„Hartz IV ist von gestern“…

…das soll Lars Klingbeil, Generalsekretär der SPD, in einem Interview mit focus gesagt haben. Nun haben wir solche Ankündigungen im vergangenen Jahr schon öfter gehört (siehe auch hier), im Debattencamp der SPD vom Wochenende wurden sie wiederholt, bislang jedoch haben sie sich als Enten erwiesen. Die entscheidende Frage ist, wie die SPD das erreichen will? Solange es eine Grundsicherung heutigen Zuschnitts gibt, wird die Realität von Hartz IV, auch wenn die Bezeichnung verschwindet, fortbestehen. Denn diese Realität hängt nicht an Bezeichnungen, sondern an der Verknüpfung von Grundsicherung und Erwerbsverpflichtung samt der nötigen Sanktionsinstrumente, um Wohlverhalten von Leistungsbeziehern erreichen zu können.

Das kann man nun lange kritisieren und – wie andere – eine repressionsfreie Grundsicherung fordern. Doch sie erliegt der Illusion, dass sich dann Entscheidendes verändert, wenn schöne Bezeichnungen gewählt werden, ohne den normativen Charakter einer solchen Leistung in Augenschein zu nehmen. Denn entscheidend ist, ob das Erwerbsgebot bestehen bleibt oder nicht. Solange es bestehen bleibt, wird es Sanktionsinstrumente geben müssen, damit Leistungen nicht auf Dauer bezogen werden. Solange es das Erwerbsgebot gibt, sind sie eben nicht auf Dauer angelegt. Da ist es doch geradezu sympathisch, wenn, wie z. B. Christoph Butterwegge es getan hat, zumindest ganz offen auf die Erwerbsverpflichtung jeder erwerbsfähigen Person gepocht wird. Da weiß man, womit man es zu tun hat.

Sascha Liebermann

Repressionsfreie Grundsicherung im Wolkenkuckucksheim…

…so könnte der Vorwurf gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen umgekehrt werden, den Christoph Butterwegge in der Rhein-Neckar-Zeitung erhebt, wenn man sich einmal vor Augen geführt hat, weshalb in einem erwerbszentrierten Sozialstaat eine Grundsicherung, die nicht mit Sanktionen bewehrt ist, weltfremd ist. Selten so klar äußert sich Butterwegge zur „moralichen Verpflichtung … selbst für sein Einkommen“ zu sorgen.

Hier wird nach unbezahlter Arbeit (siehe hier und hier) gefragt:

RNZ: „Es gibt aber auch sehr viele Menschen, die etwas leisten, ohne bezahlt zu werden: in der Erziehung, in der Pflege, im Ehrenamt, in der Kultur. Das ist doch auch nicht gerecht. Wäre das Grundeinkommen nicht eine Möglichkeit, diese Arbeit wertzuschätzen?“
Butterwegge: „Ich sehe nicht, wo die Wertschätzung sein soll, wenn jeder 1000 Euro bekommt. Das Grundeinkommen ist ja unabhängig davon, was jemand macht. Wenn der Mensch ehrenamtlich oder karitativ arbeitet oder einen Angehörigen pflegt, dann wird er mit dem Grundeinkommen nicht dafür entlohnt, sondern seine Existenz nur auf einem niedrigen Niveau gesichert.“

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„Grüne sägen Hartz IV ab“ – oder doch nur schöne Gedanken?

Laut dem Beitrag von Ulrich Schulte in der taz sollen Überlegungen in einem Papier von Anton Hofreiter (MdB, Fraktionsvorsitzender) und Sven Lehmann (MdB) als Grundlage für den Bereich Soziales im neuen Grundsatzprogramm der Grünen, das 2020 vorgelegt werden soll, dienen. Von einer „sanktionsfreien Garantiesicherung“ sei in dem Papier die Rede, ohne dass weitere Konkretisierungen genannt werden. Im Frühjahr hatte Wolfgang Strengmann-Kuhn sich zu dieser Frage ebenfalls geäußert (siehe den Kommentar dazu von Thomas Loer). Inwiefern beide Überlegungen miteinander verknüpft ist, geht aus dem Beitrag nicht hervor.

Das Ziel, Sanktionen abzuschaffen, um das Existenzminimum unverfügbar zu machen, strebt auch der Vorschlag einer „repressionsfreien Grundsicherung“ an, die seit längerer Zeit von verschiedenen Seiten in die Diskussion gebracht wurde, siehe unsere Kommentare dazu hier.

Die guten Absichten sind zu erkennen, allerdings stellt sich die Frage, wie es möglich sein soll, eine solche Grundsicherung zu garantieren, sie gar „repressions-“ bzw. sanktionsfrei zu gestalten, wenn das Erwerbsgebot  zugleich nicht aufgehoben werden soll? Denn Grundsicherungsleistungen sind seit Bestehen der Leistungen immer mit Sanktionsmöglichkeiten versehen und sollen nur übergangsweise bezogen werden. Ein dauerhafter Bezug ist nicht erwünscht, wenngleich es praktisch durchaus dazu kommt. Ist die Rede von einer Garantiesicherung nur ein ähnlich schöner Gedanke wie die Behauptung, das „solidarische Grundeinkommen“ sei ein Abschied von Hartz IV?

Sascha Liebermann

Mit der „misanthropischen Grundhaltung“ brechen…

…darum gehe es laut einer Pressemitteilung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes vom 12. September:

„Es ist Zeit, zu brechen mit der misanthropischen Grundhaltung und dem negativen Menschenbild der Hartz-Gesetze, mit dem der Sanktionsapparat, aber auch die unter der Armutsgrenze liegenden Geldzuwendungen begründet werden“.

Wie soll das nun erreicht werden? Ist ein Sozialstaat, in dessen Zentrum das Erwerbsgebot steht, und der zur Durchsetzung desselben Sanktionsinstrumente benötigt, denn ohne das ganze vorstellbar? Vorstellbar vielleicht, aber unrealistisch, weil das eine mit dem anderen zusammenhängt.

Siehe auch die Info-Broschüre des Paritätischen „Hartz IV hinter uns lassen“. Ulrich Schneider (siehe auch hier und zur „repressionsfreien Grundsicherung“ hier) Vorsitzender des Paritätischen, äußerte sich schon wiederholt gegen ein BGE. Wie soll dann aber erreicht werden, was die Pressemitteilung verspricht? Man scheint sich dort „schöne Gedanken“ zu machen, ohne die Zusammenhänge zu erkennen oder vielleicht sie doch gar nicht überwinden zu wollen!?

Sascha Liebermann

„Ich halte es für richtig, die Sanktionen zu lockern“ – und dann?

Die Frage stellt sich angesichts eines Interviews, das Ulrich Schneider, Paritätischer Wohlfahrtsverband, dem Südkurier gab. Lockern der Sanktionen, nicht abschaffen. Er erklärt auch gleich, weshalb er gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen ist:

Südkurier: „Die SPD-Chefin Andrea Nahles hat kürzlich vorgeschlagen, die Sanktionen für Hartz-4-Empfänger zu lockern. Widerspricht das nicht der Grundidee „Fördern und Fordern“ der Agenda 2010?“
Schneider: „Ich halte es für richtig, die Sanktionen zu lockern. Denn viele Jugendliche, denen man Sanktionen androht, verabschieden sich und werden durch die Sanktionen in echtes Elend geführt. Und was für junge Menschen schlecht ist, ist auch für die Erwachsenen schlecht. Die Gruppe der Leistungsverweigerer ist verschwindend gering. Man sollte sich lieber auf die Vermittlung derjenigen konzentrieren, die arbeiten wollen.“

Die Frage wäre hier natürlich, was „Leistungsverweigerer“ sind? Man muss noch in Betracht ziehen, dass sie womöglich zu der von ihnen erwarteten Leistung nicht in der Lage sind und dazu noch die Drohkulisse des Sozialstaats mit seinen Instrumenten und normativen Bewertungen ein Übriges tut. „Leistungsverweigerer“ haben eine Lebensgeschichte, von der nicht abstrahiert werden kann, wenn man beurteilen will, was der Grund für die „Leistungsverweigerung“ ist.

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„Hartz IV: starker Rückgang der Arbeitslosen, aber nicht der Hilfebedürftigen insgesamt“…

…vermeldet der Wochenbericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Interessant ist die Bemerkung am Ende der Pressemeldung:

„In der politischen Debatte wird immer wieder gefordert, Hartz IV abzuschaffen. Ein Teil der Kritik bezieht sich auf die Sanktionen, die in Form einer Kürzung der Sozialleistungen im Falle eines Fehlverhaltens der Bedürftigen verhängt werden. Im ersten Quartal 2018 traf das auf gut 130 000 oder 3,1 Prozent aller erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und damit einen eher kleinen Teil zu. In drei Viertel der Fälle waren Meldeversäumnisse die Ursache. Gleichwohl hat eine zusätzliche Auswertung von Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) ergeben, dass zwar nach wie vor die allermeisten Hartz-IV-Arbeitslosen eine angebotene Stelle sofort annehmen würden – ihr Anteil ist aber von 80 Prozent im Jahr 2008 auf zwei Drittel im Jahr 2016 gesunken.“

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„Überleben in der Ämterbürokratie“…

…eine Ergänzung zum veröffentlichten Hinweis auf „Sozialstaat gegen Arme“. Im Deutschlandfunk wird der Alltag von Leistungsbeziehern skizziert und was für sie die Kontrolle und Sanktionsdrohungen bedeuten. Vielleicht sollte der Beitrag Barbara Dribbusch empfohlen werden, die in der taz Sanktionen verteidigt hat?