns das, dass die Bürger doch vernünftig mit der Lage umgehen und „Anreize“ nicht bedürfen,…

….sie einfach auf die Erfordernisse, den Ernst der Lage, antworten und sehen, was sie beitragen können?

Das käme der Erschütterung all der „Anreiz“-Besorgnisse gleich, die immer wieder auch in der Diskussion um etwaige staatliche Maßnahmen deutlich wurden.

Sascha Liebermann

„Wieso muss erst „harte Arbeit“ zum Leben reichen?“

Unausweichliche Abhängigkeit – die Bürger voneinander, das Gemeinwesen von den Bürgern, die Bürger vom Gemeinwesen…

…wer das nicht will oder meint hinter sich lassen zu können, kann weder Bürger eines Gemeinwesens sein, noch kann es Gemeinwesen geben. Abhängigkeit ist in dem Sinne zu verstehen, dass beide aufeinander verwiesen sind, sie bedingen sich. Im besonderen Falle hier ist die Rechtfertigungsquelle für diese Abhängigkeiten zumindest im politischen Sinne das Volk der Staatsbürger, das eben zeichnet die moderne Demokratie aus, auch wenn es hiervon verschiedene Gestaltungsformen gibt.

Sascha Liebermann

So selten deutlich ausgesprochen, dabei so bedeutsam