„Hat Hartz IV eine Zukunft?“ – Ja, aber…

…so resümiert Gunnar Hinck das Ergebnis der Tagung „Hat Hartz IV eine Zukunft?“ (Programm und Dokumentation finden Sie hier), die von der Hans Böckler Stiftung in Berlin veranstaltet wurde. Bei aller differenzierten Kritik schienen sich die Referenten weitgehend einig, dass die sozialpolitische Ausrichtung der Gesetzgebung doch eine gute Sache sei, wenn auch verbesserungswürdig. Ein Bericht in junge welt findet hierfür etwas schärfere Worte. Zu der Einmütigkeit passte der Titel des Vortrags von Annelie Buntenbach (DGB) – „Es ist an der Zeit, das Hartz-Unwesen zu beenden“ –  nicht so recht. Das täuscht aber, denn der von ihr dargelegte Vorschlag des DGB („Soziale Sicherheit statt Hartz IV“), hält an den Grundzügen des bestehenden Systems fest, wie diese Passage auf S. 2 zeigt:

„Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die zusammengezählt mindestens eine Gesamt-Beschäftigungsdauer von zehn Jahren erreichen, sollen vor einem Wechsel ins Hartz-IV-System geschützt werden…“

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„…dass der Reichtum unseres Landes eher auf Leistungswillen basiert als auf schrankenloser Selbstverwirklichung…“

…so Dieter Sattler in der Frankfurter Neuen Presse. Ein Beitrag, der sich auf die Sache nicht einlässt und schlicht die Position des Autors zementieren will. Wer Leistungswillen und Selbstverwirklichung in einen Gegensatz bringt, übergeht die Frage, worin der Zusammenhang zwischen beiden bestehen könnte. Leistungsbereitschaft kann es nicht geben, ohne dass der Einzelne einen Sinn in der Sache erkennt, der er dienen soll.

Sascha Liebermann

„Empfänger von Hartz IV sind nicht faul“ – ein Bedingungsloses Grundeinkommen ist dennoch keine Lösung…

…so äußert sich Rainer Radloff, Geschäftsführer des Jobcenters in Bielefeld, in einem Interview mit der Neuen Westfälischen. Radloff bewegt sich ganz in der normativen Konstruktion des heutigen Sozialstaats. Leistungsgerechtigkeit sei sein Prinzip, wer also etwas erhalte, müsse auch etwas geben. Im Interview gibt es einen tiefen Einblick in die Herausforderungen, vor denen das Jobcenter aufgrund der heutigen Gesetzeslage steht. Hier wichtige Passagen daraus:

„Es geht also nicht darum, dass Bezieher von Hartz IV leistungsunwillig sind?
Radloff: Nein, mir ist es wichtig, den Blick darauf zu lenken, dass SGB-II-Leistungsbezieher nicht faul sind. Ein großer Teil der Menschen arbeitet. Wir bringen jährlich zusätzlich 6.000 Leistungsbezieher wieder in Arbeit. 25 Prozent unserer Kunden haben eine Berufsausbildung. Das ist zwar nicht die Mehrheit, aber eine Gruppe, auf die man aufbauen kann.“

Dann eine Passage über Sanktionen:

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„Hartz IV? Deutschland sollte lieber Grundeinkommen testen“…

…so Jürgen Schupp, Professor für Soziologie an der FU Berlin und Direktor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, in einem Interview mit Kristina Antonia Schäfer in der Wirtschaftswoche.

Zwei Stellen sind besonders interessant, hier die erste:

Erreichen die Sanktionen denn wenigstens ihr Ziel, Menschen in Arbeit zu bringen?
Ja, das belegen auch die empirischen Studien des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Aber das Gesetz sieht auch als Ziel vor, dass „die Erwerbsfähigkeit einer leistungsberechtigten Person erhalten, verbessert oder wieder hergestellt wird“. Das impliziert, dass wenn eine zugemutete Arbeit aus subjektiver Sicht die eigene Erwerbsfähigkeit mindern würde, eine Sanktion ihre rechtliche Grundlage verlöre. Sie würde dann zur Nötigung wegen des Entzugs des sozio-kulturellen Existenzminimums. Noch schützt Artikel 12 des Grundgesetzes Bürger vor Arbeitszwang und Zwangsarbeit.“

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„Trauen wir uns bald den notwendigen Sprung ins Ungewisse?“…

…fragt Alexander Spermann in seinem Beitrag „Hartz IV ist nicht das Ende der Geschichte“ in der Wirtschaftswoche.

Er plädiert für mehr Mut und überrascht. Gleich zu Beginn spricht er davon, dass sich „Fördern und Fordern“ bewährt habe, von der hohen Zahl an Erwerbstätigen, zu denen die Sozialpolitik beigetragen habe und zur Reduktion von Arbeitslosigkeit. Dabei sind ihm die Strukturdaten der Arbeitsmarktentwicklung sicher nicht unbekannt: hoher Anteil an Teilzeit am Beschäftigungswachstum, Niedriglöhne und Arbeit um beinahe jeden Preis. In welcher Hinsicht ist das ein Erfolg, wenn noch berücksichtigt wird, wie stark diese Entwicklung konjunkturell bedingt ist? Für die Zukunft tauge das aber nicht.

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„Schon morgen? Hartz-IV-Urteil könnte Weg zum bedingungslosen Grundeinkommen ebnen“ – das geht doch nicht…

…darüber schreibt Volker Tietz auf focus. Am Ende findet sich die brisante Schlussfolgerung in aller Deutlichkeit:

„Dem Urteil zu den Hartz-IV-Sanktionen kommt damit Signalwirkung zu. Werden diese verboten, entfällt der Gestaltungsspielraum bei Mitarbeitern im Jobcenter. Das macht die Verfahren gerechter. Aber ein derartiges Urteil wirft ein neues Problem auf: Sanktionen sind ein Druckmittel, um auf das Einhalten der Regeln zu drängen.

Und ohne Druck wird es noch mehr auf den guten Willen der Betroffenen ankommen, ihre missliche Lage beenden zu wollen. Das ist bedenklich, denn: Wer pünktlich und regelmäßig den Einladungen vom Jobcenter folgt und bereit ist, Arbeit zu finden, darf nicht gleichgestellt werden mit denjenigen, die das System ausnutzen. Ansonsten ist ein Urteil zum Verbot von Sanktionen der erste Schritt zum bedingungslosen Grundeinkommen.“

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Subsidiarität, Bedürftigkeit und Mündigkeit – wie steht die Demokratie dazu? Wie das Bundesverfassungsgericht?

Diese Frage wirft ein interessantes Gespräch mit Wolfgang Neskovic, ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof, übertitelt, in neues deutschland auf. Veröffentlicht wurde es wegen des bevorstehenden Urteils des Bundesverfassungsgerichts (Beiträge zur Stellung des Bundesverfassungsgerichts von uns hier) zu Sanktionen im Sozialgesetzbuch. Neskovic ist sehr deutlich und sieht die Sanktionen im Widerspruch zur Unverfügbarkeit des Existenzminimums, die das BVerfG selbst in Urteilen festgestellt hatte. Neskovic sagt, dass Juristen selten die Verbindung zwischen dem Rechtsstaats- und dem Sozialstaatsprinzip herstellen und deswegen bislang Sanktionen für verfassungskonform gehalten wurden. Er erwartet hier kein umstürzendes Urteil in dieser Hinsicht, aber hält sich mit einer Prognose zurück. An einer Stelle äußert er sich indirekt zum Bedingungslosen Grundeinkommen. Er sagt auf die Frage:

Gibt es weitere Urteile [über das von 2010 hinaus, SL] des Bundesverfassungsgerichts, aus denen Sie ableiten, dass das Existenzminimum nicht gekürzt werden darf?
Ja. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 2012 zum Asylbewerberleistungsgesetz verdeutlicht, dass das Recht auf Gewährleistung des Existenzminimums zwar nicht bedingungslos ist, aber nur eine Bedingung beziehungsweise Einschränkung kennt: die Bedürftigkeit. Danach ist das Recht auf Gewährleistung des Existenzminimums gerade kein Recht auf ein bedingungsloses Grundeinkommen. Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Entscheidung allerdings unmissverständlich klargestellt, dass es neben der Bedürftigkeit keine weiteren Voraussetzungen oder Bedingungen für die Inanspruchnahme dieses Rechts gibt. So heißt es in der Entscheidung, dass »migrationspolitische« Gründe keine Kürzungen rechtfertigen. Konsequenterweise müsste das auch für die Gründe gelten, mit denen Sanktionen gerechtfertigt werden: Demnach können auch »pädagogische Gründe«, wie das Prinzip des »Förderns und Forderns«, Kürzungen nicht legitimieren.“

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„Vorurteilsmaschine Hartz-IV“…

…ein nach wie vor aktueller Beitrag von Barbara Dribbusch in der taz aus dem Jahr 2010 (!).

Der Beitrag endet so:

„Nur weil fast jeder schon mal von einer Alleinerziehenden auf Hartz IV gehört hat, die einen neuen Lebenspartner verschweigt, kann man nicht ständig Sozialdetektive in Schlafzimmer schicken. Nur weil fast jeder schon mal einen kannte, der von einem arbeitslosen Bauhandwerker wusste, der viel nebenbei schwarz arbeitet, kann man die Leistung nicht generell kürzen. Auch bei den Wirtschaftssubventionen gibt es „Mitnahmeeffekte“, dennoch stellt man die Unternehmensförderung nicht ein.

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„Dem Sozialstaat wieder eine Zukunft geben“…

…ein Beitrag von Carsten Sieling in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Mit einer einleitenden Kritik an der Perspektivlosigkeit im heutigen Sozialstaat, schreibt Sieling:

„Es ist deshalb an der Zeit, dem Sozialstaat wieder eine Zukunft zu geben. Er muss neue Sicherheiten und Chancen bieten, muss Antworten geben auf die Herausforderungen der Zeit und dem zunehmenden Fachkräftemangel wie den Abstiegsängsten vieler Menschen gleichermaßen begegnen. Die Frage ist: Wie gelingt es, Hartz IV die Grundlage zu entziehen?“

Dazu macht er Vorschläge, wie z. B. eine Kindergrundsicherung, die mit steigendem Einkommen abschmilzt, auskömmliche Löhne und ein „Anrecht auf Arbeit für alle“. So berechtigt seine Kritik ist, verbleibt er doch im Geist von Hartz IV, wenn dieser als Geist der Arbeitsgesellschaft verstanden wird. Arbeit, also Erwerbsarbeit, wird zum Selbstzweck, statt sie am Wertschöpfungsbeitrag zu messen bzw. daran, ob sie zu einer Problemlösung beiträgt. Wird sie dazu nicht mehr ins Verhältnis gesetzt, wird sie zur Beschäftigungsmaßnahme, das untergräbt die Grundfesten von Leistungsbereitschaft. Entsprechend wird argumentiert:

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