Bedarfsprüfung als solche muss nicht stigmatisierend sein – es hängt vom normativen Zweck der Bedarfsprüfung ab…

…das scheint mir ganz entscheidend in der Diskussion und wird nicht genügend beachtet, siehe „Über Bedarfe und Bedürftigkeit“. Weder eine Garantiesicherung noch ein Bedingungsloses Grundeinkommen machen Bedarfsprüfungen überflüssig für die Fälle, in denen es um Leistungen geht, die aus dem eigenen Einkommen nicht erbracht werden können, das gilt z. B. für aufwendige Gerätschaften als Assistenzsysteme sowie personale Assistenz u.a., die aufgrund von Erkrankungen z. B. notwendig sind.

Zwischen Garantiesicherung und BGE gibt es aber einen erheblichen Unterschied.

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„Warum die Garantiesicherung nicht die Lösung ist – Stephanie Aeffner“ – über Folgen der Bedürftigkeitspüfung durch Erwerbsgebot

Diese Stellungnahme zeigt, welche Verwerfungen eine Bedürftigkeitsprüfung mit sich bringen kann, wenn Antragsteller auf Sachbearbeiter treffen, die nicht verstanden haben, dass sie der Sicherung eines Rechtsanspruches dienen. Es sind aber zugleich Verwerfungen, die durch das Erwerbsgebot befördert werden, weil nun die Integrität des Einzelnen mit dem Erwerbsgebot kollidiert. Eine Garantiesicherung würde aber immerhin die Erwerbsbereitschaft nicht mehr zum Kriterium erheben und damit den normativen Charakter der Absicherung verändern im Verhältnis zu heute, wenngleich die Erwünschtheit von Erwerbstätigkeit als vorrangige Enkommensquelle bestehen bliebe. Stigmatisierungseffekte würden dadurch gemildert, aber nicht aufgehoben.

Vor mehr als zehn Jahren hatte Martina Steinheuer sich zu „Grundeinkommen und Behinderung“ deutlich geäußert.

Sascha Liebermann

Wird darüber nicht schon lange nachgedacht in der Debatte?

Wer vertritt denn in der BGE-Debatte ernsthaft die Position, dass Mehrbedarfe oberhalb des BGE nicht gedeckt werden sollen? Siehe auch meinen Beitrag hier.

Sascha Liebermann

„Was spricht eigentlich dagegen, dass die Gesellschaft […] ein Grundeinkommen garantiert?“ – Über Bedarfe und Bedürftigkeit

Diese Frage stellte Wolfgang Strengmann-Kuhn und erhielt unterschiedliche Antworten. Interessant ist an einer Stelle die Diskussion darüber, dass ein BGE, wenn es das Existenzminimum sicherstellen solle, es dies auch für diejenigen tun müsse, die Bedarfe über das BGE hinaus haben, es also wieder einer Prüfung bedürfe, um diese feststellen zu können. Die dürfe dann aber nicht stigmatisierend sein, das müsse bedacht werden. Strengmann-Kuhn weist dann darauf hin, dass häufig Bedarf und Bedürftigkeit verwechselt werden.

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„Arbeitslosigkeit und Rente“ – ein Einblick in die Untiefen der Sicherungssysteme…

…gibt Johannes Steffen auf dem Portal Sozialpolitik Aktuell. Der Beitrag zeigt, wie komplex das System der Sicherung in Deutschland ist, in dem Sozialversicherungs- und Bedürftigkeitsprinzip miteinander kollidieren. Um so deutlicher wird daran, welche Möglichkeiten ein Bedingungsloses Grundeinkommen eröffnen würde.

Sascha Liebermann

„Italien führt Grundsicherung ein“ – mehr Details dazu…

…liefert ein Beitrag von Michael Braun in der taz. Interessant ist hier auch der Hintergrund, vor dem die Einführung erfolgt, denn im Unterschied zu Deutschland ist Wohneigentum in Italien sehr verbreitet, so dass die Frage, wie es mit einem Wohngeld steht, von anderer Bedeutung ist. Die Grundsicherung ist aber ähnlich rigoros gestaltet wie das Arbeitslosengeld II in Deutschland. Für Italien ist eine solche Leistung allerdings ein Fortschritt, gab es bislang nichts Vergleichbares.

„Gegen ein Grundeinkommen gibt es viele Argumente“ – das eine ist nicht besser als das andere…

…wäre Jan Petter entgegenzuhalten, der sich auf bento gegen Andrea Nahles Äußerungen zum Bedingungslosen Grundeinkommen wandte, da die SPD für ein Recht auf Arbeit, nicht aber für „bezahltes Nichtstun“ stehe. Zwei Varianten gebe es, sich gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen auszusprechen, so Petter:

„Man kann sagen, es sei ungerecht, wenn Reiche dasselbe Geld wie alle anderen erhalten, obwohl sie es gar nicht brauchen.

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Subsidiarität, Bedürftigkeit und Mündigkeit – wie steht die Demokratie dazu? Wie das Bundesverfassungsgericht?

Diese Frage wirft ein interessantes Gespräch mit Wolfgang Neskovic, ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof, übertitelt, in neues deutschland auf. Veröffentlicht wurde es wegen des bevorstehenden Urteils des Bundesverfassungsgerichts (Beiträge zur Stellung des Bundesverfassungsgerichts von uns hier) zu Sanktionen im Sozialgesetzbuch. Neskovic ist sehr deutlich und sieht die Sanktionen im Widerspruch zur Unverfügbarkeit des Existenzminimums, die das BVerfG selbst in Urteilen festgestellt hatte. Neskovic sagt, dass Juristen selten die Verbindung zwischen dem Rechtsstaats- und dem Sozialstaatsprinzip herstellen und deswegen bislang Sanktionen für verfassungskonform gehalten wurden. Er erwartet hier kein umstürzendes Urteil in dieser Hinsicht, aber hält sich mit einer Prognose zurück. An einer Stelle äußert er sich indirekt zum Bedingungslosen Grundeinkommen. Er sagt auf die Frage:

Gibt es weitere Urteile [über das von 2010 hinaus, SL] des Bundesverfassungsgerichts, aus denen Sie ableiten, dass das Existenzminimum nicht gekürzt werden darf?
Ja. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 2012 zum Asylbewerberleistungsgesetz verdeutlicht, dass das Recht auf Gewährleistung des Existenzminimums zwar nicht bedingungslos ist, aber nur eine Bedingung beziehungsweise Einschränkung kennt: die Bedürftigkeit. Danach ist das Recht auf Gewährleistung des Existenzminimums gerade kein Recht auf ein bedingungsloses Grundeinkommen. Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Entscheidung allerdings unmissverständlich klargestellt, dass es neben der Bedürftigkeit keine weiteren Voraussetzungen oder Bedingungen für die Inanspruchnahme dieses Rechts gibt. So heißt es in der Entscheidung, dass »migrationspolitische« Gründe keine Kürzungen rechtfertigen. Konsequenterweise müsste das auch für die Gründe gelten, mit denen Sanktionen gerechtfertigt werden: Demnach können auch »pädagogische Gründe«, wie das Prinzip des »Förderns und Forderns«, Kürzungen nicht legitimieren.“

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Grundeinkommen, bedingungslos – was bedeutet das?

Wir erhalten immer wieder einmal Anfragen zu Aspekten der Grundeinkommensdiskussion, die offenbar für Verwirrung sorgen oder zumindest missverständlich sind. Jüngst ging es dabei um die genaue Bedeutung des Adjektivs „bedingungslos“. Angesichts seiner Unterbestimmtheit beißen sich manche Kritiker gerade daran fest, um gegen das BGE zu wettern, statt wohlwollend an einer Klärung mitzuwirken.

Das Attribut bedingungslos ist nicht frei von Missverständlichkeiten, denn es ist unterbestimmt. Sowohl in der deutschen als auch in der internationalen Diskussion werden deswegen noch andere Attribute gebraucht, wie z. B. „universal“, garantiert, allgemein. Sie sind jedoch nicht weniger missverständlich, denn sie könnten gleichermaßen zur Beschreibung von Hartz IV verwendet werden, auf das immerhin ein Rechtsanspruch besteht. Vereindeutigen lässt sich diese Unklarheit des Adjektivs „bedingungslos“ nur, wenn man sich vor Augen führt, worum es beim BGE geht und weshalb in der deutschen Diskussion das Attribut „bedingungslos“ eine so große Rolle spielt. Der ganze Vorschlag eines BGE richtet sich zuallererst gegen die Bedürftigkeitsprüfung bzw. die Regelung, Ansprüche durch Erwerbsarbeit erworben haben zu müssen, damit eine Einkommenssicherung (ALG I und Rente) gewährt wird. Diese Bedeutung der Bedingungslosigkeit ist ziemlich klar und findet sich ebenso beim Basic Income Earth Network, ohne dass dort von Bedingungslosigkeit die Rede ist.

Wird Bedürftigkeit bzw. Anspruchserwerb durch Beiträge als Kriterium für die basale Existenzsicherung hingegen aufgegeben, dann hat das Folgen für die bedürftigkeitsgeprüften Leistungen, die oberhalb eines BGE in Zukunft weiterhin bestehen sollen. Denn im Zentrum steht nun nicht mehr die Bedürftigkeit auf Grund des Ausfalls von Erwerbseinkommen bzw. von Erwerbsunfähigkeit, sondern die Bedürftigkeit aufgrund besonderer Lebenslagen, ohne dass Erwerbstätigkeit normativ Vorrang genösse. Erwerbstätigkeit als normatives Ziel stünde nicht mehr im Zentrum des Sozialstaats, sondern das Individuum. Damit änderte sich fast alles.

Dass die Bedingungslosigkeit selbst Bedingungen kennt (siehe meine Ausführungen hier), ist selbstverständlich. Es sind dies aber nicht Gegenleistungsbedingungen wie in den heutigen Systemen sozialer Sicherung, sondern Bereitstellungsbedingungen, die erfüllt sein müssen, damit es ein BGE geben kann. Das fängt schon damit an, dass ein Gemeinwesen die Bereitstellung durchsetzt und absichert. Dann muss es verteilbare Überschüsse geben, also ein bestimmter Wohlstand ist erforderlich. Wir können noch andere Bedingungen nennen, die in der Sache selbst liegen. Ein BGE wird, das ist als solches interessant, nur in den Staaten bzw. Kulturen auf Resonanz stoßen, die einen starken Begriff von Individualität und Gemeinschaft zugleich haben. Das erklärt, weshalb es bislang vor allem in westlichen Demokratien debattiert wird. Selbstbestimmung muss also schon zu den selbstverständlichen Werten gehören, damit ein BGE überhaupt für relevant erachtet wird. Weiterhin muss es eine Bezugsbedingung geben, die mit Zugehörigkeit zum Gemeinwesen bzw. dem Lebensmittelpunkt verbunden ist. Heute wird das über Staatsangehörigkeit und Aufenthaltsstatus geregelt. Erstere ist unerlässlich, weil es einen Souverän, der über sich selbst bestimmt, nur geben kann, wenn zwischen Angehörigen und Nicht-Angehörigen eines Gemeinwesens unterschieden wird. Staatsangehörige müssen das Gemeinwesen tragen, Entscheidungen verantworten und zur Aufrechterhaltung der politischen Ordnung beitragen. Nicht-Angehörige müssen all dies nur akzeptieren.

Dass zur Bereitstellung eines BGE Steuern notwendig sind, ist selbstverständlich, denn ohne Steuern können hoheitliche Aufgaben nicht erfüllt werden. Wenn nun in der Diskussion hier und dort behauptet wird, bedingungslos sei ein BGE nur, wenn es die Steuerlast nicht verändere insgesamt, dann ist das eine eigenwillige Ausdeutung der Bedingungslosigkeit. Sie ist ebenso eigenwillig wie die Haltung mancher Befürworter, ein „echtes“ BGE davon abhängig zu machen, ob es mit Mindestlohn, Arbeitszeitverkürzung oder anderen Regelungen einhergeht.

Sascha Liebermann

„Heilserwartung“, „sozialpolitische Widerstände“ – und blinde Flecken

Stefan Sell, der das Blog „Aktuelle Sozialpolitik“ betreibt, hat sich in einem längeren Artikel „Zwischen Heilserwartung und sozialpolitischen Widerständen“ mit den Beiträgen in jüngster Zeit zum Bedingungslosen Grundeinkommen befasst. Der Titel kommt zwar etwas reißerisch daher, das erklärt sich jedoch teils aus der Kritik an fundamentalistschen Zügen, die Sell in der Diskussion auf beiden Seiten ausmacht. Er schreibt das zu Beginn:

„Um es gleich an den Anfang dieses Beitrags zu stellen: Hier soll und kann es nicht um eine abschließende Bewertung des Konzepts eines bedingungslosen Grundeinkommens gehen (oder sagen wir besser: der vielen teilweise sehr unterschiedlichen Vorstellungen davon). Zuweilen hat man in der heutzutage sowieso immer gleich von Null auf Hundert beschleunigenden Nicht-Diskussionslandschaft des „Dafür“ oder „Dagegen“ den Eindruck, dass die Auseinandersetzung mit dem, was unter dem Etikett des „bedingungslosen Grundeinkommens“ verhandelt wird, partiell fundamentalistische Züge trägt. Die einen erwarten sich davon die Erlösung von Hartz IV und dem Erwerbsarbeitsjoch unserer Tage, die anderen sehen den Totalabriss der bestehenden sozialen Sicherungssysteme und ein perfides Täuschungsmanöver der Kapitalseite ante portas. Man kann aus guten Gründen die Debatte über ein bedingungsloses Grundeinkommen mit großer Sympathie verfolgen für den gedanklichen Grundansatz, ohne deshalb die skeptischen Stimmen und die Gegenargumente hinsichtlich einer Umsetzbarkeit verdrängen zu müssen.“

Da trifft Sell einen Punkt, der sich in der medial aufbereiteten Debatte in der Tat häufiger findet. Wenig pragmatisch wird mit dem BGE umgegangen, hochgejubelt oder verteufelt wird es allzu oft. Es gibt jedoch durchaus eine sachliche, bodenständige Diskussion, die schon länger auslotet, welche Möglichkeiten ein BGE bietet ohne Heilsversprechen zu machen. In dieser Diskussion wird auf Grenzen dessen hinzugewiesen, was sich über tatsächlich eintretende Folgen eines BGE sagen lasst, da diese ja davon abhängen, was die Bürger mit dem BGE machen. Und selbstverständlich spielt die Ausgestaltung eine Rolle. Für diese realistisch-pragmatische Haltung, die auf Grenzen des Bestimmbaren hinweist, wird man dann durchaus ebenso gescholten, denn es sei ja fahrlässig, über die tatsächlichen Folgen nichts sagen zu können. Als hätte man bei Gründung der Bundesrepublik Deutschland gewusst, was aus der Demokratie wird, für ein Gelingen sprach damals nicht allzuviel angesichts dessen, dass das deutsche Volk die Schrecken des Dritten Reiches zu verantworten hatte und nicht in der Lage war, den Krieg zu beenden.

Sell schreibt über die Zustimmung unter Vorständen großer Unternehmen, die Volksabstimmung in der Schweiz, den internationalen Aufwind für die Idee und die Unterstützung aus der IT-Branche im Silicon Valley. Er referiert die Ausführungen Thomas Straubhaars, der jüngst in verschiedenen Tageszeitungen publizierte, sowie die Rezension dessen Buches durch Christoph Eisenring in der Neuen Zürcher Zeitung.

Zu Straubhaars Ausführungen schreibt er an einer Stelle:

„Und man könnte und müsste an dieser Stelle ergänzen: Und noch höhere Steuersätze würden anfallen müssen, wenn man berücksichtigt, dass in einer idealen Welt vielleicht der Normalbürger über das Grundeinkommen halbwegs abgesichert werden kann – was aber ist mit den Behinderten und den Leistungen zur Inklusion, die sie erhalten? Was ist mit Zuschlägen beispielsweise für Alleinerziehende oder andere Personengruppen, die einen höheren Bedarf haben? Und auch wenn es nervt, müsste man die Frage stellen – wie anders als über einen Staatsstreich will man die erworbenen Ansprüche an die Sozialversicherungssysteme – man denke hier nur an die Rentenanwartschaften – beseitigen, um alles zu ersetzen durch ein einheitliches Grundeinkommen?“

Was Straubhaar in seinem Buch zu diesen Fragen sagt, weiß ich nicht. Meines Wissens hat er in jüngerer Zeit deutlich betont, dass es bedarfsgeprüfte Leistungen weiter geben kann und muss, weil ein BGE sie nicht decken könne. Würde das nicht vorgesehen, würde ein BGE eben nicht leisten können, was es leisten soll: Freiräume zu eröffnen, um Entscheidungen breiter treffen zu können als heute.

Und was ist mit erworbenen Ansprüchen? Das ist eine eminent politische Frage. Das BGE könnte einen Teil dieser Ansprüche ersetzen, den Teil, der darüber hinaus besteht, nicht. Es könnte eine Umwandlung der Ansprüche angestrebt werden, wenn das politisch gewollt ist. Oder das Rentenversicherungssystem wird beibehalten, die Rente aber stärker besteuert. Wege sind viele denkbar.

Aber wie ist es mit der heutigen Rente, worüber reden wir da? Die Deutsche Rentenversicherung verfügt über entsprechende Daten (siehe hier, S. 34). So betrug die durchschnittliche Altersrente in Westdeutschland in 2015 787 € (Männer 1040, Frauen 580). Vergleicht man diese Werte mit den von Straubhaar – und früher schon von anderen – ins Spiel gebrachten 1000 Euro BGE pro Monat und Person, lässt sich leicht erkennen, dass Frauen sich erheblich besserstellen würden, Männer würden auf dem heutigen Niveau etwa verbleiben. Auf Haushalte bezogen würde sich die Lage erheblich verändern, da BGEs in einem Haushalt kumulieren, also sich addieren. Ein weiterer Effekt des BGE ist, dass es immer zur Verfügung steht, so wird der Einzelne in den Stand gesetzt, Vermögen aufzubauen, wenn er es will. In Haushalten wirkt dies noch stärker möglich und würde gerade denjenigen zugutekommen, die heute am wenigsten dazu in der Lage sind. Dafür spielt es eine entscheidende Rolle, dass ein BGE für Erwachsene wie Kinder gleichermaßen hoch ist und kein Unterschied in der Höhe gemacht wird. Dann erst würde es Alleinerziehenden auch helfen.

Es gibt noch einen ganz anderen Punkt, der gegen die bisherige Rentenversicherung spricht: Sie ist erwerbszentriert und bezieht andere Tätigkeiten kaum ein. Haushaltstätigkeiten, Sorge um die Familie, um Angehörige – sie finden nur geringe Berücksichtigung. Gemäß dem Motto „(Erwerbs)Arbeit schützt vor Armut“ – was nicht stimmt – setzt deswegen die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik darauf, die Erwerbsteilnahme weiter zu erhöhen, das betrifft vor allem Frauen, die meist diejenigen sind, die sich um Haushalt und Familie kümmern. Das hat jedoch zur Folge, die Anwesenheiten im familialen Nahraum zu reduzieren, weniger Zeit für die Kinder zu haben, weniger gemeinsame Erfahrungen zu machen. Denn gegenwärtig wird angestrebt, Fremdbetreuung immer früher zu nutzen. So wird indirekt Druck auf diejnigen ausgeübt, die das nicht wollen, aber sehen müssen, dass sie einen Ü3-Platz bekommen können, wenn in derselben Einrichtung auch U3-Betreuung angeboten wird. Denn die U3-Kinder wachsen in die Ü3-Plätze hinein. Was für Väter schon als Missstand gelten kann, wird durch eine solche Sozialpolitik für Mütter nun zum Leitstern. Ein BGE würde eine Abkehr von dieser Haltung erlauben und den Sorgetätigkeiten die Basis verschaffen, die sie benötigen. Warum taucht dieses Argument für das BGE bei Sell in keiner Weise auf, wo es doch von so großer Bedeutung ist?

Gegen Ende seines abwägenden wohlwollenden Beitrags schreibt Sell, indem er einen anderen Beitrag zitiert:

„Aber man sollte vorsichtig sein, wenn uns wieder einmal eine allzu einfache Lösung in Aussicht gestellt wird. So auch die Kritik bei Andreas Hoffmann in seinem Kommentar Das Grundeinkommen würde uns alle überfordern: »Je mehr ich über das Konzept nachdenke, umso mehr Fragen stellen sich mir. Es ist, als hätte sich die Tür in ein Labyrinth geöffnet. Bald taucht die nächste Tür auf. Dann noch eine. Und noch eine.« Als Beispiel: »Wie steht es mit Tarifverträgen oder Kündigungsschutz? Die Arbeitgeber könnten dann jeden sofort rausschmeißen und sagen: „Du hast ja dein Grundeinkommen.“ Wozu noch Abfindungen oder Betriebsräte? Oder Gewerkschaften? Das alles kann auf den Müllhaufen des Sozialstaats.“

Nach wessen Dafürhalten kann das auf den „Müllhaufen des Sozialstaats“? Hier entscheidet nicht eine Partei, kein Unternehmen, sondern politische Willensbildung. Wenn dieser Wille tatsächlich alles auf den „Müllhaufen“ werfen will, wird das geschehen, wenn nicht, dann eben nicht. Natürlich kann es Tarifverträge mit BGE ebenso geben, sie haben jedoch nicht mehr dieselbe Bedeutung wie heute. Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass Tarifverträge in etlichen Bereichen heute gar nicht greifen. Die Tarifbindung lag nach Sells eigenem Verweis auf eine Erhebung in 2015 in Westdeutschland bei 59% der Beschäftigten. Weitere 21% hatten Arbeitsverträge die sich an Tarifverträge anlehnten. 20% hatten Verträge gänzlich ohne Tarifbindung. Auch mit BGE wird es Arbeitsverträge geben, wird es ein Arbeitsrecht geben – Arbeitsverhältnisse bewegen sich nicht im luftleeren Raum. Wenn Betriebsräte für wichtig gehalten werden, wird es sie geben. Allerdings wird durch ein BGE ohnehin die Stellung der Belegschaften gestärkt. Das sollte nicht übersehen werden. Auch ein Betriebsrat ist nur so stark, wie er Unterstützung erfährt. Warum sollten Abfindungen nicht in Arbeitsverträgen geregelt werden können? Auch hier wieder ein blinder Fleck, weshalb taucht dieser gewichtige Aspekt in Sells Beitrag nicht auf? Straubhaar weist immerhin daraufhin.

In derselben Passage geht es mit Bezugnahme auf die Anfänge der „Hartz-Reform“ weiter:

„Arbeitslos ist nicht gleich arbeitslos. Es gibt die alleinerziehende Mutter, die arbeiten und ihre Kinder versorgen will. Es gibt den schlecht ausgebildeten jungen Mann, der sucht und sucht. Es gibt den Langzeitarbeitslosen, der mit physischen und psychischen Problemen kämpft. Und. Und. Und. Die Idee der Pauschale wurde still beerdigt.«“

Sell zitiert wieder den Beitrag von Hoffmann. Nun, Thomas Straubhaar spricht von 1000 Euro BGE im Monat. Werden wir konkret. Eine alleinerziehende Mutter mit einem Kind hätten 2000, eine mit zwei Kindern 3000 Euro zur Verfügung. Wäre das eine Verschlechterung? Der hier zitierte junge Mann könnte sehr wohl weitersuchen, ohne sich den Regularien der Jobcenter unterwerfen zu müssen. Er könnte Beratungsangebote annehmen, die wirkliche Angebote sind, ohne Rechtsfolgenbelehrung wie heute. Wäre das keine Verbesserung? Würde die Befreiung von Druck nicht ihm vielleicht am meisten helfen? Zugleich ist das BGE Ausdruck eines starken Solidargefühls, weil es jedem zuallererst etwas zutraut. Auch das würde der junge Mann spüren können. Dasselbe gilt für den Langzeitarbeitslosen, der nicht mehr ausgeschlossen würde und sich angesichts des heute herrschenden Erwerbsideals als Gescheiterter sehen muss. Da sehe ich mehr Chancen als Probleme, die Probleme haben wir doch heute, nicht mit BGE.

Sell knüpft an die von Hoffmann zitierte Passage zu den Anfängen der Hartz-Reform an:

„An dem letzten Punkt könnte man etwas korrigierend ansetzen und sagen: Das Hartz IV-System hat genau deshalb so viele Probleme, weil es irgendwo hängen geblieben ist zwischen den Polen einer Einzelfallgerechtigkeit und einer unterschiedslosen Pauschalierung für alle, die aber aus fiskalischen Gründen zu niedrig bemessen wurde und ist. Und dann ist das „Grundeinkommen“ nach Hartz IV auch noch ein nicht-bedingungsloses Grundeinkommen, also an Verhaltenserwartungen und bürokratische Nachweispflichten geknüpft, die alle Beteiligten erschöpfen und einige teilweise zerstören. Aber wenn das schon so ist im Grundsicherungssystem SGB II, soll man wirklich glauben dürfen, dass das bei einem Grundeinkommen für alle ganz anders ausfallen wird?
Fragen über Fragen.“

Wenn das BGE ein gänzlich anderes Gefüge bildet und all die erniedrigenden Prozeduren des SGB II nicht enthält, dann wäre das ganz anders, sofern es nicht zu einer Sparversion eingedampft wird. Es steht außer Frage, dass es ein BGE in einer vernünftigen Variante nur geben wird, wenn die „schwarze Pädagogik“ aufgegeben wird, die den heutigen Sozialstaat durchzieht. Es erfordert eine Verbschiedung des Vorrangs von Erwerbstätigkeit, ohne diese Verabschiedung wird es ohnehin nicht kommen. Sorgen, die sich auf das BGE richten, müssten sie sich nicht genauso auf das heutige Gefüge richten? Wenn sich etwas ändern soll, muss das gewollt werden. Das ist immer so. Was dabei herauskommt, hängt von den Bürgern ab, da sind es leerlaufende, vielleicht sogar entmündigenden Vorbehalte, dem BGE Sorgen zuzuschieben, die in der Gegenwart genauso angebracht sind.

Sascha Liebermann