„Um frei zu sein, müssen Menschen ihre Zukunft planen können“

Vor kurzem haben wir auf ein Streitgespräch zwischen Wolfgang Strengmann Kuhn und Bernd Riexinger in der Frankfurter Rundschau hingewiesen, in dem es um das Verhältnis von Freiheit und sozialer Sicherheit ging. Zu Beginn des Gesprächs, als es um dieses Verhältnis geht, herrscht Einigkeit. Das ist nicht überraschend, denn wer würde dem schon ernsthaft widersprechen, dass das eine nicht ohne das andere zu haben ist. Im weiteren Verlauf hingegen zeigen sich deutliche Unterschiede.

Hier seien nun wenige Passagen kommentiert:

„Riexinger: Um frei zu sein, müssen Menschen ihre Zukunft planen können – dafür braucht es neben einer Demokratie vor allem eine materielle Grundversorgung. Das wäre in der heutigen, wohlhabenden Gesellschaft ohne größere Probleme für alle möglich. Doch es fehlt an einer gerechten Verteilung. Dafür bedarf es Rahmenbedingungen, die den Schwächeren gleiche Chancen ermöglichen.
Strengmann-Kuhn: Der Wohlstand ist heute tatsächlich so groß, da müsste es möglich sein, für alle Menschen eine materielle Freiheitsgrundlage herzustellen.“

Hier ergeben sich schon interessante Unterschiede zwischen beiden, die in einer Nuance liegen. Riexinger spricht davon, dass Menschen diese Sicherheit brauchen, um „ihre Zukunft planen zu können“. Nun, kann man sie denn planen? Man kann etwas vorhaben, sich etwas vornehmen, es beharrlich verfolgen usw., Vorhaben kann man planen, z. B. einen Urlaub – nicht aber die Zukunft. Strengmann-Kuhn ist da viel vorsichtiger und spricht von einer Grundlage, der die Freiheit bedürfe, die Freiheit, Entscheidungen treffen zu können. Darüber hinaus wäre die Frage zu stellen, ob nicht der Einzelne schon frei sein muss, um übehaupt planen zu können, denn wer sollte denn sonst planen?

„Wäre das bedingungslose Grundeinkommen, also die Idee, allen ein garantiertes Einkommen zu gewähren, nicht eine gute Möglichkeit, eine solche Grundlage zu schaffen?
Riexinger: Die dahinterstehenden Gedanken sind richtig: Wir wollen nicht, dass Menschen ihre Arbeitskraft um jeden Preis verkaufen müssen…“

Nicht um jeden Preis, aber auf jeden Fall sollen sie ihre Arbeitskraft verkaufen müssen. Weshalb? Sie könnten doch genauso selbst darüber befinden, ob sie sie verkaufen wollen oder nicht – das geht aber erst mit einem ausreichend hohen BGE.

Weiter sagt Riexinger:

„…Wir wollen auch nicht, dass die Arbeitenden keine Verfügung über die Arbeit haben. Und wir wollen auf keinen Fall die unwürdigen Sanktionen von Hartz IV, die die Menschen unter das Existenzminimum drücken…“

„Unwürdige Sanktionen“? Solange Mindesteinkommen bedarfs- oder beitragsabhängig sind, wird es immer Sanktionsmechanismen geben müssen, denn sie dienen dazu, den Leistungsbezieher mit den Bezugsbedingungen in Übereinstimmung zu bringen. Erst wenn man sich damit begnügte, lediglich den Einkommensbedarf festzustellen, z. B. durch eine Steuererklärung (siehe auch hier, hier und hier), könnte von Sanktionen abgesehen werden. Sanktionen stehen für das Leistungs-Gegenleistungs-Prinzip des heutigen Sozialstaats.

Dass Riexinger diesen Zusammenhang nicht sieht, wird nachfolgend sehr deutlich. Strengmann-Kuhn hingegen differenziert auch hier stärker:

Experten gehen davon aus, dass 40 Prozent der Bedürftigen in verdeckter Armut leben und keine oder zu wenige Leistungen in Anspruch nehmen. Herr Riexinger, ließe sich durch das bedingungslose Grundeinkommen die Stigmatisierung der Bedürftigen nicht verhindern? Riexinger: Man kann auch eine Mindestsicherung einführen ohne den bürokratischen Aufwand – und ohne Sanktionen, denn die drangsalieren die Menschen und führen indirekt einen Arbeitszwang ein.
Strengmann-Kuhn: Wir kommen bei einer Grundsicherung nicht aus der Logik von Leistung und Gegenleistung heraus. Das schränkt die Freiheit ein und eine Bedürftigkeitsprüfung führt fast automatisch zu Stigmatisierung.“

Bedarfsprüfung in der Logik eines Gefüges, das den Vorrang von Erwerbsarbeit vor anderen Tätigkeiten beibehält, bleibt stigmatisierend. Denn die Bedarfsprüfung entspringt aus dem Gedanken, dass es eines ausgleichenden Einkommens bedarf, weil derjenige es nicht selbst erzielen kann, das soll er aber können. Mit einem BGE würde die Bedarfsprüfung auf ein anderes Fundament gestellt, denn dann diente sie dazu, herauszufinden, was jemand benötigt, um selbstbestimmt, eben freiheitlich, Entscheidungen treffen zu können (siehe hier, hier und hier). Bedarfsprüfung für den Fall, dass Leistungen oberhalb eines BGE benötigt würden, dienten der Selbstbestimmung, sie wären nicht kompensatorisch.

Auch in der nachstehenden Passage wieder ein deutlicher Kontrast:

„Aber ganz ohne Zwang, sozusagen in totaler Freiheit, würden viele Menschen da nicht aufhören zu arbeiten?
Strengmann-Kuhn: Die meisten Menschen wollen arbeiten, Arbeit gehört in unserer Gesellschaft zur Selbstverwirklichung und zur sozialen Teilhabe.
Riexinger: Arbeit konstituiert ja unser menschliches Leben…“

Letztere Bemerkung allerdings entspricht eher der Vorstellung von Friedrich Engels als unseren Lebenszusammenhängen. Menschliches Leben konstituiert sich zuerst einmal durch Gemeinschaft und Solidarität, das sind die entscheidenden sozialisatorischen Erfahrungen, auf deren Basis sich ein Mensch seine Handlungsfähigkeit erwirbt. Dafür gibt es zwei Lebenszusammenhänge, die entscheidend sind: Familie und Gemeinwesen. Dann erst ist er in der Lage, sich mit der Welt auseinanderzusetzen, um Güter und Dienste zu erstellen. In dieser Welt aber ist der Einzelne, anders als in Familie und Gemeinwesen, austauschbar. Er zählt nicht um seiner selbst willen. Wäre es anders stünde nicht im Zentrum, wie gut jemand zu einer zu erledigenden Aufgabe passt und falls er dazu nicht passt, die Aufgabe an andere übertragen werden muss. Arbeitnehmer als Aufgabenbewältiger müssen austauschbar sein. Dass Riexinger, wie viele heutzutage, das nicht unterscheidet, liegt unter anderem in der normativen Überhöhung von Erwerbsarbeit.

Weiter heißt es:

„… wenn Menschen also auch ohne Druck arbeiten, dann könnte man doch bedenkenlos ein Grundeinkommen einführen?
Riexinger: Ich gehe wie meine Parteikollegin Katja Kipping, die das Grundeinkommen befürwortet, davon aus, dass die allermeisten Menschen an gesellschaftlicher Arbeit teilnehmen wollen – wenn diese vernünftig ausgestaltet ist. Aber das ist mit einem Grundeinkommen nicht garantiert. Nur in einem System, in dem demokratisch festgelegt wird, was wie produziert wird und wie das Verhältnis zwischen Arbeit und Leben ausgestaltet ist, nur in solchen Verhältnissen können und wollen alle an gesellschaftlicher Arbeitsorganisation teilnehmen. Und nur so würden alle möglichst wenig Lohnarbeit machen müssen und wären freier.“

Hier unterscheiden sich Riexinger und Strengmann-Kuhn grundsätzlich. Was heißt „vernünftig ausgestaltet“? Und weshalb muss das erst hergestellt sein, damit Menschen „teilnehmen“ wollen? Wollen sie es gegenwärtig etwa nicht? Sind es nicht gerade Menschen als Bürger, die für die Gestaltung von Erwerbsarbeitszusammenhängen sich einsetzen müssen? Muss dafür nicht schon auf ihre Vernünftigkeit gesetzt werden? Wer entscheidet nun über die vernünftige Ausgestaltung? Die Bürger? Oder doch ein anderes Gremium? Welches? Wie kann es möglich sein, dass auf der einen Seite etwas vernünftig ausgestaltet wird, auf der anderen denen, die es in seiner Ausgestaltung tragen müssen, diese Vernunft abgesprochen wird? Letzteres macht Riexinger, wenn er behauptet, die Menschen seien heute nicht bereit „an gesellschaftlicher Arbeitsorganisation“ teilzunehmen, folglich kann ihnen auch kein BGE bereitgestellt werden, denn das würde – so muss geschlossen werden – die Arbeitsabstinenz befördern.

Zu folgender Äußerung hat Riexinger offenbar nichts zu sagen:

„Strengmann-Kuhn: Es ist ein häufiges Missverständnis, dass ein Grundeinkommen dazu dient, nicht zu arbeiten. Es geht nicht darum Faulheit, sondern Arbeit zu ermöglichen, aber selbst entscheiden zu können, was und wie man arbeitet. Und es geht um die Freiheit, auch mal weniger zu arbeiten oder sich auf Erziehungs- oder Ehrenamtsarbeit zu konzentrieren.  
Trägt das Grundeinkommen so zu einer Stärkung der Verhandlungsposition von Arbeitnehmern bei?
Strengmann-Kuhn: Ja, die Gewerkschaften werden durch das Grundeinkommen gestärkt, weil die Menschen nicht mehr so leicht erpressbar sind und auch sagen können, für so wenig Lohn arbeite ich nicht …
Riexinger: … die meisten Gewerkschaften sehen das aber anders. Sie sagen: Wenn jemand schon 1000 Euro bekommt und nur noch 500 oder 800 Euro dazuverdienen muss, um das Gleiche zu haben wie jetzt, dann sinkt die Motivation, für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Das nutzt dann den Unternehmen.“

Wer den Bürgern nicht vertraut, dass sie zu vernünftigen Entscheidungen in der Lage sind, vernünftig nach ihrem Dafürhalten, der kann nicht zugleich glaubwürdig vertreten, dass über die Lebensverhältnisse demokratisch zu bestimmen sei – denn das müssten wiederum die Bürger tun, die aber dazu nicht in der Lage sind. Oder denkt Riexinger an Experten? Dann würde das die Demokratie aushebeln, aus ihre würde eine Expertokratie.

Nun antwortet Strengmann-Kuhn auf Riexingers Vorbehalte:

„Das Grundeinkommen als Kombilohn?
Strengmann-Kuhn: Um das zu verhindern, braucht es einen Mindestlohn …
Riexinger: … das reicht nicht. Man braucht eine sinnvolle Tarifpolitik, die höhere Löhne oder Arbeitszeitverkürzungen durchsetzt. Außerdem gibt es unterschiedlich produktive Sektoren, deswegen muss man neben der tariflichen auch eine gesellschaftliche Arbeitszeitpolitik machen.“

„Durchsetzen“ kann keine Tarifpartei etwas, denn Tarifpolitik besteht aus Verhandlungen und Kompromissbildung. „Gesellschaftliche Arbeitszeitpolitik“ verlangt wieder vernünftige Bürger, die „teilnehmen, die sah Riexinger oben heute nicht gegeben, was zu der Frage führt, wo denn die Vernünftigen sind? Und wozu einen Mindestlohn, der wiederum den Bürgern ebenfalls signalisiert, sie wären zum vernünftigen Verhandeln nicht bereit. Sie könnten doch, bei ausreichendem BGE, selbst über ihr Mindesteinkommen verhandeln, und zwar von sicherer Warte aus. Dass sich im Zuge dessen so etwas wie Einkommensstandards informell herausbilden, an denen sich beide Verhandlungsseiten orientieren, ist zumindest sehr wahrscheinlich.

In der folgenden Passage werden erstaunlich kurzsichtige Einwände von Riexinger vorgebracht, auf die Strengmann-Kuhn treffend antwortet:

„Riexinger: Wenn Erwachsene 1050 Euro und Kinder die Hälfte bekommen, das sind fortschrittlichere Konzepte, dann müsste man etwa 800 Milliarden Euro umverteilen – das ist mehr als die Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen zusammen. Wenn man zudem noch ein gutes Sozialsystem, eine angemessene Infrastruktur und kommunale Daseinsvorsorge haben will, dann wären wir bei einer Staatsquote von 70 bis 80 Prozent! Für eine bedarfsorientierte Mindestsicherung in gleicher Höhe müsste weit weniger Geld aufgebracht und umverteilt werden. Dafür könnten wir deutlich mehr Geld in gebührenfreie Erziehung, Bildung, Pflege und ÖPNV investieren sowie die öffentliche Infrastruktur ausbauen.
Strengmann-Kuhn: Das ist so nicht richtig. Das Grundeinkommen ersetzt Steuerfreibeträge und einen Teil der staatlichen Leistungen wie die Sozialhilfe oder das Kindergeld. Was man volkswirtschaftlich finanzieren muss, ist immer der Unterschied zwischen dem Bruttoeinkommen und dem, was die Menschen letztlich zur Verfügung haben. Da unterscheidet sich das Grundeinkommen nicht von einer Mindestsicherung. Man kann das auch sofort verrechnen. Für Besserverdiener wäre das Grundeinkommen dann nur noch eine Art Steuerfreibetrag und für Geringverdiener würde eine Unterstützung vom Finanzamt ausgezahlt. Das heißt dann negative Einkommenssteuer.“

Nur letztere Schlussfolgerung würde ich nicht teilen, siehe dazu hier und hier. Denn das BGE mit Einkommen direkt zu verrechnen, hieße, es um seine besondere Stellung zu bringen, an die Person um ihrer selbst willen zu gehen, unabhängig davon, welche Einkommen sie bezieht.

Und hier wieder die Bevormundung durch Riexinger:

„Riexinger: Gerade die negative Einkommenssteuer wird hauptsächlich von Neoliberalen vertreten. Ich sehe da eine große Gefahr: Jede gesellschaftliche Entwicklung muss hart erkämpft werden, es hat alleine 15 Jahre gedauert, bis der Mindestlohn eingeführt wurde. Der Kampf um ein echtes Grundeinkommen dürfte da fast aussichtslos sein – und am Ende womöglich dazu führen, dass dieses zu einem neoliberalen Projekt wird, das dazu benutzt wird, den Sozialstaat weiter zu schleifen.“

Nun, was die Bürger wollen, entscheiden sie selbst, und wenn sie dann eine Sparversion des BGEs anstreben würden, dann wäre das eben so. Ist es gegenwärtig etwa anders? Und der gegenwärtige Mindestlohn – was ist daran als Erfolg zu verbuchen, wenn man sich klar macht, dass er zu einem Bruttoeinkommen bei Vollzeit von 1473 Euro im Monat führt?

Sascha Liebermann

Irrungen, Wirrungen – wo Klarheit not täte

Man sollte meinen, dass die Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens, die damit verbunden ist, dass Arbeit als Quelle von Einkommen einerseits, als Quelle von Wertschöpfung und Lebenssinn andererseits endlich – gedanklich zumindest – unterschieden werden, auch die fixe Idee, Menschen arbeiteten nur, weil sie dazu angereizt würden, in den Orkus der Verirrungen in der Vorstellung von Menschen befördert hätte. Aber dies selbst ist ein Irrtum: Der Mensch als Reiz-Reaktions-Mechanismus schwirrt auch durch die Vorstellungen von BGE-Befürwortern.

So sagte unlängst Georg Vobruba in einem Interview in der SZ: „Wenn das [Grund-] Einkommen eine Höhe haben soll, die finanzierbar ist, würde es vermutlich den wenigsten reichen. Deshalb würden die meisten trotzdem arbeiten.“ (Hampel, Lea; Vobruba, Georg (2014): „Es gibt die Bereitschaft zu mehr Umverteilung“. Der Leipziger Volkswirtschaftler und Soziologe Georg Vobruba über die Kultur des fröhlichen Forderns. In: SZ: 20./21.9.2014; Hervorhebung TL) Menschen arbeiten also – so die Grundannhame hinter dieser Äußerung – nicht etwa, weil sie eine Aufgabe bewältigen wollen, weil sie einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten wollen, weil sie sich selbst bewähren wollen – sondern, weil sie müssen, wenn sie weiter konsumieren wollen. Anders Lea Hampel in ihrem öffnenden Kommentar: „Menschen arbeiten für Anerkennung, soziale Kontakte und weil es Ihnen Freude bereitet. Das Geld spielt eine Rolle, aber nicht die einzige.“ (Hampel, Lea (2014): Grundeinkommen. Der Wert der Arbeit. In: SZ: 20./21.9.2014) Für Vobruba sind umgekehrt solche Gründe lediglich ein add on: „Hinzu kommt: Viele Leute arbeiten gern.“ – Immerhin.

Dann aber heißt es wieder – mit Bezug auf die sozialen Sicherungssystem in Großbritannien, den Niederlanden, Deutschland und Österreich –: „Vor allem die an Grundsicherung ausgerichteten Beispiele haben doch eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Grundeinkommen. Bedingungslos sind sie natürlich nicht, aber die Entkopplung von Arbeit und Einkommen ist wahrlich nichts Neues.“ Hoppla, da wird die Tatsache, dass ein Arbeitsloser etwa rein formal betrachtet sein Arbeitslosengeld II nicht aufgrund einer Lohnarbeit erhält, bereits als Entkopplung von Arbeit und Einkommen bezeichnet. Dass es aber normativ auf’s Engste miteinander gekoppelt bleibt, da es je stets ein Ersatzeinkommen für das eigentliche, das primäre Einkommen aus Erwerbstätigkeit ist, woraus sich auch die ganzen Sanktionen speisen, denen derjenige, der auf die Idee käme, das Transfereinkommen als primäres Einkommen zu betrachten, ausgesetzt ist, das sieht Vobruba nicht. Diese gedankliche Unklarheit erweist der Verbreitung der Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens allenfalls einen Bärendienst – habt Euch doch nicht so, könnte man sagen, Alo II ist doch quasi ein Grundeinkommen…

Aber im weiteren Verlauf sieht man dann auch, dass Vobruba gar nicht für das Bedingungslose Grundeinkommen eintritt, sondern für die Negative Einkommenssteuer und dabei eben zugleich an der Erwerbseinkommensfixierung festhält – nur benennt er es nicht klar, sondern tut im Gegenteil so, als sei die Negative Einkommenssteuer eine Form der Bedingungslosen Grundeinkommens. Da kann man nur konstatieren: Irrungen, Wirrungen. Und das geht weiter so: „die Effekte [des Grundeinkommens] sind ähnlich wie die des Mindestlohns. Ein Stück Autonomie wäre drin.“ – Wie bitte? Durch Mindestlohn, der verordnet wird und die Erwerbsfixierung noch weiter festigt, sollen wir Autonomie erlangen? Das ist eine Reduktion von Autonomie auf Cash in de Täsch, von dem man sich ein Stück Autonomie kaufen kann wie ein Stück Kuchen…

Dann aber will Vobruba immerhin „Kontrollexzesse bei Harz IV ab[…]schaffen“ – aber halt: nur die Exzesse? Damit hält er also an der Kontrollhaltung als normativ gerechtfertigt fest, was sich auch daran zeigt, dass er die „Verküpfung von Arbeitseinkünften und Sozialleistunge intelligenter […] gestalten“ will – eben nicht auflösen. Wer uns hier von der SZ als Vertreter des BGE verkauft wird und sich selbst wohl auch als solcher begreift, ist letzlich ein Vertreter des Status Quo der Ewerbsfixierung, den er mit einigen Veränderungen humanisieren – nicht aber hin zu einer Anerkennung des ganzen Menschen durch ein Bedingungsloses Grundeinkommen überwinden möchte.

Thomas Loer

Milton Friedman, F. A. von Hayek, Negative Einkommensteuer und Bedingungsloses Grundeinkommen

Zum Interview mit Theo Wehner und Sascha Liebermann auf ZEIT ONLINE sind mittlerweile 1428 Kommentare abgeben worden. Alle Fragen werden verhandelt, denen man in der Grundeinkommensdiskussion im allgemeinen begegnet. Darunter sind auch einige, die Milton Friedman und F. A. von Hayek als Vordenker eines Bedingungslosen Grundeinkommens betrachten und es mit einer Negativen Einkommensteuer gleichsetzen. Ich möchte diese drei Aspekte hier kommentieren, da ich zum einen die Vereinnahmung von Friedman und von Hayek für nicht gedeckt halte, zum anderen ein BGE und eine Negative Einkommensteuer nicht dasselbe sind.

Zu von Hayek sei folgende Passage herangezogen (Hervorhebungen von mir):

„Alle modernen Regierungen haben Fürsorge für die Bedürftigen, vom Missgeschick Betroffenen und die Arbeitsunfähigen geschaffen und haben sich mit Fragen des Gesundheitswesens und der Verbreitung von Wissen befasst. Es besteht kein Grund, aus dem der Umfang dieser reinen Dienstleistungen mit dem allgemeinen Wachstum nicht erweitert werden sollte […] Es kann kaum geleugnet werden, dass mit zunehmendem Reichtum jenes Existenzminimum, das die Gemeinschaft für die, die sich nicht selbst erhalten können, immer geboten hat, und dass das außerhalb des Marktes geboten werden kann, allmählich steigen wird, oder dass die Regierung nützlicher Weise, und ohne Schaden anzurichten, in solchen Bemühungen hilfreich oder sogar führend sein kann.“ (Friedrich August Hayek, Die Verfassung der Freiheit, Mohr-Siebeck, Tübingen 1971, 328/329, zitiert nach Wikipedia)

Wie die Hervorhebungen deutlich machen sollen, setzt von Hayek klare Bedingungen dafür an, wann die „Fürsorge“ greifen soll: im Fall von Bedürftigkeit, Arbeitsunfähigkeit usw. Er sieht aber keine allgemeine Einkommenssicherungsleistung vor, die unabhängig davon sein soll, ob sich jemand selbst erhalten kann, wie er es nennt. Wobei schon diese Wendung eine Illusion aufbaut, denn selbst erhalten im strengen Sinne kann sich niemand, jeder ist immer auf ein Gemeinwesen und die Zuwendung anderer, ganz gleich in welcher Form, angewiesen. Von Hayek wäre demzufolge kein Vertreter eines Bedingungslosen Grundeinkommens, wie wir es z.B. vertreten, sondern ein Befüworter eines Fürsorgeeinkommens für Bedürftige.

Zu Friedmans Ausführungen sie die nachstehende Passage bemüht (Hervorhebung von mir):

„Die Maßnahme, die sich aus rein technischen Gründen anbietet, ist eine negative Einkommensteuer. (…) Wenn eine Person ein steuerpflichtiges Einkommen von 100 Dollar bezieht, das heißt ein Einkommen von 100 Dollar über dem Steuerfreibetrag und den absetzbaren Sonderausgaben, zahlt sie dafür Steuern. Nach meinem Vorschlag würde sie, wenn das Einkommen »minus« 100 Dollar betrüge, das heißt 100 Dollar weniger als der Steuerfreibetrag plus der absetzbaren Sonderausgaben, negative Steuern bezahlen, also eine Zuwendung erhalten, Wenn der Zuwendungssatz beispielsweise 50 Prozent wäre, würde sie in unserem Beispiel 50 Dollar erhalten. Wenn sie überhaupt kein Einkommen bezöge und aus Gründen der Einfachheit auch keine Sonderausgaben geltend machen könnte, würde sie bei konstantem Zuwendungssatz 300 Dollar erhalten. Sie könnte noch mehr erhalten, wenn sie zum Beispiel für Arztkosten etwas absetzen könnte, sodass ihr Einkommen ohne Absetzbarkeit schon vor Abzug des Freibetrages negativ wäre.“ (Milton Friedman zitiert nach DIE ZEIT)

Friedman will das Instrument einer Negativen Einkommensteuer (NES) nutzen, um denjenigen eine Steuerzuwendung zu gewähren, die ein definiertes Mindesteinkommen nicht erzielen. Bleiben Sie mit ihrem Einkommen unter dem definierten Mindesteinkommen, erhalten sie vom Gemeinwesen, das Steuern erhebt eine Steuerausschüttung. Damit diese Ausschüttung erfolgen kann, muss aber erst festgestellt werden, ob sie ein Einkommen erzielen. Das kann durch die einfache Erfassung des Einkommens beim Finanzamt geschehen. Es bedarf also eine Einkommensfeststellung, um herauszufinden, ob eine Steuerausschüttung fällig ist. So bleibt die Steuerausschüttung also eine Ausgleichsleistung dafür, nicht ausreichend Einkommen zu erzielen, wodurch das Erwerbsprinzip, Einkommen selbst erzielen zu sollen, bestärkt wird. Entsprechen erhalten diejenigen, die oberhalb des definierten Mindesteinkommens bleiben auch keine Ausschüttung.

Das BGE hingegen sieht ja gerade vor, jederzeit unabhängig von der Einkommenssituation verfügbar zu sein. Es ist also weder davon abhängig, wieviel Einkommen man sonst erzielt, noch soll es verrechnet werden. Es ist auch keine Ausgleichsleistung, sondern eine eigenständige Einkommensquelle, die sich aus dem Status des Bürger herleitet. Während die NES also nachrangig bleibt und die normative Bedeutung des Erwerbsprinzips nicht antastet, ist das BGE vorrangig, wenn man so will. Das BGE ist das erste Einkommen, das Erwerbseinkommen kann nachkommen, ist aber unabhängig davon.

Sascha Liebermann

Systematische Missverständnisse und vorschnelle Urteile – zu einem Interview mit Klaus Wellershoff

Klaus Wellershoff, ehemaliger Chefökonom der UBS, hat sich schon mehrfach für ein bedingungsloses Grundeinkommen ausgesprochen (siehe Neue Zürcher Zeitung), so auch in dem jüngsten Interview mit dem Tagesanzeiger. Manche Bemerkung wirft allerdings auch Fragen auf (siehe auch den Kommentar von Enno Schmidt).

Es geht um folgende Passage:

…TA: Trotzdem sind Sie für ein existenzsicherndes Grundeinkommen für alleKW: Was ist daran überraschend?
Liberale interessieren sich in der Regel wenig für soziale Sicherheit.

Das ist ein Vorurteil: Schon Milton Friedman war für ein garantiertes Grundeinkommen, er nannte es einfach anders: negative Einkommenssteuer. Diese hätte den Vorteil, dass wir all die anderen komplizierten Sozialversicherungen aufheben könnten, die niemand mehr versteht und daher gerade jene benachteiligen, denen unsere Solidarität gelten sollte…

Die Negative Einkommensteuer folgt einem anderen Prinzip als das bedingungslose Grundeinkommen. Während es die NES bei Erwerbstätigkeit als normativem Ideal belässt und eine Steuergutschrift nur dann gewährt, wenn nicht ausreichend Einkommen über Erwerbstätigkeit erzielt werden kann, dreht ein bGE die Systematik um. Es wird unabhängig davon gewährt, ob Erwerbstätigkeit überhaupt angestrebt wird, es handelt sich um ein nur an den Status des Bürgers oder des dauerhaften Aufenthaltes gebundenes Einkommen. Im Unterschied zur NES ist ein bGE also keine Ersatz- oder Kompensationsleistung. Milton Friedman war also gar kein Vertreter des bGE und außerdem wollte er die NES möglichst niedrig ansetzen.

Wie hoch müsste aus Ihrer Sicht das garantierte Grundeinkommen sein?
Es wäre sicher nicht so hoch, wie sich das die Initianten dieser Vorlage vorstellen. In einer direkten Demokratie wird es kaum eine Mehrheit für eine Steuererhöhung geben, also müsste dafür jener Betrag verwendet werden, der heute den Sozialversicherungen zukommt.In Zahlen?
Vielleicht 1500 Franken im Monat, sicher nicht 2500.

Wie hoch es sein wird, kann im Vorhinein kaum festgestellt werden, da diese Frage in der öffentlichen Auseinandersetzung geklärt werden muss. Auch wenn heute manche sagen würden, dass es nur mager ausfallen dürfe wegen der Finanzierung oder der Erwerbs-„Anreize“, kann dann schnell zu einer anderen Einschätzung gelangen, wenn es einmal ernst wird mit der Frage der Einführung. Manch einer, der heute skeptisch oder zögerlich ist, wird dann vielleicht Möglichkeiten des bGEs sehen, die er heute nicht sieht. Wellershoff übersieht hier z.B., dass ein bGE von der Wiege bis zur Bahre das Lohngefüge sicher verändern wird, dass Löhne sich anders zusammensetzen würden als heute, weil es ein bGE gibt. Insofern ist seine Voraussage nicht mehr als eine Meinung, eine vorschnelle gar. Sicher, wenn die Bürger tatsächlich ein solch niedriges bGE wollten, dann wird es auch so niedrig kommen – allerdings: darüber wissen wir nichts, die Frage ist offen.

Sascha Liebermann

Mangelnde Informiertheit oder Abwehr von Veränderung? – Eine Abgeordnete zum BGE

Abgeordnetenwatch hat sich zur Aufgabe gemacht, die Kommunikation zwischen Bürgern und Abgeordneten zu fördern und transparent zu machen. Dazu wird ein Portal unterhalten, in dem online Fragen eingestellt werden, auf die Abgeordnete antworten können. Eine solche Antwort auf die Frage, ob die Petition zum BGE von Susanne Wiest angesichts der großen Zahl an Mitzeichnern nicht von der Politik aufgegriffen werden sollte, antwortet Dr. Bärbel Kofler, Mitglied des Deutschen Bundestages, – wer sich mit dem BGE beschäftigt hat, staunt.

Da heißt es z.B.:

Beim allgemeinen Grundeinkommen handelt es sich um eine alternative Leistungsart, die mit dem Prinzip des Wohlfahrtsstaates bricht sowie seine ganze Architektur bzw. Struktur zerstören würde. Denn dieser gründet seit über 100 Jahren auf Sozialversicherungen, die in unterschiedlichen Lebensbereichen, -situationen und -phasen auftretende Standardrisiken (Krankheit, Alter, Invalidität, Arbeitslosigkeit und Pflegebedürftigkeit) kollektiv absichern, sofern der versicherte Arbeitnehmer und sein Arbeitgeber vorher entsprechende Beiträge gezahlt haben.

Das BGE bricht nicht mit dem Wohlfahrtstaat, es stellt ihn auf eine andere Grundlage. Nur weil etwas schon lange besteht, gilt es hier als erhaltenswert ganz in Absehung davon, was es leistet. Das ist bemerkenswert, denn Frau Kofler lässt sich auf die Frage nicht einmal ein, was denn vom alten Wohlfahrtstaat in den neuen hinübergenommen werden könnte, als gäbe es keine Probleme, die zu neuen Lösungen herausforderten. Bedenkt man, dass diese Antwort von heute stammt (9.4.2009), könnte man meinen, die Auswirkungen der Finanzmarktspekulation gäben nicht Anlass über Veränderungen nachzudenken.

Weiter heißt es:

Verfechter des Grundeinkommens geraten zwangsläufig in ein Dilemma, denn sie müssen sich zwischen folgenden zwei Möglichkeiten entscheiden: Entweder erhält jeder Bürger das Grundeinkommen, unabhängig von den jeweiligen Einkommens- und Vermögensverhältnissen. In diesem Fall müssten riesige Finanzmassen bewegt werden, die das Volumen des Bundeshaushaltes (knapp 297 Mrd. EUR) um ein Mehrfaches übersteigen.

Nicht einmal die Mühe wird sich gemacht, über die Finanzierungsfrage und vorliegende Studien sich zu informieren. Als würden heutige Transferleistungen vollständig aus dem Bundeshaushalt bestritten. Aus ihm werden nur bestimmte Anteile getragen. Relevante Bezugsgröße für die Ausgaben ist das Sozialbudget (2007: 707 Mrd. Euro), da es aus unterschiedlichen Quellen finanziert wird. Sollen wir Bürger hier mit einer Nebelkerze von den tatsächlichen Sachverhalten abgelenkt oder gar für dumm verkauft werden? Ist es etwa schlicht Unwissenheit?

Bemerkenswert ist folgende Ausführung:

Außerdem stellt sich unter Gerechtigkeitsaspekten die Frage, warum Millionäre vom Staat monatlich ein von ihnen vermutlich als sehr bescheidenes Almosen empfundenes Grundeinkommen erhalten sollten, während Millionen Bürger mehr als den für sämtliche Empfänger einheitlichen Geldbetrag viel nötiger hätten.

Was auch unter BGE-Befürwortern durchaus strittig ist, ob die sogenannten Reichen ein BGE nötig haben. Hieran wird eines deutlich: Entweder erhalten es alle, dann erst erkennen wir die Bürger als Bürger an, ohne Ausnahme. Oder wir behalten das Bedarfsdenken doch bei und urteilen darüber, wer es braucht und wer nicht? Aber, was heißt eigentlich „brauchen“?

Treffend:

Oder wohlhabende und reiche Bürger bekommen das Grundeinkommen nicht bzw. im Rahmen der Steuerfestsetzung wieder abgezogen. Dann ist es weder allgemein und bedingungslos, noch entfällt die Bedarfsprüfung, denn es müsste ja in jedem Einzelfall geprüft werden, ob die Anspruchsvoraussetzungen nicht durch (verdeckte) anderweitige Einkünfte verwirkt sind.

Ganz genau. Hier trifft Frau Kofler den Nagel auf den Kopf. Auch die sehr liberale, nur auf die Einkommenserfassung zielende Negative Einkommensteuer behält das Verrechnungsprinzip bei und verwandelt dadurch das bedingungslose Grundeinkommen in ein bedingtes. Es muss der Nachweis – wenn hier auch auf einfache Weise durch Erfassung des Einkommens durch das Finanzamt – erbracht werden, dass das erzielte Einkommen unter einer definierten Einkommensgrenze liegt. Der wichtige Schritt, das BGE als von anderen Einkommen unabhängige Einkommensquelle zu gestalten, ist entscheidend. Erst dann ist es als Bürgereinkommen erfahrbar. Dass diejenigen, die mehr Steuern bezahlen als sie Geld durch das BGE erhalten rechnerisch betrachtet Nettozahler sind, ändert an diesem Zusammenhang nichts. Sie könnten sich jederzeit auf das BGE zurückfallen lassen.

Dass Frau Kofler ein BGE nicht will, ist legitim. Dass sie es in der Realität nicht für vorstellbar hält, hat mit dem BGE nichts, mit dem Denken über die Realität viel zu tun. Nicht die Einwände gegen das BGE geben einem zu denken, sondern die mangelnde Bereitschaft, über andere Wege überhaupt einmal nachzudenken.

Sascha Liebermann

Gleiches Kindergeld für alle, Kinder-BGE – Schritte zum BGE für alle Bürger?

Wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen für Kinder zwingend ein Schritt zu einem allgemeinen für alle Bürger? Anlässlich eines Beitrages von Claus Schäfer, „Ein Kindergeld für alle“ (Frankfurter Rundschau vom 2. Februar), soll diese Frage erörtert werden. Er spricht sich zwar darin nicht ausdrücklich für ein Kinder-BGE aus, seine Argumente jedoch verweisen uns auf einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Kinder- und Bürger-BGE.

Mit seinem Vorschlag will Claus Schäfer die Ungleichheit bisher gewährter Leistungen für Kinder beseitigen – ein begrüßenswerter Vorschlag. Es handelt sich allerdings nicht um eine bedingungslose Gewährung, denn die Höhe des Kindergeldes soll vom Einkommen der Eltern abhängig sein und mit steigendem Einkommen sinken. Der Vorschlag folgt damit dem Prinzip der Negativen Einkommensteuer, da das Kindergeld unterhalb einer bestimmten Einkommensgrenze in voller Höhe ausgezahlt werden soll – vergleichbar einer Steuergutschrift. Dass Schäfer an diesem Prinzip festhält, zeigt auf der einen Seite, dass Kinder eben doch nicht um ihrer selbst willen geschätzt werden. Ihr Status wird vom Einkommen der Eltern abhängig gemacht. Zum anderen ist es eben ein Kindergeld, dessen Bezug mit dem Erreichen eines bestimmten Alters bzw. bestimmter Lebensphasen endet.
Sehen wir davon einmal ab und stellen uns vor, das Kindergeld würde tatsächlich bedingungslos gewährt. Sähe es dann anders aus?

Man könnte meinen, es sei nur ein kleiner Schritt von der Forderung nach einem Kinder-BGE zu einem für alle Bürger – tatsächlich aber vergleicht man Äpfel mit Birnen.
Gegenwärtige Regelungen zum Kindergeld bringen zum Ausdruck, dass wir Kinder als besonders schützenswert erachten und es ihnen deswegen an einer Mindestausstattung nicht fehlen darf. Von ihnen wird nicht verlangt, eine Gegenleistung für erhaltene Transferleistungen zu erbringen. Von daher hat das Kindergeld eine große Nähe zu einem Kinder-BGE.

Doch bei aller Nähe ist der Unterschied zum allgemeinen BGE einer im Grundsatz. Erwachsene gelten nach unseren Systemen sozialer Sicherung nicht als bedingungslos schützens- oder förderungswert, dem Status der Bürgerrechte zufolge hingegen schon. Denn sie werden bedingungslos verliehen. Weil wir aber noch nicht bereit sind, aus der bedingungslosen Gewährung der Bürgerrechte die Konsequenz zu ziehen, auch Transferleistungen für Erwachsene bedingungslos zu gewähren, bleiben sie gegenwärtig an Gegenleistungspflichten gebunden. Das unterscheidet Leistungen für Erwachsene grundsätzlich von denen für Kinder. Weil wir von Erwachsenen verlangen, zuerst bestimmte Ziele (Erwerbsarbeit) zu verfolgen und selbst dann, wenn sie dies nicht können, das Erwerbsideal als normative Forderung bestehen bleibt – deswegen erhalten sie nur eine bedingte Unterstützung.

Was also auf den ersten Blick nahe zu liegen scheint, das Kinder-BGE als Einstieg in ein allgemeines zu betrachten, trügt. Es wäre erst ein solcher Schritte, wenn seine Einführung als Zwischenschritt zum Bürger-BGE ausdrücklich gälte. Ein Kinder-BGE als solches führt aber keineswegs zum Bürger-BGE.

Sascha Liebermann

Zumutbarkeitsregelung, Mindestlohn, repressionsfreie Grundsicherung – Übergangsszenarien und BGE

Von manchen Vertretern einer Sozialpolitik, die eine repressionsfreie Grundsicherung befürworten, sich aber gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen aussprechen, wird folgendes Argument vorgebracht: Ein Mindestlohn habe eine wichtige Schutzfunktion, da er eine Zumutbarkeitsgrenze schaffe, unterhalb derer ein Arbeitsuchender kein Arbeitsangebot annehmen müsse. Schön und gut, wenn wir einmal nur diesen Sachverhalt betrachten, dass dadurch tatsächlich eine Verdienstuntergrenze eingerichtet wird. Wird damit eine weitreichende Veränderung erreicht?

Wer keine Erwerbsarbeit hat, aber ein Einkommen benötigt, muss weiterhin einer Erwerbsarbeit nachgehen, davor schützt ihn auch der Mindestlohn nicht. Er schützt ihn (so die Behauptung) lediglich davor, eine Stelle anzunehmen, die kein auskömmliches Einkommen verschafft. Er muss jedoch weiterhin, schon im Bundessozialhilfegesetz von 1961 war das vorgesehen, dazu beitragen, die Leistung nicht mehr zu benötigen, d.h. er muss dazu beitragen, selbst ein Einkommen zu erzielen, es sei denn, er ist erwerbsunfähig oder erfüllt einen anderen Ausnahmetatbestand. Damit bleibt also eine Erwerbsverpflichtung bestehen, die Transferleistungen sind nach wie vor Ersatzleistungen.

Gehen wir einen Schritt weiter und pauschalieren den Leistungsbezug, indem heute unterschiedene Leistungen zusammengefasst werden. Das wäre auf jeden Fall ein Schritt zu einer liberaleren Handhabung. Bestehen bleibt aber auch hier, dass, wer Leistungen haben will, Ansprüche anmelden und die Berechtigung nachweisen muss. Wer nun aber gar keiner Erwerbsarbeit nachgehen will, sich stattdessen um pflegebedürftige Mitmenschen ehrenamtlich kümmern will, wer für seine Kinder zuhause bleiben will, was würde derjenige denn machen? Woher erhält er sein Einkommen? Entweder vom Partner oder von einer Sozialbehörde, der gegenüber er wiederum eine Anspruchsberechtigung nachweisen muss, damit er die Pauschale erhält. Auch hier ist die pauschalierte Leistung eine Ersatzleistung, das Erwerbsideal bleibt aufrechterhalten, an dem sich der Einzelne orientieren muss.

Gehen wir noch einen Schritt weiter und lassen die pauschalierten Leistungen nach dem Prinzip einer Negativen Einkommensteuer (dazu ausführlich hier) finanzieren. Sie geht soweit, dass lediglich eine Mindesteinkommensgrenze, sagen wir pro Jahr, festgelegt wird. Wer sie unterschreitet, erhält eine Steuergutschrift. Dieser Weg ist noch liberaler als die Pauschalierung, da lediglich das Einkommen erfasst und überprüft werden muss, ob es oberhalb oder unterhalb der Mindesteinkommensgrenze liegt. Ansprüche müssen nicht eigens gelten gemacht, Anträge nicht ausgefüllt werden. Liegt das Einkommen unterhalb des festgelegten Minimums, erhält die betreffende Person eine Steuergutschrift. Sie ist weder mit Arbeitsförderungs- noch mit Weiterbildungs- oder Umschulungsmaßnahmen notwendig verbunden. Doch an einem Sachverhalt ändert auch die Negative Einkommensteuer gar nichts: Die Steuergutschrift ist immer noch eine Ersatzleistung, die erst gewährt wird, wenn kein ausreichendes Einkommen durch eigene Bemühungen erzielt worden ist. Auch die Negative Einkommensteuer hält also am Erwerbsideal fest, selbst wenn alle Beaufsichtigungen bis auf die Einkommensfeststellung wegfallen, muss der Bezieher sein Handeln vor dem Erwerbsideal rechtfertigen.

Die stigmatisierenden Effekte, die auch diejenigen beseitigen wollen, die eine repressionsfreie Grundsicherung befürworten, hängen aber gerade am Charakter der Ersatzleistung relativ zum Erwerbsideal. Solange es gilt, solange bleiben Transferleistungen Ersatzleistungen und folglich ihr Bezug stigmatisierend. Kommen weitere Auflagen hinzu, Verpflichtungen, die der Bezieher eingeht, verstärken sie die Stigmatisierung.

Wer sie tatsächlich aufheben will, muss das Erwerbsideal aufheben, es steht ihm dafür ein einfacher Weg offen: die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens von der Wiege bis zur Bahre für jeden Staatsbürger, Kinder wie Erwachsene gleichermaßen. Dass dann, wie oft behauptet wird, öffentliche Leistungen reduziert werden, ist nicht notwendig so. Wo das BGE Leistungen ersetzen kann, bedarf es keiner weiteren. Hier handelt es sich dann nicht um eine Reduzierung, sondern um eine Reorganisation. Wo es sie nicht ersetzen kann, erhalten beizubehaltende Transferleistungen einen anderen Charakter. Was genau ersetzt werden kann, bedarf einer eingehenden Prüfung.

All diese Überlegungen machen auf eine Schwierigkeit aufmerksam, die allzuleicht übersehen werden kann. Das volle BGE, so wie es einmal erreicht werden sollte, wird es nicht von Anfang angeben, es bedarf einer evolutiven Umgestaltung. Aus diesem Grund beschäftigen sich auch die Grundeinkommensbefürworter in jüngster Zeit damit besonders (Siehe die Beiträge auf der Seite des Netzwerk Grundeinkommen). Sie sehen sich in der Defensive gegenüber den Verteidigern des Bestehenden oder denjenigen, die die ungewissen Entwicklungen fürchten, die ein BGE mit sich bringt. Hilfreich sind Übergangsszenarien allemal, sie machen deutlich, wie angefangen werden könnte. Doch sie sind auch defensiv, können sogar bremsend wirken auf die öffentliche Diskussion. Solange kein öffentlicher Konsens darüber herrscht, dass es ein BGE langfristig geben soll, solange müssen mögliche Auswirkungen eines BGE in aller Breite entworfen werden. Erst wenn wir wissen, wohin wir gelangen wollen, verstellen Übergangsschritte nicht den Blick und werden mit Zielen verwechselt. Eine Darstellung der Auswirkungen eines BGE in aller Breite tut Not und wird nach wie vor viel zu wenig geleistet. Erst wenn die Breitenwirkung zum Gemeingut geworden ist, sind Übergangsszenarien ungefährlich.

Sascha Liebermann

Mindestlöhne befestigen das Erwerbsideal, das BGE befreit uns davon

Seit einiger Zeit wird verstärkt über Mindestlöhne diskutiert, Befürworter und Kritiker tauschen regelmäßig ihre Standpunkte aus (z.B. hier). Doch diese Debatte führt uns nicht weiter, es besteht sogar eher die Gefahr, dass die Einführung von Mindestlöhnen und die damit häufig verbundene Forderung nach einer allgemeinen Reduzierung der Arbeitszeit das Erwerbsideal weiter befestigen. Statt also mit diesem Schritt das Bestehende zu festigen, sollten wir lieber gleich einen Schritt in die Zukunft machen.

Besonders bedeutsam wird die Diskussion, weil Mindestlöhne und allgemeine Arbeitszeitverkürzung auch unter Grundeinkommensbefürwortern (z.B. im Netzwerk Grundeinkommen, Unterpunkt 20 der Fragen und Antworten) Anhänger haben. Hinter diesen Erwägungen geben sich noch Vorbehalte zu erkennen, und zwar Vorbehalte hinsichtlich dessen, ob der Einzelne die Verantwortung, die das bGE ihm aufbürdet, auch schultern kann.

Schauen wir uns manche der Einwände gegen ein BGE an:

1. Das bGE führt zu Lohndumping

Auf jeden Fall führt das bGE dazu, dass zwei Funktionen von Einkommen, die heute im Lohn vereint sind, getrennt werden: Existenzsicherung und Gehalt. Das bGE übernimmt die Existenzsicherung, das Gehalt ist dann nur noch ein Wertschöpfungsanteil am Erfolg des Unternehmens. Diese Trennung beider Funktionen erlaubte in der Tat ein Absinken der Gehälter. Entscheidend ist, welche Einkommenssumme (BGE + Gehalt) jedem zur Verfügung steht. Das BGE führt lediglich zu einer veränderten Zusammensetzung. Von dieser Seite aus betrachtet, stellt das Sinken der Gehälter kein Problem dar, weil es nicht zum Sinken der Einkommen führen muß.

Darüber hinaus ist allerdings festzuhalten, daß über Gehälter verhandelt wird und Unternehmen sie nicht diktieren können. Ein bGE in ausreichender Höhe verleiht ja gerade Verhandlungsmacht, die Arbeitnehmer heute in diesem Maße nicht haben. Jegliche Furcht vor Lohndumping ist also unberechtigt, sie ist noch noch Ausdruck von Mißtrauen in die Verhandlungsfähigkeiten des Einzelnen. Wer sich mit einem bGE im Rücken auf ein niedriges Gehalt einläßt, tut das aus freien Stücken und muß es dann auch verantworten.

2. Das bGE ist ein Kombilohn und subventioniert Erwerbsarbeit

Das bGE wird sich sehr wahrscheinlich auf die Gehaltsstruktur auswirken, das haben wir schon gesehen. Es wird jedoch nicht als Subvention für Erwerbsarbeit gewährt. Zweck und Effekt sind hier voneinander zu unterscheiden. Das BGE ist ein Bürgereinkommen, Auswirkungen auf die Gehaltsstruktur sind mittelbar, die Gewährung des bGE – im Unterschied zu Lohnsubventionen – ist nicht an Erwerbsarbeit gebunden und nur vom Bürgerstatus abhängig.

Es ist also mit allen Formen der Subventionierung von Erwerbsarbeit nicht vergleichbar. Wenn es etwas „subventioniert“, dann ist es Freiheit.

3. Die Untenehmen müssen einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten, das bGE jedoch entlastet sie davon

Was ist die Aufgabe von Unternehmen, welchen Beitrag können sie leisten? Sie sollen Werte erzeugen, also Dienste und Produkte für mögliche Kunden bereitstellen. Damit sie dies unter für sie förderlichen Bedingungen tun können, muß eine entsprechende Infrastruktur bereitgestellt werden. Sie wird aus Steuermitteln finanziert. Alle Kosten, die im Wertschöpfungsprozess entstehen, das ist wiederholt dargelegt worden (vgl hier und hier), müssen von einem Unternehmen erwirtschaftet werden – das geht nur über den Absatz. Deswegen reicht ein Unternehmen seine Kosten weiter – auch die Gehälter der Mitarbeiter -, so daß sie Bestandteil der Güterpreise werden. Wer also der Auffassung ist, Unternehmen müßten mehr beitragen und dürften von den Aufwendungen für Löhne nicht unverhältnismäßig entlastet werden (siehe z.B. Netzwerk Grundeinkommen, Unterpunkt 20 der Fragen und Antworten) glaubt, die Weiterwälzung der Kosten in Netzwerkdie Güterpreise verhindern zu können. Das ist aber nicht möglich. Will man also Unternehmen in ihrem Zweck fördern, dann ist eine Steuer am wirksamsten, die am Verbrauch ansetzt, erst dann also, wenn der Wert erzeugt ist und konsumiert werden kann. Das würde die Wertschöpfung entlasten. Ein solche Steuer macht transparent, welche Kosten tatsächlich angefallen sind, sie werden nicht, wie heute, in den Güterpreisen versteckt, sondern wären für jeden auf dem Rechnungsbeleg als Steuer ablesbar. Wie effizient und ressourcenschonend produziert wird, das liegt in der Verantwortung des Unternehmens. Hoher Ressourcenverbrauch kann entsprechend besteuert werden, das würde Unternehmen dazu drängen, ressourcenschondend zu produzieren.

4. Eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung ist nötig, damit Arbeitslast wie Arbeitschancen gerecht verteilt werden

Ein bGE soll die Entscheidungsfreiheit und damit einhergehend die Verantwortung des Einzelnen stärken. Von daher liegt es nahe, ihn über seine (Erwerbs-)Arbeitszeit genauso verhandeln zu lassen wie über die Höhe seines Gehalts. Ob er mehr oder weniger arbeiten will, darüber soll er selbst befinden, er alleine kann am besten bestimmen, wieviel er zu leisten in der Lage und willig ist.

Wer eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung zusätzlich zum bedingungslosen Grundeinkommen fordert, wertet Erwerbsarbeit auf, denn: Was verteilt werden muß, ist entweder besonders begehrenswert oder besonders wertvoll. Würden wir alle Arbeit gleich verteilen wollen, bedürfte es eines gigantischen Verteilungsapparats, der dann wieder eine Definition davon benötigte, was denn als Arbeit betrachtet wird. Jegliches Engagement jenseits der Erwerbsarbeit würde damit wieder abgewertet – wir hätten nichts gewonnen.

Vergleichbar verhält es sich mit der Forderung nach einem Mindestlohn: Nur wer dem Einzelnen nicht zutraut, vernünftig zu verhandeln, kann einen Mindestlohn für notwendig erachten. Beide, eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung wie ein Mindestlohn, sind noch Ausdruck eines Mißtrauens. So ganz können wir dem Einzelnen doch nicht vertrauen, das für ihn Angemessene auszuhandeln, deswegen diese Schutzmaßnahmen. Damit wird ihm aber Verantwortung aus der Hand genommen, die er auch selbst tragen kann – vorausgesetzt, daß bGE ist hoch genug.

Keineswegs führt ein BGE von selbst dazu, daß es keine Gewerkschaften mehr geben wird. Das wird sich zeigen. Eines jedoch ist gewiß,
sie hätten andere Aufgaben als heute.

Sascha Liebermann

Die Grünen gegen ein Grundeinkommen

Auf Ihrer Bundesdelegiertenkonferenz in Nürnberg haben sich die Grünen mit 432 zu 296 Stimmen gegen den Vorschlag eines „bedingungslosen Grundeinkommens“ auf der Basis einer Negativen Einkommensteuer entschieden.

Um zu sehen, wo die Grünen stehen, ist es aufschlußreich, die Einwände gegen ein solches Grundeinkommen zu betrachten. Deutlich wird dann, dass die vehemente Kritik auch des Bundesvorstandes an den menschenverachtenden Äußerungen Oswald Metzgers (hier ein früherer Kommentar von uns zu seinen Äußerungen gegen das bGE) im Stern zwar angemessen ist. Doch, was die Kritiker gegen ihn ins Feld führen – ein dankbarer Gegner angesichts der schwierigen Lage des Bundesvorstandes – fällt bei genauerer Betrachtung auf sie zurück. Hinter dem ewigen Plädoyer für Bildungsinvestitionen und einem „angemessenen“Fördern lugt dasselbe Gängelband hervor, das auch Herr Metzger nicht aufgeben will. Alle wohlmeinenden Absichten (siehe Beschluss des Bundesvorstands), wie die, den Menschen aus Armut herauszuhelfen, durch Bildung ihre Chancen zu erhöhen, in den Arbeitsmarkt zurückkehren, sie nicht „stillzulegen“ (wie es angeblich ein bGE tue) usw. usf. halten an der bevormundenden Sozialpolitik fest, gegen die sie sich wenden. Im Beschluss heisst es z.B. auf 13:

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Bedingungsloses Grundeinkommen versus Negative Einkommensteuer

Mittlerweile werden bedingungsloses Grundeinkommen (bGE) und Negative Einkommensteuer (NE) häufig in einem Atemzug genannt, so auf der Internetseite des Netzwerk Grundeinkommen (Unterpunkt 21 der Fragen und Antworten) Deutschland, in Vorschlägen der Grünen und auch im Solidarischen Bürgergeld.

Ein Grund, weshalb Unterschiede zwischen beiden leicht übersehen werden, rührt wohl von der bloß rechnerischen Betrachtung her. Eine Negative Einkommenssteuer, wie der Begriff schon sagt, erteilt demjenigen, der keines oder kein ausreichendes Erwerbseinkommen erzielt, eine Steuergutschrift. Ob er dieser bedarf kann erst nach Ablauf eines definierten Zeitraums – z.B. eines Monats, eines Quartals, eines Jahres – oder unter Vorbehalt im voraus festgestellt werden. Damit bleibt das Ideal aufrechterhalten, über Erwerbsarbeit ein Einkommen zu erzielen und nachzuweisen, wenn das nicht der Fall ist. Auch wenn der Weg hierfür eine einfache Steuererklärung sein könnte, so muß der Betreffende sich doch erklären. Das ist nicht nur technisch von Bedeutung. Liegt die Erklärungspflicht beim Betroffenen, wird damit zugleich ein Ideal aufrechterhalten, das besagt: erwerbsförmige Tätigkeiten sind wichtiger als nicht-erwerbsförmige. Die Steuergutschrift erfolgt ja erst, wenn ein Bedarf, also das Fehlen eines Erwerbseinkommens, festgestellt worden ist. Im Unterschied zum bGE ist die Steuergutschrift also nicht immer und ohne Erklärung verfügbar.

Die Behauptung, es bestehe kein Unterschied zum bGE rührt also daher, daß der Zusammenhang zwischen Gewährungsbedingung und Anerkennung einer Tätigkeit nicht betrachtet wird. Wer sein Augenmerk auf die verfügbare Einkommenssumme richtet, die eine Person – bei aller Einhaltung der häufig genannten, ein bGE auszeichnenden Kriterien – bei Finanzierung über eine NE zur Verfügung hat, übersieht, welche Bedeutung die Gewährungsbedingungen für die Bewertung von Tätigkeiten haben. Entscheidend ist nicht die Summe alleine, sondern, wie sie sich zusammensetzt und unter welchen Bedingungen ich sie erhalte.

Wird ein Grundeinkommen mit anderen Einkommen (aus Erwerb, Vermögen u.a.) verrechnet – das wäre ja auch bei der Steuergutschrift der Fall – ist es nicht mehr bedingungslos, wird es nicht mehr dem Bürger als Bürger gewährt. Das BGE ist dann kein Einkommen, das die Bürger um ihrer selbst willen erhalten und zu jeder Zeit verfügbar haben, ohne sich erklären zu müssen. Im Unterschied zur NE werden im Transfergrenzenmodell von Helmut Pelzer und Ute Fischer Einkommen nicht mit dem BGE verrechnet, die Bezieher müssen sich also in Bezug darauf auch nicht erklären, denn das Transfergrenzenmodell wird durch eine Sozialabgabe finanziert, die BGE-unabhängig ist. Diese Sozialabgabe (in Prozent) wird aus der Summe der Bruttoeinkommen (Erwerbseinkommen, Vermögenserträge, Altersbezüge etc.) , die auch heute schon beim Finanzamt gemeldet werden, berechnet. Bei steigendem Bruttoeinkommen aus diesen Quellen erreicht die Sozialabgabe einen Betrag, der höher ist als das Grundeinkommen, das die Person bezieht. (Grundeinkommen minus Sozialabgabe). So wird diese Person zum Nettozahler, sie zahlt mehr Sozialabgabe, als sie Grundeinkommen erhält. Damit verschwindet aber das Grundeinkommen nicht, es bleibt unangetastet. Daß es so aussieht, als verschwände es, ist ein rechnerischer Effekt, sofern bloß die verbleibende Einkommenssumme (Grundeinkommen plus alle anderen Einkommen nach Steuern) betrachtet wird.

Für die wünschbaren und erstrebten Auswirkungen eines bGE ist seine Ausgestaltung entscheidend. Nur, wenn es als ein Einkommen gewährt wird, für das keine Rechenschaftspflicht besteht, nur also, wenn es mit keinen anderen Einkommensarten verrechnet wird und vielmehr von diesen immer unabhängig bleibt, stärkt ein bGE die Solidarität unseres Gemeinwesens und die freie Entfaltung der Bürger.

Sascha Liebermann