Die #BA möchte entgegen des Urteils des #BVerfG wieder Sanktionen oberhalb von 30 % des RB durchsetzen. #Tacheles veröffentlicht die Weisungen und verurteilt das Vorgehen schärfstens! #HartzIV
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— Harald Thomé (@hatho05) November 27, 2019
Kategorie: Sanktionen
„Sanktionen gab es übrigens auch schon vor den Hartz-Reformen“ – Verklärer aufgepasst!
…so Matthias Schulze-Böing (siehe auch hier), Sprecher des Bundesnetzwerks der Jobcenter und Geschäftsführer des Jobcenters Offenbach, schon im vergangenen November in einem Interview mit der LR Online.
Damit wies er auf einen wichtigen Punkt hin, der in der Verklärung des Sozialstaats vor der Agenda 2010 häufig übersehen wird (siehe hier). Wer das Erwerbsgebot nicht aufgeben will, sollte von der Abschaffung von Sanktionen schweigen – denn beides ist nicht möglich. Robert Habeck hat das in seinem Vorschlag einer Garantiesicherung ohne sanktionsbewehrter Erwerbsverpflichtung verstanden. Schulze-Böing sagt:
„Über die Reformideen, die gerade diskutiert werden, kann man großenteils nur den Kopf schütteln. Es ist wie mit der Steuerreform auf dem Bierdeckel. Das klingt toll und elegant, funktioniert so aber nicht. Die Politik weckt damit völlig falsche Erwartungen. Die Androhung von Sanktionen beispielsweise hat erwiesenermaßen dazu beigetragen, Phasen der Arbeitslosigkeit zu verkürzen. Es spricht nichts dafür, dieses System abzuschaffen. Sanktionen gab es übrigens auch schon vor den Hartz-Reformen.“
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„Arbeitslose fördern statt ins Existenzminimum eingreifen“ – Sanktionen aufheben, aber Erwerbsgebot beibehalten?
Diese Frage stellt sich angesichts einer Pressemitteilung auf der Website des Deutschen Gewerkschaftsbundes am Tag der Verkündung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zu Sanktionen im Arbeitslosengeld II. Unter dem Beitrag ist eine „gemeinsame Erklärung“ veröffentlicht worden, die verschiedene Personen – Politiker, Verbandsvertreter und Wissenschaftler – unterzeichnet haben. Sie schließt mit der Forderung:
„Darum fordern die Unterzeichnenden, die bestehenden Sanktionsregelungen aufzuheben. An Stelle der geltenden Sanktionsregelungen ist ein menschenwürdiges System der Förderung und Unterstützung nötig!“
„Die Würde des Menschen ist antastbar“…
…so Isabel Erdem in junge Welt. Hingewiesen wird in dem Beitrag auf die Widersprüche in der Urteilsbegründung mit Bezugnahme auf die entsprechenden Passagen des Urteils. Siehe auch diesen Beitrag von uns zu einem Gespräch mit Wolfgang Neskovic, weitere Beiträge hier.
Video der Bundestagsdebatte zu Hartz IV-Reformen am 14. November
„Bundesagentur kassiert Sanktionsbescheide für alle“…
…melden Spiegel Online und Welt Online.
„Es bleibt ein Hauch von Obrigkeitsstaat“ – auch hier eine Verklärung des „alten“ Sozialstaats…
…im Beitrag von Stephan Hebel in der Frankfurter Rundschau über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Doch geht das Urteil nicht ganz so weit, wie Stephan Hebel es auslegt, Vollsanktionen bleiben möglich, der Gesetzgeber muss dazu nur bestimmte Bedingungen einhalten. Irritierend ist auch in diesem Beitrag die Verklärung des Sozialstaats vor Hartz IV, so als habe es zuvor keine Sanktionsinstrumente gegeben (siehe hier, darin den Verweis auf Roland Rosenow). Dabei besteht zwischen der Erwerbszentrierung des Sozialstaats, die mit einer Erwerbsverpflichtung einhergeht, und Sanktionsinstrumenten ein notwendiger Zusammenhang. Erst wenn wir uns von der Erwerbsverpflichtung verabschieden würden, wie es Robert Habeck in seinem Vorschlag einer Garantiesicherung entwirft, wäre der Weg für eine andere Form von Mindesteinkommen geebnet, eine Art Vorstufe zu einem Bedingungslosen Grundeinkommen.
Wenn „wir“ uns davon verabschieden? Ja, es hängt nicht von „der Politik“ oder „den Politikern“ ab, wie lange daran festgehalten wird, sondern davon, was die Bürger zu tragen bereit sind. Solange sie Sanktionen im Grunde für richtig und vernünftig halten, so lange wird es sie geben.
Sascha Liebermann
Nochmal Glück gehabt, Sanktionen können fortbestehen…
…so ließe sich ein Beitrag von Henrike Roßbach in der Süddeutschen Zeitung verstehen, die – wie manch andere – offenbar erleichtert ist, dass Sanktionen doch noch verfassungsgemäß sind. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil allerdings von einer Kann- und nicht von einer Soll-Bestimmung gesprochen. Der Gesetzgeber „kann“ solche Instrumente einsetzen, muss aber nicht. Manche Passage in der Urteilsbegründung ließe sich auch gegen diese „Kann“-Bestimmung auslegen:
„Art. 1 Abs. 1 GG schützt die Würde des Menschen, wie er sich in seiner Individualität selbst begreift und seiner selbst bewusst ist (BVerfGE 49, 286 <298>). Das schließt Mitwirkungspflichten aus, die auf eine staatliche Bevormundung oder Versuche der „Besserung“ gerichtet sind (vgl. BVerfGE 128, 282 <308>; zur histori- schen Entwicklung oben Rn. 5, 7).“ (Urteil, Randnummer 127)
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„Politikerin, die half, Hartz-IV-Sanktionen durchzusetzen, bezeichnet deren Abschaffung als ein Gebot des Respekts und der Menschenwürde“…
…schreibt Der Postillon.
Das Grundgesetz und Sanktionen – Peter Tauber deutet nur in eine Richtung, die andere wäre naheliegender: gar keine Sanktionen
Peter Tauber weist auf einen wichtigen Punkt hin, der allerdings zugleich die Widersprüchlichkeit des Urteils des Bundesverfassgungsgerichts deutlich macht. Die Menschenwürde ist eben doch verfügbar unter bestimmten Voraussetzungen. Tauber unterschlägt allerdings, dass das Grundgesetz laut Urteil keineswegs Sanktionen fordert oder nahelegt, lediglich verbietet es sie nicht. Der Gesetzgeber kann solche Instrumente also vorsehen, er muss aber nicht. Insofern ist Taubers Position zum Urteil nur eine Auslegung, die andere wäre, Sanktionen vollständig aufzugeben, das wäre in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz. Dann müsste allerdings das Erwerbsgebot aufgegeben werden, solange das nicht geschieht, ist die Forderung nach einer Abschaffung von Sanktionen illusionär. Ein „Garantiesicherung“, wie Robert Habeck sie vorgeschlagen hat, könnte eine Vorstufe zum Bedingungslosen Grundeinkommen sein. Es wäre allerdings einfacher, sich den Zwischenschritt zu sparen.
Siehe auch den Kommentar von Stefan Sell zur medialen Berichterstattung.
Sascha Liebermann