Mit den Erfolgen der Piratenpartei werden ihre Überlegungen und Vorschläge zum Bedingungslosen Grundeinkommen stärker wahrgenommen. Das hat sicher zur Verbreitung der Idee beigetragen, manche Debatten, die schon geführt schienen, leben wieder auf (siehe hier und hier). Dass bei manchen der Eindruck entsteht, die Piraten hätten das BGE überhaupt in die Debatte gebracht, dazu trägt sicher die Vergesslichkeit der Medien bei, aber auch unterlassene Recherche derjenigen, die sich dafür interessieren. An der Präsenz von Informationen, die jede Google-Suche ausspuckt, kann es nicht liegen.
Dabei gibt es zwei Aspekte, deren Tragweite meines Erachtens unterschätzt wird. Der eine ist die Frage der Verknüpfung von BGE und Mindestlohn, der andere die Bedeutung von detaillierten Konzepten für das Vorankommen der Diskussion.
In der Piratenpartei wird offenbar keine notwendige Verbindung zwischen BGE und Mindestlohn gesehen, letzterer jedoch für unerlässlich erachtet, solange es kein BGE gibt (siehe Pressemitteilung zum Beschluss im vergangenen Dezember). Deswegen wird der Mindestlohn auch als Brückentechnologie bezeichnet, er soll in der Zeit des Übergangs den Weg absichern oder ihn gar bahnen helfen. Von dieser Warte aus betrachtet, ist es gut für das Grundeinkommen, wenn der Mindestlohn vorankommt (siehe auch die Kommentare). Diese Hoffnung ist nachvollziehbar angesichts der heutigen Lage, doch ist sie tragfähig oder etwa trügerisch? Beantworten lässt sich diese Frage nur, wenn man sich vergegenwärtigt, weshalb es das BGE so schwer hat. Das größte Hindernis, das es zu überwinden gilt, ist die Vorrangstellung von Erwerbstätigkeit, ihre normative Bedeutung und damit einhergehend die Abwertung aller nicht erwerbsförmigen Tätigkeiten. Was würde nun die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns an diesem Missstand ändern?
Nichts. – Ein Mindestlohn soll die Erwerbstätigen schützen, ihnen ein Mindesteinkommen sichern (allerdings ein niedriges). Er soll Lohndumping verhindern usw. All das lässt sich nur dann rechtfertigen, wenn Erwerbstätigkeit ein besonderer Rang eingeräumt wird, wenn also genau an dem festgehalten wird, was es zu überwinden gilt. Der Mindestlohn ist bestenfalls solange ein Schutz, solange jemand erwerbstätig ist. Weder öffnet er eine Tür zum Grundeinkommen, noch ist er ein Schritt auf dem Weg dahin. Er rüttelt nicht an der normativen Höherbewertung von Erwerbstätigkeit, er befestigt sie, weil sie für besonders schützenswert gehalten wird. Ob all die Hoffnungen der Mindestlohnbefürworter realistisch sind, sei dahingestellt. Dazu vorliegende Studien sind ebenso bloße Simulationsmodelle wie alle Berechnungsversuche zum BGE. Sie sagen nichts über die tatsächliche Welt von morgen.
Wenn zutrifft, dass ein Mindestlohn die gegenwärtigen Rechtfertigungsverhältnisse für Tätigsein nicht überwindet, dann verstellt er den Weg zum Grundeinkommen. Er würde sich als Beschäftigungsfalle erweisen ganz wie der Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen, denn er befestigt die Bedeutung von Erwerbstätigkeit und hebt die dadurch verursachte Abwertung von Familie nicht auf. Dasselbe gälte auch – neben anderen Missständen, die es erzeugte – für ein Kindergrundeinkommen (siehe „Gleiches Geld für alle, Kinder-BGE“, „‚Förderung des Kindeswohls‘ ohne Eltern“, Beitrag von Susanne Wiest).
Manche Befüworter eines BGE begründen den Mindestlohn auch als Entgegenkommen oder Annäherung an diejenigen, die Erwerbstätigkeit einen hohen Stellenwert beimessen und das BGE als Bedrohung wahrnehmen. Ein solches Entgegenkommen könnte bisherige Kritiker, so die Hoffnung, womöglich von einem BGE überzeugen. So wird häufig auch begründet, weshalb es detaillierte Umsetzungskonzepte geben müsse, nur mit ihrer Hilfe seien Skeptiker zu gewinnen. So einleuchtend solche Begründungen scheinen, so trügerisch sind sie. Detaillierte Umsetzungskonzepte (wie auch Finanzierungsrechnungen, manchmal gehen beide Hand in Hand) müssen, wollen sie ihren Zweck erfüllen, viele Annahmen treffen, Annahmen darüber, wie das BGE aussehen, welche Leistungen es ersetzen soll usw. (siehe z.B. hier). Damit nehmen solche Vorschläge vorweg, was erst zu diskutieren wäre. Noch ist die politische Willensbildung des Souveräns gar nicht so weit, überhaupt ein BGE zu wollen, geschweige denn, über eine Einführung nachzusinnen.
Soll denn, könnte hier eingewandt werden, über Umsetzungsschritte gar nicht nachgedacht werden? Keineswegs, das geschieht seit Beginn der Diskussion, viele Vorschläge sind schon gemacht worden, viele Wege gibt es, damit anzufangen. Man denke nur an den Grundfreibetrag in der Einkommensteuer bzw. der schon heute geltenden Definition des steuerfreien Existenzminimums. Letztlich, da beide schon bestehen, müssten sie nur umdefiniert werden, um anzufangen. Der Grundfreibetrag könnte als Positivum ausgeschüttet werden.
Da es beim BGE jedoch um einen großen Schritt geht – zumindest was die Vorstellungen über unser Zusammenleben betrifft, nicht etwa seine tatsächlichen Voraussetzungen – ist eine öffentliche Diskussion, eine dadurch geförderte Willensbildung unerlässlich. Vorankommen wird das BGE nur, wenn es gelingt, für die grundsätzlichen Fragen, die das BGE stellt, Interesse zu finden. Bislang ist das schon erstaunlich gut gelungen, schaut man auf die letzten neun Jahre zurück. Es kommt darauf an, dass die Diskussion breiter wird, das ist Herausforderung genug.
Sascha Liebermann