„Arbeitswelt im Wandel“ – oder Unternehmen als Erziehungsanstalten?

Die Talksendung Anne Will (Kommentare zu früheren Sendungen finden Sie hier) befasste sich in der jüngsten Sendung mit der Diskussion über die heutige Konstruktion des Sozialstaats, die Sanktionen im Arbeitslosengeld und die verschiedenen Vorschläge, die sich die positiven Konnotationen des Wortes „Grundeinkommen“ zunutze machen wollen. Da sollte ein Bedingungsloses Grundeinkommen nicht fehlen, hierfür war Michael Bohmeyer eingeladen. Die einzige, die dafür gewisse Sympathien hatte und die Absurditäten der Sanktionen erkannte, war die Unternehmensberaterin Simone Menne. Die Sendung verlief wie so oft, die Einheitspartei aus Linke, SPD und CDU stritt an der Oberfläche, war sich aber einig, dass der status quo im Wesentlichen verteidigt werden müsse, d. h. an Sanktionen darf nicht gerüttelt werden.

Als die Runde auf das BGE zu sprechen kam, wurde im Einspieler von Anne Will sogleich darauf hingewiesen, dass ja bestimmte Personen dafür einträten, genannt wurden Unternehmer aus dem Silicon Valley (von denen oft nicht bekannt ist, was sie genau meinen), Joe Kaeser (Siemens, der sich nicht für ein BGE ausgesprochen hat) sowie Timotheus Höttges (Deutsche Telekom, der es tatsächlich für sinnvoll hält). Im Grunde war dieser Einstieg ein Versuch, den Vorschlag zu diskreditieren, denn, wenn Vorstände von Unternehmen bzw. Unternehmer dafür sind, kann es sich nicht um einen brauchbaren Vorschlag handeln. Entsprechend reagierten manche in der Runde. Andere wiederum sehen das als Adelung, wenn gerade sie dafür seien, dann müsse auch etwas dran sein. Michael Bohmeyer machte auf die vereinseitigende Darstellung aufmerksam. Wer sich ein wenig informiert, wird schnell herausfinden, dass die BGE-Diskussion seit 2004 öffentlich geführt wird und von ganz anderen als Unternehmern angestoßen wurde (Götz W. Werner ist eine Ausnahme). Unterstützer finden sich in den meisten Parteien, mal mehr, mal weniger, je weiter man in der Funktionshierarchie herabsteigt.

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Sanktionen helfen?

Das sollen sie, nicht bestrafen. Geäußert wurde dies kürzlich in einer Diskussionsrunde von einem Wissenschaftler, der sich intensiv mit den Sozialsystemen und darin den Sanktionen beschäftigt. Hartz IV sei besser als sein Ruf, nur ein geringer Teil der Bezieher werde überhaupt sanktioniert, wie kann es dennoch sein, dass darüber so breit diskutiert wird? In dieser Diskussionsrunde ging es um Auswirkungen des Sanktionssystems, wie es im Sozialgesetzbuch niedergelegt ist, aber eben auch um das Bedingungslose Grundeinkommen. Dabei sind Sanktionen nichts Neues, die Möglichkeit gab es auch im Bundessozialhilfegesetz von 1962 schon, sie kennzeichnen Sozialsysteme, in denen ein dauerhafter Leistungsbezug nicht vorgesehen ist, weil die Aufnahme von Erwerbstätigkeit oberstes Ziel ist.

Was irritierte den Kollegen? Vielleicht war es das, was er übersah. Sicher, wer nicht gegen die Mitwirkungspflicht verstößt, erfährt keine Sanktionen. Aber alle, die im Leistungsbezug sind, sind mit Sanktionen bedroht, denn – darüber informiert die Broschüre zum Arbeitslosengeld „Ihre Rechte, ihre Pflichten“ -, sie sind ein Instrument, das jeden treffen kann. Sanktionen sollen Konformität mit der Gesetzgebung erzwingen, das ist ihr Sinn. Sie treffen aber nicht nur diejenigen im Leistungsbezug, es handelt sich um eine Gesamtdrohung, sie richtet sich an alle, das Gemeinwesen ruft sich selbst zur Ordnung und weist darauf hin, was bei Zuwiderhandeln geschehen kann.

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Sanktionen zeigen Wirkung?

In der Tat zeigen die Sanktionen von Arbeitslosengeld II-Beziehern Wirkung, die Frage ist nur welche, was steckt genau dahinter und zuletzt, ob man sie tatsächlich für sinnvoll hält? Bei der angesichts der Vorschläge von Robert Habeck und Andrea Nahles heftig einsetzenden Verteidigung von „Fördern und Fordern“ ist es hilfreich, sich den IAB Kurzbericht „Schnellere Arbeitsaufnahme, aber auch Nebenwirkungen“ sowie die Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes anlässlich einer Anfrage des Bundesverfassungsgerichts, vor Augen zu führen. Der DGB  hat sich davon selbst offenbar distanziert und das Gutachten aus dem Netz genommen, es scheint so gar nicht zu seiner offiziellen Linie zu passen.

Auch eine Studie, über die Zeit Online unter dem Titel „Mehr Kindergeld fließt nicht in Alkohol und Unterhaltung“ berichtet, widerspricht gängigen Vorurteilen. Deutlich wird an ihr allerdings, wie wenig die eingesetzten Methoden taugen, um der Frage nachzugehen. Statt nicht-standardisierte Forschungsgespräche zu führen und sie fallrekonstruktiv auszuwerten, werden standardisierte Befragungen eingesetzt, die nur an der Oberfläche der Phänomene kratzen und keine differenzierten Erklärungen ermöglichen.

Siehe zur Debatte auch:

Zur Kritik des Armutsfallentheorems (Ronald Gebauer und Hanna Petschauer)
Die Arbeitslosigkeitsfalle vor und nach der Hartz-Reform (Georg Vobruba und Sonja Fehr)
Fordern statt Fördern? – Nein! Wege aus Arbeitslosigkeit und Armut erleichtern (Ronald Gebauer)
Arbeit gegen Armut. Grundlagen, historische Genese und empirische Überprüfung des Armutsfallentheorems (Ronald Gebauer)

Sascha Liebermann

„Abschaffung Hartz IV: Die Wächter über den neoliberalen ‚Sozialstaat‘ melden sich zu Wort“…

…so der treffende Titel eines Beitrag von Marcus Klöckner auf den Nachdenkseiten. Klöckner führt manche Stimme an, die sich auf den Vorschlag Robert Habecks, eine Garantiesicherung einzuführen, zu Wort gemeldet hat bislang. Es kommt einem vor, als würden sich die Anhänger des missverstandenen Paulus-Zitats „Wer nicht arbeiten will [das Modalverb wird meist ausgelassen, SL], soll auch nicht essen“ erheben. Doch Klöckner trifft mit dem wenig hilfreichen Attribut „neoliberal“ nicht die Sache, denn der erwerbszentrierte Sozialstaat hat von Anbeginn auf Arbeitsverpflichtung gesetzt, das kam nicht durch die Agenda 2010 in die Welt. Wer den alten Sozialstaat diesbezüglich verteidigt, verklärt ihn, ganz wie die Befürworter einer repressionsfreien Grundsicherung (siehe auch hier), die kein Bedingungsloses Grundeinkommen wollen, aber eine Grundsicherung ohne Sanktionen, die zugleich dem Erwerbsgebot dient. Das ist ein Widerspruch in sich. Klöckner beschließt seinen Beitrag hiermit:

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„Vorsicht: Hartz-IV-Falle!“…

…damit befasst sich der Beitrag von Eva Roth in neues deutschland angesichts der seit etwas mehr als einem Jahr immer wieder einmal verkündeten Abkehr von Hartz IV, die bislang meist keine war. Was ist davon zu halten? Die Frage lässt sich beantworten mit dem Blick darauf, ob denn im bestehenden System, mit seiner normativen Fundierung, auf Sanktionen überhaupt verzichtet werden könne. Die Gründe für die Sanktionspraxis liegen jedoch im System selbst begründet, darauf macht Roth aufmerksam und verweist auf den Sozialwissenschaftler Stefan Sell, der eine vollständige Aufhebung der Sanktionen für nicht möglich hält, solange Bedürftigkeit geprüft werden muss. Diesen Zusammenhang haben auch andere, z. B. Helga Spindler, schon gesehen und einen vollständigen Verzicht auf Sanktionen ausgeschlossen. Wer eine Neuausrichtung will, müsste die Beitragsfinanzierung der Sozialversicherung mindestens relativieren und mehr auf Steuerfinanzierung setzen. Eine wirkliche Befreiung vom normativen Fundament wäre aber nur mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen möglich – das schreibt Eva Roth allerdings nicht, auch Stefan Sell will davon nichts wissen.

Sascha Liebermann

„Hartz IV ist von gestern“…

…das soll Lars Klingbeil, Generalsekretär der SPD, in einem Interview mit focus gesagt haben. Nun haben wir solche Ankündigungen im vergangenen Jahr schon öfter gehört (siehe auch hier), im Debattencamp der SPD vom Wochenende wurden sie wiederholt, bislang jedoch haben sie sich als Enten erwiesen. Die entscheidende Frage ist, wie die SPD das erreichen will? Solange es eine Grundsicherung heutigen Zuschnitts gibt, wird die Realität von Hartz IV, auch wenn die Bezeichnung verschwindet, fortbestehen. Denn diese Realität hängt nicht an Bezeichnungen, sondern an der Verknüpfung von Grundsicherung und Erwerbsverpflichtung samt der nötigen Sanktionsinstrumente, um Wohlverhalten von Leistungsbeziehern erreichen zu können.

Das kann man nun lange kritisieren und – wie andere – eine repressionsfreie Grundsicherung fordern. Doch sie erliegt der Illusion, dass sich dann Entscheidendes verändert, wenn schöne Bezeichnungen gewählt werden, ohne den normativen Charakter einer solchen Leistung in Augenschein zu nehmen. Denn entscheidend ist, ob das Erwerbsgebot bestehen bleibt oder nicht. Solange es bestehen bleibt, wird es Sanktionsinstrumente geben müssen, damit Leistungen nicht auf Dauer bezogen werden. Solange es das Erwerbsgebot gibt, sind sie eben nicht auf Dauer angelegt. Da ist es doch geradezu sympathisch, wenn, wie z. B. Christoph Butterwegge es getan hat, zumindest ganz offen auf die Erwerbsverpflichtung jeder erwerbsfähigen Person gepocht wird. Da weiß man, womit man es zu tun hat.

Sascha Liebermann

Repressionsfreie Grundsicherung im Wolkenkuckucksheim…

…so könnte der Vorwurf gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen umgekehrt werden, den Christoph Butterwegge in der Rhein-Neckar-Zeitung erhebt, wenn man sich einmal vor Augen geführt hat, weshalb in einem erwerbszentrierten Sozialstaat eine Grundsicherung, die nicht mit Sanktionen bewehrt ist, weltfremd ist. Selten so klar äußert sich Butterwegge zur „moralichen Verpflichtung … selbst für sein Einkommen“ zu sorgen.

Hier wird nach unbezahlter Arbeit (siehe hier und hier) gefragt:

RNZ: „Es gibt aber auch sehr viele Menschen, die etwas leisten, ohne bezahlt zu werden: in der Erziehung, in der Pflege, im Ehrenamt, in der Kultur. Das ist doch auch nicht gerecht. Wäre das Grundeinkommen nicht eine Möglichkeit, diese Arbeit wertzuschätzen?“
Butterwegge: „Ich sehe nicht, wo die Wertschätzung sein soll, wenn jeder 1000 Euro bekommt. Das Grundeinkommen ist ja unabhängig davon, was jemand macht. Wenn der Mensch ehrenamtlich oder karitativ arbeitet oder einen Angehörigen pflegt, dann wird er mit dem Grundeinkommen nicht dafür entlohnt, sondern seine Existenz nur auf einem niedrigen Niveau gesichert.“

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„Grüne sägen Hartz IV ab“ – oder doch nur schöne Gedanken?

Laut dem Beitrag von Ulrich Schulte in der taz sollen Überlegungen in einem Papier von Anton Hofreiter (MdB, Fraktionsvorsitzender) und Sven Lehmann (MdB) als Grundlage für den Bereich Soziales im neuen Grundsatzprogramm der Grünen, das 2020 vorgelegt werden soll, dienen. Von einer „sanktionsfreien Garantiesicherung“ sei in dem Papier die Rede, ohne dass weitere Konkretisierungen genannt werden. Im Frühjahr hatte Wolfgang Strengmann-Kuhn sich zu dieser Frage ebenfalls geäußert (siehe den Kommentar dazu von Thomas Loer). Inwiefern beide Überlegungen miteinander verknüpft ist, geht aus dem Beitrag nicht hervor.

Das Ziel, Sanktionen abzuschaffen, um das Existenzminimum unverfügbar zu machen, strebt auch der Vorschlag einer „repressionsfreien Grundsicherung“ an, die seit längerer Zeit von verschiedenen Seiten in die Diskussion gebracht wurde, siehe unsere Kommentare dazu hier.

Die guten Absichten sind zu erkennen, allerdings stellt sich die Frage, wie es möglich sein soll, eine solche Grundsicherung zu garantieren, sie gar „repressions-“ bzw. sanktionsfrei zu gestalten, wenn das Erwerbsgebot  zugleich nicht aufgehoben werden soll? Denn Grundsicherungsleistungen sind seit Bestehen der Leistungen immer mit Sanktionsmöglichkeiten versehen und sollen nur übergangsweise bezogen werden. Ein dauerhafter Bezug ist nicht erwünscht, wenngleich es praktisch durchaus dazu kommt. Ist die Rede von einer Garantiesicherung nur ein ähnlich schöner Gedanke wie die Behauptung, das „solidarische Grundeinkommen“ sei ein Abschied von Hartz IV?

Sascha Liebermann