„Die erneut in Aussicht gestellte „Grundrente“ jenseits ihrer Sinnhaftigkeit, aber diesseits von Fehlfinanzierung und Luftbuchungen“…

…ein Beitrag von Stefan Sell über eine in Deutschland fehlende Grundrente, die nicht einer Fürsorgeleistung entspricht, und die es in anderen Ländern längst gibt. Siehe auch unseren jüngeren Beitrag dazu hier. Dass ein Bedingungsloses Grundeinkommen genau diese Funktion auch übernehmen könnte, dazu fällt leider kein Wort, Sell hat sich bislang dazu stets skeptisch geäußert, siehe hier.

Sascha Liebermann

„Pech gehabt und hingehalten: Wenn man rententechnisch am falschen Ort zur falschen Zeit gelebt hat“…

Stefan Sell schreibt in diesem Beitrag über die Folgen der Wiedervereinigung und des Ausbleibens eines Versorgungsausgleichs für geschiedene Frauen in der DDR. Hier ein Auszug:

„Bereits in diesem Beitrag aus dem Jahr 2016 ging es um eine besondere Gruppe von Frauen, die rententechnisch das Pech gehabt haben, zur falschen Zeit am falschen Ort gelebt zu haben und die heute den Preis dafür zahlen müssen, dass man die Regelung ihrer Situation „vergessen“ hat. Und bis heute ist eine große Antriebsarmut zu beobachten im politischen Raum, die Probleme dieser Frauen wenigstens abzumildern. Gemeint sind die in der DDR geschiedenen Frauen. Weil sie zu DDR-Zeiten geschieden wurden, steht ihnen kein Versorgungsausgleich für gemeinsame Ehejahre zu. Das wurde im Einigungsvertrag schlicht „vergessen“. Das Problem: Die Frauen wurden zu DDR-Zeiten geschieden. Und anders als bei westdeutschen Frauen steht den ostdeutschen Frauen nach der Scheidung kein Versorgungsausgleich für gemeinsame Ehejahre zu.“

Wie an vielen Fragen wird auch hier deutlich, was ein Bedingungsloses Grundeinkommen leisten könnte, das eine Absicherung böte, die nicht von Erwerbstätigkeit oder -bereitschaft abhinge.

Sascha Liebermann

Relativierung des Alleinernährermodells? Nein, weitere Ausbreitung!

Stefan Sell hat einen differenzierten Beitrag zum jüngst von der SPD ins Spiel gebrachten „Recht auf Homeoffice“ verfasst. Er führt verschiedene Studien an, auch die kürzlich von der Hans Böckler Stiftung veröffentlichte, die den Befund vermeldete, dass Homeoffice zu Mehrarbeit führe und Haushaltstätigkeiten weiter ungleich verteilt blieben zwischen Eltern. Väter und Mütter nutzen das Homeoffice unterschiedlich, letztere nehmen sich mehr Zeit für die Kinder als die Väter. Weshalb das so ist und wie die Eltern ihr Handeln begründen, erfährt man nicht. Darüber hinaus hebt Sell heraus, dass Homeoffice für viele Berufsgruppen überhaupt nicht möglich sei, von daher der Vorstoß der SPD nur eine begrenzte Reichweite habe (siehe auch hier).

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„Alternativen zu Hartz IV“ – eine Diskussion im Deutschlandfunk…

…mit folgenden Gästen:

Inge Hannemann, Hartz IV-Kritikerin
Prof. Dr. Stefan Sell Direktor des Instituts für Sozialpolitik und Arbeitsmarktforschung der Hochschule Koblenz
Ursula Weidenfeld, Wirtschaftsjournalistin

Hier geht es zum Podcast.

Inge Hannemann hat sich schon wiederholt pro Bedingungsloses Grundeinkommen geäußert, siehe hier; Stefan Sell kritisiert die bestehenden Sozialsysteme, ist dem BGE gegenüber aber sehr skeptisch, ohne einmal die Möglichkeiten bislang ausgelotet zu haben, siehe hier. Ursula Weidenfeld äußerte sich jüngst kritisch zum solidarischen Grundeinkommen, die von ihr eröffnete Alternative ist jedoch auch illusionär, siehe hier.

Geld vom Staat kommt bei Kindern an…

…dieser Befund aus einer Studie der Bertelsmann Stiftung scheint manche überrascht zu haben. Für Stefan Sell, der sich im Deutschlandfunk dazu äußerte, widerlegt sie anhaltende Vorurteile. Überraschen konnte diesen Befund nur, wer bislang vom Gegenteil überzeugt war, denn Untersuchungen mit nicht-standardisierten, sogenannten fallrekonstruktiven Verfahren fördern leicht zutage, dass dort, wo Eltern sich nicht zuerst um das Wohl ihrer Kinder sorgen, lebensgeschichtliche Sonderfälle vorliegen, Traumatisierungen, die Eltern also kaum in der Lage sind. Davor, diese Zusammenhänge nicht zu sehen, sind auch erfahrene Praktiker nicht gefeit, worauf die Studie zu Beginn gleich hinweist, siehe auch hier.

Methodisch basiert die Studie auf einem quasi-experimentellen Design und nutzt Daten aus dem Sozio-ökonomischen Panel, einer der großen Datensammlungen, die sehr oft für solche Untersuchungen herangezogen wird. Es handelt sich allerdings um standardisierte Daten, wie sie in der Regel durch Befragungen erhoben werden, die z. B. mit Antwortskalen oder vordefinierten Antworten arbeiten. Der Befragte kommt damit direkt gar nicht zur Geltung, nicht in seiner Sprache, nicht in der Konkretheit seiner Haltung zur Welt. Man kann auf diesem Wege also wenig bis gar nichts Konkretes über widersprüchliche Deutungen eines Befragten erfahren und schon gar nicht über die spezifische Dynamik in diesen Deutungen. Von daher gesehen sind standardisierte Verfahren gerade bezüglich des hier untersuchten Gegenstandes wenig aufschlussreich. Sie können Anhaltspunkte liefern, mehr nicht.

Seit Jahrzehnten gibt es eine differenzierte Methodendiskussion in den Sozialwissenschaften, hier besonders der Soziologie, über Grenzen standardisierter und Möglichkeiten nicht-standardisierter Verfahren (z.B. Fallrekonstruktion). Beide Verfahren haben ihre Stärken in unterschiedlichen Hinsichten, es ist aber keineswegs so, dass nicht-standardisierte Daten nur Einsichten über „Einzelfälle“ liefern, wie oft zu lesen ist. Mit ihrer Hilfe kommt man so nah an die Lebenswelt heran, wie es anders nicht möglich ist. Erstaunlich genug, dass sie in der Sozialpolitikforschung nicht in der Breite eingesetzt werden.

Sascha Liebermann

„Vorsicht: Hartz-IV-Falle!“…

…damit befasst sich der Beitrag von Eva Roth in neues deutschland angesichts der seit etwas mehr als einem Jahr immer wieder einmal verkündeten Abkehr von Hartz IV, die bislang meist keine war. Was ist davon zu halten? Die Frage lässt sich beantworten mit dem Blick darauf, ob denn im bestehenden System, mit seiner normativen Fundierung, auf Sanktionen überhaupt verzichtet werden könne. Die Gründe für die Sanktionspraxis liegen jedoch im System selbst begründet, darauf macht Roth aufmerksam und verweist auf den Sozialwissenschaftler Stefan Sell, der eine vollständige Aufhebung der Sanktionen für nicht möglich hält, solange Bedürftigkeit geprüft werden muss. Diesen Zusammenhang haben auch andere, z. B. Helga Spindler, schon gesehen und einen vollständigen Verzicht auf Sanktionen ausgeschlossen. Wer eine Neuausrichtung will, müsste die Beitragsfinanzierung der Sozialversicherung mindestens relativieren und mehr auf Steuerfinanzierung setzen. Eine wirkliche Befreiung vom normativen Fundament wäre aber nur mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen möglich – das schreibt Eva Roth allerdings nicht, auch Stefan Sell will davon nichts wissen.

Sascha Liebermann

Widersprüchlichkeiten im Hartz IV-System und das Bedingungslose Grundeinkommen

Es mehren sich die kritischen Kommentare zu Lars Klingsbeils Vorschlag eines Grundeinkommensjahres. Der SPD-Generalsekretär will damit zur Erneuerung der SPD beitragen, kapert das positiv konnotierte Wort Grundeinkommen und bietet etwas an, das vor allem Besserverdienern helfen würde. Auch Stefan Sell hat sich damit nun befasst und teilt die Kritik daran, aber auch an dieser Art, Vorschläge in die politische Diskussion zu werfen, die sich – wie das „solidarische Grundeinkommen“ oder der Mindestlohn von 12 Euro – doch eher als Luftnummern erweisen. Am Ende seines Beitrags kommt Sell ganz kurz, nur nebenbei, auf das Bedingungslose Grundeinkommen zu sprechen. Er schreibt:

„Man könnte jetzt den Finger auf die zahlreichen praktischen Hartz IV-Wunden legen, also die Frage der in vielen Fällen nicht ausreichenden Unterkunftskosten, die Höhe der Regelleistungen, das Sanktionsregime – um nur einige Punkte zu nennen. Allein der Hinweis auf diese Fragen sollte genügen, um aufzuzeigen, warum es innerhalb des bestehenden Systems derart viele Reibungspunkte und Widersprüchlichkeiten gibt (was spiegelbildlich ja auch den Reiz eines „bedingungslosen Grundeinkommens“ für viele ausmacht, denn dort wird das (scheinbar) vermieden, weil es eben keine Bedingungen gibt, aus deren Operationalisierung dann die beschriebenen Widersprüche resultieren), so dass die Politik institutionenegoistisch gut beraten ist, bei den praktischen Fragen des Hartz IV-Systems toten Mann bzw. Frau zu spielen und lieber mit wolkiger Begriffshuberei jonglieren geht, die aber nach kurzer Erregungswelle wieder in der Sackgasse enden wird.“

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Platzende Testballons und politische Irreführung…

…darüber schreibt Stefan Sell in einem Blogbeitrag auf Makronom über die jüngsten Äußerungen des Bundesfinanzministers Olaf Scholz zum Mindestlohn von 12 Euro. Hier ein Auszug:

„Denn die damals bei der Implementierung dieser Lohnuntergrenze zuständige Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hat bei der Frage der Anpassung mit der Mindestlohnkommission und dem zugrundeliegenden Regelwerk ganz bewusst einen Mechanismus geschaffen, der verhindern soll, dass der politisch gesetzte Mindestlohn stärker angehoben werden kann. Und Nahles hat wahrhaft deutsche Qualitätsarbeit abgeliefert: Denn auch wenn einige Leute es wollten – es wird mit diesem Regelwerk keinen ordentlichen Schluck aus der Mindestlohnpulle geben können: Die bisherigen Anhebungen des Mindestlohns sind nicht Pi-mal-Daumen festgelegt worden, sondern folgen einer ganz eigenen, zugleich in sich abgeschlossenen Dynamisierungslogik, die jede „politische Übergriffigkeit“ im Sinne einer deutlichen Anhebung verhindert.“

Wer in Absehung von bestehenden Regelungen Forderungen in die Welt setzt, die ohnehin solange nicht wirklich werden können, solange die Regelungen nicht angetastet werden, was richtet der an? Zumindest muss man sich fragen, inwiefern es sich um verantwortungs- weil praktisch folgenloses Agieren handelt, das an anderer Stelle doch Folgen zeitigt. Es beschädigt die Glaubwürdigkeit solcher Vorschläge und derer, die sie vorbringen, damit die Glaubwürdigkeit politischen Handelns. Wer also über den Zustand unserer Demokratie sich Gedanken macht, sollte darüber nicht schweigen.

Sascha Liebermann