…ein Beitrag von Michael Sienhold im Schweizer Bund.
Mündigkeit durch Erwerbsarbeit?
In einem Interview mit Axel Honneth auf Zeit Online (Bezahlschranke) äußert er sich dazu, weshalb er gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen sei, aber auch zum Verhältnis von Erwerbsarbeit und Mündigkeit. Beide Passagen seien hier kommentiert, zu früheren Ausführungen Honneths siehe hier und hier.
„ZEIT ONLINE: Wenn der Mensch Sicherheit und mehr Zeit braucht, um sich zu engagieren, warum sind Sie trotzdem gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen?
Honneth: Das Grundeinkommen [sic] aus meiner Sicht ein Mittel zur weiteren Privatisierung des Menschen. Der Einzelne würde sich wahrscheinlich nur noch als Empfänger einer staatlichen Zuwendung verstehen und sich immer weiter aus der sozialen Kooperation ausklinken. Das Grundeinkommen garantiert in keiner Weise, dass das Interesse des Einzelnen an sozialen und politischen Zusammenhängen zunimmt. Ich denke eher, dass es das Gegenteil bewirkt und zu einem immer stärkeren Rückzug in die eigene kleine Welt führt, die aus Gleichgesinnten besteht. Daher verstehe ich auch nicht, woher der Glaube kommt, dass sich durch das Grundeinkommen mehr Menschen politisch engagieren würden. Wenn die Privatisierung zunimmt, erlischt vielmehr die Triebfeder demokratischen Engagements.“
Wissenschaft, Wissenschaftsbetrieb und Alternativen
Mit #BGE gäbe es ein Leben lang eine verlässliche Basis, zu der wissenschaftsimmanente Einkommen hinzukommen könnten. #Grundeinkommen
— BGE Eisenach (@bge_esa) April 22, 2023
Siehe dazu unseren früheren Beiträge zu Wissenschaft und BGE hier, hier und hier.
Zur Lage der Wissenschaft und der Diskussion um Reformen:
„Zum Selbstverständnis der Soziologie als Wissenschaft“
Sascha Liebermann
Wenn sich wieder einmal etwas „lohnen“ soll: Sozialversicherungspflicht mit hohem Mindestbeitrag bei geringem Einkommen…
…führt zu grotesken Auswirkungen, sofern ein Einkommen aus selbständiger/ freiberuflicher Tätigkeit 450 Euro monatlich überschreitet. Im hier interessierenden Beispiel geht es um das Einkommen aus Lehraufträgen an Hochschulen.
Bekannt ist seit langem, dass deutsche Hochschulen einen erheblichen Anteil ihrer Lehre durch Lehrbeauftragte bestreiten (50-70 % je nach Fach). Einst als Ergänzung gedacht, gehören sie heute zum festen Bestandteil des Hochschulalltags und sie werden schlecht vergütet. Die zu erfüllenden Voraussetzungen, um einen Lehrauftrag zu erhalten, können hoch sein – je nach Fach bis zur Promotion.
Dieser Missstand hat noch eine andere Seite, die womöglich weniger bekannt, aber nicht weniger skandalös ist. Wer über das Jahr gerechnet ein Durchschnittseinkommen von 450 Euro monatlich überschreitet, fällt unter die Sozialversicherungspflicht in der Deutschen Rentenversicherung und muss dort Beiträge entrichten.
Jutta Allmendinger zum Bedingungslosen Grundeinkommen bei Jung & Naiv
https://t.co/A3vaKm7Xxb@JA_Allmendinger habe Angst, dass das #BGE Leute „aussteuere“. Die soziale Integration der „Arbeit“ drohe auf der Strecke zu bleiben.(1:23:30)
Das #Grundeinkommen verbietet Lohnarbeit nicht.
Die Integration ins Gemeinwesen ist unabhängig von Lohnarbeit.
— BGE Eisenach (@bge_esa) April 20, 2023
Die relativ kurze Passage in dem langen Gespräch ab 1:23:30 gibt doch einen ganz guten Einblick darein, wie Jutta Allmendinger über das BGE denkt. Als sei die Diskussion nicht ziemlich differenziert mittlerweile, fordert sie auf Thilo Jungs Frage hin zuerst einmal eine Antwort darauf, welches BGE er denn meine. Systematisch betrachtet gibt es gar nicht so viele und der Kern ist bei allen ziemlich gleich. Abweichungen gibt es vor allem in der Betragshöhe und dahingehend, welche sozialstaatlichen Leistungen es ersetzen soll. Auch diese Spanne ist allerdings schnell benannt, hängt dann letztlich von praktischen Bewertungen ab.
Jutta Allmendinger zum Bedingungslosen Grundeinkommen bei Jung & Naiv weiterlesen
So widersprüchlich kann es sein,…
Immerhin: Auch von links taucht das alte republikanische Argument wieder auf.
(aus: Honneth: Der arbeitende Souverän) pic.twitter.com/ODXgovBf04
— Oliver Weber (@OliverBWeber) April 19, 2023
…wie Axel Honneth auf der einen Seite die Voraussetzungen herausstellt, derer es bedarf, um sich als Bürger mit öffentlichen Angelegenheiten auch befassen zu können, zugleich aber den Bürgern das grundsätzliche Interesse daran abspricht, sofern sie nicht erwerbstätig sind (siehe auch hier und hier).
Sascha Liebermann
„Universal Basic Income does not cause inflation“…
…ein Beitrag von Howard Reed, Elliott Johnson, Graham Stark und Matthew Johnson auf 360info, zu der immer wieder nicht nur vorgebrachten Sorge, sondern auch behaupteten Gewissheit, dass ein Universal Basic Income zu Inflation führe. Hier eine der Aussagen:
„If the logic behind objecting to a UBI on the basis of inflation were correct, then there ought to be absolutely no attempt to introduce new jobs or increase wages, since both increase purchasing power. If inflation is our sole concern, governments ought to slash wages and massively increase taxes. The point is that nobody wants either of those options because, even if they did reduce inflation, people would not want to have their wages reduced.“
Siehe dazu auch hier und hier.
Sascha Liebermann
Was ist das Problem von Geld- statt Sachleistungen…
Passt nicht zusammen:
Es gibt nur deshalb eine so große Bürokratie zur Einkommenssituation, weil die Gelder zielgenau fließen sollen.
Je zielgenauer, desto höher Nachweisanforderungen & desto wahrscheinlicher ihre Nichterfüllung#BGE hätten auch alle, die’s wirklich brauchen https://t.co/K0g2lVl8py
— BGE Eisenach (@bge_esa) April 7, 2023
…muss man sich bei manchen Einwänden gegen ein BGE wirklich fragen. Hier ist seine Zielgenauigkeit im Vergleich zur Zielungenauigkeit der bestehenden Leistungen benannt. Viele – nicht alle – Verfahren, die aufgrund der Bedürftigkeitsfeststellung nötig sind, könnten der Vergangenheit angehören. Die Bedarfsprüfung, überhalb des BGE- Betrages hätte normativ einen anderen Charakter (siehe hier).
Sascha Liebermann
„Der Mensch als kalter Nützlichkeitsrechner?“…
…ein Beitrag von Sebastian Thieme, der einen Einblick in die Wege der Debatte um den „homo oeconomicus“ gibt.
Dazu könnte aus der Soziologie und Ethnologie noch manches ergänzt werden, vor allem der Gebrauch des Begriffs „Anreiz“ (siehe auch hier) stellt in Debatten nicht selten eine black box dar. Manchmal wird der Begriff zwar benutzt, aber anders eingesetzt, als es auf den ersten Blick scheint. Seine Semantik alleine ist schon irreführend, weil sie eine Außenwirkung suggeriert. Selten wird er differenziert genutzt, wie es einst Walter Edelmann tat. Schon das von ihm benutzte Schaubild ist aufschlussreich, man beachte, wo er den „Anreiz“ verortet:
Deutlich wird hier schon, dass er gar nicht etwas ist, das auf die Person von außen einwirkt, wie es dem meist anzutreffenden Gebrauch entspricht. Schon gar nicht hat er eine Bedeutung, ohne die Neigungen und Fähigkeiten einer Person zu berücksichtigen sowie die Geltung von Normen in einem Gemeinwesen. Um deren Genese zu verstehen, müsste man sich allerdings mit sozialisatorischen Bildungsprozessen beschäftigen.
Sascha Liebermann
Den „Staat“ gegen die Mündigkeit ausspielen,…
Die Erwerbspflicht ist übergriffig – nicht ihre Aufhebung (= #BGE). #Grundeinkommen
— BGE Eisenach (@bge_esa) April 11, 2023
…BGE Eisenach rückt zurecht, was schief ist daran.
Die entscheidende Frage ist doch, worin die Leitplanke besteht, was muss sie leisten können? Der Staat lebt von der Mündigkeit der Bürger, was nicht dasselbe ist wie ihre finanzielle Selbständigkeit.
Welche Anstrengung ist denn gemeint? Man kann sich lange anstrengen, um gute Eltern zu sein, wenn es nicht möglich ist, ohne Einkommen für die Kinder zuhause zu sein, Angehörige zu pflegen oder sich anderswo zu engagieren. Der Vorrang von Erwerbstätigkeit ist der Übergriff.
Sascha Liebermann