Anhörung zum Bedingungslosen Grundeinkommen im Landtag Nordrhein Westfalens

Auf der Website des Landtags wird gemeldet:

„Der Hauptausschuss wird am Donnerstag, 30. Juni 2016, Sachverständige zum Antrag der PIRATEN-Fraktion „Abschied von der Arbeitsgesellschaft: Im Informationszeitalter brauchen wir eine Volksabstimmung über das Bedingungslose Grundeinkommen“ (Drs. 16/11692) hören. Beginn ist um 10.30 Uhr in Raum E3-D01. Die Tagesordnung finden Sie hier.“

Unter anderen wird Ute Fischer wird als Sachverständige angehört.

„Argumente gegen das „emanzipatorische Grundeinkommen“ der LINKEN-BAG“ – Neues von Christoph Butterwegge?

Christoph Butterwegge ist als ausdrücklicher Gegner eines Bedingungslosen Grundeinkommens bekannt (siehe hier; Dörre hat seine Haltung mittlerweile leicht verändert). Eine seiner jüngeren Abhandlungen war mit „Traumziel der Reformer“ übertitelt, die seine eherne Verteidigung der „Arbeitsgesellschaft“ deutlich machte. Wie steht es mit dem aktuellen Beitrag, den er auf den Nachdenkseiten veröffentlicht hat? Ich beziehe mich hierbei vor allem auf seine allgemeinen Einwände gegen ein BGE und weniger auf den Vorschlag der BAG, gegen den sich Butterwegge ausdrücklich wendet.

Schon zu Beginn des Beitrags fällt eine merkwürdige Gegenüberstellung von heutigen Systemen sozialer Sicherung und dem BGE auf. Butterwegge schreibt:

„Sieht man genauer hin, fallen jedoch gravierende Nachteile ins Auge, die damit einhergehen: Beim allgemeinen Grundeinkommen handelt es sich um eine alternative Leistungsart, die mit der Konstruktionslogik des bestehenden, früher als Jahrhundertwerk gefeierten Wohlfahrtsstaates bricht sowie seine ganze Architektur bzw. Struktur zerstören würde. Dieser gründet nämlich auf Sozialversicherungen, die in unterschiedlichen Lebensbereichen, -situationen und -phasen auftretende Standardrisiken (Krankheit, Alter, Invalidität, Arbeitslosigkeit und Pflegebedürftigkeit) unter der Voraussetzung kollektiv absichern sollen, dass der versicherte Arbeitnehmer und sein Arbeitgeber zuvor entsprechende Beiträge gezahlt haben. Nur wenn dies nicht der Fall oder der Leistungsanspruch bei Arbeitslosigkeit erschöpft ist, muss man auf steuerfinanzierte Leistungen (Alg II, Sozialgeld bzw. Sozialhilfe) zurückgreifen, die bedarfsabhängig – d.h. nur nach einer meist als schikanös empfundenen [Hervorhebung SL] Prüfung der Einkommensverhältnisse, vorrangigen Unterhaltspflichten und Vermögensbestände – gezahlt werden.“

Hält Butterwegge also das heutige System sozialer Sicherung für bewahrenswert, indem jeglicher Leistungsanspruch entweder über Erwerbstätigkeit erworben sein muss oder – falls nicht – in Erwerbstätigkeit auf jeden Fall zurückführen soll? Damit würde er ja all die stigmatisierenden Effekte heutiger Systeme verteidigen, er würde all die im System nicht oder kaum berücksichtigten Leistungen (Familie, Ehrenamt u.a.) genau in der Zweitklassigkeit belassen wollen, in der sie sich heute befinden? Was als „schikanös“ empfunden wird, hat seinen Grund in der Sache selbst und ist nicht Einbildung oder bloßes Empfinden der Betroffenen. Die Leistungsbezieher müssen sich vor der Behörde, d.h. letztlich dem Gemeinwesen rechtfertigen und Wohlverhalten an den Tag legen. Hält er auch das für bewahrenswert?

Weiter heißt es:

„Wenn (fast) alle bisherigen, zum Teil nach Bedürftigkeit gewährten Transferleistungen zu einem Grundeinkommen verschmolzen würden, wäre das Traumziel marktradikaler Reformer, die Sozialversicherungen zu zerschlagen und einen neoliberalen „Minimalstaat“ zu schaffen, ganz nebenbei erreicht, was sich noch dazu als Wohltat für die Bedürftigen hinstellen ließe … Als ein Kombilohn für alle könnte das BGE wirken, weil der Staat für die Reproduktion der Ware Arbeitskraft aufkäme und der Unternehmer entsprechend weniger dafür aufwenden müsste.“

Es erstaunt wiederum die Grobschlächtigkeit. 1) Welche der bestehenden Leistungen ersetzt werden könnte, hinge nicht unwesentlich von der Höhe des BGE ab. Eine Sparversion, also ein niedriges BGE samt Abschaffung aller darüber hinausgehenden Leistungen, würde genau die Freiräume nicht eröffnen, die das BGE eröffnen soll. Sie schiede also, wenn man es ernst meinte, aus. 2) „Minimalstaat“? Ja und Nein. Ja – insofern als die Bereitstellung des BGE gerade keine Dauerkontrolle der Leistungsbezieher erforderlich machte, sie wäre gar nicht mehr erwünscht. Nur bedarfsgeprüfte Leistungen oberhalb des BGE bedürften noch der Feststellung bzw. Prüfung, jedoch gilt: Mit einem BGE änderte die Bedarfsprüfung für Bedarfe über das BGE hinaus ihren Charakter, weil sie sich über die Stellungs des Bürgers begründete und nicht durch den Erwerbsausfall. Was heute als Maßnahmenindustrie durch die Gesetzgebung erst zum Leben erweckt wurde, könnte erheblich anders aussehen, wenn nicht wegfallen, wo es sich um aberwitzige Angebote handelt. Nein – da das BGE vom Gemeinwesen, also dem von den Bürgern dafür beauftragten Staat, bereitgestellt würde. Es wäre ein Ausdruck von Solidarität ohnegleichen, ein gewaltiger Unterschied zu heute, weil er die Bürger machen ließe, statt sie zum Machen aktivieren zu wollen. 3) Kombilohn? Was soll man dazu sagen? Der Kombilohn ist stets an ein Erwerbsverhältnis gebunden, nur dann erhält z.B. der Arbeitgeber eine Subventionierung eines Arbeitsplatzes. Das BGE würde ja gerade unabhängig davon bereitgestellt und genau das verleiht Verhandlungsmacht, wo sie mit dem Kombilohn nicht besteht. Was die Einzelnen aus den Möglichkeiten machen, ob und wie sie verhandeln, bliebe deren Sache.

„Entweder erhalten jeder Bürger und jede Bürgerin das Grundeinkommen, unabhängig von den jeweiligen Einkommens- und Vermögensverhältnissen. In diesem Fall müssten riesige Finanzmassen bewegt werden, die das Volumen des heutigen Bundeshaushaltes (ca. 300 Mrd. Euro) um ein Mehrfaches übersteigen und die Verwirklichung des bedingungslosen Grundeinkommens per se ins Reich der Utopie verweisen.“

Weshalb? Das BGE muss den heutigen Möglichkeiten gemäß eingeführt werden, es kann nicht herbeigezaubert werden, was nicht zu verteilen ist. Wer leugnet das? Weshalb bezieht sich Butterwegge auf den Bundeshaushalt, er ist nicht die Bezugsgröße. Es muss letztlich um alle Leistungen gehen, die heute bereitgestellt werden und dabei ist nicht nur das Sozialbudget zu berücksichtigen, sondern auch sind es die Freibeträge in der Einkommensteuer. Sie sind heute ein bewusster Verzicht auf Besteuerung von Einkommen und insofern ein Rechtsanspruch aller. Er greift allerdings erst, wenn steuerbares Einkommen vorliegt. Was heute als Freibetrag bzw. als existenzsichernde Leistungen bereitgestellt wird, kann auch als BGE bereitgestellt werden.

„Außerdem würde sich unter Gerechtigkeitsaspekten die Frage stellen, warum selbst Milliardäre vom Staat monatlich ein von ihnen vermutlich als „Peanuts“ betrachtetes Zubrot erhalten sollten, während Millionen Bürger/innen (z.B. solche mit schwerwiegenden Behinderungen) mehr als den für sämtliche Empfänger/innen einheitlichen Geldbetrag viel nötiger hätten.“

Wer sich, wie Herr Butterwegge seit Jahrzehnten mit dem deutschen Sozialstaat befasst, dem können die Freibeträge in der Einkommensteuer nicht entgangen sein. Sind sie heute gerecht, als BGE aber wären sie ungerecht? Ein BGE kann ja als ausgeschütteter Freibetrag betrachtet werden. – Und wieder wird die kumulative Wirkung bei Haushalten nicht beachtet. Je mehr Personen in einem Haushalt leben, desto besser mit einem BGE die Einkommenssituation.

„Oder wohlhabende und reiche Bürger bekommen das Grundeinkommen nicht bzw. im Rahmen der Steuerfestsetzung wieder abgezogen. Dann wäre es weder allgemein und bedingungslos, noch entfiele die Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse, müsste doch in jedem Einzelfall herausgefunden werden, ob die Anspruchsvoraussetzungen nicht durch (verdeckte) anderweitige Einkünfte verwirkt sind.“

Hier müssen zwei Dinge unterschieden werden, der Bereitstellungsmodus auf der einen und die steuertechnische Bilanzierung von Ausschüttung (BGE als Steuerausschüttung) und Abschöpfung (z.B. direkte und indirekte Steuerleistung pro Person) auf der anderen Seite. Das erste ist wichtig, um ein BGE als Regelleistung von einem Mindesteinkommen als Ersatz- oder Kompensationsleistung zu unterscheiden. Eine Regelleistung wird immer ausgezahlt, egal welche Einkommen sonst erzielt werden, eine Ersatz- oder Kompensationsleistung wird nur bereitgestellt oder beibehalten, wenn kein ausreichendes Einkommen vorliegt oder erzielt wird. Etwas ganz anderes ist es nun, ob eine Person bezüglich ihrer Bilanz von erhaltener Steuer und abgegebener Steuer Nettoempfänger oder Nettozahler ist. Dabei wird nur bilanziert, ob er mehr Steuern erhalten (in Form des BGE) oder mehr Steuern abgeführt hat, weil etwa eine entsprechende Einkommensbesteuerung oder Konsumbesteuerung vorgenommen wird. Bezüglich dieses letzten Punktes kann man sehr wohl sagen, dass Haushalte mit höheren Einkommen Nettozahler sein werden, ohne dass ihnen vom BGE etwas „abgezogen“ würde.

Insofern, als das BGE nicht dauerhaft bereitgestellt würde, sondern nur als Ersatz- oder Kompensationsleistung gälte, hat Butterwegge recht, wenn er schreibt:

„Arbeitslose und Arme müssten eine Einkommensteuererklärung abgeben und wären einem ähnlichen Kontrolldruck wie gegenwärtig ausgesetzt. Diesen zu beseitigen ist jedoch ein, wenn nicht das Hauptargument für das BGE, zumindest für Mitglieder und Anhänger/innen der LINKEN“.

Hier bezieht er sich auf das Modell der Negativen Einkommensteuer, das im Vorschlag der LINKEN als Alternative zum BGE vorgesehen ist Butterwegge übersieht allerdings, dass der „Kontrolldruck“ heute von zweierlei Sachverhalten ausgeht. Das ist zum einen der schlichte Umstand, dass Erwerbstätigkeit einem Gebot folgt, sie wird von einem normativen Konsens getragen, der dem Leben eine bestimmte Ausrichtung auferlegt. Zum anderen wirken dazu die verschiedenen Prüfungsformen verstärkend, deren Legitimierung genau im Erwerbsgebot liegt. Wenn Butterwegge also diesen Druck auf beiden Ebenen aufheben wollte, müsste er ein BGE befürworten, denn nur dann gäbe es keine Norm mehr, die besagt: Du sollst erwerbstätig sein.

Was schreibt Butterwegge noch?

„Mein zentrales Gegenargument ist allerdings ein verteilungspolitisches: Auf ungleiche Einkommens- und Vermögensverhältnisse wird mit der Forderung nach einer Geldzahlung in gleicher Höhe reagiert. Dabei muss Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt werden, denn eine Sozialpolitik nach dem Gießkannenprinzip vermag keine Bedarfsgerechtigkeit zu schaffen. Das bedingungslose Grundeinkommen als solches tastet den privaten (Vermögens-)Reichtum aber nur an, wenn es über die Erhöhung/Erhebung von Gewinn- bzw. Vermögensteuern finanziert wird. Durch seine gigantischen Kosten für den Staatshaushalt verschärft es sogar das Problem der öffentlichen Verarmung – zur Zeit der im Grundgesetz verankerten „Schuldenbremse“ und des Fiskalpakts ein nicht zu vernachlässigendes Problem.“

Die Schuldenbremse ist ein Problem eigener Art, eine Art Selbstknebelung aus dem Misstrauen heraus, nicht verantwortungsvoll mit öffentlichen Einnahmen umgehen zu können. Sie ist insofern auch ein Symptom unseres Selbstverständnisses. Der erste Teil der Ausführungen allerdings ist so nicht haltbar. Man muss sich lediglich vor Augen führen, was es heißen würde, eine dauerhafte Einkommensabsicherung zu haben (pro Person) – und diese Situation mit heute vergleichen. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse haben durchaus damit etwas zu tun, welche Verhandlungsmöglichkeiten Menschen haben, wenn es um einen Arbeitsplatz geht. Die durch ein BGE verliehene Verhandlungsmacht könnte sich also sehr wohl erheblich auf die Einkommensverteilung auswirken, weit über das hinaus, was die Bereitstellung eines BGE als solches schon bedeutete. In der Debatte über prekäre Einkommensverhältnisse darf ein Aspekt, der in meinen Augen unterschätzt wird, nicht vernachlässigt werden. Es ist für die Einkommensentwicklung in Deutschland nicht unerheblich, wieviel man bereit ist, sich gefallen zu lassen und schlechte Arbeitsbedingungen hinzunehmen oder anders ausgedrückt: wie sehr man sich in die Verhältnisse einpasst und in der (teils berechtigten, teils unberechtigten) Furcht, unangenehm aufzufallen, jedes auffällige Manöver, jeden auffälligen Schritt eher unterlässt. Man nehme nur die teils hysterischen Reaktionen auf die Streiks der GDL oder der Kitas als Indiz dafür, wie ausgeprägt die Anpassungsbereitschaft ist.

„Es ist eine Illusion zu glauben, der Kommunismus („Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“) lasse sich nach dem Modell eines reichen Müßiggängers bereits im Rahmen des heutigen Finanzmarktkapitalismus verwirklichen. Vielmehr ist Kapitalismus ohne Arbeitszwang wie ein Gefängnis ohne Gitterstäbe und Mauern – beides gibt es nicht.“

Das ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie man sich selbst entmündigen kann (ein ähnlicher hier). Wir haben viel mehr Gestaltungsmöglichkeiten, als wir glauben, die Frage ist doch, ob wir sie nutzen wollen und wie. „Der Kapitalismus“ zeugt sich nicht einfach so fort, er bedarf gestaltender Entscheidungen, das war immer so. Worin diese Entscheidungen bestanden, kann, was die letzten Jahrzehnte betrifft, leicht nachvollzogen werden. Die Umgestaltung des Bildungswesens, ganz besonders der Hochschulen hat klar benennbare Verantwortliche: die Bildungspolitik und die Hochschulen samt der Entscheidungsträger darin selbst. Dasselbe gilt für die Sozialpolitik: Der Geist von Hartz IV ist überall.

„Zu verwirklichen ist das BGE auch nur mittels seiner Begrenzung auf den Nationalstaat und im Falle des Ausschlusses von Zuwanderern. Das strenge Armutsregime namens „Hartz IV“ würde also transformiert in ein noch rigideres Grenz- und Migrationsregime.“

Dass der Nationalstaat dafür wichtig ist, steht außer Frage, denn er – als Gemeinschaft von Bürgern – muss es bereitstellen und die Verantwortung dafür tragen. Weshalb aber sollten Zuwanderer ausgeschlossen werden? Zwar stellt sich die Frage, welcher Aufenthaltsstatus zur Voraussetzung für den Bezug wird, also eine Mindestaufenthaltszeit oder Ähnliches, doch die Ausweitung auf Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, ist sogar unabdingbar. Wie kommt Butterwegge auf den Gedanken, das sei nicht möglich? Der zweite Teil ist pure Phantasie des Autors. Mit dem BGE entsteht die Frage, wie mit Zuwanderung umzugehen ist, nicht erst, wir befinden uns schon länger mittendrin.

„Mindestlohn und BGE verhalten sich zueinander wie Feuer und Wasser: Wenn der Staat das Existenzminimum und die gesellschaftliche Teilhabe für alle Wohnbürger/innen garantiert, können Arbeitnehmer/innen keinen Anspruch mehr auf Lohn in einer die physische Existenz und die gesellschaftliche Teilhabe sichernden Höhe erheben.“

Dem ersten Teil würde ich durchaus zustimmen, aber nicht aus den Gründen, die Butterwegge anführt. BGE und Mindestlohn zugleich haben zu wollen, bedeutet, zwei einander gegenläufigen Prinzipien zu folgen. Beide dienen der Mindesteinkommenssicherung, der Mindestlohn aber ist erwerbsabhängig, das BGE ist erwerbsunabhängig.

„Auch der Sozial(versicherungs)staat und das BGE verhalten sich zueinander wie Feuer und Wasser. Wenn alle Wohnbürger/innen auf einem das sozioökonomische Existenzminimum garantierenden Niveau abgesichert wären, würden nicht bloß die (steuerfinanzierten) Fürsorgeleistungen des Staates entfallen, vielmehr auch die Sozialversicherungen weitgehend überflüssig, die vor den Standardlebensrisiken schützen sollen.“

Sofern das BGE eine Höhe hätte, die heutigen Versicherungsleistungen entspräche, weshalb sollten sie dann beibehalten werden? Wer wird denn von den bestehenden Versicherungen tatsächlich geschützt? Überwiegend diejenigen, die in entsprechendem Umfang erwerbstätig waren. Die Folgen sehen wir beim Arbeitslosengeld I, bei der Rentenversicherung.

„Für die LINKE macht das BGE (partei)strategisch deshalb keinen Sinn: Erstens schwächt die Forderung nach einem BGE den Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit, weil es den Staat aus seiner Verantwortung für deren Beseitigung entlassen würde.“

Strategische Fragen der LINKEN will ich hier nicht kommentieren, was darüber hinaus geht schon. Weshalb und wer entließe den Staat aus seiner Verantwortung? Wenn dieser „Kampf“ weiterhin für wichtig erachtet würde, dann würde er auch geführt werden, um in Butterwegges Duktus zu bleiben. Doch, wäre Arbeitslosigkeit, wenn es ein BGE gäbe, noch dasselbe wie heute? Wohl kaum, denn die gesamte Bedeutung erhält Arbeitslosigkeit aus zwei einfachen Gründen: Wer arbeitslos wird, verliert sein als legitim anerkanntes regelmäßiges Einkommen – das er sich „verdient“ hat. Darüber hinaus bedeutet Arbeitslosigkeit, dem Gebot der Erwerbstätigkeit nicht zu folgen und somit zum Gemeinwohl den entscheidenden Beitrag nicht zu leisten. Das ist als solches schon eine Bürde, die Bezugsbedingungen der entsprechenden Leistungen verstärkt das lediglich.

Abschließend schreibt er:

„Was die LINKE braucht, um erfolgreicher als bisher sein zu können, ist keine unrealistische Vision von einem „Schlaraffenland“, in dem niemand arbeiten muss, sondern eine überzeugende Alternative zum modernen Kasinokapitalismus, die Perspektiven jenseits von prekärer Beschäftigung, Armut und sozialer Ausgrenzung weist.“

Wo bleibt hier die Differenzierung? Butterwegge möchte wohl ein politisches Statement abgeben, von Analyse kann keine Rede sein. Dass ein BGE gerade nicht zum Schlaraffenland führt, sondern bei aller Absicherung eine gewaltige Zumutung darstellt, weil der Freiraum, den ein BGE schafft, eben auch gefüllt werden muss, seine Füllung jedoch nicht mehr vorgespurt ist durch die heute in jeder Hinsicht als sinnvoll anerkannte Erwerbstätigkeit, kann oder will er nicht sehen.

„Selbst wenn die Erwerbslosen mit dem BGE materiell besser als bisher abgesichert wären, bliebe das Problem ihrer sozialen Desintegration bestehen. Denn in einer Arbeitsgesellschaft wie unserer resultieren der Lebenssinn, der soziale Status und das Selbstwertgefühl der Menschen aus der Erwerbsarbeit.“

Diese Passage spricht Bände, weil der Autor damit übergeht, was die politische Ordnung in ihren Grundfesten auszeichnet: der Bürger steht in ihr im Zentrum, nicht der Erwerbstätige (siehe auch hier und hier). Mit seiner Behauptung befindet sich Butterwegge allerdings in guter Gesellschaft (siehe hier und hier), denn die These, wir lebten in einer Arbeitsgesellschaft, gehört zu den weit verbreiteten Deutungen. Dabei könnte einem schnell auffallen, dass gerade in Erwerbstätigkeit der Einzelne nicht um seiner selbst willen zählt, sondern als Aufgaben- oder Funktionsträger. Deswegen ist er ja auch – notwendigerweise – dort austauschbar, er kann und muss entlassen werden, wenn er nicht den Anforderungen entspricht. Das ist nur deswegen ohne Schaden für ein Unternehmen, sei es privat, sei es öffentlich möglich, weil der Einzelne eben nur für die Bewältigung der Aufgabe da ist. Sie aber ist genauso gut auf andere übertragbar. Er ist also darüber gerade nicht integriert. Wo er hingegen nicht austauschbar ist, sondern um seiner selbst willen gilt, das ist das Gemeinwesen der Bürger, in dem die Bürgerrechte bedingungslos verliehen werden. Gerade dadurch ist jeder politisch „integriert“. Heute hingegen gilt diese Integration nicht viel, stattdessen wird die in Erwerbsätigkeit in ihrer Bedeutung überhöht und mit nicht einlösbaren Erwartungen verbunden.

Sascha Liebermann

„Das tätige Leben – heute und morgen“…

…darauf wagt der Historiker Jürgen Kocka einen Blick im Debattenmagazin Berliner Republik(Jubiläumsausgabe). Er hebt mit einer Feststellung an, die bemerkenswert und vielsagend ist:

„Unsere Gesellschaft hört nicht auf, eine Arbeitsgesellschaft zu sein. Die Arbeit ist ihr nicht ausgegangen, wie namhafte Sozialwissenschaftler vor ein paar Jahren prophezeiten: Noch nie haben prozentual so viele Deutsche Erwerbsarbeit geleistet wie heute. Nach wie vor beruhen wirtschaftliche Leistungskraft, sozialer Zusammenhalt, kulturelle Orientierung und politischer Einfluss in hohem Maße auf Erwerbsarbeit. Aber die Arbeitsgesellschaft ändert sich grundlegend, in zumindest drei wichtigen Hinsichten…“

In der Tat war die These vom „Ende der Arbeit“ vorschnell und unpräzise. Dabei sollte aber nicht übersehen werden, dass ein Blick auf die Entwicklung des Arbeitsvolumens einen zu solchen Überlegungen führen konnte und kann. Denn, bei aller Zunahme der Erwerbstätigen, die auch Kocka offenbar für bemerkenswert hält, hat das Arbeitsvolumen kaum zugenommen, es verteilt sich also nur auf mehr Köpfe. Die Gründe für die deutsche Entwicklung sind nicht so klar (siehe „Geht der Gesellschaft die Arbeit aus?“ und „Irre Beschäftigungseffekte, wirklich tolles Land…“).

Die Behauptung, dass „wirtschaftliche Leistungskraft, sozialer Zusammenhalt, kulturelle Orientierung und politischer Einfluß“ in hohem Maße auf Erwerbsarbeit beruhen, ist erstaunlich. Zwar wird immer wieder behauptet, dass Erwerbsarbeit für den sozialen Zusammenhalt wichtig sei, doch spricht nichts dafür, dass dies in einem fundamentalen Sinne tatsächlich so ist. Sie hat zwar ihren Ort und ihre Bedeutung für unser Gemeinwesen. Der Zusammenhalt, den sie stiftet, ist aber keiner, der sich auf die Person als ganze richtet, die um ihrer selbst willen anerkannt würde, sondern nur auf sie als Mitarbeiter insofern, als sie der Erledigung einer Aufgabe dient. Im Erwerbsverhältnis ist der Einzelne gerade deswegen austauschbar, weil er nicht um seiner selbst willen wirkt, es geht um eine Aufgabe oder Sache, für die und nur in Relation zu der er wirken soll. Wo er das nicht mehr angemessen kann, muss er ersetzt werden. Das ist weder unmenschlich, noch Ausdruck von Kälte oder Sinnentleerung, wie manchmal zu lesen ist, sondern für eine arbeitsteilige Aufgabenbewältigung unerlässlich. Die Würde der Person ist dadurch nicht in Frage gestellt, weil sie diese Würde von sich aus hat und nicht erst durch Erwerbsarbeit erlangt (siehe hier und hier). Die Würde erfährt der Einzelne an anderen Orten, wo es auch tatsächlich um ihn um seiner selbst willen geht: in Familie und Gemeinwesen. Im Erwerbsleben wird die Würde erst dann virulent, wenn sie nicht geachtet oder der Zweck, dem ein Mitarbeiter dient, mit der Würde und damit den Grundlagen der politischen Ordnung kollidiert. Wenn Kocka feststellt, dass politischer Einfluss in hohem Maße auf Erwerbsarbeit beruhe, wäre das gerade problematisch – würde indes erklären, weshalb Tätigkeitsfelder jenseits von Erwerbsarbeit als Privatvergnügen betrachtet werden.

In einer späteren Passage schreibt Kocka:

„…Vieles von dem, was im 19. und frühen 20. Jahrhundert vornehmlich von Frauen im Haus erledigt wurde, ist zum Gegenstand von Erwerbsarbeit oder zur Aufgabe sozialstaatlicher Träger geworden. Der Rückgang der durchschnittlichen Kinderzahl hat die familiären und häuslichen Aufgaben stark reduziert. Die schnell ansteigende Frauenerwerbsarbeit ist teils Antrieb, teils Folge dieser Entwicklung…“

In der Allgemeinheit, in der er schreibt, wird man dem Autor leicht zustimmen können, doch wie ist es genau zu verstehen? Ist es tatsächlich so, dass die Aufgaben, die mit Familie einhergehen, heute weniger vereinnahmend sind? Was durch die Nutzung moderner Haushaltsgeräte oder die Übertragung von Aufgaben an Dienstleister an Zeit gewonnen wird, weil sie nicht mehr mit aufwendigen manuellen Tätigkeiten verbracht werden muss, ist Zeit, die frei wird, um sie den Kindern zu schenken. Sie ist damit sogleich wieder vereinnahmt für eine andere Aufgabe. Denn unsere Lebensverhältnisse verlangen dem Einzelnen heute eine individuierte Lebensführung ab, d.h. es gibt keine traditionelle Antwort mehr auf die Frage nach dem Sinn des eigenen Lebens, die den heutigen Lebensverhältnissen gemäß wäre. Deswegen ist auch die inviduierte Zuwendung zu den Kindern von so großer Bedeutung und zeitaufwendiger, als es traditionale Zuwendung war, denn diese individuierte Zuwendung fördert die Individuierung der Kinder wiederum und schafft damit die Grundlage für eine autonome Lebensführung. Diesen Wandel ernst genommen wird die Rede von der Arbeitsgesellschaft in ihrer Unangemessenheit noch deutlicher, weil sie für Familie gerade nicht den Raum lässt und ihn auch nicht schafft, den sie bräuchte, um sich diesen Herausforderungen zu stellen (siehe„Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ und „…wir wollen, dass jeder sein Leben in Würde selbst finanzieren kann…“)

Gegen Ende heißt es dann:

„…In dem Maße, in dem die Erwerbsarbeit stärker durch nicht-marktbezogene Arbeit ergänzt und mit dieser verknüpft wird, eröffnet sich auch ein inhaltsreicheres Verständnis der Arbeitsgesellschaft. Eine Arbeitsgesellschaft neuer Art, die der Erwerbsarbeit weiterhin einen zentralen Stellenwert einräumt, zugleich aber von menschlicher Arbeit anderer Qualität ebenfalls lebt: eine Arbeitsgesellschaft über die reine Erwerbsarbeit hinaus? Eine „Tätigkeitsgesellschaft“, wie Ralf Dahrendorf es formulierte? Eine Arbeitsgesellschaft, die zugleich Bürgergesellschaft (Bürger im Sinne von citizen) ist und gerade nicht in der Logik des Kapitalismus aufgeht? Vielleicht ist dies das zentrale Merkmal der gegenwärtigen Situation – und eine Chance für die Zukunft…“

Hier, erst gegen Ende, eröffnet der Beitrag den Ausblick darauf, etwas anderes zu sein als eine Arbeitsgesellschaft und verharrt doch zugleich in ihren Grenzen. Der Begriff „Arbeitsgesellschaft“ ist für unsere Lebensverhältnisse unangemessen und geht an ihren Fundamenten vorbei. Schon heute hinkt unser Selbstverständnis der tatsächlichen politischen Ordnung hinterher. Was uns zusammenhält, ist nicht die Arbeitsgesellschaft, es ist die politische Gemeinschaft – das mag uns nicht klar sein, ist jedoch die Realität.

Sascha Liebermann

Von der Arbeits- zur Tätigkeitsgesellschaft oder zur politischen Gemeinschaft?

Wo über das Bedingungslose Grundeinkommen diskutiert wird, ist das Schlagwort von einer Tätigkeitsgesellschaft nicht weit. Einige sehen im Grundeinkommen die Chance, die Erwerbszentrierung der Arbeitsgesellschaft zu überwinden. Endlich könnte die Vielfalt an Tätigkeiten, die für ein Gemeinwesen unerlässlich sind, anerkannt werden (z.B. hier, hier und hier). Überhaupt steht häufig das Tätigsein im Zentrum, drängen, so Befürworter, die Menschen doch ohnehin dazu. Dabei ist oft nicht klar, was das eine – das Bedingungslose Grundeinkommen – mit dem anderen – dem Tätigsein – zu tun hat, ob die Vorstellung von einer Tätigkeitsgesellschaft überhaupt hilfreich oder nicht eher missverständlich ist.

Von der Arbeits- zur Tätigkeitsgesellschaft oder zur politischen Gemeinschaft? weiterlesen

„Bedingungsloses Grundeinkommen: Zukunftsmodell oder zu phantastisch?“ – Audiomitschnitt online

Unter diesem Titel diskutierten am 26. Mai in Frankfurt am Main Axel Gerntke (IG Metall) und Sascha Liebermann über das bedingungslose Grundeinkommen. Eingeladen hatte dazu die Humanistische Union Frankfurt. Kurz zusammengefasst kann die Diskussion auf folgendes Fazit gebracht werden.

Auf der eine Seite, Axel Gerntke, stand die Position, die das Erwerbsprinzip möglichst breit ausweiten will. Dazu sollen die Verkürzung der Arbeitszeit, die Erhöhrung der Erwerbsquote, der Ausbau der Kinderbetreuung und andere Maßnahmen dienen. Obwohl Gerntke eingestand, dass all die Leistungen, die jenseits des Arbeitsmarkts erbracht werden, ebenso wichtig sind, wollte er die Konsequenz nicht ziehen, sie dann durch ein bGE zu ermöglichen. Nicht von ungefähr wiederholte er mehrfach die Formel, dass die einen die Leistungen erbringen, von denen die anderen leben. Auch der Hinweis von Sascha Liebermann, dass diese Relation zweiseitig sei, dass eben auch die Erwerbstätigen von den Leistungen derer leben, die nicht erwerbstätig sind, ließ er nicht gelten. Die Familie sei Hort des Patriarchats und emanzipationsfeindlich. Man könnte auch sagen, er plädierte für die Totalisierung des Erwerbsprinzips und eine Emanzipation von oben. Da wunderte nicht mehr, wie fremd ihm der Begriff des Bürgers als Citoyen, als Fundament der Demokratie war. Es war dann auch nicht weit bis zur These, ein Gemeinwesen bedürfe der Solidarität und die gehe nicht auf Individuen zurück, sondern auf Gruppen und Klassenverhältnisse.

Für die andere Seite stand Sascha Liebermann, dessen Position ausreichend bekannt ist. Für Interessierte sei auf zwei frühere Blogbeiträge verwiesen, hier der eine, hier der andere. Er plädierte dafür, Emanzipation von unten zu denken, dadurch dass den Bürgern Freiräume eröffnet werden und sie dann das Leben entfalten könnten, das für sie im Einklang mit dem Gemeinwesen steht, gleichwohl aber in ihrer Hand belassen wird.

Diskussion online hören oder herunterladen

Freiheit und Selbstbestimmung statt bevormundender Integration – Replik auf Julian Nida-Rümelin

Der nachstehende Beitrag wurde der Frankfurter Rundschau zum Abdruck angeboten, die Redaktion hat ihn jedoch abgelehnt. Wir dokumentieren ihn in einer überarbeiteten Fassung an dieser Stelle.
*****************************************************************************

Eine „fundamentale Spaltung“ des Gemeinwesens befürchtet Julian Nida-Rümelin (Nida-Rümelin, Frankfurter Rundschau vom 5. Juni) durch die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE). Aus diesem Grund plädiert er für eine „Erneuerung der Idee der Arbeitsgesellschaft“, für eine „Integration durch Erwerbstätigkeit“. Er will also die Freiräume der Bürger zum Wohle unserer demokratischen Ordnung nicht maximieren, sondern auf ein bestimmtes Ziel kollektiv ausgerichtet sein lassen, das auch bislang dominiert: die Erwerbsverpflichtung. Damit wird aus der Bürgergemeinschaft eine von Werktätigen. Schon die Maxime „Integration durch Erwerbstätigkeit“ lässt aufhorchen. Sind wir als Bürger nicht immer schon integriert, Angehörige unseres Gemeinwesens und Souverän? Sind wir nicht Legitimationsquelle unserer politischen Ordnung und von daher ohnehin „integriert“? Es bedarf dazu keiner Erwerbsverpflichtung, die im Duktus von Nida-Rümelin zum Hilfs- und Fürsorgeprogramm für die Stärkung des Zusammenhalts wird. Statt einer solchen bevormundenden Integration, benötigen wir lediglich ein Einkommen, um auch auf Erwersarbeit verzichten zu können.

Was progressiv klingt und im Dienste der Bürger sein soll, setzt indes nur fort, woran unser Land krankt: dem Einzelnen vorschreiben zu wollen, wo er sich einzubringen hat. „Integration durch Erwerbstätigkeit“ heißt in aller Konsequenz auch, dass jegliches Engagement jenseits von Erwerbsarbeit eines zweiter oder dritter Klasse ist und auch bleiben soll. Bei allem Lob in Sonntagsreden für ehrenamtliches Engagement, bei allem Respekt vor der elterlichen Sorge für die Kinder – anerkannt wird dies nur, wenn zuerst Erwerbseinkommen erzielt worden ist. Nicht Freiheit und Selbstbestimmung stehen im Zentrum, sondern bevormundende Integration, bevormundend, weil das Ziel vorgeschrieben wird, wodurch sie erfolgen soll.

Wenn alle Bürger unseres Gemeinwesens (und davon abgeleitet alle Personen mit dauerhafter Aufenthaltsberechtigung) ein Bedingungsloses Grundeinkommen erhalten, dann kann von einer Spaltung gar keine Rede sein, vielmehr wird der Zusammenhalt mittelbar gefördert. Als Bürger – und nicht als Arbeitnehmer – werden die Bürger durch das BGE anerkannt. Der Volkssouverän ist grundlegender als der Zusammenhalt der Erwerbstätigen. Das BGE schafft Freiräume – stets vorausgesetzt, dass es hoch genug ist –, die in voller Verantwortung auch genutzt werden können. Schon heute überlassen wir es dem Einzelnen weitgehend, sein Leben in die Hand zu nehmen, das ist heute schon die Grundlage unserer demokratischen Ordnung. Das BGE allerdings erweitert diese Freiräume noch erheblich. Von der Freiheit Gebrauch machen muss aber niemand, es kann sehr wohl sein, dass sie ungenutzt bleibt. Wer nun darin einen Einwand erblickt, träumt davon, Freiheit „sicherzustellen“, ganz so wie manche meinen, die Erwerbsbetätigung könne sichergestellt werden – das ist nicht nur eine Illusion, sondern noch Ausdruck eines Kontrollbedürfnisses. Auch heute wird niemand einem Arbeitsplatz zugewiesen. Es könnte also Bürger geben, die nur vom bGE leben, weil das, wofür sie sich einsetzen, im Gütermarkt nicht den rechten Ort hat. Andere, die sich auch heute mit ihrem Beruf identifizieren, werden sicher weiter erwerbstätig sein, vielleicht aber auch sich selbständig machen, mit einem BGE im Rücken wäre das viel einfacher. Unterschiedliche Lebenspräferenzen haben mit Spaltung nichts zu tun, sie stehen für Vielfalt. Offenbar sind wir uns darüber noch nicht ausreichend klar geworden, wovon das Fortbestehen unseres Gemeinwesens abhängt: von der Loyalität der Bürger. Wo sie sich mit dem Gemeinwesen identifizieren können, werden sie sich auch einbringen, das belegt das umfangreiche ehrenamtliche Engagement. Wenn heute Resignation zunimmt, sollte uns das nicht wundern. Wer glaubt, durch das Anziehen der Daumenschrauben die Bürger zu mehr Loyalität bewegen zu können, irrt. Um ihre Gefolgschaft muss geworben werden, und zwar durch eine freiheitliche Politik.

Für uns als Gemeinwesen muss doch entscheidend sein, dass wir Bürger als Bürger – nicht als Erwerbstätige – auf gleicher Augenhöhe stehen, dazu leistet das BGE einen maßgeblichen Beitrag. Darüber hinaus verleiht es in jeder Lebenslage Verhandlungsmacht, denn mit einem Einkommen im Rücken, müssen keine faulen Kompromisse eingegangen werden. Das BGE als solches ist schon Ausdruck von Solidarität, da bedarf es keiner Appelle mehr.

Statt eines dirigistischen Elterngeldes, das Prämien auf Fürsorge für die Kinder aussetzt, würde ein bGE fördern, was immer Eltern tun: ob sie zuhause bleiben oder erwerbstätig sein wollen, das wäre in ihre Hände gelegt. Das BGE ist keine Prämie auf ein bestimmtes Handeln, es ist allenfalls eine Ermöglichungsprämie für Bürger, ohne vorzusehen, wozu sie genutzt werden soll.

All diese Freiheiten seien schön und gut, sagen die Kritiker. Sie verweisen auf Studien zum ehrenamtlichen Engagement, die angeblich belegen, dass es Menschen in unserer Mitte gibt, die sich gerade nicht engagieren. Zum einen wird es solche immer geben, ja, und? Zum anderen, und das ist entscheidend, müssen wir eine Politik für die Regel, nicht für die Ausnahme machen. Außerdem – und das ist genauso bekannt wie diese Studien – wissen wir, welch demotivierende Auswirkungen der Bezug von Transferleistungen hat: die Stigmatisierung leistet ganze Arbeit. Wer kann schon durch die Straßen laufen und sich damit brüsten, arbeitslos zu sein angesichts einer Vergötterung der Erwerbsverpflichtung? Was aber, wenn die Stigmatisierung durch ein BGE aufgehoben wird? Das lässt sich erahnen.

Alle Einwände gegen das BGE zeigen, womit wir hadern: Die Vorstellung aufzugeben, dass die Bürger bestimmte Lebensziele zu verfolgen haben. Dazu denken wir uns alle möglichen Programme aus, sie sind gut gemeint und kommen doch Erziehungsprogrammen gleich. Deswegen stellen sie die eigentliche Gefährdung unserer demokratischen Ordnung dar, sie nehmen uns Bürger als Bürger nicht ernst. Ein BGE hingegen macht ernst mit der Stellung der Bürger in unserer Demokratie: Es eröffnet ihnen Freiräume, gibt ihnen Verantwortung zurück und sichert sie zugleich ab. Selbstbestimmung und soziale Sicherung sind kein Gegensatz, wie oft behauptet wird. Ermöglichung statt fürsorgender Hinführung, das muss unsere Maxime sein. Erst wenn wir ihr folgen, werden wir die Bevormundung im Geiste hehrer Ziele aufgegeben haben. Das BGE ist ein Schritt dahin.

Sascha Liebermann