Voraussetzungen und Selbstabschaffung

Eine treffende Anmerkung, die aber voraussetzt, dass der Mensch in seiner Individualität um seiner selbst willen auch als Bezugspunkt anerkannt wird. Für die westlich-liberale Demokratie ist das unstrittig, es ist ihr Fundament und Legitimationsquelle ihrer politischen Verfasstheit – getragen durch die Staatsbürger eines Gemeinwesens. Wo auch immer das der Fall ist, auch in anderen Formen der Demokratie, greift das Argument also, wobei selbst hier sich die Frage stellt, ob das dort so vorbehaltlos gilt, wo noch die Todesstrafe praktiziert wird, man denke nur an die USA. Für andere politische Ordnungen ist es keine Voraussetzung, in ihnen ist das Individuum nicht geschützt.

Nur vor diesem Hintergrund, also der westlich-liberalen Demokratie, ist die „anthropologische“ Frage unbedeutend bzw. unterläuft sie gerade die Voraussetzungen, die diese Demokratie sich selbst gibt: auf die Mündigkeit der Bürger zu setzen. Insofern ist eine Widerlegung einer wie auch immer gearteten Faulheits- oder Egoismusbehauptung irrelevant für die Frage, ob ein BGE zur Demokratie passt oder nicht und würde, wie Michael Sienhold zurecht schreibt, dazu führen, seine „Richtigkeit“ vom Status der Faulheitsbehauptung abhängig zu machen. Denn träfe sie zu, müsste dann die bestehende Demokratie abgeschafft werden. Diese Form der Selbstentmündigung ist allerdings nicht selten.

Sascha Liebermann

„Freiheit ist ansteckend“…

…ein Interview mit Ernst-Wolfgang Böckenförde in der taz aus dem Jahr 2009, das man als Erläuterung seiner vielzitierten und -diskutierten Äußerung über den „freiheitlichen, säkularisierten Staat“ betrachten kann. Was bei wohlwollender Auslegung schon in seinem frühen Aufsatz zu erkennen war, wird hier nun ausdrücklich formuliert. Es besteht immer die Gefahr, dass sich Zitate, die zu Klassikern werden, wie das Böckenförde-Diktum, abnutzen oder verbrauchen könnten, doch in diesem Fall gilt das nicht. Böckenförde hat auf einfache Weise, komprimiert, ausgedrückt, was den freiheitlichen Staat auszeichnet und woraus er sich fortwährend erneuern muss, ohne dies selbst gewährleisten zu können. Damit sind seine Argumente aktuell wie eh und je, haben an ihrer Brisanz nichts verloren. Man denke nur an die jüngste Debatte über das „Bürgergeld“, an Wahlkampagnen, die eine Selbstverständlichkeit zur Sonderleistung erhoben, nämlich „Respekt“ zu zollen, oder an den dauernden Appell an „Eigenverantwortung“. All das wird durch Böckenfördes Ausführungen als Übergriffigkeit und Anmaßung entlarvt – ruht die politische Ordnung doch längst darauf, unaufgeregt, selbstverständlich, es mag uns nur nicht klar genug sein.

Wenn auch er die Verbindung zum Bedingungslosen Grundeinkommen nie gezogen hat, liegt die Verwandtschaft seiner Überlegungen zu einer genau aus diesem Geiste erfolgenden Begründung auf der Hand: aus dem Geist der Demokratie.

Sascha Liebermann

„Happy Bürgergeld: Endlich kein Hartzer mehr, endlich Bürgerin!“…

…mit diesem Beitrag macht Janina Schütt in der Freitag indirekt auf etwas aufmerksam, das schon lange hätte aufgespießt werden können, meines Wissens aber nicht aufgespießt wurde. Auch wenn es in ihrer Stellungnahme nur um den knapp bemessenen Betrag des Bürgergeldes geht, ist dies ein guter Anlass, sich einmal zu fragen, was denn eigentlich ein bzw. der Bürger ist und ob das Bürgergeld dem entspricht und vielleicht sogar das Gegenteil davon darstellt.

Da es sich beim Bürgergeld um eine sozialstaatlich organisierte und damit demokratisch legitimierte Leistung handelt, soll es hier nur um diese Seite des Bürgerbegriffs gehen, den citoyen also (und nicht um den bourgeois). Er kommt in der Diskussion um den Sozialstaat und ebenso um ein Bedingungsloses Grundeinkommen genauso zu kurz wie jetzt beim Bürgergeld (siehe z. B. hier und hier), das hat einen einfachen Grund. Zwar gibt es eine Fürsorgeverpflichtung des Gemeinwesens gegenüber seinen Angehörigen – den Staatsbürgern -, doch ruht diese bislang auf dem normativen Vorrang von Erwerbstätigkeit. Vom Kindergeld einmal abgesehen setzen alle sozialstaatlichen Leistungen zu ihrem Bezug entweder Erwerbsbeteiligung voraus oder haben sie zum Ziel, da gibt es kein Entkommen. Genau genommen steht also nicht der Bürger als Angehöriger des Gemeinwesens (bzw. davon abgeleitet als Person mit Lebensmittelpunkt in Deutschland) im Zentrum des Sozialstaats, sondern der Erwerbstätige. Das ist keine neue Erkenntnis und dennoch ist es verwunderlich, dass an diesem Umstand selbst außerhalb der BGE-Diskussion wenig kritisiert wird, es herrscht vielmehr große Einigkeit, dass diese so sein solle, auch dort, wo Sanktionen kritisiert werden.

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„BGE Experimente sind normativ nichtssagend“…

…, wie BGE Eisenach treffend schreibt, sie sind allerdings noch mehr: Feldexperimente wollen etwas überprüfen, das zu den Existenzbedingungen westlich-liberaler Demokratien gehört, die Selbstbestimmung der Bürger, ihre Mündigkeit – diese Voraussetzungen sind unverfügbar. Es handelt sich dabei nicht um idealisierte oder verklärte Voraussetzungen, es sind reale.

Feldexperimente (siehe hier und hier) laufen letztlich auf einen Bürger-TÜV hinaus und machen den Status der Bürger von der Deutung der Ergebnisse des Experimentes abhängig. Damit graben sie der Demokratie das Wasser ab, und zwar auf subtile Weise, die eher schleichend wirkt, letztlich ein technokratisches Demokratieverständnis erkennen lässt. Wer klären will, ob es ein BGE geben soll oder nicht, muss das über die Willensbildung tun.

Sascha Liebermann

Die Furcht vor dem Staat,…

…auf diese Sorge reagiert Thomas Oberhäuser hier, und man muss sich fragen, was denn wir alle ohne diesen Staat wären und weshalb er als unkontrollierbares Monstrum gilt, wie in dem verlinkten Beitrag eines Schweizer Zeitgenossen. Die Sorge vor der „Abhängigkeit“ vom Staat (siehe auch hier, hier und hier) übersieht die vielfältige Abhängigkeit, die zu einem Gemeinwesen dazu gehört, von dem der „Staat“ nämlich abhängig ist in Gestalt seiner Bürger. Ohne Institutionen hingegen geht es auch nicht, sie  müssen nur der demokratischen Kontrolle unterliegen.

Sascha Liebermann

„Gratismentalität“ – ohne „Gratis“ gäbe es keine gelingende Sozialisation, keine Familien, keine politischen Gemeinwesen…

…in unserem heutigen Verständnis in einer Demokratie, denn für alles drei gilt: das Gedeihen hängt von der vorbehaltlosen Anerkennung ab, was nicht mit Verantwortungslosigkeit zu verwechseln ist. Wo Anerkennung des Gegenübers an Gegenleistungen gebunden, wo Zuwendung davon abhängig gemacht wird, wird die sie tragende Beziehung zerstört (auch wenn das manche durchaus anders zu sehen scheinen, wie z. B. Dominik Enste hier und hier).

Außer Frage steht, dass ein solches Gefüge in der Tat erodieren kann, wenn diese Anerkennung nicht erfolgt, wenn die Verantwortung dafür nicht übernommen wird, doch das wäre Folge eines Versagens, nicht der Ausgangspunkt.

Sascha Liebermann

Integration bezogen worauf?

Die Antwort von BGE Eisenach macht auf ein Missverständnis aufmerksam, das in dieser Diskussion immer wieder anzutreffen ist und mit einer Verunklärung des Demokratiebegriffs einhergeht. Dass es stets die Rechtsgemeinschaft der Bürger ist, die Rechte garantieren und ihnen zur Durchsetzung (mittels Gewaltenteilung) verhelfen muss, ist unstrittig. Während aber die Bürger als Bürger die Rechtsordnung tragen, bewegen sich Erwerbstätige als Erwerbstätige nur in ihrem Geltungsbereich, sind aber weder deren Legitimationsquelle noch ihr Träger. Während den Bürgern als Individuen ein Status zukommt, der ihnen nicht genommen werden kann, kann nicht nur jeder Erwerbstätige diesen Status verlieren, er muss ihn auch verlieren können, weil Erwerbstätigkeit kein Selbstzweck ist, die Gemeinschaft der Bürger ist aber Selbstzweck. Dass schon T. H. Marshall, auf den der Begriff „industrial citizenship“ zurückgeht, hier missverständlich argumentierte, macht die Sache nicht besser, immerhin aber wird bei ihm deutlich, dass das System von Kollektivrechten in Arbeitsverhältnissen nicht von denjenigen konstituiert wird, die diese Rechte zugleich in Anspruch nehmen. Deutlich wird die Vermischung bzw. Verkürzung dieses Zusammenhangs in der Kurzfassung eines Vortrags von Bettina Kohlrausch. Dort heißt es z. B.:

„Diese Rechte leiten sich vom Status der Erwerbstätigkeit ab. Sie schaffen Strukturen, aus denen sozialer Zusammenhalt entstehen kann, und sie garantieren soziale Anerkennung. Es mag pathetisch klingen – aber Erwerbsarbeit hilft uns selbst zu sehen und anderen zu zeigen, welchen Platz wir in dieser Gesellschaft eingenommen haben.“

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„Abschied von der Arbeitsgesellschaft?“ In der Tat „unaufgeregt“…

…und äußerst sachlich, ein paar Anmerkungen liegen dennoch nahe.

Gleich zu Beginn sagt Frau Spannagel, ein BGE komme dem gleich, die Gesellschaft von Grund auf umzukrempeln – ist das zutreffend? Auf die Idee kann man nur kommen, wenn man die Einschätzung teilt, dass wir in einer Arbeitsgesellschaft lebten. Wenn hiermit die Erwerbszentrierung des Sozialstaates gemeint ist, dann ist die Aussage zutreffend, doch sie ist es nicht, wenn die politische Grundordnung betrachtet wird, denn die kennt schon bedingungslos geltende Rechte in Verbindung mit dem Staatsbürgerstatus. Deswegen kann diesbezüglich treffend von einem Widerspruch zwischen dieser Grundordnung und der Ausgestaltung des Sozialstaats gesprochen werden. Warum findet das keine Erwähnung in dem Gespräch, auch die Journalistin fragt nicht nach? Hieran wird eine Bürgervergessenheit deutlich, die sich durch diese Diskussion zieht.

Frau Spannagel differenziert die Grundidee von der konkreten Ausgestaltung und zählt hierbei das liberale Bürgergeld der FDP zu den BGE-Konzepten. Das verwundert, hält das Bürgergeld Sanktionen ebenso bei wie die Integration in den Arbeitsmarkt als Ziel.

Gefragt wird dann nach den volkswirtschaftlichen Auswirkungen, die ein BGE habe, denn Güter und Dienstleistungen soll es weiterhin geben, wie wird damit umgegangen? Hier wäre eine Nachfrage hilfreich gewesen, denn weder kennt das Grundgesetz eine Arbeitspflicht, es schützt vielmehr die freie Berufswahl, noch gibt es irgendwelche Zwangsmittel dafür, die volkswirtschaftliche Leistung sicherzustellen. Die Grundordnung setzt auf die Leistungsbereitschaft der Bürger – das ist alles. Da die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch einen Rechtsanspruch darstellen, der von jedem beantragt werden könnte, vertraut das Gemeinwesen darauf, dass dies nicht geschieht. Trotz dieses Rechtsanspruchs werden Güter und Dienstleistungen heute erstellt. Wer also ein BGE als Experiment bezeichnet, muss auch die Demokratie als ein solches bezeichnen, das geschieht gemeinhin nicht.

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„Arbeitslosigkeit ist kein Anreizproblem“…

…so der Titel eines Interviews mit Barbara Prainsack in der Wiener Zeitung.

Auf die erste Frage antwortet Frau Prainsack, dass ein reiches Land eine „moralische Verpflichtung“ habe, ein „ausreichendes Einkommen für ein würdevolles Leben zu garantieren“. Woraus aber erwächst diese Verpflichtung genau und was lässt aus einer abstrakten Verpflichtung eine gemeinschaftliche Aufgabe werden, wäre hier zu fragen?

Man kann in diesem Zusammenhang auf die „Menschenrechte“ verweisen, das wäre allerdings abstrakt, denn zumindest die Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen tut sich damit schwer, sie hebt zwar ein „Recht auf Arbeit“ (Art. 23) hervor, nicht aber ein Recht auf Einkommen. Davon abgesehen hilft eine Erklärung nicht weiter, solange sich ein Gemeinwesen nicht nur zu ihr bekennt, sondern diese Vorstellung von Rechten auch als etwas betrachtet, dass zu ihrem Selbstverständnis gehört und seinen Sozialstaat entsprechend gestaltet. Damit es soweit kommt, bedarf es eines bestimmten Verständnisses davon, welche Stellung der Bürger in der politischen Ordnung hat, denn erst wenn sich dazu bekannt wird, dass die Bürger die Ordnung auch tragen (müssen), kann Nicht-Bürgern ebenso ein solches Einkommen bereitgestellt werden, weil die Loyalität ersterer unerlässlich, die letzterer in keiner Form verlangt werden kann. Insofern läge es also viel näher und würde der Verfasstheit von Demokratien entsprechen, ein BGE aus der politischen Ordnung und der Stellung der Bürger in ihr abzuleiten. Dass dann auch Nicht-Staatsbürger ein BGE erhalten, folgte aus dem Verständnis personaler Würde.

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