Trotz interessanter Überlegungen – Prechts Paternalismus neu aufgelegt

Da kann man Christoph Butterwegge, der nun wahrlich selbst paternalistische Einwände gegen ein BGE anführt, nur Recht geben mit seiner Entgegnung auf Precht in der hier abgebildeten Passage. Besonders irritierend ist, dass Precht zu Beginn der Aufzeichnung selbst ein Szenario entwirft, indem eine Mutter (warum nicht auch die Eltern?), mehr Zeit für ihre Kinder haben soll. Will man ihr die Entscheidung überlassen, braucht sie die Möglichkeiten dazu und die hat sie nicht, wenn sie erwerbstätig sein muss. Dass Kinder in bestimmten Altersphasen vor allem bei den ihnen am nächsten stehenden Personen sein wollen, taucht überhaupt nicht auf. Sonderbar, wie er für Selbstbestimmung plädieren kann, dazu interessante Überlegungen anführt und dann doch von oben auf bestimmte Gruppen herabblickt. So überraschend ist diese Haltung allerings nicht, zeigte sie sich doch schon früher gepaart mit einem Hang, Unterganggszenarien zu zeichnen (siehe hier sowie weitere Kommentare zu seinen Ausführungen). Hier geht es zum Podcast des DLF, in dem ich die aus dem Philosophiemagazin kopierte Passage nicht finden konnte, das hat womöglich damit zu tun, dass es sich um einen Zusammenschnitt handelt.

Sascha Liebermann

„Menschen einen guten angenehmen Lebensstandard zu geben“…

…, das hält Adair Turner, Vorsitzender des Institute for New Economic Thinking (INET) in einem Interview zum Bedingungslosen Grundeinkommen, für wichtiger als mehr Selbstbestimmung. Folgende Passagen sind besonders interessant. In der ersten geht es um Statusgüter:

„In einer Umgebung, in der Statusgüter (wie ein Grundstück in einer bestimmten Gegend) ein extrem wichtiger Teil dessen sind, wie unser individueller Lebensstandard aussieht, sind wir in einer Situation gefangen, in der das Individuum nicht mehr die Option hat, weniger zu arbeiten und mehr Freizeit zu haben. Die Menschen leben innerhalb einer Gesellschaft, in der das kollektive Verhalten bestimmt, welche Optionen dem Individuum zur Verfügung stehen. Wenn jeder Mensch seinen eigenen Weg wählen würde, wären die Auswahlmöglichkeiten auch anders.“

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Stilllegungsprämie – da weiß man, mit wem man es zu tun hat

Ein Bedingungsloses Grundeinkommen als „Stilllegungs-“ bzw. „Stillhalteprämie“? Laut Pressemeldungen soll Bundesministerin Andrea Nahles in einem Interview mit dem Handelsblatt das BGE als eine solche bezeichnet haben. Damit befindet sie sich in guter Gesellschaft, handelt es sich dabei um einen der häufig vorgebrachten Einwände. Doch alleine der Ausdruck „Stilllegung“ spricht Bände. Zwar handelt es sich um eine Übertragung aus einem anderen Zusammenhang – eine Maschine oder einen Betrieb kann man stilllegen – , doch genau das ist der Haken. Menschen, oder genauer: die Bürger eines Landes, um die es hierbei vor allem geht, sind keine Maschine, sie können nicht abgeschaltet werden, auch nicht im übertragenen Sinne. Sie sind autonom und treffen Entscheidungen. Wer nun aufgrund eines BGE seine Autonomie aufgeben würde, legte allenfalls sich selbst still, aber als Resultat einer Entscheidung. Sie ist jederzeit revidierbar.

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„Ist es sinnvoll, junge Arbeitslose in Beschäftigung zu zwingen?“ – Anke Hassel reagiert auf Zuschriften

Offenbar erhielt Anke Hassel auf ihren Beitrag in der Süddeutschen Zeitung „Süßes Gift“ (siehe meinen Kommentar) viele Zuschriften. Auf Facebook reagierte sie noch einmal mit einer zusammenfassenden Stellungnahme.

Der Platz in einer Zeitung erlaube es nur, Argumente zu umreißen und darüber hinaus gebe es keine Erkenntnisse darüber, wie ein BGE wirken würde. Kritik richte sich gegen ihre Ausführungen dazu, wie es auf Jugendliche und ihre Bildungsambitionen wirken könne. Sie fasst zusammen:

„Die Annahme ist die folgende: Wenn ein 18jähriger Schulprobleme hat (weil die Schule schlecht ist oder er schlecht deutsch spricht z.B.) und dann die Wahl hat sich entweder weiter durch die Schule zu quälen, eine Ausbildung zu machen und dann eventuell als Polizist zu arbeiten oder zu wissen, dass er auch ohne Anstrengung ein Auskommen hat, dann befürchte ich, dass mehr junge Menschen mit Schwierigkeiten den zweiteren Weg gehen. Ist das überheblich oder paternalistisch? So sehr wie die Schulpflicht paternalistisch ist, weil Jugendliche nicht selbst darüber entscheiden sollen, ob sie zur Schule gehen.“

Ist das nun eine rhetorische Frage? Offenbar nicht. Da Frau Hassel eine allgemeine Aussage trifft, ist sie von großer Bedeutung. Sie beruft sich selbst darauf, dass sie ein bestimmtes Handeln „befürchte“. In der Tat ist es paternalistisch, dann mit einer allgemeinen Lösung zu antworten, die nicht auf Selbstbestimmung setzt. Diesen Jugendlichen könnten selbstverständlich doch Angebote unterbreitet werden, aber auf einer anderen Basis als der „Schulpflicht“, Angebote eben, die ausgeschlagen werden können. Alleine, dass diese Option nicht vorgesehen ist, könnte ja schon zur Problemlage beitragen (viele Länder kennen nur eine Beschulungspflicht – sie erlaubt Homeschooling -, aber keine Schulpflicht). Die Schule ist ja nicht das Elternhaus, ebensowenig wie das Gemeinwesen eines ist.

Vorsicht oder Bedacht walten in Anke Hassels Ausführungen nicht, obwohl sie sich nur auf ihre Einschätzung stützt, auf sonst nichts. Es könnten die Gründe dafür differenziert erworgen werden, weshalb ein junger Mensch eine solche Haltung gegenüber der Schule hat, welchen Beitrag Lehrer dazu leisten, welchen die allgemeinen öffentlichen Debatten usw. Davon hinge nämlich ab, worin das Problem liegt und ob denn die allgemeine Schlulpflicht eine angemessene Problemlösung darstellt. Man kann nun nicht behaupten, dass es eine solche Diskussion nicht in differenzierter Form gäbe (siehe hier). Will man das differenziert betrachten, ist ein holzschnittartiges Beispiel wie oben wenig hilfreich.

Davon abgesehen muss gefragt werden, ob der Beispiel-Fall denn einer aus der Zukunft mit BGE ist? Treffen Jugendliche solche Entscheidungen nach Abwägen? Heute verlassen Jugendliche die Schule ohne Abschluss, ohne dass die allgemeine Schulpflicht das verhindern könnte. Ähnliche Erfahrungen machen auch Jugendämter mit Familien, die sich nicht erreihen lassen wollen. Und weil all das so ist, weil es also Menschen gibt, die wir nicht erreichen, soll allen gleichermaßen misstraut werden. Weil das solch schwierige Lebensgeschichten gibt, darf keiner ein BGE erhalten? Aus den Ausnahmen werden Regeln geschmiedet?

Sie fährt dann fort:

„Gibt es eine Evidenz außerhalb der Alltagserfahrung? Das iab hat gerade eine Studie zur Wirkung von Sanktionsmechanismen bei jungen Menschen veröffentlicht, die man so interpretieren kann, dass mehr Sanktionen zu mehr Arbeitsaufnahmen führen. Ist es sinnvoll junge Arbeitslose in Beschäftigung zu zwingen? Da werden sich die Geister scheiden, aber es nicht zu tun ist noch keine sinnvolle Arbeitsmarktpolitik.“

Was ist damit erreicht, dass mehr Sanktionen zu mehr Arbeitsaufnahmen führen? Darin kann doch nur eine Lösung gesehen werden, wenn „jeder Arbeitsplatz besser als keiner“ ist. Wer sagt, dass die Erfolge geringer wären, wenn mehr Vertrauen entgegengebracht würde? Mehr vertrauen darein, dass jeder erst einmal fähig ist, sich seinen Weg zu suchen – das erwarten wir ohnehin schon, und für den Fall, dass er das nicht ist, auf seine Verantwortung zu setzen, sich Hilfe zu suchen, z. B. in Form von Angeboten, die vorgehalten werden.

Es gibt sehr wohl Studien darüber, auf der Basis fallrekonstruktiver Verfahren, die besser verstehen lassen, wozu eine solche Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik führt, ihre stigmatisierenden Folgen, der zerstörerischen Druck, den sie aufbaut (siehe z. B. hier). Diese Art der Forschung jenseits standardisierter Verfahren erlaubt es, Bildungsprozesse in ihrer Individuierungsgeschichte zu verstehen, was die Voraussetzung dafür ist, angemessene Lösungen finden zu können. Sie erlaubt aber auch, allgemeine Einsichten in die Lebensführung zu gewinnen, die sich heute darin bewähren muss, mit den enormen Autonomieanforderungen eines enttraditionalisierten Lebens klarzukommen. Das ist weder etwas Besonderes, noch etwa neu, denn diese Autonomiezumutung ist in unsere politische Ordnung eingeschrieben, die in ihr Zentrum die Staatsbürger als Legitimationsbasis staatlicher Gewalt stellt. In der politischen Grundordnung setzen wir auf diese Selbstbestimmung sehr wohl: Den Souverän bilden die Staatsbürger. In der Sozialpolitik bleibt von ihnen nicht viel übrig. Von ihnen ist womöglich nicht ganz zufällig keine Rede in Anke Hassels Überlegungen.

Sascha Liebermann

Schiefe Vergleiche und unausgesprochener Paternalismus – eine Anhörung im NRW Landtag zum Bedingungslosem Grundeinkommen

Am 30. Juni fand auf Antrag der Piratenpartei eine Experten-Anhörung im Hauptausschuss des Landtages von Nordrhein-Westfalen zum Bedingungslosen Grundeinkommen statt. Nun steht das Protokoll (S. 5-25) der Anhörung online und erlaubt, Einblick in die Beiträge der Experten sowie in Antworten auf Fragen, die an sie gerichtet wurden, nachzulesen. Wer mit der Diskussion zum BGE vertraut ist, wird wenig Neues darin entdecken, allerdings finden sich hier und da Differenzierungen, die in der öffentlichen Diskussion selten vorkommen.

Interessant ist die nachfolgende Passage aus einer Antwort von Dominik Enste (TH Köln/ Institut der deutschen Wirtschaft) auf eine Frage aus dem Ausschuss. Er bezieht sich hierbei auf Ausführungen von Ute Fischer (Fh Dortmund/ Freiheit statt Vollbeschäftigung) zur Bedeutung bedingungsloser Anerkennung in vergemeinschaftenden Lebenszusammenhängen. Was sagte er?

„Eine völlige Bedingungslosigkeit gibt es vielleicht in der Familie, manchmal noch bedingungslose Liebe – danach sehnen wir uns alle – und selbst die ist meistens nicht gegeben, denn die Eltern lieben ihr Kind vor allem dann, wenn es zurücklächelt. Insofern ist auch dort eine gewisse Reziprozität vorhanden. Und diese ist dann eben auch in der Form der Bedürftigkeit bei diesem Einkommen Voraussetzung.“ (Protokoll der Anhörung, S. 16)

Überraschend ist, wie Enste zwei Dinge zusammenführt, die nicht vergleichbar sind. Die Eltern-Kind-Beziehung, die er zum Vergleich wählt und von ihr aus die Bedürftigkeitsprüfung herleitet (Reziprozität), ist eine asymmetrische. Kinder sind von den Eltern in vielerlei Hinsicht abhängig, Eltern treffen Entscheidungen für die Kinder, solange diese noch nicht entscheidungsfähig sind. Das ist nun in keiner Form vergleichbar mit der Beziehung Erwachsener zueinander, die sich in ihrer Selbstbestimmung frei begegnen. In einem Gemeinwesen begegnen sie sich darüber hinaus noch als Angehörige qua Staatsbürgerschaft, dadurch sind sie Gleiche unter Gleichen. Diese Beziehung ist eben nicht asymmetrisch, sie ist symmetrisch. Von hier aus gelangt man eben nicht zur Begründung der Bedürftigkeitsprüfung, stattdessen eröffnet es den Weg zum BGE. Enste sucht sich zur Veranschaulichung dessen, dass er die Bedürftigkeitsprüfung für richtig hält (Werturteil) ein ungeeignetes Beispiel, das der Analyse nicht standhält. Dass dadurch der Erwerbstätigkeit eine vorrangige Wichtigkeit zugesprochen wird und andere Tätigkeiten unter den Tisch fallen, sieht er nicht oder will er nicht sehen. Genau darauf wies jedoch Ute Fischer hin.

Eine zynische Note erhält das Ganze, indem er – und das ist eine Unterstellung – behauptet, dass „meistens“ Eltern ihr Kind vor allem dann liebten, wenn es zurück lächele. Nehmen wir einmal an, dass dies so sei, was folgte daraus? Wir hätten es dann mit einem Phänomen zu tun, das für entsprechende sozialisatorische Folgen sorgte. Denn die für einen gelingenden Bildungsprozess unerlässliche bedingungslose Hinwendung zu den Kindern zeigt diesen gerade, dass sie, so wie sie sind, angenommen werden. Diese Hinwendung ist eine, die keine bestimmte Gegenleistung voraussetzt. Ein Kind macht dadurch die Erfahrung, dass es ganz gleich, was es tut, geliebt wird. Was nun passiert, wenn diese Bedingungslosigkeit nicht einschränkungslos gegeben ist, lässt sich leicht veranschaulichen. Kinder machen die Erfahrung, dass es nicht um sie als solche geht, sondern darum, sich wohlzuverhalten, elterlichen Erwartungen zu entsprechen, sich also anzupassen an das, was den Eltern gefällt, nicht aber ihre Bedürfnisse zu artikulieren. Sollte eine solche Haltung der verbreitete Normalfall sein, müssten wir uns ernsthaft Sorgen machen. Dass sie vorkommt, steht außer Frage, ist aber gerade problematisch, weil sie die Herausbildung des Selbstvertrauens in die eigene Person als ganze beeinträchtigt (zur Lektüre dazu siehe z. B. hier). Wenn Enste das nun zum Regelfall erklärt, argumentiert er gerade gegen die Anerkennung der Person um ihrer selbst willen und erhebt einen Missstand zum Ideal. Das ist zynisch.

Was hatte denn Ute Fischer eigentlich gesagt, worauf Dominik Enste reagierte? Ute Fischer unterschied zwei Begriffe von Reziprozität, um deutlich zu machen, dass die verbreitete Rede von Reziprozität als Verhältnis von Leistung und Gegenleistung verkürzt sei:

„Wir haben das Prinzip des Äquivalententausches. Das ist die zweckgerichtete Leistung für die Ökonomie, für den Arbeitsmarkt – da verwenden wir Leistung und Gegenleistung als Äquivalent. Es gibt aber daneben den Bereich der sittlichen Reziprozität, der zweckfreien Gegenseitigkeit. Das verwenden wir immer da, wo wir als ganze Menschen eingebunden sind – in Familien und im politischen Gemeinwesen. Es sind zwei verschiedene Arten, Gegenseitigkeit zu verstehen. Für den ökonomischen Bereich ist der Äquivalententausch genau richtig: Leistung auf Gegenleistung. Für den anderen Bereich – und wir reden hier über das Sozialsystem, das ist der Bereich der politischen Vergemeinschaftung – ist die Gegenseitigkeit als zweckfreie Kooperation entscheidend.“ (S. 10)

Es gibt ein Verständnis von Reziprozität, das seinen Ort dort hat, wo Leistung bzw. -svermögen getauscht wird, z. B. am Güter- und Arbeitsmarkt. Diese Austauschlogik ist mit zweckgerichteter Reziprozität gut umschrieben, weil auch die Leistungsersteller in Gestalt von Mitarbeitern nicht um ihrer selbst willen eingestellt werden, sondern weil sie einem Zweck dienen sollen. Sie übernehmen eine Aufgabe oder Rolle. Deswegen sind sie ja auch austauschbar, ohne dass der Zweck, dem sie dienen sollen, darunter leiden würde. Es macht diese Tauschform aus, dass es nicht um die Person um ihrer selbst willen geht. Um die Person um ihrer selbst willen geht es woanders, und zwar gilt dort ein Verständnis von Reziprozität im Sinne eines zweckfreien Tauschs. Nicht Leistung wird dort getauscht, Personen als ganze tauschen sich miteinander aus und erkennen sich darin um ihrer selbst willen an. Deswegen ist es auch unangemessen, dies als Rolle zu bezeichnen, vielmehr sind es Positionen, die an Personen hängen, z. B. Vater, Mutter, Staatsbürger. Dieser zweckfreie Tausch, anders als häufig dargestellt, ist die Basis dafür, dass der zweckgerichtete verlässlich möglich ist. Normbindung, Bindung an Regeln und damit auch Verträge wird durch die Erfahrung des zweckfreien Tauschs als Grundlage von Bildungsprozessen erst ermöglicht. Die zweckfreie Reziprozität vollzieht sich in zwei Gemeinschaftsformen: in Familie bzw. familienähnlichen Sozialgebilde und in Gemeinwesen. In der Familie ist es die bedingungslose Anerkennung des Gegenübers als Angehöriger eines Verwandtschaftsgebildes (Gatte-Gattin, Eltern-Kind), im Gemeinwesen ist es die bedingungslose Anerkennung der Bürger als Legitimationsquelle politischer Ordnung (GG Art 20, (2)).

In der Diskussion um das BGE wird diese Differenzierung selten vorgenommen, sie ist jedoch wichtig, um zu verstehen, dass ein Gemeinwesen auf anderen Grundlagen steht als ein Erwerbsverhältnis. Solange das nicht genügend auseinandergehalten wird, scheint nicht nur das BGE eine Angelegenheit von einem anderen Stern zu sein, unser Verhältnis zu uns selbst als Bürger eines Gemeinwesens, die die Basis von allem sind, bleibt ebenso verstellt. Wir übersehen uns selbst, könnte man auch sagen. Wie soll es da Veränderungen geben können, die dazu führen, die Bedeutung der Bürger mehr zu achten?

Sascha Liebermann

„‚Freibier für alle‘ – Wird das Grundeinkommen Wirklichkeit?“ – Podcast online

Zur Radiodiskussion im SWR2-Forum steht nun der Podcast online zur Verfügung (es handelt sich um eine gekürzte Fassung des Originalgesprächs, das etwa eine Stunde dauerte). Es diskutierten:

Prof. Dr. Sascha Liebermann, Soziologe, Alanus Hochschule, Alfter bei Bonn
Prof. Dr. Wolfgang Schroeder, Politikwissenschaftler, Universität Kassel
Prof. Dr. Thomas Straubhaar, Wirtschaftswissenschaftler, Universität Hamburg
Gesprächsleitung: Matthias Heger

In dieser Diskussion wird sehr deutlich, worin sich eine fürsorglich-paternalistische von einer autonomiefördernden Sozialpolitik unterscheidet. Das geben nicht die guten Absichten zu erkennen, die auch Wolfgang Schroeder hat, sondern die Konsequenzen seiner Überlegungen. Er vertritt unbeirrt – trotz manchen Zugeständnisses – eine Haltung, die vor allem auf lenkendes Eingreifen des Staates in die Lebensführung der Bürger setzt, damit diese auch den richtigen Weg gehen. Richtig ist das normativ Erwünschte, und das ist Erwerbsarbeit. Bei allen Schwächen, die Schroeder in der gegenwärtig praktizierten Sozialpolitik sieht, rückt er doch von ihrem Geist nicht ab. Wie so oft in der Grundeinkommensdiskussion bzw. in der gesamten Diskussion über Sozialpolitik wird keine grundsätzliche Verbindung zwischen BGE und Demokratie gesehen. Meine Versuche das einzubringen verpufften letztlich. Auch die Bedeutung unbezahlter Tätigkeiten, die – nicht nur in Deutschland – den weitaus größten Umfang der Zeitverwendung ausmachen, wurde kaum berücktsichtigt, meine Versuche blieben hier ebenfalls ungehört.

Sascha Liebermann

„Würde der Arbeit“ oder Markt-Paternalismus?

Diesen Alternativtitel verdient die Kolumne von Michael Hermann im tagesanzeiger. Während er früher, nach seinem Studium noch vom Bedingungslosen Grundeinkommen angetan gewesen sei, sehe er dies heute anders. Weshalb?

Er schreibt:

„Anders als Ende Studium bin ich heute vom Gegenteil überzeugt. Wahre Kreativität beruht auch in der Möglichkeit des Scheiterns. Sie erblüht am vollsten, wenn Netz und doppelter Boden weggeräumt sind. Der Mäzen hat bei mir nie angeklopft, und das ist gut so. Erst dies liess mich die Kraft entdecken, die aus Zeit- und Finanzierungsdruck entstehen. Gäbe es keine Abgabetermine wie etwa für diese Kolumne hier – manches Blatt wäre weiss geblieben, mancher Gedanke nie gedacht und manche graue Stunde vertrödelt worden. Gelegentlich braucht es den sanften Stoss ins kalte Wasser.“

Dem ersten Satz zu widersprechen wäre aberwitzig. Ein Leben ohne Scheitern gibt es nicht, denn Gelingen und Scheitern sind Geschwister im menschlichen Handeln. Der Mensch muss sich entscheiden, er steht stets vor Handlungsalternativen, so dass Gelingen und Scheitern immer nahe beieinander wohnen. Mit Scheitern ist hier wahrscheinlich, so verstehe ich es zumindest, nicht Scheitern im Sinne von Versagen gemeint, wie es uns im Alltag wertend begegnet. Scheitern im Sinne des schlichten Misslingens oder des Umstands, dass eine Entscheidung nicht die erwünschte Lösung erbracht hat.

Die dann von Hermann gezogene Schlussfolgerung allerdings ist gar nicht zwingend. Ein BGE würde das Scheitern gar nicht beiseite räumen oder aus der Welt schaffen, es würden den Raum des Scheiterns weiten, weil nun auch Handlungsalternativen in Betracht kämen, die nicht an Einkommenserzielung gebunden wären. Insofern handelt es sich um ein beinahe klassisches Missverständnis. Hermann verschmilzt zwei Dimensionen von Scheitern, die nicht zusammengehören: das Scheitern daran, Einkommen zu erzielen auf der einen, das Scheitern daran, etwas Sinnvolles zu tun, das Anerkennung findet, auf der anderen Seite. Das BGE würde, weil es das zweite vom ersten entbindet, den Raum des Scheiterns erweitern. Heute ist dieser eingeengt. Es würde aber zugleich die Gefahr des ersten Scheiterns mildern, dass existenzbedrohend werden kann, weil es Einkommensmangel hervorbringt. Hermanns Vereinseitigung führt ihn dann zu einer Verklärung der Kreativität aus Not und Druck. Wir könnten auch andersherum schließen: Welcher Unsinn wäre nicht entstanden, wenn es diese Not nicht gegeben hätte.

Die Verwirrung schreitet in der nächsten Passage voran:

„Dies gilt auch in ganz anderem Kontext. So zeigen Erkenntnisse aus der Entwicklungs­ökonomie, dass bedingungslos verteilte Entwicklungsgelder sich gern in Bier verflüchtigen und in Dinge wie DVD-Rekorder investiert werden. Fair verzinste Kredite dagegen werden viel eher für Zukunftsinvestitionen etwa im?(sic) eigenen Landwirtschaftsbetrieb verwendet.“

Hier hätte man doch gerne Belege gehabt. Für Projekte zum Grundeinkommen wie in Namibia oder cash-grants wie in Indien gibt es diese Belege nicht. Siehe die folgenden Beiträge dazu in der New York Times, des MIT (Debunking the Stereotype of the Lazy Welfare Recipient) sowie die Vorträge von Michael Faye und Guy Standing an der Future of Work-Konferenz. Zur Frage der Arbeitslosenfalle, siehe Georg Vobruba und Sonja Fehr.

Hermann fährt fort:

„Egal, wo wir uns auf der Welt befinden: Es ist das? (sic) Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage, das schöpferische Kraft entfalten lässt. Es ist nicht nur besonders befriedigend, etwas zu schaffen, das Anerkennung bekommt. Oft ist es die Nachfrage, die zu Innovation anregt. Mit einem Grundeinkommen dagegen würden indirekt auch Tätigkeiten und Angebote subventioniert, die eigentlich einschlafen müssten, damit auf ihrem Boden Neues entsteht.“

Dass Angebot und Nachfrage ein hilfreiches Prinzip ist, wo es um standardisierte Massengüter geht, steht außer Frage. Aber gerade Produkte, also Problemlösungen, die von weitreichender Bedeutung sind und zuerst nicht in ihrer Tragweite erkannt wurden, brauchen länger, sofern sie sich überhaupt diesem Prinzip zufolge durchsetzen. In anderen Bereichen funktioniert es gar nicht, z. B. im Bildungswesen, weil Forschung und Lehre zugrunde gingen, wenn sie sich an Angebot und Nachfrage orientieren müssten (siehe hierzu „Not macht erfinderisch – aber nicht in der Wissenschaft“ von Thomas Loer). Die grundsätzliche Frag ist hier, nach welchem Maßstab entschieden werden soll, dass etwas „einschlafen müsste[n]“? Hermann behauptet hier einfach, dass das eine Prinzip die beste Lösung darstelle, das ist dogmatisch.

Und dann heißt es:

„Doch wie sieht es mit den vielen aus, die als Angestellte diese Freiräume nicht besitzen? Wie steht es um die, die innerlich gekündigt haben? Hier geht es um fehlende Anerkennung, um?(sic) Leerläufe und Willkür in hierarchischen Strukturen oder ganz einfach um unzumutbare Arbeitsbedingungen. Diese Herausforderungen lassen sich mit einem Geldregen nicht beheben. Unsere Gesellschaft muss sich nicht von der Logik des Erwerbseinkommens befreien, sie muss Organisationsstrukturen schaffen, welche die Arbeitnehmenden ermächtigen und ihnen ihre Würde zurückgeben.“

„Unsere Gesellschaft muss“…hier wird nun der oben geschmähte Eingriff beschworen. Wer ist denn die Gesellschaft? Meint er auch Gesetze? Auch reduziert er die Unzufriedenheit mit einem Arbeitsplatz auf ein Anerkennungsdefizit. Es könnte auch schlicht die Sinnlosigkeit einer Aufgabe sein, die jemanden frustriert oder enttäuscht. Wenn er aber partout lieber etwas anders machen möchte, dafür aber kein Einkommen erhielte, ist sein Freiraum heute erheblich beschränkt. Das BGE, bei dem es nicht nur oder nicht einmal vor allem um Geld geht, würde genau das tun, ohne lenkend einzugreifen und dem Handeln eine Richtung zu geben. Auch geht es nicht um die Würde der „Arbeitnehmenden“, es geht um die Würde der Bürger und derer die einen legalen Aufenthaltsstatus haben. Das ist viel breiter.

Abschließend offenbart sich nochmals die Einseitigkeit:

„Bedingungslose elterliche Liebe und Fürsorge sind die Grundlage für die Entwicklung eines Kindes. Bildungsangebote, die für alle kostengünstig zugänglich sind, schaffen Freiräume für die Entwicklung Jugendlicher. Zur Würde des Erwachsenwerdens gehört jedoch der Moment, in dem man lernt, auf den eigenen Beinen zu stehen. Alle, die mit Kopf und Händen einen Lohn verdienen, mit dem sie sich und ihre Familie ernähren können, sind auf eine besondere und reife Weise frei.“

Die Engführung auf Erwerbsarbeit ist erstaunlich angesichts dessen, dass er selbst auf das hinweist, was für ein Leben elementare Erfahrung darstellt: die Abhängigkeit von anderen: Zuerst sind es die Eltern und ihre bedingungslose Liebe, es ist aber auch das Gemeinwesen, das den Bürgern als Bürgern diese bedingungslose Anerkennung in der Demokratie gewährt; es ist die Loyalität der Bürger wiederum, von der das Gemeinwesen, aber auch jeder Einzelne abhängig ist und zuletzt das Vertrauen darein, dass andere sich einbringen wollen, dazu gehört auch, aber nicht nur Erwerbsarbeit.

Weiter:

„Arbeits­verhältnisse, die dies zulassen, müssen wir schaffen. Die Faszination für das bedingungslose Grundeinkommen hingegen lebt von der beinahe kindlichen Fantasie einer Rückkehr in eine unbeschwerte Welt der Fürsorge und Geborgenheit. Sie will das Gegenteil von Ermächtigung. Denn Ermächtigung bedeutet, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. Sie will Entmündigung.“

Wie kommt er darauf? Weshalb sollte das BGE die Verantwortung für das eigene Handeln nehmen? Wo Verantwortung auf Geldverdienen reduziert wird, muss mit der Einkommenssicherheit des BGE natürlich jegliche Verantwortung abhanden kommen. Doch ist das ein realistischer Blick auf die Lebensverhältnisse? Woher stammt die Verantwortung der Bürger, der Eltern, die für ihre „Leistung“ kein Einkommen erhalten?

Wie stark der Markt-Paternalismus einer bevormundenden Erziehung gleichkommt, zeigt die Abschlusspassage:

„…Wenn Computer immer mehr Dinge immer besser machen als Menschen, dann droht uns ein Leben, das von der Kindheit über die Jugend direkt ins Rentenalter übergeht. Es droht eine Welt, in der es das Freiheitsgefühl, wirtschaftlich auf eigenen Beinen zu stehen, womöglich nicht mehr gibt. Die grosse Herausforderung ist nicht, bereits heute ein Grundeinkommen für diese Zeiten zu schaffen. Die Herausforderung ist, Strukturen zu schaffen, welche die Menschen heute und auch dann noch zu ermächtigen vermögen.“

Wo ist das Problem? Wir haben die Strukturen in Gestalt der republikanischen Demokratie, sie ermächtigt die Bürger, weil sie die legitimatorische Quelle der Demokratie sind. Es ist eine Selbstermächtigung. Die Gegenwart ist viel weiter, als Hermann meint, doch wird sie unterschätzt. Es bedarf keiner Volkserziehung, um zum mündigen Bürger zu gelangen, es reicht, die Gegenwart ernst zu nehmen.

Sascha Liebermann

Auf alten Wegen dahindümpeln – Altersarmut bei Anne Will

Eine solche Diskussion, die mit den ewig alten und gleichen Antworten aufwartet, muss man wohl als Symptom dafür sehen, weshalb es nicht vorangeht. Solange dem Einzelnen nicht mehr zugetraut wird und er nicht seiner Stellung als Bürger gemäß wahrgenommen wird, bleibt er zwischen sozialstaatlichem und marktverklärendem Paternalismus eingeklemmt (siehe auch hier). Wie einfach wäre es, hier mit einem BGE anzusetzen, sofern man bereit wäre, den Vorrang von Erwerbstätigkeit vor allem anderen aufzugeben.

Sascha Liebermann

„Wir wissen, was gut für dich ist“ – Eine Reportage des „Zündfunks“ über ’nudging‘

Aus der Ankündigung: „Niemand lässt sich gerne was verbieten. Ein sanfter Schubs in die richtige Richtung? Den nimmt man schon eher in Kauf. „Nudging“ heißt das Schubsen auf Englisch und ist inzwischen nicht nur im Kanzleramt sehr gefragt.“ Hier geht es zur Sendung.

Paternalistische Verniedlichung und expertenhafter Hochmut

In einem Interview mit Junge Welt (24.5.) äußert sich Albrecht Müller (Nachdenkseiten) wieder einmal zum Bedingungslosen Grundeinkommen, allerdings nur nebenbei. Aufschlussreich ist die Äußerung wegen der darin zum Ausdruck kommenden Haltung (siehe auch „Bürgervergessen“ 2005, „Gedankenlose Nachdenkseiten“ 2010, „Werthaltung, die zweite“ 2010). Es ist diese Haltung, die unter anderem zu verstehen erlaubt, weshalb die Grundeinkommensdiskussion so langsam vorankommt. Auch bei denen, die sich als Vorkämpfer zur Veränderung des Bestehenden begreifen und die die anderen für voreingenommen oder borniert halten, herrscht eine gewaltige Voreingenommenheit.

Gegen Ende des Interviews heißt es in einer Nebenbemerkung:

„…Frau Kipping vertritt das bedingungslose Grundeinkommen, was zwar lieb gemeint, aber volkswirtschaftlich nun wirklich nicht zu erklären ist…“

Argumentativ abwägend ist das nicht. Im ersten Teil wird paternalistisch verniedlichend Frau Kipping als naives Mädchen hingestellt – das ist Paternalismus alter Manier (siehe „Paternalismus in zwei Kleidern“ 2007). Dass sie für ihre Vorstellung vom BGE jedoch mit Argumenten geworben und sie nicht einfach naiv als eine schönere Welt hingestellt hat, wird übergangen. Im zweiten Teil des Satzes herrscht expertenhafter Hochmut, der wuchtig daher kommt. Denn der Verweis auf volkswirtschaftliche Zusammenhänge gilt öffentlich als Trumpf. Mit seiner Hilfe lassen sich unliebsame Alternativen erledigen, bevor sie genau ergründet werden. Dass es Studien zur Finanzierbarkeit und den volkswirtschaftlichen Zusammenhängen des BGE gibt – von Thomas Straubhaar, Wolfgang Strengmann-Kuhn, Michael Opielka, Helmut Pelzer und Ute Fischer u.a. – weiß Müller sich auch. Weshalb werden sie dann übergangen?

Grund dafür sind wahrscheinlich die normativen Prämissen, auf deren Basis Müller zu seiner Einschätzung gelangt (siehe auch „Die Schattenseiten des Grundeinkommens“ 2012). Es geht in seinen Ausführungen stets auch darum, wie der Mensch und die Welt sein soll. Das gilt zwar für jeden, der öffentlich für Alternativen streitet. Aus diesem Grund sollten Analyse und Plädoyer deutlich auseinandergehalten werden. Das tut er nicht und suggeriert, die Analyse sei es, die zeige, dass ein BGE „volkswirtschaftlich nun wirklich nicht zu erklären ist“.

Es ist gerade seine Überbewertung von Erwerbstätigkeit, an der sich die Voreingenommenheit sehr klar zeigt. Leistung wird mit erwerbsförmig erbrachter Leistung gleichgesetzt; folglich wird nur dort wertvolle Arbeit geleistet, wo sie in Preisen Ausdruck findet. Bürgerschaftliches Engagement und familiale Sorge sind zwar schön und gut, aber doch nicht so bedeutsam wie Erwerbstätigkeit. Was ist von einer solchen Haltung für die Zukunft zu erwarten? Das Festhalten an der Politik des Arbeitshauses.

Sascha Liebermann