„Gegen die Industrialisierung ist die Digitalisierung Pipifax“…

…so der Titel eines Gesprächs mit Nathalie Weidenfeld und Julian Nida-Rümelin im Handelsblatt über deren neues Buch. Erstaunlich, was manche alles wissen, wenn man bedenkt, dass die Möglichkeiten der Digitalisierung doch gerade in der Anfangsphase sich befinden. Viel wird gemutmaßt, in beide Richtungen. Dann geht es noch sehr knapp um das Bedingungslose Grundeinkommen:

Handelsblatt: „Über neue Formen der sozialen Absicherung müssen wir also gar nicht nachdenken?
Nida-Rümelin: Nein, wir brauchen kein bedingungsloses Grundeinkommen oder ähnlichen ökonomischen und sozialen Irrsinn. Das Arbeitsvolumen wird nicht einbrechen.“

Auch Nida-Rümelin also ein Prophet, ein Hellseher. Wozu ist es nötig, solche Prognosen abzugeben, wenn wir es doch nicht wissen können? Welche Sicherheit soll damit wiedergewonnen werden – etwa, dass es immer genügend Arbeitsplätze geben wird? Dabei ist das Schielen auf Arbeitsplätze genau das, was das Leistungsethos zerstört, denn Leistung braucht nicht notwendigerweise menschliche Arbeitskraft. Sie benötigt aber leistungsbereite Bürger, die sich mit einer Sache oder Aufgabe auseinandersetzen.

Dass Nida-Rümelin kein Freund des BGE ist, hat er schon früh und wiederholt deutlich gemacht, siehe hier.

Sascha Liebermann

„3 Alternativen zum Wahl-O-Mat im Test“…

…ein Beitrag auf Orange by Handelsblatt:

„Obwohl sich die Aussagen bei allen vier Wahlautomaten ähneln und ich jedes Mal mit der gleichen Überzeugung geantwortet habe, kamen teils sehr unterschiedliche Ergenisse raus.

Das Wahlnavi 2017 von RTL und der Bundeswahlkompass haben mich nicht überzeugt. Die Macher des Bundeswahlkompass‘ haben sich auf Twitter dafür gefeiert, viel besser als der Wahl-O-Mat zu sein. Dabei bietet der Wahlkompass in meinen Augen die wenigsten Features.

Der Wahl-O-Mat hat es sich über die Jahre durchaus verdient, in Medien und Schulen als das Non-Plus-Ultra zu gelten. Doch in diesem Jahr bekommt er starke Konkurrenz: Der Wahlswiper schafft es in meinem Check dank cooler Erklärvideos und einfachster Bedienung auf Platz Eins.“

Was dagegen spricht, spricht auch dafür…

…so resümiert das Handelsblatt Äußerungen der Soziologin Jutta Allmendinger in einer Besprechung ihres Buches „Das Land, in dem wir leben wollen“. Hier die entsprechende Passage:

„Wenn etwa die Erwerbsarbeit solch einen hohen Wert für die Menschen heute, aber auch für ihren Zukunftswunsch hat, ist die Debatte über das Grundeinkommen aus Allmendingers Sicht die falsche. Demnach brauche man Menschen nicht aus der Erwerbsarbeit herauskaufen, da sie ja arbeiten wollen. Andererseits könnten Befürworter eines Grundeinkommens dies auch als Beleg dafür anführen, dass sich Menschen eben nicht einfach in die Hängematte legen würden, statt etwa zu gründen. Arbeit, so die Studie, bedeute Entfaltung und Zugehörigkeit, Teilhabe und Miteinander. Die Wissenschaftlerin argumentiert daher: „Wir müssen die Menschen mitnehmen, ihnen Chancen, Orientierung und Sicherheit geben, sie aktiv vorbereiten auf die Arbeitswelt von morgen.“

Was dagegen spricht, spricht auch dafür… weiterlesen

Stilllegungsprämie – da weiß man, mit wem man es zu tun hat

Ein Bedingungsloses Grundeinkommen als „Stilllegungs-“ bzw. „Stillhalteprämie“? Laut Pressemeldungen soll Bundesministerin Andrea Nahles in einem Interview mit dem Handelsblatt das BGE als eine solche bezeichnet haben. Damit befindet sie sich in guter Gesellschaft, handelt es sich dabei um einen der häufig vorgebrachten Einwände. Doch alleine der Ausdruck „Stilllegung“ spricht Bände. Zwar handelt es sich um eine Übertragung aus einem anderen Zusammenhang – eine Maschine oder einen Betrieb kann man stilllegen – , doch genau das ist der Haken. Menschen, oder genauer: die Bürger eines Landes, um die es hierbei vor allem geht, sind keine Maschine, sie können nicht abgeschaltet werden, auch nicht im übertragenen Sinne. Sie sind autonom und treffen Entscheidungen. Wer nun aufgrund eines BGE seine Autonomie aufgeben würde, legte allenfalls sich selbst still, aber als Resultat einer Entscheidung. Sie ist jederzeit revidierbar.

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Digitalisierung – drei Positionen…

…eine im Handelsblatt „Jetzt wird es richtig ernst – für alle Berufsgruppen“, eine weitere bei Zeit Online „Die Pi-mal-Daumen-Studie“ (gegen naive Technologie-Verherrlichung) und zuletzt ein Arbeitspapier aus der AG Digitalisierung in der Partei Die Linke. Kommentare zu dieser Frage von unserer Seite finden Sie hier.

Beschäftigung, Würde, Almosen und das Bedingungslose Grundeinkommen – zu einem Interview mit Timotheus Höttges

Interview mit dem Vorstandsvorsitzenden der Telekom, Timotheus Höttges, im Handelsblatt. Nachdem ein Interview mit ihm in der Zeit in diesem Jahr für großes Aufsehen gesorgt hatte, kommt auch hier die Sprache auf das Bedingungslose Grundeinkommen.

Bevor es um das BGE geht, beantwortet Höttges eine andere Frage auf interessante Weise:

„Behindert es uns, dass wir unsere europäischen Firmen auch gesellschaftlichen Ansprüchen unterwerfen, zum Beispiel dem Erhalt von Arbeitsplätzen? Oder konkreter: Ist derlei Aufgabe der Telekom?
Wohlfahrt, die Tatsache, dass Menschen sich entwickeln können und eine gewisse Stabilität finden, die Schaffung von Beschäftigung – ja, das ist auch eine Aufgabe von Unternehmen, sage ich spontan. Wir zum Beispiel haben 225.000 Mitarbeiter. Für die muss ich unser Unternehmen schützen. Es geht nicht nur um Cashflow oder Dividendenrendite. Gleichzeitig kann sich nur ein Unternehmen, das Gewinne macht, auch leisten, sozial zu sein. Eine Soziale Marktwirtschaft besteht eben nicht nur aus einem einzelnen Unternehmen. Sondern sie ist eine Volkswirtschaft. Sie ist die Summe vieler möglichst erfolgreicher Unternehmen und Menschen.

Die Digitalisierung werde Millionen von Jobs kosten, da sind sich Fachleute einig. Dabei geht es eben nicht mehr nur um einfache Tätigkeiten. Auch Programmierer, Ingenieure, Ärzte müssen bangen, von Maschinen oder Algorithmen ersetzt zu werden.Es wäre zynisch, diese Entwicklung schönreden zu wollen, auch wenn sie zugleich die Produktivität steigern wird…“

Erstaunlich an dieser Passage ist, wie defensiv Höttges über etwaige Möglichkeiten und Folgen der Digitalisierung spricht und zugleich die „Schaffung von Beschäftigung“ zur Aufgabe von Unternehmen erklärt. Ist sie das, muss man fragen? Oder ist die Aufgabe von Unternehmen nicht das Hervorbringen von Gütern und Dienstleistungen als standardisierten Lösungen für schon bestehende oder antzipierte Handlungsprobleme? Dann wäre der Zweck von Unternehmen Wertschöpfung, nicht aber Beschäftigung. Sofern zu diesem Zweck Beschäftigung im Sinne des Einsatzes menschlicher Arbeitskraft nötig wäre, läge es auf der Hand, sie zu fördern, falls aber nicht, dann nicht. Wie stark diese Vorstellung ist, Arbeitsplätze gewissermaßen als Beitrag zum Gemeinwohl zu verstehen, darauf bin ich schon Ende der 1990er Jahre gestoßen und habe dazu erste Befunde hier vorgelegt. Höttges Haltung steht damit diametral einer Aussage Götz W. Werners entgegen, der einst sagte „Die Aufgabe der Wirtschaft ist es, die Menschen von der Arbeit zu befreien“ (Stuttgarter Zeitung). Woher rührt nur diese Unklarheit? Vermutlich ist es doch die Haltung, dass der Mensch eine Aufgabe benötigt und sie ihm gegeben werden müssen, statt ihm die Freiräume zu schaffen, damit er sie selbst ergreifen kann.

In der nächsten Passage geht es dann um das BGE:

… die [vielfältige Sozialleistungen, SL] nicht alle bekommen, sondern eben nur Bedürftige.
Wichtiger scheint mir: Wir arbeiten heute schon anders – zu Hause, im Office, unterwegs. Projektbezogen. Unsere Qualifikation ändert sich dauernd. Den klassischen Job, den ich nach Schule und Studium antrete und bis zur Rente ausübe, gibt es kaum noch. Job-Plattformen wie LinkedIn, wo man sich und seine Arbeitsfähigkeit selbst bewirbt, sind ja nur Symptome dieses Mechanismus. Der verlangt auch mehr Eigenverantwortung. Also wird es Phasen geben, in denen der Mensch keine Arbeit hat, umschult oder nur in Teilzeit für ein Unternehmen arbeitet. Diese Phasen wird der Sozialstaat überbrücken müssen. Warum soll man dessen komplexe Förderungssystematik nicht mit einem bedingungslosen Grundeinkommen ersetzen?“

Wenn der Sozialstaat „Phasen…überbrücken“ soll mit einem BGE, dann wäre das BGE nicht als dauerhafte Einrichtung gedacht, es bliebe eine Leistung für den Fall, dass…

Selbstverständlich wird auch hier der Arbeitsbegriff im engen Sinn verstanden, obwohl festgehalten werden müsste, dass keine „Arbeit“ zu haben, nicht bedeutet, keine Aufgabe zu haben.

Wie geht es weiter?

„Vielleicht weil es schlicht unbezahlbar ist?
Das müsste sich erst zeigen. Aber Sie haben ja recht: Tatsächlich ist das größte Problem nicht die Idee, sondern die Finanzierung. Nur, was mir am heutigen Sozialstaat vor allem missfällt: Ich muss um Hilfe bitten, auch wenn ich mein Leben lang gearbeitet habe. Das Grundeinkommen verspräche mehr Würde und könnte das Unternehmertum sogar fördern.“

Erst widerspricht Höttges, dann stimmt er zu – die Finanzierung sei das größte Problem. Dabei gibt es doch verschiedene Versuche darzulegen, dass dies nicht der Fall ist. Ist der Sozialstaat in Deutschland eine Almosenleistung? Nein, es besteht ein Rechtsanspruch auf Leistungen, die allerdings aufgrund ihre Bedingungen ein bestimmtes Signal senden: Wer nicht erwerbstätig ist, trägt nichts zum Gemeinwohl bei. Das zeichnet die normative Struktur unseres Sozialstaats aus, sie zeigt sich in der objektiven Stigmatisierung derer, die nicht beitragen, wie auch in dem Empfinden von Leistungsbeziehern, nicht mehr dazuzugehören. Höttges unterschätzt also diesen Rechtscharakter und missdeutet ihn. Gleichwohl mag genau diese Missdeutung ein Grund dafür sein, weshalb verdeckte Armut besteht, Leistungen von bezugsberechtigten Personen aus Schamgefühl nicht in Anspruch genommen werden. Verstärkt wird dieses Schamgefühl noch dadurch, wie Leistungsberechtigten in den Behörden begegnet wird.

Würde sei ihm wichtig gab er schon zu erkennen und führt den Gedanken fort:

„Würde scheint Ihnen da wirklich wichtig.
Sehr wichtig, ja. In so einem System wäre man zum Beispiel auch viel stärker respektiert, wenn man sich entscheidet, seine kranken Eltern zu pflegen. Ob das Grundeinkommen am Ende die richtige Idee ist, weiß ich nicht. Ich bin mir aber sicher, dass das heutige System die Sozialhaushalte der Zukunft nicht wird finanzieren können. Mir scheint, dass wir da über völlig neue Finanzierungsmodelle nachdenken müssen.“

Höttges ist vorsichtig, hat sich womöglich noch nicht eingehend mit dem BGE befasst und ist mit dazu vorliegenden Untersuchungen nicht vertraut. Insofern ist seine Haltung nachvollziehbar. Seine entschiedenen Zweifel an der Finanzierbarkeit heutiger Sozialhaushalte ließe sich dann anders lesen, und zwar als Zweifel daran, ob man die Folgen eines solchen Sozialstaats haben wolle, wie wer heute konstruiert ist. Er degradiert Leistungen jenseits der Erwerbsarbeit, hemmt statt fördert Initiative und beeinträchtigt die Würde – damit die Stellung der Bürger im Gemeinwesen.

Die Top-Frage darf nicht fehlen:

„Warum sollten Menschen überhaupt noch arbeiten, wenn sie alimentiert werden?
Damit sind wir wieder beim Menschenbild. Natürlich wird es Leute geben, die dieses System missbrauchen. Die gibt es heute auch schon. Ich glaube aber nicht, dass ein Grundeinkommen eine Gesellschaft von Faulenzern heraufbeschwören würde. Der Mensch definiert sich durch seine Aufgabe. Dadurch, dass er seinem Leben durch Tätigkeit einen Sinn gibt.“

Missbrauch eines BGE kann es im Grunde nicht geben, da es kein bestimmtes Handeln als Gegenleistung erwartet und prämiert. Treffender wäre es also, davon zu sprechen, dass es Menschen geben wird, die die Freiräume, die ein BGE schafft, nicht nutzen bzw. nicht zu nutzen wissen oder dies nicht können. Auch das aber wäre kein Missbrauch, sondern Ausdruck ihrer Freiheit. Entscheidend wäre doch, ob die Betreffenden dann nicht versuchen würden, sich Rat zu holen. Aber das stünde ihnen genauso frei, wie es sein zu lassen. Dass der Mensch wirken will, dass er beitragen will, dafür gibt es zahlreiche Belege, auch wenn prominente Kritiker des BGE von einer anderen Lage ausgehen. Gewichtiger noch ist aber, in seiner Würde anerkannt zu werden, so wie man ist. Das ist gerade der Grund für die bedingungslose Geltung der Grundrechte im Grundgesetz, die bedingungslose Stellung der Bürger im Gemeinwesen. Eine Bedingungslosigkeit, die sonst – in partikularer Form – nur in der Familie oder vergleichbaren Zusammenhängen erfahren werden kann.

Sascha Liebermann