Ralph Boes hat am 1. Juli mit dem „Sanktionshungern“ wieder begonnen

Nach zweieinhalb Jahren „Totalsanktion“ durch das Jobcenter Berlin-Mitte hat sich Ralph Boes entschlossen, das Sanktionshungern wieder aufzunehmen. Im Jahr 2012 hatte er schon einmal gehungert, um auf die Folgen der Sanktionen im Sozialgesetzbuch hinzuweisen. Nun will er noch weiter gehen. Folgende Begründung hat er an das Jobcenter geschrieben (vollständige Fassung hier):

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Günter Wallraff im Widerspruch

Der stern berichtet über die jüngste Sendung des Rechercheteams um Günter Wallraff auf RTL. Das System Jobcenter soll dort aufgedeckt worden sein. Hier ein Auszug:

„Absurd. Ein anders Wort gibt es für diese Szene nicht. Durch ein Dorf in Süddeutschland führen einige Langzeitarbeitslose Lamas an der Leine. Ja, genau, die spuckenden Lastentiere aus Südamerika sollen in einer Maßnahme, wie es bei der Bundesagentur für Arbeit heißt, zu einem Job verhelfen. Die Arbeitssuchenden sollen nicht Lama˗Führer werden. Die Tiere haben eigentlich keinen nachvollziehbaren Nutzen bei der Jobsuche. Es ist absurd ˗ ein Wort, welches das Journalistenteam während der ganzen Recherche begleiten wird…“.

Wie steht denn Günter Wallraff zu Alternativen, wie steht er dazu, auf solche Einrichtungen wie Jobcenter mit Beaufsichtigungs- und Rechtsdurchsetzungsfunktion zu verzichten? Wenn er das alles für falsch hielte, müsste er dann nicht für ein Bedingungsloses Grundeinkommen plädieren, um gerade aus der Arbeitslosenanimierungs-, verwaltungs- und sanktionsmaschinerie herauszukommen? Er müsste, doch er tut es nicht, er lehnt es ab (siehe hier) – wie andere auch, die die gegenwärtige Sozialpolitik zwar heftig kritisieren, aber nichts von einer wirklichen Befreiung davon wissen wollen. Solange Einkommenssicherungsleistungen wie Arbeitslosengeld und Sozialhilfe nur als Notfallleistungen betrachtet werden, für die Ansprüche erworben oder Arbeitsbereitschaft gezeigt werden muss, solange wird dieser Unsinn fortbestehen, denn er geht auf den Vorrang von Erwerbstätigkeit vor jeglichem anderen Engagement zurück. Es ist heutzutage schon beinahe ein Heimspiel, die Sanktionspraxis der Jobcenter zu kritisieren, solche Artikel gibt es zuhauf, ernst wird es erst, wenn über Alternativen gesprochen wird.

Sascha Liebermann

Jobcenter-Arbeitsvermittlerin kritisiert Sanktionen nach dem Sozialgesetzbuch

Inge Hannemann war Arbeitsvermittlerin in einem Jobcenter in Hamburg und hat auf Missstände in der Arbeitsvermittlung aufmerksam gemacht. Das tat sie seit einiger Zeit über ihr Blog und auf Facebook, wo sie jetzt auch über die Vorgänge zur ihrer Freistellung als Mitarbeiterin informiert. Die Freistellung ist offenbar eine Reaktion auf ihre Aktivitäten. Hier verschiedene Artikel über ihr Engagement: Hamburger Abendblatt, Spiegel Druckausgabe.

„Hungern ist die halbe Miete“

Kürzlich hat Ralph Boes öffentlich gemacht hat, dass ihm für November erhebliche Sanktionen durch das Jobcenter angekündigt wurden. Er steht in Deutschland keineswegs allein, das System von „Fördern und Fordern“, wie es euphemistisch heißt, ist unerbittlich, wie auch ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung zeigt. Warum wehren wir uns nicht? Liegt das womöglich daran, dass insgeheim es doch eine große Mehrheit dafür gibt, die solche Sanktionen gut heißt? Oder denken viele, es könnte sie nicht treffen, gehe sie gar nichts an? Weit gefehlt, es trifft uns alle heute schon und zeitigt darüber hinaus Folgen durch die Angst, es könnte einen auch ereilen.

Wenn wir etwas ändern wollen, dann müssen wir es auch tun: Sanktionen durch Jobcenter, Regelsatzentzug

Ralph Boes von der Bürgerinitiative bedingungsloses Grundeinkommen Berlin hat sich schon vor mehr als einem Jahr mit seinem Brandbrief dazu entschlossen, gegen die von Misstrauen getränkte Sozialpolitik, die seit der SPD-Grünen Regierung unter Kanzler Schröder (die betreffenden Parteien neigen hier in der Frage, wer dafür verantwortlich ist, zu Vergesslichkeit) stärker denn je betrieben wird, vorzugehen. Nun treffen ihn die Sanktionen des Jobcenters. Dabei ging es und geht es Ralph Boes nicht um seine individuelle Lage, es geht um eine Sozialpolitik, die jeden von uns unmittelbar treffen kann, sobald er oder sie auf Arbeitslosengeld II oder auch andere Leistungen angewiesen ist, eine Sozialpolitik, die nicht für Pluralität und Vielfalt von Lebensentwürfen, sondern für Einförmigkeit und Erwerbsfixierung steht. Mittelbar trifft sie uns alle als Bürger eines Gemeinwesens heute schon; denn solange wir diese Praxis tragen bzw. dulden und nicht dagegen vorgehen und Vorschläge unterbreiten, die andere Wege eröffnen – wie das Bedingungslose Grundeinkommen -,  sind wir dafür verantwortlich, dass sie weiterbesteht. Es sind eben nicht „die Politiker“, die darüber befinden, wie wir zusammenleben, es sind wir Bürger, die sich erheben müssen, wenn wir das für falsch halten. Wie viele sich gegen diese Praxis wehren, lässt sich vielleicht an den Klagen gegen ALG II-Bescheide ermessen. Womöglich gibt es noch mehr Menschen, die sich nicht wehren, nicht zu wehren trauen oder nicht wissen, was sie tun können. Auch dazu finden sich Tipps auf der Website des Brandbriefs. Andere wehren sich auch, wie z.B. Torsten Büscher (Projekt Peine). In vielen Städten gibt es auch unabhängige Beratungsstellen, die weiterhelfen. Wenn wir etwas ändern wollen, dann müssen wir es auch tun.

Sascha Liebermann