„Der Schlüssel zum Grundeinkommen ist nicht technologisch, sondern ideologisch“…

…sagt Rutger Bregman in einem Interview mit Spiegel Online anlässlich des Erscheinens seines Buches „Utopien für Realisten“. Damit trifft er einen wichtigen Punkt, auch wenn ich nicht von „Ideologie“ sprechen würde, aber von beharrlichen Deutungsmustern oder Werturteilen, die dem BGE im Weg stehen. Sie sind die größte Hürde, die zur Einführung genommen werden muss – und nicht etwa solide Finanzierungsmodelle. Siehe meinen Kommentar zu dieser Frage hier. Siehe auch einen Vortrag von Bregman hier.

Sascha Liebermann

„Mama wählt nicht“ – über Herablassung und gut Gemeintes

…ein Bericht darüber, weshalb ihre Mutter nicht zur Wahl gegangen ist, über Herablassung mit der über Bedürftige oder Menschen in Armut gesprochen wird, von Anna Mayr bei Spiegel Online. Diese Herablassung ist es auch, die im Zentrum der Diskussion um ein Bedingungsloses Grundeinkommen steht. Mit dieser Haltung wissen die einen immer, was gut für die anderen ist, statt ihnen den Freiraum zu geben, ihr Leben zu leben, siehe z. B. hier.

„Jüngere können vielleicht schneller arbeiten, aber Ältere kennen die Abkürzung“…

…die andere Seite des ach so guten Arbeitsmarktes schreibt Spiegel Online:

„Auf 60 Prozent seiner Anschreiben habe er noch nicht mal eine Absage bekommen, erzählt er. Nur ein einziges Mal sei er zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden. Und was aus der Stelle wurde, weiß er nicht. Auf Nachfragen reagierte niemand. „So kann man nicht mit Leuten umgehen“, sagt er.“

Ist das ein Zeichen für Fachkräftemangel?

Und weiter heißt es im Artikel:

„Nur eines, das könne er sich gar nicht vorstellen: Hartz IV zu beantragen. „Das mach ich nicht. Da hab‘ ich eine Schranke“, sagt Rohrmann.“

Dieser Erniedrigung will er sich nicht aussetzen, die viele für so gerechtfertigt halten. Hieran wird deutlich, was ein Bedingungsloses Grundeinkommen leisten könnte.

Sascha Liebermann

„Was heißt schon arm?“ – und wie wäre es mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen?

…die zweite Frage stellt Spiegel Online zwar nicht, seine Autoren Florian Diekmann und Britta Kollenbroich haben über die erste aber eine eindrückliche Reportage geschrieben. Am Ende des Beitrags fehlt nur der Hinweis auf das Bedingungslose Grundeinkommen und die Möglichkeiten, die es schüfe.

Womöglich Grundeinkommensprojekt in Kenia – was ist davon zu halten?

Spiegel Online berichtete, andere mittlerweile auch, über ein mögliches Grundeinkommensprojekt, das in Kenia über zehn bis 15 Jahre Jahre laufen könnte. Finanziert werden soll es durch die US-Spendenorganisation GiveDirectly. Daran sollen „mindestens“ 6000 Personen teilnehmen nach Auskunft von Michael Faye und Paul Niehaus, Gründer von GiveDirectly, die einen Beitrag dazu auf Zeit Online veröffentlicht haben. Sie schreiben unter anderem:

„Zweitens muss er [der Test, SL] langfristig sein, sodass die Menschen langfristig die Garantie eines Grundeinkommens haben.“

Das ist nachvollziehbar, weil ein kurzfristiges Projekt den Teilnehmern keinesfalls erlaubt, bei Entscheidungen während des Projekts die Zeit danach außer Acht zu lassen. Allerdings sind auf eine Lebensspannt bezogen auch zehn bis fünfzehn Jahre nicht lang, wenn man bedenkt, dass Qualifikationen für den Arbeitsmarkt der Nach-Projektphase erworben oder erhalten werden müssen. Gleichwohl kann diese Perspektive eine Verschnaufpause darstellen, besonders in Lebenssituationen, in denen die Ausrichtung auf den Arbeitsmarkt unvernünftig sein kann, weil andere Fragen drängen, z. B. für Familien mit kleinen Kindern, in Lebenskrisen und ähnlichen Situationen.

Die Autoren schreiben weiter:

„Drittens muss die Zahlung innerhalb der definierten Gemeinschaften bedingungslos sein, da das Ziel ist, genauso viel über soziale Gemeinschaft wie über individuelles Verhalten herauszufinden. Bei allen bisherigen Pilotprojekten zum Grundeinkommen waren nicht alle dieser drei Kriterien erfüllt.“

Hier würde man gerne wissen, wie diese Gemeinschaften abgegrenzt werden. Kenia ist ein Staat, also eine politische Vergemeinschaftung, das wäre nach der Verfasstheit des Landes die Gemeinschaft, die für ein universalistisches BGE einstehen müsste (6000 Testpersonen bei 45 Mio. Einwohnern). Vergleichbar mit einem BGE als Solidarleistung einer politischen Gemeinschaft an seine Bürger und andere bezugsberechtigte Personen ist es nicht. Das ist ein nicht unerheblicher Unterscheid, wenn es um Auswirkungen geht.

Dann heißt es noch:

„Gleichzeitig können wir direkt an den politischen Debatten des Schwellenlandes teilnehmen. Somit ergänzt das Projekt die Pläne für Grundeinkommensexperimente der finnischen und der kanadischen Regierung, ebenso wie ein kürzlich vom Start-up-Inkubator Y Combinator angekündigtes Projekt.“

Was meinen die Autoren damit? Vielleicht Teilnahme durch Beratung? Politische Gemeinschaften sind nach innen und außen abgegrenzte Gebilde durch Zugehörigkeit bzw. Nicht-Zugehörigkeit, das ist die Basis dafür, dass sie selbst darüber befinden können, wie sie leben wollen. Legitimiert dazu, sich im Sinne dieser Frage einzubringen, sind nur die Bürger des Gemeinwesens, andere können beratend hinzugezogen werden, wenn die Bürger es wollen – sie sind aber nicht legitimiert, sich einzumischen.

Es wäre doch interessant zu wissen, wie es dazu kommt, dass die Autoren Kenia als Experimentierfeld auserkoren haben. Hat sich die Regierung dafür interessiert oder haben sich Bürgerinitiativen bei GiveDirectly beworben? Es kann zu Recht gefrag werden, ob ein Projekt, dass von außerhalb des Landes initiiert ist – so klingt es bislang – nicht eine Einmischung in innere Angelegenheiten darstellt? Jedes Projekt, das nicht von einem Land selbst getragen wird, ist eine Gratwanderung zwischen Stärkung und Schwächung von Autonomie, weil Ziele, Vorgehensweisen und Maßstäbe an Länder herangetragen werden, die nicht ihre eigenen sind. Darauf hatte unter anderem schon Elinor Ostrom hingewiesen. Das ist ein Dauerthema in der Entwicklungshilfe, wo nicht selten, zahlreiche NGOs sich in einem Land an einem Ort die Klinken in die Hand geben.

Und was sendet es für ein Signal, wenn eine US-amerikanische Spendenorganisation sich ein afrikanisches Land als Experimentierfeld sucht, statt in den USA dasselbe auszuprobieren? Immerhin sind es in Kanada und Finnland die Regierungen der Länder, die solche Experimente wollen, sie sind politisch dafür legitimiert. Ein Entwicklungsprojekt, ganz gleich welcher Ausrichtung, stellt immer eine Intervention da. Davon wie vorgegangen wird hängt es wesentlich ab, inwiefern die Autonomie gestärkt oder geschwächt werden kann.

Von alldem abgesehen sollte nicht vergessen werden, dass das Projekt in Namibia in einer ähnlichen Konstellation stattfand, ebenfalls nicht von der dortigen Regierung finanziert wurde und trotz der Ergebnisse bislang nicht dazu geführt hat, dass ein Grundeinkommen eingeführt wurde. Was sagt uns das?

Zur Frage, was Feldexperimente leisten können oder auch nicht siehe diese beiden Beiträge:

„Feldexperimente zur Erprobung eines Bedingungslosen Grundeinkommens –  aussagekräftig oder zweifelhaft“

„Feldexperimente zum Grundeinkommen – Nutzen oder Schaden?“

Von besonderer politischer Brisanz ist es, in einer Demokratie Experimente zu einer Frage durchzuführen, die durch die politische Verfasstheit schon beantwortet ist. Eine Demokratie, in der die Stellung der Bürger als Volkssouverän bedingungslos gilt, in der das Gemeinwesen darauf vertrauen muss, dass die Bürger sich einbringen – wie sollte in einem solche Gefüge ein Experiment gerechtfertig werden, dass genau dazu dient, herauszufinden, was schon längst Realität ist? Ein solches Experiment würde politische Selbstentmündigung bezeugen. Insofern ist es unverständlich, dass Gianis Varoufakis mit Blick auf die Schweiz und der bevorstehende Volksabstimmung von einem Experiment spricht.

Sascha Liebermann

„Denn beim Volk, das ist eine paradoxe Wahrheit, ist die Demokratie nicht gut aufgehoben“…

…meint Jakob Augstein in seiner Kolumne bei Spiegel online mit dem Titel „Volk und Wahrheit„. Über manche Kommentare kann man nur staunen, auch darüber wie weit sie an der Realität vorbeigehen. Augstein erweist sich hier selbst als einer derer, die es besser zu meinen wissen als die Bürger, doch von welcher Warte aus? Die Einwände kommen einem, wenn man mit der Grundeinkommensdiskussion vertraut ist, bekannt vor.

Er schreibt unter anderem:

„…Zwischen Wahlvolk und Politik macht sich eine große Entfremdung breit. Es herrscht ein Notstand der politischen Legitimation. Wie behebt man den? Durch Partizipation? Sollen die Menschen an den politischen Entscheidungen mehr beteiligt werden? Bloß nicht.
„Wenn man Europa kaputtmachen will, dann braucht man nur mehr Referenden zu veranstalten.“ Jean Asselborn, Außenminister von Luxemburg, sagte das nach dem Nein der Niederländer zum EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine. Asselborn findet, dass Referenden in einer parlamentarischen Demokratie kein geeignetes Instrument sind, um schwierige Fragen zu beantworten…“

Nun, Referenden und repräsentative Demokratie widersprechen sich nicht. In der Schweiz wird beides praktiziert und man kann nicht gerade sagen, dass es nicht funktionieren würde. Dass die EU nicht gerade über Referenden erfreut ist, hat sich schon öfter gezeigt. Sie werden so lange für gut befunden, so lange die gewünschten Ergebnisse herauskommen. Solche Kommentare trifft man in Deutschland übrigens auch öfter, wenn – wie Augstein es ebenfalls tut – auf Abstimmungsergebnisse in der Schweiz geschaut werden. „Oben“ weiß man also besser als „unten“, was richtig und gut ist. Das ist der Elitismus, der den Bürgern vielleicht gerade zum Halse heraushängt.

In anderem historischem Zusammenhang hat Max Weber einmal etwas beschrieben, dass Augsteins Befürchtungen in einem besonderen Licht erscheinen lässt:

„Daß der Deutsche draußen, wenn er das gewohnte Gehäuse bürokratischer Bevormundung um sich herum vermißt, meist jede Steuerung und jedes Sicherheitsgefühl verliert, — eine Folge davon, daß er zu Hause sich lediglich als Objekt, nicht aber als Träger der eigenen Lebensordnungen zu fühlen gewohnt ist —, dies eben bedingt ja jene unsichere Befangenheit seines Auftretens, welche die entscheidende Quelle seiner so viel beklagten »Fremdbrüderlichkeit« ist. Und seine politische Unreife ist, soweit sie besteht, Folge der Unkontrolliertheit der Beamtenherrschaft und der Gewöhnung der Beherrschten daran, sich ohne eigene Anteilnahme an der Verantwortlichkeit und folglich ohne Interesse an den Bedingungen und Hergängen der Beamtenarbeit ihr zu fügen.“ (Max Weber, „Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland“, in: Gesammelte politische Schriften, S. 258, Tübingen 1988).

Theodor W. Adornos schon in den 1960er Jahren geäußerter Einwand gegen die Sorge, man könne den Menschen zuviel zumuten, weist in eine ähnliche Richtung.

Augstein schreibt weiter:

„…Wer mehr Partizipation in die Demokratie rührt, dem fliegen die Reagenzgläser um die Ohren. Aus gutem Grund gibt es Parlamente. Sie schützen die Demokratie vor dem Volk und das Volk vor sich selbst. Denn beim Volk, das ist eine paradoxe Wahrheit, ist die Demokratie nicht gut aufgehoben. Volkes Stimme und Fortschritt – das geht nicht gut zusammen. Die Schweizer wollten keine Minarette, die Hamburger keine Gemeinschaftsschulen und die Niederländer jetzt keinen Vertrag mit der Ukraine. Vernünftig war das alles nicht – und fortschrittlich erst recht nicht…“

Was ist an der Entscheidung der Schweizer unvernünftig oder undemokratisch gewesen? Läge es nicht zuerst einmal näher, sich zu fragen, was die Bürger damals dazu bewogen hat, den Neubau von Minaretten zu verbieten, statt die Entscheidung für unvernünftig zu erklären? Dasselbe gilt für die Entscheidungen in Hamburg und den Niederlanden.

Wenn Augstein auf Erkenntnisse der Wahlforscher verweist, dass bestimmte Milieus ihre Rechte, hier: das Wahlrecht, stärker wahrnehmen als andere, dann wäre ebenfalls zu fragen, ob die Bürger dafür nicht selbst gerade zu stehen haben, wenn sie ihre Rechte nicht wahrnehmen? Er scheint einen politischen Paternalismus vorzuziehen, der weiß, was für die Bürger gut ist. Das Wahlrecht ist zum Glück nicht mit einer Wahlpflicht verbunden und dennoch entlässt es die Mehrheit nicht aus der Verantwortung, auch die Interessen der Minderheit zu beachten.

Zum Schluss schreibt er noch:

„Das ist auch eine Erklärung dafür, wie es sein kann, dass seit zwanzig Jahren in den westlichen Staaten die soziale Ungleichheit trotz freier Wahlen immer weiter zunimmt. Offenbar ist die Demokratie kein geeignetes Instrument, um für Gerechtigkeit zu sorgen. Die Welt hat ihren Siegeszug gesehen. Aber das Wort Demokratie bedeutet nichts mehr.“

Wie schnell dann doch die Bereitschaft sich zeigt, die Demokratie auch abzuräumen, wenn sie Entscheidungen zustande bringt, die einer für ungerecht hält.

Sascha Liebermann

Siehe auch folgende Kommentare zu Augsteins Beitrag:
Kommentar von Mehr Demokratie e.V.
Kommentare auf den Nachdenkseiten
Kommentar von Susanne Wiest