Auch hier findet eine Verkehrung dessen statt, was eine Existenzsicherung auszeichnet: ihre Unverfügbarkeit…

…ganz gleich, ob die Ausgaben für „temptation goods“ zu oder abnehmen würden. Das hat mit der Legitimität eines BGE nichts zu tun.

Frühere Kommentare zu Bregman von unserer Seite, siehe hier.

Sascha Liebermann

Das wäre aber so, als würde man die Existenzsicherung davon abhängig machen, dass jemand Engagementbereitschaft zeige…

…dabei gründet der Anspruch auf Existenzsicherung in der Fürsorgeverpflichtung des Staates als politischer Vergemeinschaftung von Bürgern gegenüber seinen Angehörigen. Auch „faul zuhause rum“-zusitzen ändert daran nichts, es wäre legitim. Wenn man das BGE davon abhängig macht, dass Studien zeigen, es sei anders als befürchtet, tilgt man schon das Attribut „bedigungslos“ aus dem, worum es geht. Eine Gemeinschaft, die Probleme zu bewältigen hat, wie in der gegenwärtigen Pandemie, muss eine öffentliche Debatte führen, wenn sie den Eindruck hat, die Aufgaben werden nicht übernommen. Davon aber darf die Existenzsicherung nicht abhängen, sonst wird sie verfügbar.

Sascha Liebermann

Welche „soziale Integration“? Lisa Herzog über Jobgarantie, Demokratie und ein Bedingungsloses Grundeinkommen

Zu lesen sind Lisa Herzogs Ausführungen in der Basler Zeitung online (Bezahlschranke), wenige Auszüge seien hier kommentiert. Für frühere Anmerkungen zu Ausführungen von ihr, siehe hier.

Im Interview geht es um verschiedene Fragen, die nachfolgend zitierte Passage dreht sich um die Folgen der Pandemie für die Arbeitsplätze und wie darauf geantwortet werden könnte:

„[BAZ] Eine Jobgarantie?

[Herzog] Eine solche finde ich interessanter als ein bedingungsloses Grundeinkommen. Dass man etwa ein staatlich unterstütztes Praktikum im öffentlichen oder privaten Bereich machen kann. Das wäre reizvoll für Jugendliche und junge Erwachsene, die im Moment den regulären Jobeinstieg nicht gut schaffen. Es eröffnet den Leuten eine sinnvolle Tätigkeit: Arbeit ist ja so viel mehr als nur Einkommensgenerierung, bedeutet oft auch soziale Integration.“

Als Beispiele für eine Jobgarantie und dafür, dass sie „interessanter“ sei als ein BGE, führt Herzog staatlich unterstützte Praktika an. Das ist ein etwas überraschendes Beispiel, denn der Vorschlag einer Jobgarantie soll doch vor allem auf „unfreiwillige Arbeitslosigkeit“ reagieren und Erwerbsbereiten einen Arbeitsplatz anbieten.

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„Erben“ ist tatsächlich keine Leistung, der Erbe empfängt – ein Erbe aufzubauen ist eine Leistung, aber auch nicht des Erblassers alleine,…

…ein BGE trägt dem genau Rechnung, dass jeder Erblasser auf den Schultern anderer steht, jeder Erbe ebenso und das ohnehin für alle gilt. Leistung muss nur weiter gefasst und im Zusammenhang mit ihren Voraussetzungen betrachtet werden. Wenn das schon Sozialismus wäre, dann stellt sich die Frage, was denn die realexistierenden sozialistischen Staaten waren.

Sascha Liebermann

„Freiheit und Freizeit für alle“ – aber wie und auf welcher Basis?

Lukas Hermsmeier schreibt auf Zeit Online über Erwerbsarbeit und ihre Überschätzung, ja Glorifizierung als Ort der Erfüllung und Selbstverwirklichung. Dabei bezieht er sich auf Ausführungen verschiedener Autoren, die sich zur Entwicklung des Arbeitsverständnisses und seiner Folgen äußern. An einer Stelle taucht der Vorschlag eines Bedingungslosen Grundeinkommens auf:

„Benanavs Analyse geht über die übliche Dystopie-Utopie-Binarität der Diskurse zum Thema Automation hinaus. Weder werden uns Roboter zwangsläufig alle Jobs wegnehmen und uns so zu Sklaven der Technik machen, erklärt Benanav, noch werden sie uns von aller Arbeit erlösen und dadurch befreien. Entscheidend dafür, in welche Richtung es gehe, sei, wer die Technologien für wen unter welchen Bedingungen vorantreibe. Auch an die angebliche Allheilkraft der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens glaubt Benanav nicht. Die Vorschläge dazu ließen das zentrale Problem unangetastet, das darin liege, wie Arbeit generell organisiert ist, so nämlich, dass die allermeisten Menschen keinerlei Kontrolle haben und die allerwenigsten davon profitieren. „Die Menschen haben heute wenig Mitspracherecht, wie ihre Arbeit erledigt wird“, schreibt Benanav, was daher komme, dass eine „winzige Klasse von ultrareichen Individuen die Entscheidungen über Investitionen und Beschäftigung monopolisieren“.“

„Allheilkraft“ – sollte Benanav das so vertreten haben, erstaunt einen der Popanz, denn wo behauptet jemand ernsthaft, ein BGE könne eine solche „Allheilkraft“ sein? Ähnlich wie bei Vertretern einer Jobgarantie wird behauptet, ein BGE lasse „das Problem unangetastet“, wie „Arbeit generell organisiert“ sei.

In der Tat lässt ein BGE direkt die Organisation von Arbeit unangetastet. Aber durch die Handlungsmöglichkeiten, die es schafft, schafft es zugleich eine Machtumverteilung, von der relativen Asymmetrie heute zu mehr Egalität.

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„Grundeinkommen wäre langfristig viel effektiver“ als Vermögenssteuer

Neunter Familienbericht vorgestellt, eine Fortsetzung des Achten – Erwerbstätigkeit als Lösung für beinahe alles

Gestern ist der „Neunte Familienbericht“ der Bundesregierung vorgestellt worden, bislang liegt er nur in einer Kurzfassung vor, so dass dieser Kommentar hier vorläufig ist und sich auf eine Zeitungsmeldung bezieht. Die Frankfurter Allgemeinen Zeitung schreibt dazu:

„Neben monetären Leistungen wie etwa einer eigenständigen Grundsicherung für Kinder fordern die sieben Wissenschaftler die substantielle Beteiligung beider Elternteile am Erwerbsleben gezielt zu fördern. Die Corona-Krise habe gezeigt, wie schnell ein Elternteil unerwartet den Job beziehungsweise Aufträge verlieren könne oder von Kurzarbeit betroffen sei. Die meisten Väter arbeiten in Vollzeit weiter, während Mütter in Teilzeit gehen.“

Diese Empfehlung entspricht der Sozialpolitik der vergangenen zwei Jahrzehnte ohnehin, wird doch Erwerbstätigkeit und die Steigerung der Erwerbsquote bei Frauen für das entscheidende Instrument gehalten, um auch Altersarmut vorzubeugen.

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„Geteilte Erziehungsarbeit“ – eine Nebensache?…

…Dafür scheint sie zumindest Dieter Schnaas zu halten, wenn man diesen Tweet liest, der auf seinen Beitrag in der Wirtschaftswoche zurückgeht. Er schreibt darin über die „Sechs Sackgassen der SPD“ und hält die Frage, wie Eltern sich der Aufgabe Elternschaft stellen können, offenbar für nachrangig. Das ist zwar ganz im Einklang mit der sozialpolitischen Degradierung von Familie zum Anhängsel des Arbeitsmarktes, damit auch mit einer von der SPD bislang befürworteten Politik. Der Sache selbst aber ist es nicht angemessen. Wenn man Familien unterstützen will, dann ist zu beachten, dass in ihnen – folgt man  Zeitverwendungsstudien (siehe auch „unbezahlte Arbeit“) – viel mehr Zeit aufgewandt als in Erwerbstätigkeit. Das ist auch nicht überraschend, wird dort geleistet, was anderswo nicht geleistet werden kann in derselben Weise. Woher die Geringschätzung, die Schnaas hier erkennen lässt? Angesichts der Ergebnisse der vergangenen Jahrzehnte spricht vieles dafür, Familien direkt stärker zu unterstützen, damit sie ihre Verantwortung wahrnehmen können, statt diese Verantwortung formal zwar aufrechtzuerhalten, ihr aber immer weniger Raum zu Entfaltung zu lassen, wenn Erwerbstätigkeit als das Non plus ultra gilt. Über die Folgen eines Elterngeldes, wie wir es heute kennen, das Eltern in zwei Klassen unterscheidet und als Lohnersatzleistung Besserverdiener relativ stärker unterstützt, äußert sich Schnaas nicht.

Sascha Liebermann