„Übertriebene Heilserwartungen“, „Gefahren“, Märchen und die Sorge vor dem Verlust der Alltagstruktur

…auf diesen Nenner könnte man einen Kommentar von Ulrike Herrmann in der taz zum Pilotprojekt in Finnland und einen von Alexandra Borchardt in der Süddeutschen Zeitung zum Bedingungslosen Grundeinkommen bringen.

Ulrike Herrmann hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder zum BGE geäußert (siehe unsere Kommentare hier), die im jüngsten Kommentar angestellten Überlegungen wirken vertraut. Treffend spießt sie in mancher Hinsicht den Charakter des finnischen Experiments auf, unterschlägt Vorteile eines BGE nicht, um dann jedoch folgendermaßen zu schließen:

„Doch man sollte die Gefahren nicht unterschätzen. Ein Grundeinkommen kann schnell dazu genutzt werden, soziale Leistungen auf dieses garantierte Minimum zu senken. Deutschland hat es vorgemacht, wie man ein Kürzungsprogramm zulasten der Ärmsten sprachlich aufhübscht: Hartz IV wurde auch verkauft als „der Einstieg in die Grundsicherung“.

In der Tat kann jedwedes Vorhaben zu etwas anderem genutzt werden, als es ursprünglich gedacht war. Da jedoch in einer Demokratie nicht im Geheimen darüber befunden wird, wie das Zusammenleben gestaltet wird und es immer Vorläufer für Veränderungen gibt, kann daraus nicht folgen, keine Schritte Richtung BGE zu ergreifen. Gerade Hartz IV hat sich – was seinen Geist betrifft – frühzeitig angekündigt. Nicht erst die Rot-Grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder setzte ihn in die Welt, schon zuvor, z. B. in Hessen unter Roland Koch, war er zu vernehmen (Koch hielt auch später daran fest, siehe hier), er lag in der Luft – Geist der Zeit eben. Wolfgang Streeck und Rolf Heinze, beide Sozialwissenschaftler, veröffentlichten 1999 einen Beitrag im Spiegel mit dem Titel „An Arbeit fehlt es nicht“, in dem sie davon sprechen, dass „(fast) jeder Arbeitplatz besser ist als keiner“ – da sind wir dann bei „Sozial ist, was Arbeit schafft“. In dem Beitrag heißt es entsprechend: „Auch neigen Menschen dazu, sich in Abhängigkeit und Randständigkeit einzurichten, wenn ihnen die Erfahrung vorenthalten wird, daß sie für sich selbst sorgen können.“ Forschungsergebnisse bestätigen diese These nicht, die manchmal unter dem Schlagwort der Armuts- oder Arbeitslosigkeitsfalle verhandelt wird. Der Grund für „Hartz IV“ war also nicht, dass gute Ideen missbraucht werden oder schlechte geschickt verpackt werden können. „Hartz IV“ war möglich, weil die Vorstellung, die Bürger brauchen einen Tritt in den Hintern, um ihr Leben auf die Reihe zu bringen, weiter verbreitet ist, als es einem lieb sein kann. Hirngespinste wie die, ohne Tritt gehe es nicht, halten sich eben lang. Ulrike Herrmann liegt mit ihrer Einschätzung also nicht richtig, und zwar in zweierlei Hinsicht. Die Verschärfung der Sozialgesetzgebung war durchsetzbar, weil es dieses Hirngespinst gibt, dass ohne Druck nichts gehe. Der Realität der Lebensführung entspricht das zwar nicht, aber was schert sich ein Hirngespinst darum. Folglich ist es Sache der Bürger sich gegen eine Sparversion des BGE zu wehren, wenn sie diese nicht haben wollten. Und wenn sie sie doch haben wollen, ist das in einer Demokratie nicht nur legitim, es ist Ausdruck politischen Willens. Die Gefahren, von denen Ulrike Herrmann spricht, sind der politisch Wille. Wer ihn als Gefahr sieht, muss die Demokratie als Gefahr sehen. Die Sorge um Gefahren erweist sich als bevormundender Paternalismus, der ebenfalls so selten nicht ist (siehe hier).

Eine ähnliche Stoßrichtung hat der Essay Alexandra Borchardts in der Süddeutschen Zeitung. In ihm fallen besonders folgenden Passagen auf:

„Dieses Paradies könnte allerdings eine Falle sein. Denn ein Einkommen zementiert die soziale Schichtung. Ein Anreiz entfällt, sich aus eigener Kraft von den Fesseln der Staatsstütze zu befreien, etwas zu wagen, zu gründen, sich zu bilden, seinen Kindern eine bessere Zukunft zu erkämpfen. Warum dafür ins Zeug legen, wenn es sich doch auch so bescheiden leben lässt?“

Da ist das Hirngespinst wieder, obwohl dieselbe Autorin an anderer Stelle das Gegenteil bekundet. Sonderbar. Weiter heißt es:

„Doch das sind Rechenspiele. Viel wichtiger ist es, grundsätzlich über Arbeit zu reden. Denn für die meisten Menschen ist der Job mehr als der Garant des monatlichen Auskommens. Arbeit bietet Struktur im Alltag, das Gefühl, gebraucht zu werden, etwas Sinnvolles zu tun. Bei der Arbeit trifft man vertraute Menschen, tauscht Ideen aus, schafft sich ein Netzwerk. Gesund zu sein und einen guten Job zu haben seien die wichtigsten Faktoren für Lebenszufriedenheit, hat die OECD für ihren Better Life Index ermittelt. So schnell wird sich das nicht ändern, auch wenn die Digitalisierung vieles auf den Kopf stellen mag.“

Nun, die grundsätzliche Frage, die sich hier stellt, lautet: Beschäftigung schaffen oder Freiraum, sich entscheiden zu können? Das BGE votiert für letzteres. Wenn Arbeit all das bedeutet, was Borchardt schreibt, braucht sie sich keine Sorgen zu machen. Denn das BGE würde an dieser Bedeutung ja nichts ändern. Falls ein BGE aber den Blick weitet und andere Tätigkeiten von ihrer Zweitrangigkeit befreit, diese dann ausgeübt werden können, ohne erwerbstätig zu sein, dann wird diese Vielfalt zur Geltung kommen. Doch die Autorin zieht einen anderen Schluss:

„Insofern sollten sich all jene, die das Instrument [das BGE, SL] als ausreichenden Ersatz für potenziell entfallende Arbeitsplätze betrachten, nichts vormachen: Menschen möchten nicht nur konsumieren, sie wünschen sich einen guten Arbeitsplatz und wollen gebraucht werden.“

Ja, aber das spricht nun nicht gegen ein BGE. Der schleichende Paternalismus wird auch hier erkennbar, wenn angenommen wird, es könnte überhaupt der Zustand eintreten, dass „Menschen“ sich sagen ließen, was sie zu tun haben und ihr Leben auf das Konsumieren sich beschränken ließen, wenn sie es nicht wollten.

Was bleibt?

„Es gibt viele spannende Themen in der Debatte zur Zukunft der Arbeit, viele Aufgaben, die zu lösen sind: Wie können Menschen und Maschinen sinnvoll zusammenarbeiten, mithilfe von künstlicher Intelligenz mehr leisten, im Job zufriedener werden? Wie lassen sich Familienaufgaben und Erwerbsarbeit über die gesamte Lebensspanne hinweg klug verbinden? Wie lässt sich in einer Welt der digitalen Vernetzung die persönliche Freiheit erhalten? Welcher Ethik sollten Roboter folgen? Und ja, wie sieht ein guter Sozialstaat aus?“

Und dazu soll das BGE keinen Beitrag leisten können? Wie angesichts der Überlegungen, die über die Schlussfolgerungen der Autorin hinausreichen, gegen ein BGE votiert wird, ist erstaunlich.

Sascha Liebermann

„Our automated future“ – wieder eher ein Bedrohungs-Szenario…

…im Beitrag von Elizabeth Kolbert, im New Yorker, angesichts etwaiger Folgen der Digitalsierung. An einer Stelle heißt es:

„Ford worries that we are headed toward an era of “techno-feudalism.” He imagines a plutocracy shut away “in gated communities or in elite cities, perhaps guarded by autonomous military robots and drones.” Under the old feudalism, the peasants were exploited; under the new arrangement, they’ll merely be superfluous. The best we can hope for, he suggests, is a collective form of semi-retirement. He recommends a guaranteed basic income for all, to be paid for with new taxes, levelled, at least in part, on the new gazillionaires.“

Ob die Digitalsierung nun diese Folgen haben wird, sei dahingestellt, es wird sich zeigen. Doch weder ist Technologienutzung ein Selbstläufer, noch muss sie eine Bedrohung sein. Ihre Nutzung lässt sich gestalten, man sollte die Klugheit der Praxis nicht unterschätzten, und über genaue diese Nutzung ließe sich viel gelassener nachdenken, wenn diese Bedrohung nicht in der massiven Substituierung menschlicher Arbeitskraft erkannt wird. Wo Menschen sind, gibt es Aufgaben und Probleme zu bewältigen, darüber müssen wir uns keine Sorgen machen. Und wenn Technologienutzung sinnvoll ist, dann könnte sie eine Befreiung darstellen, eine Befreiung zu Aufgaben, die Automaten nicht übernehmen können. Auf der Basis eines Bedingungslosen Grundeinkommens könnte darüber, wie wir leben wollen, gelassener diskutiert werden – mit und ohne Digitalisierung.

Siehe auch „Digitization makes Basic Income necessary? Why a supposedly strong argument is a weak one“ und „Digitalisierung – wo bleibt der Mensch?“.

Sascha Liebermann

„Ein Grundeinkommen kann die Gesellschaft wieder vereinen“…

…ein Beitrag von Thomas Straubhaar in der Süddeutschen Zeitung.

An einer Stelle schreibt er treffend:

„Wie hoch das Grundeinkommen sein soll, wie viel Steuern der Besserverdienende mehr zahlen soll als der Geringverdienende, damit unterschiedlichen Gerechtigkeitsvorstellungen entsprochen wird, bleiben Streitpunkte, die auch künftig durch die Politik zu beantworten sind.“

Entgegen der weitverbreiteten Forderung, detaillierte Vorschläge vorzulegen, die die Richtung, für die das BGE steht, im Klein-Klein des Details zu verlieren, bleibt Straubhaar grundlegend. Das halte ich für angemessen, weil die Entscheidung über die konkrete Ausgestaltung beim Souverän liegt. Sie hängt davon ab, was mit den zu ergreifenden Schritten in der Ausgestaltung ermöglicht werden soll. Entsprechend breit sind die Vorstellungen, worin diese Schritte bestehen könnten. Entgegen der Hoffnung, durch konkrete Vorschläge der Einführung näher zu kommen, ließe sich genauso gut dafür argumentieren, dass eine zu frühe Verlegung auf die Ausgestaltung die politische Willensbildung behindern kann. Solange der Schritt zum BGE grundsätzlich nicht befürwortet wird, sind andere Diskussionen zu führen als die über eine Ausgestaltung en détail. Wie sie dann letztlich auszusehen hat, darüber hat der Souverän zu befinden, nicht Experten.

Dann heißt es missverständlich:

„Das Grundeinkommen ist lediglich das Instrument zur Umsetzung politischer Entscheidungen. Es ist im Kern nichts anderes als eine fundamentale Steuerreform. Es bündelt alle sozialpolitischen Maßnahmen in einem einzigen Instrument.“

Straubhaar sagt zwar nicht ausdrücklich, dass Leistungen oberhalb des BGE ausgeschlossen sind, er erwähnt aber auch nicht, dass sie fortbestehen sollen. Das macht jedoch einen großen Unterschied, weil im ersten Fall Härtefälle entstehen würden, das BGE also diejenigen, die Bedarfe oberhalb des BGE haben aufgrund einer Erkrankung oder Ähnlichem, alleine lassen würde. Im weiten Fall hingegen wären sie geschützt.

Wenn es gegen Ende des Beitrages heißt, das BGE sei radikal, da es die „Grundlage zu einem neuen Gesellschaftsvertrag“ biete, kann man das so sehen. Ich hingegen würde herausheben, dass der Schritt weniger radikal ist, als er scheint. Wir würden damit vielmehr ein Sicherungssystem schaffen, das unserer demokratischen Grundordnung gemäß ist, statt einen Sozialstaat fortzuschreiben, in dessen normatives Zentrum Erwerbstätigkeit ist, nicht demokratische Souveränität. Wir leben nicht, wie es so oft heißt, in einer Arbeitsgesellschaft, sondern in einem Widerspruch zwischen einem Sozialstaat, der die Arbeitsgesellschaft im Zentrum hat, und einer Demokratie, in deren Zentrum die Bürgergemeinschaft steht.

Thomas Straubhaar hat sich in den letzten Jahren sehr deutlich zum BGE geäußert, allerdings durchaus auch missverständlich oder hat etwa in gleichem Atemzug die Agenda 2010 gelobt, ohne etwas über das Sanktionsregime im Arbeitslosengeld II zu sagen. Frühere Kommentare von mir zu seinen Ausführungen finden Sie hier.

Sascha Liebermann

„Also: sie sind dumm, wenn ich das mal so zusammenfassen darf“…

…so Herfried Münkler über „große Teile“ des Volkes in einem Gespräch im Deutschlandradio Kultur. „Das Volk ist nicht dumm“ erwidert darauf Michael Hartmann an gleicher Stelle und zeigt auf, was die Wähler Trumps womöglich dazu bewogen hat, ihn zu wählen. Münkler hatte sich vor vielen Jahren ähnlich abfällig über das BGE geäußert. Dass es diese Herablassung ist, die auch in Deutschland Anlass dazu gegeben haben könnte, die AfD zu wählen, kommt Münkler gar nicht in den Sinn.

Forscher empfehlen Entschärfung von Hartz-IV-Sanktionen – sprach denn je etwas dafür?

Report Mainz berichtete als erstes darüber, nun werden die Befunde einer Studie des Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) aufgegriffen – siehe Berliner Zeitung, neues deutschland – und die Aufhebung von Sanktionen im Sozialgesetzbuch gefordert. Dass die Studie neue Details zutagefördert, mag der Fall sein, doch aus dem IAB gab es schon früher Hinweise auf die Problematik, siehe hier und hier. Doch gab es denn je empirische Belege dafür, dass Sanktionen überhaupt etwas bewirken, geschweige denn die für die ihnen zugrundeliegende Behauptung einer Armutsfalle? Es haben sich schon früher Forscher mit dieser Behauptung beschäftigt und belegt, dass in der Realität ihr nichts entspricht. Hier sind einige Arbeiten, die sich mit dem Theorem beschäftigen:

Forscher empfehlen Entschärfung von Hartz-IV-Sanktionen – sprach denn je etwas dafür? weiterlesen

„560 Euro, einfach so“ – Was Finnland vorhat…

…darüber berichtet ein Beitrag in der Die Zeit von Zacharias Zacharakis. Der Beitrag schließt mit dieser Bemerkung:

„Das Experiment zum Grundeinkommen ist nun die erste Initiative dieses neuen Politikansatzes. Fachleute sind sich einig, dass sich ein Grundeinkommen nicht von heute auf morgen einführen lässt, sondern nur schrittweise. Zum Beispiel zunächst für Kinder und Auszubildende, dann für Arbeitlose und Rentner, später für Alleinerziehende und andere Bedürftige und so weiter. Finnland macht jetzt einfach mal den ersten Schritt.“

Jeder Gesetzgebung, die auch im Falle der Einführung eines Grundeinkommens notwendig wäre, geht eine Diskussion über genau dieses Gesetz voraus – das gehört zu den Verfahren in einer Demokratie. Das Szenario einer Einführung von heute auf morgen ist von daher ohnehin weltfremd, ein Pappkamerad, zu dem eine Gegenposition zu beziehen ein Heimspiel ist, aber keine besondere Einsicht. Das heißt aber nicht, dass ein BGE „schrittweise“ eingeführt werden müsste, wie der Autor meint, und wie es in jüngerer Zeit öfter zu hören ist. Wir haben in Deutschland z. B. einen Grundfreibetrag in der Einkommensteuer, wir haben Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe – beide gehen darauf zurück, das Existenzminimum zu sichern. Beide können also problemlos in ein BGE umgestaltet werden, um genau dieselbe Aufgabe zu erfüllen. Weshalb eine gruppenspezifische Einführung naheliegender sein sollte als eine Umgestaltung, erschließt sich nicht aus dem Beitrag. Dass die schrittweise Einführung womöglich der Umgestaltung der heutigen Leistungen in eine Ausschüttung als BGE vorgezogen würde, wäre politischer Wille, nicht aber in der Verfasstheit unseres Gemeinwesens begründet.

Sascha Liebermann

„Grundeinkommen wählbar machen – Grundeinkommen auf den Wahlzettel“…

…das zu erreichen, hat das Bündnis Grundeinkommen sich vorgenommen: „Wir wollen eine Ein-Themen-Partei gründen und das Grundeinkommen auf den Wahlzettel zur Bundestagswahl 2017 bringen“, kündigen die verantwortlichen hinter der Website an. Unterstützer können sich auf der Website eintragen. Alleine durch die Präsenz auf den 45 Millionen Wahlzetteln wird das BGE als Alternative in der Wahlkabine sichtbar. Letztlich kann das Vorhaben, auch wenn dazu auf der Website nichts zu lesen ist, keine Ein-Wahl-Fliege sein. Weshalb auch? Es gilt also, die bevorstehenden Landtagswahlen ebenfalls ins Auge zu fassen.

Wer nun „Partei“ hört und womöglich deswegen abwinkt, sollte sich das Vorhaben genau anschauen. Es geht nicht darum, einfach eine weitere Partei zu gründen, sondern unserer repräsentativen Demokratie gemäß einen Weg zu finden, das Bedingungslose Grundeinkommen in den Deutschen Bundestag zu tragen. Das über den Gewinn von Direktmandanten zu erreichen, ist ungleich schwierigerer als über die Zweitstimme. Um Zweitstimmen erhalten zu können, bedarf es aber des Partei-Status, denn die Zweitstimme kann nur für Parteien bzw. die von ihr vorgeschlagene Kandidatenliste abgegeben werden.

Sicher, manche Frage ist offen, z. B. wie geht man als Mandatsträger im Bundestag mit Stellungnahmen zu anderen Fragen um? Dieser Verantwortung wird man sich nicht entziehen können, um so wichtiger ist es, dass diejenigen, die kandidieren wollen, sich darüber klar werden.

Die öffentliche Diskussion ist für die Willensbildung unerlässlich und kann das entscheidende Gegengewicht zu einer parteipolitischen Verengung der Thematik darstellen. Sie sollte also unter dem Vorhaben nicht leiden – das hängt aber von uns Bürgern ab, ob das geschieht oder nicht. Das BGE ist keine Parteiangelegenheit, denn „die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes“ (Art. 21 Abs.1 Satz 1 GG) nur mit, sie sind mit ihr nicht gleichzusetzen. Bundestagsabgeordnete verfügen über ein „freies Mandat“, sind sie nur ihrem Gewissen verpflichtet (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG).

Obwohl in den Texten auf der Website von „wir“ die Rede ist, bleibt unklar, wer spricht. Es wäre angesichts der Bedeutung des Vorhabens an der Zeit, sich zu erkennen zu geben, statt im Hintergrund zu bleiben. Sonst könnte Glaubwürdigkeit verloren gehen.

Ist das ganze ein riskantes Unterfangen? Hoch scheiterungsfähig? Ja, natürlich. Neuerungen im Leben sind aber nicht zu haben, ohne dass etwas gewagt wird.

Die Parteigründung ist für den 25. September vorgesehen.

Sascha Liebermann

Schiefe Vergleiche und unausgesprochener Paternalismus – eine Anhörung im NRW Landtag zum Bedingungslosem Grundeinkommen

Am 30. Juni fand auf Antrag der Piratenpartei eine Experten-Anhörung im Hauptausschuss des Landtages von Nordrhein-Westfalen zum Bedingungslosen Grundeinkommen statt. Nun steht das Protokoll (S. 5-25) der Anhörung online und erlaubt, Einblick in die Beiträge der Experten sowie in Antworten auf Fragen, die an sie gerichtet wurden, nachzulesen. Wer mit der Diskussion zum BGE vertraut ist, wird wenig Neues darin entdecken, allerdings finden sich hier und da Differenzierungen, die in der öffentlichen Diskussion selten vorkommen.

Interessant ist die nachfolgende Passage aus einer Antwort von Dominik Enste (TH Köln/ Institut der deutschen Wirtschaft) auf eine Frage aus dem Ausschuss. Er bezieht sich hierbei auf Ausführungen von Ute Fischer (Fh Dortmund/ Freiheit statt Vollbeschäftigung) zur Bedeutung bedingungsloser Anerkennung in vergemeinschaftenden Lebenszusammenhängen. Was sagte er?

„Eine völlige Bedingungslosigkeit gibt es vielleicht in der Familie, manchmal noch bedingungslose Liebe – danach sehnen wir uns alle – und selbst die ist meistens nicht gegeben, denn die Eltern lieben ihr Kind vor allem dann, wenn es zurücklächelt. Insofern ist auch dort eine gewisse Reziprozität vorhanden. Und diese ist dann eben auch in der Form der Bedürftigkeit bei diesem Einkommen Voraussetzung.“ (Protokoll der Anhörung, S. 16)

Überraschend ist, wie Enste zwei Dinge zusammenführt, die nicht vergleichbar sind. Die Eltern-Kind-Beziehung, die er zum Vergleich wählt und von ihr aus die Bedürftigkeitsprüfung herleitet (Reziprozität), ist eine asymmetrische. Kinder sind von den Eltern in vielerlei Hinsicht abhängig, Eltern treffen Entscheidungen für die Kinder, solange diese noch nicht entscheidungsfähig sind. Das ist nun in keiner Form vergleichbar mit der Beziehung Erwachsener zueinander, die sich in ihrer Selbstbestimmung frei begegnen. In einem Gemeinwesen begegnen sie sich darüber hinaus noch als Angehörige qua Staatsbürgerschaft, dadurch sind sie Gleiche unter Gleichen. Diese Beziehung ist eben nicht asymmetrisch, sie ist symmetrisch. Von hier aus gelangt man eben nicht zur Begründung der Bedürftigkeitsprüfung, stattdessen eröffnet es den Weg zum BGE. Enste sucht sich zur Veranschaulichung dessen, dass er die Bedürftigkeitsprüfung für richtig hält (Werturteil) ein ungeeignetes Beispiel, das der Analyse nicht standhält. Dass dadurch der Erwerbstätigkeit eine vorrangige Wichtigkeit zugesprochen wird und andere Tätigkeiten unter den Tisch fallen, sieht er nicht oder will er nicht sehen. Genau darauf wies jedoch Ute Fischer hin.

Eine zynische Note erhält das Ganze, indem er – und das ist eine Unterstellung – behauptet, dass „meistens“ Eltern ihr Kind vor allem dann liebten, wenn es zurück lächele. Nehmen wir einmal an, dass dies so sei, was folgte daraus? Wir hätten es dann mit einem Phänomen zu tun, das für entsprechende sozialisatorische Folgen sorgte. Denn die für einen gelingenden Bildungsprozess unerlässliche bedingungslose Hinwendung zu den Kindern zeigt diesen gerade, dass sie, so wie sie sind, angenommen werden. Diese Hinwendung ist eine, die keine bestimmte Gegenleistung voraussetzt. Ein Kind macht dadurch die Erfahrung, dass es ganz gleich, was es tut, geliebt wird. Was nun passiert, wenn diese Bedingungslosigkeit nicht einschränkungslos gegeben ist, lässt sich leicht veranschaulichen. Kinder machen die Erfahrung, dass es nicht um sie als solche geht, sondern darum, sich wohlzuverhalten, elterlichen Erwartungen zu entsprechen, sich also anzupassen an das, was den Eltern gefällt, nicht aber ihre Bedürfnisse zu artikulieren. Sollte eine solche Haltung der verbreitete Normalfall sein, müssten wir uns ernsthaft Sorgen machen. Dass sie vorkommt, steht außer Frage, ist aber gerade problematisch, weil sie die Herausbildung des Selbstvertrauens in die eigene Person als ganze beeinträchtigt (zur Lektüre dazu siehe z. B. hier). Wenn Enste das nun zum Regelfall erklärt, argumentiert er gerade gegen die Anerkennung der Person um ihrer selbst willen und erhebt einen Missstand zum Ideal. Das ist zynisch.

Was hatte denn Ute Fischer eigentlich gesagt, worauf Dominik Enste reagierte? Ute Fischer unterschied zwei Begriffe von Reziprozität, um deutlich zu machen, dass die verbreitete Rede von Reziprozität als Verhältnis von Leistung und Gegenleistung verkürzt sei:

„Wir haben das Prinzip des Äquivalententausches. Das ist die zweckgerichtete Leistung für die Ökonomie, für den Arbeitsmarkt – da verwenden wir Leistung und Gegenleistung als Äquivalent. Es gibt aber daneben den Bereich der sittlichen Reziprozität, der zweckfreien Gegenseitigkeit. Das verwenden wir immer da, wo wir als ganze Menschen eingebunden sind – in Familien und im politischen Gemeinwesen. Es sind zwei verschiedene Arten, Gegenseitigkeit zu verstehen. Für den ökonomischen Bereich ist der Äquivalententausch genau richtig: Leistung auf Gegenleistung. Für den anderen Bereich – und wir reden hier über das Sozialsystem, das ist der Bereich der politischen Vergemeinschaftung – ist die Gegenseitigkeit als zweckfreie Kooperation entscheidend.“ (S. 10)

Es gibt ein Verständnis von Reziprozität, das seinen Ort dort hat, wo Leistung bzw. -svermögen getauscht wird, z. B. am Güter- und Arbeitsmarkt. Diese Austauschlogik ist mit zweckgerichteter Reziprozität gut umschrieben, weil auch die Leistungsersteller in Gestalt von Mitarbeitern nicht um ihrer selbst willen eingestellt werden, sondern weil sie einem Zweck dienen sollen. Sie übernehmen eine Aufgabe oder Rolle. Deswegen sind sie ja auch austauschbar, ohne dass der Zweck, dem sie dienen sollen, darunter leiden würde. Es macht diese Tauschform aus, dass es nicht um die Person um ihrer selbst willen geht. Um die Person um ihrer selbst willen geht es woanders, und zwar gilt dort ein Verständnis von Reziprozität im Sinne eines zweckfreien Tauschs. Nicht Leistung wird dort getauscht, Personen als ganze tauschen sich miteinander aus und erkennen sich darin um ihrer selbst willen an. Deswegen ist es auch unangemessen, dies als Rolle zu bezeichnen, vielmehr sind es Positionen, die an Personen hängen, z. B. Vater, Mutter, Staatsbürger. Dieser zweckfreie Tausch, anders als häufig dargestellt, ist die Basis dafür, dass der zweckgerichtete verlässlich möglich ist. Normbindung, Bindung an Regeln und damit auch Verträge wird durch die Erfahrung des zweckfreien Tauschs als Grundlage von Bildungsprozessen erst ermöglicht. Die zweckfreie Reziprozität vollzieht sich in zwei Gemeinschaftsformen: in Familie bzw. familienähnlichen Sozialgebilde und in Gemeinwesen. In der Familie ist es die bedingungslose Anerkennung des Gegenübers als Angehöriger eines Verwandtschaftsgebildes (Gatte-Gattin, Eltern-Kind), im Gemeinwesen ist es die bedingungslose Anerkennung der Bürger als Legitimationsquelle politischer Ordnung (GG Art 20, (2)).

In der Diskussion um das BGE wird diese Differenzierung selten vorgenommen, sie ist jedoch wichtig, um zu verstehen, dass ein Gemeinwesen auf anderen Grundlagen steht als ein Erwerbsverhältnis. Solange das nicht genügend auseinandergehalten wird, scheint nicht nur das BGE eine Angelegenheit von einem anderen Stern zu sein, unser Verhältnis zu uns selbst als Bürger eines Gemeinwesens, die die Basis von allem sind, bleibt ebenso verstellt. Wir übersehen uns selbst, könnte man auch sagen. Wie soll es da Veränderungen geben können, die dazu führen, die Bedeutung der Bürger mehr zu achten?

Sascha Liebermann

„Bedingungsloses Grundeinkommen: NEIN, Grundrecht auf soziale Teilhabe: JA“ – widersprüchliche Einwände…

…von Peter Glaser auf Makroskop. Der Beitrag zeichnet sich trotz seines wortstarken Auftakts nicht gerade durch Klarheit aus. An manchen Stellen ist er ein Plädoyer für ein BGE, ohne dass der Autor das so sieht. Er beginnt:

„Die deutsche Sprache ist eine sehr präzise Sprache, die es erforderlich macht, Sachverhalte korrekt zu beschreiben. Die Begrifflichkeit „bedingungsloses Grundeinkommen“ ist einerseits eine „Unmöglichkeit“ und andererseits eine sachlich falsche Beschreibung. Hier bewegen wir uns auf dem Gebiet sprachlicher „Schlampigkeit“, die dafür sorgt, dass Sachverhalte verschleiert werden und damit missbraucht werden können.“

Starke Worte. In der Tat ist das Schlagwort Bedingungsloses Grundeinkommen nicht so prägnant, wie man es sich wünschen würde. Was wären die Alternativen, etwa: allgemeines oder garantiertes Grundeinkommen oder Sozialdividende? Das wäre auch kein Prägnanzgewinn und der Favorit des Autors „soziale Teilhabe“ ist nicht besser. Erklärt er sich etwa von selbst? Kaum.

Bei aller mangelnden Prägnanz des Schlagworts BGE, so ist auch Wohlwollen geboten. Es handelt sich beim BGE nicht um einen wissenschaftlichen Begriff, es ist vielmehr ein politischer. Bei den genannten Alternativen oben bleibt noch mehr im Unklaren, was sie von heute existierenden, mit Leistungsbedingungen versehenen Sicherungsleistungen unterscheidet. Ebensowenig ist das der Fall bei „sozialer Teilhabe“. Wir werden das noch sehen. Arbeitslosengeld 2 ist eben auch ein garantiertes Grundeinkommen in einer bestimmten Form. Kontextualisiert man hingegen die Entstehung des Schlagwortes BGE, dann wird die Bedeutung des Attributes „bedingungslos“ sehr prägnant. Es richtete sich in der deutschen – wie in der internationalen – Diskussion von Anfang an gegen die Leistungsbedingungen, die diejenigen erfüllen müssen, die ein Ersatzeinkommen benötigen (Arbeitslosengeld, Sozialhilfe usw.).

Weiter schreibt Glaser:

„Aber auch der Begriff „Grundeinkommen“ ist für etwas, für das niemand etwas tun soll, zumindest irreführend. Einkommen ist immer das Ergebnis des Einsatzes der Produktivfaktoren Boden, Arbeit und Kapital. Das Teilwort „Grund…“ deutet eher auf den Verwendungszweck des Einkommens, hat aber mit der Erlangung von Einkommen nichts zu tun.“

Sicher kann es kein Einkommen geben, ohne daß etwas hervorgebracht wurde. Das bezweifeln BGE-Befürworter nicht. Wir können diesen Einwand aber auch verlängern und sagen: Es kann auch nichts hervorgebracht werden, ohne daß es handlungsfähige erwachsene Personen gibt, die etwas hervorbringen können. Was hängt nun wovon ab? „Arbeit“ – im Sinne menschlicher Arbeitskraft – ist eben nicht einfach „da“, sie muss sich erst bilden durch einen langwierigen Bildungsprozess. Auch für „Boden, Arbeit, Kapital“ gilt also, das sie erst vorhanden sein müssen. Nicht nur sie sind „Produktivfaktoren“, auch wenn diese Darstellung in den Wirtschaftswissenschaften gängig ist, Bildungsprozesse in Vergemeinschaftungen sind es ebenso, wenn auch nur mittelbar. Wenn schon, dann sollte der Blick auf das Ganze gerichtet werden, nicht auf das Halb-Ganze.

Dass die Vorsilbe „Grund-“ etwas darüber sagt, wie Einkommen bereitgestellt wird, ist unstrittig. Denn die Erlangung von Einkommen aus dem Wertschöpfungsprozess sagt noch nichts darüber, wie das Einkommen nun zu Individualeinkommen von Personen wird. Es geht beim BGE nicht darum, dass Wertschöpfung vom Himmel fällt, sondern dass die Bereitstelltung eines Anteils daran von keiner Gegenleistung direkt (!) abhängig gemacht wird. Insofern ist Glaser vorschnell.

Er schreibt dann weiter:

„Worum es bei diesem Thema eigentlich geht, ist die Ausübung eines „Grundrechts auf soziale Teilhabe“ in unserer Gesellschaft. Da dies im Kapitalismus nun mal nur mit „Geld“ möglich ist, geht es letztendlich um eine angemessene Verteilung! Wenn die für das Einkommen erforderliche Leistung erbracht wird, Indikator dafür wäre ein steigendes BIP, muss man fragen, wie das Einkommen verteilt werden soll, so dass das Grundrecht auf Teilhabe gewährleistet ist.“

Ja, eben, deswegen „Grund“-Einkommen, wobei dieses Einkommen von der Geldseite her lediglich ökonomische Teilhabe ist, wenn man präzise sein will. Glaser schreibt zu Recht, dass Geld diese „Teilhabe“ nur ermöglicht. Sozial ist diese Teilhabe nicht des Geldes wegen, sondern weil die Bereitstellung durch ein Gemeinwesen erfolgen muss.

Dann folgt ein Bekenntnis:

„In Artikel 2 (2) im Grundgesetz heißt es: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich…“. Wenn wir dieses Recht ernst nehmen, müssen wir jedem Menschen in unserem Land die dafür erforderliche Ausstattung – in unserem System „Geld“ – zur Verfügung stellen.“

Aha, also ein Plädoyder für BGE, oder? Das hängt nun entscheidend davon ab, nach welchem Modus Geld bereitgestellt werden soll.

„Dies sollte vorrangig über die Möglichkeit, das Geld durch Arbeit zu verdienen, erfüllt werden. Wenn dies, durch welchen Umstand auch immer, nicht möglich ist, ist unsere Volkswirtschaft leistungsstark genug, einen Teil in Form von Geld an die Menschen zu verteilen, für die wir zeitweise oder dauerhaft keinen bezahlten Arbeitsplatz bereitstellen.“

Warum „vorrangig“ über Erwerbsarbeit? Diese Werthaltung kann man haben, sie führt zu den Widersprüchen, in denen wir heute leben. Glaser baut nun eine Ausnahme von der Regel ein, wenn er die Bereitstellung vorsieht, ohne dass jemand erwerbstätig ist „durch welchen Umstand auch immer“? Was ist mit „Umstand“ gemeint? Sonderbar wäre, wenn als Umständ gelten könnte, für die eigenen Kinder zuhause zu bleiben, denn das wäre eine freie Entscheidung und kein Umstand. Das passte dann auch nicht mit Glasers Regel zusammen, „Geld durch Arbeit“ zu verdienen. Erst im Fortgang wird klar, worin dieser Umstand besteht. Er geht nicht vom Individuum aus, dass eine Entscheidung trifft, sondern vom Gemeinwesen „wir“, das zu etwas nicht in der Lage ist: einen bezahlten Arbeitsplatz bereitzustellen. Was geschieht mit dem, für den ein Arbeitsplatz bereitgestellt wäre, der aber Besseres zu tun hätte? Wie man es dreht und wendt, so fortschrittlich es klingt, so wenig änderte es am heutigen normativen Gefüge, dass Erwerbstätigkeit den Vorrang vor allem anderen hätte und dass diejenigen, die daran nicht teilnehmen wollen, kein Einkommen erhielten oder nur eines, das mit Auflagen versehen wäre, z. B. angebotene Arbeit anzunehmen. Willkommen im Hartz-IV-Land, das wäre also die Konsequenz der „sozialen Teilhabe“ nach Glaser.

Er schreibt weiter:

„Dass sich die Machtverhältnisse mit der Einführung eines solchen Rechts verschieben werden, ist klar. In einer wirklich demokratischen Gesellschaft sollte das aber niemand besorgen, da es für die Masse Leistungen ermöglicht, die bisher vielen zu teuer sind. Ökonomie und Ökologie könnten sich beispielsweise viel leichter im Gleichschritt entwickeln, wenn allen Menschen eine angemessene Teilhabe am gemeinsam erarbeiteten Fortschritt erlaubt wird. Dann wäre wirklich die Wirtschaft für die Menschen da und nicht umgekehrt!“

Was verschiebt sich denn, wodurch? Allenfalls würde die Stellung der Erwerbstätigen gestärkt, nicht aber der Bürger im Gemeinwesen, denn für die gälte nach wie vor: Erwerbsarbeit ist der höchste Zweck, alles andere kommt danach. Glasers Vorschlag würde wie jeder erwerbszentrierte Sozialpolitik, an der Abwertung anderer Tätigkeiten festhalten und nicht die Person um ihrer und um des Gemeinwesens selbst willen anerkennen. Erwerbstätigkeit bliebe wie heute die normative Verpflichtung, Nicht-Erwerbstätigkeit die Ausnahme von der Regel.

Vielleicht folgt Aufklärung noch:

„Für jede Leistungserbringung in unserer arbeitsteiligen Wirtschaft ist immer ein „Startkapital“ erforderlich. Bei der Anschaffung einer Maschine ist dies jedem selbstverständlich, nur für den Primärleistungserbringer „Mensch“ soll das nicht gelten?“ […]
Da es heute nicht mehr mit der Überschreibung eines Grundstückes getan ist, müssen wir andere Systeme verwenden. Wenn wir wieder „Vermögen“ als Basis für die Grundversorgung benutzen wollen, müssen wir das alte römische Recht des Eigentums entsprechend anpassen. Wie in dem interessanten Buch von Sarah Wagenknecht mit dem Titel „Reichtum ohne Gier“ überzeugend beschrieben wird, wäre ein anderer Umgang mit dem Eigentum denkbar und könnte die Basis für ein kapitalbasiertes Einkommen für alle schaffen.“

Was hat er nun hier vor Augen? Liefe das alles nicht auf ein Grundeinkommen hinaus und wenn er das zumindest als „Startkapital“ vorsieht, dann für alle zu einem bestimmten Zeitpunkt im Leben, z. B. der Volljährigkeit? Dann wären wir beim Vorschlag von Bruce Ackerman und Anne Alstott (siehe auch hier), dem „stakeholder grant“. Immerhin, auch hier bleibe die Erwerbsverpflichtung bliebe bestehen, denn das „Startkapital“ muss investiert werden, um einen „return“ bringen, der langfristig Einkommen verschafft.

Interessant und wieder in eine andere Richtung weisend dies:

„Damit ein Mensch Arbeit leisten kann, müssen die dafür erforderlichen Voraussetzungen gegeben sein. Der Mensch als soziales Wesen benötigt in der heutigen Zeit neben menschlichen Zuwendungen, die schon immer von großer Bedeutung waren, Geld zur Erhaltung seiner Arbeitsfähigkeit.“

In dieser Allgemeinheit unstrittig, aber wie genau? Wessen Zuwendungen zu welcher Zeit benötigt „der Mensch“? Geld, damit Eltern sich dieser Aufgabe widmen können, meint Glaser das? Das würde aber zu seinem Vorrang von Erwerbstätigkeit nicht passen, also dann doch Ausbau der Ganztagsbetreuung – auch eine Art menschlicher Zuwendung -, damit Eltern die angebotenen Arbeitsplätze annehmen könnten. Warum sagt er es nicht?

„Die Leistungsbasis „Mensch“ damit zu versorgen, um damit die Leistungserbringung zu ermöglichen, ist mit dem in der Regel aus dem Nichts geschaffenen Geld für die Investition einer Maschine durchaus vergleichbar, wenn auch den meisten dieser Vergleich aus moralischen Gründen nicht gefällt. Sachlich ist er vollständig angemessen.“

Und weshalb dann kein Bedingungsloses Grundeinkommen, um deutlich zu machen, dass es um den „Menschen“ und das Gemeinwesen geht, dem die Wirtschaft letztlich zu dienen hat? Der Beitrag ist ein Durcheinander, in dem an einem auf jeden Fall festgehalten wird: dem Vorrang von Erwerbstätigkeit.

Sascha Liebermann

„Ein Grundeinkommen für alle“ – Kommentar zum Essay von Paul Nolte

In einem Essay für NDR Kultur, Gedanken zur Zeit hat sich jüngst Paul Nolte, Professor für Neuere Geschichte an der FU Berlin, zur Diskussion um das Bedingungslose Grundeinkommen geäußert. Er befasst sich nicht das erste Mal damit und war vor vielen Jahren in einer Talkshow vehementer Gegner eines BGE (siehe hier). In seinem aktuellen Beitrag gibt er sich milder, stellt das BGE und die Diskussion darüber jedoch durchaus eigenwillig dar. Darin kehren manche Missverständnisse wieder, die in der Diskussion häufiger angetroffen werden können.

Schon in den ersten Absätzen heißt es mit Bezugnahme auf die Schweizer Volksabstimmung im Juni, die Ausgangspunkt des Essays ist, dass „das staatliche Basiseinkommen […] bei den Gutverdienenden mit dem Arbeitslohn verrechnet [würde]“. Zwar gab es in der Schweizer Diskussion u.a. von Seiten des Bundesrats solche Darstellungen, dem Vorschlag der Initianten entsprach dies jedoch nicht. Wenn von einer „Verrechnung“ gesprochen werden kann, dann lediglich in Gestalt der finanztechnischen Darstellung des Verhältnisses zwischen Erhalt von Steuern in Gestalt eines BGE und Abführen von Steuern. Diejenigen die mehr Steuern in Gestalt eines BGE erhalten als sie abführen, bezeichnet man als Nettoempfängern, die die mehr Steuern abführen, als sie in Gestalt des BGE erhalten als Nettozahler. Das hat jedoch nichts damit zu tun, dass das BGE mit dem Arbeitslohn „verrechnet“ wird.

An einer anderen Stelle sprich Nolte von einem „radikalen Systemwechsel“, einer „revolutionär neue[n] Auffassung von der freien und selbstbestimmten Lebensführung aller Menschen“. Vor dem Hintergrund republikanischer Demokratien ist ein BGE weder ein Systemwechsel, noch ist es revolutionär. Lediglich auf die Konstruktionsprinzipien des heutigen Sozialstaates bezogen trifft diese Charakterisierung zu. Radikal ist das BGE, weil es an die Wurzeln der Demokratie anschließt und die Bürger ins Zentrum der Sicherungssysteme rückt; revolutionär ist es, weil es die Vorherrschaft der Erwerbsnorm in diesem Sozialstaat durch die Stellung der Bürger in ihm ersetzt. Damit vollzieht es lediglich eine Fortentwicklung des Sozialstaats im Geiste der Demokratie.

Überraschend ist, dass Nolte – wie viele andere – die dem Apostel Paulus (siehe auch hier) zugeschriebene Äußerung falsch zitiert, die von Stalin in die Verfassung der Sowjetunion aufgenommen wurde: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“. Der entscheidende kleine Unterschied, sie so zu zitieren oder vollständig „wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“, wird damit unterschlagen.

Nolte greift ebenso die Diskussion um etwaige Folgen der Digitalisierung auf und schreibt, nachdem er auf die sinkende Arbeitslosigkeit in Deutschland seit 2005 hingewiesen hat:

„In die Zukunft des Jahres 2050 können wir nicht schauen – allerdings spricht jede historische Erfahrung gegen die momentan so beliebten Szenarios vom Wegbrechen jedes zweiten oder dritten Arbeitsplatzes durch Mikrochips und Roboter: Solche Prognosen haben sich seit 200 Jahren regelmäßig als grundfalsch erwiesen.“

In der Tat sind diese Prognosen mit Vorsicht zu genießen, wobei manche derer, auf die sich hierzu berufen wird, in den originalen Ausführungen zur Frage, was die Digitialsierung mit sich bringen könnte, durchaus vorsichtig sind – so z. B. Frey und Osborne.

Nolte übergeht indes, was die Entwicklung des Arbeitsvolumens erkennen lässt, dass es für Deutschland einen langen Trend der Abnahme gibt. Es ist zwar nicht klar, vor allem, wenn sie mit Daten aus anderen OECD-Staaten verglichen wird, welche Schlüsse daraus gezogen werden können, doch so einfach, wie er es sich hier macht, ist die Sache auch nicht (siehe „Geht der Gesellschaft die Arbeit aus?“).

Weil er der Auffassung ist, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland kein so dringliches Problem mehr sei, schreibt er dann:

„Die unmittelbare Dringlichkeit einer arbeitsfreien Grundsicherung ist also etwas zurückgetreten. Der Streit ist grundsätzlicher geworden und die Bewegung hat ein neues Gesicht bekommen. Sie wird nicht mehr von prominenten Gelehrten, Unternehmern oder Politikern dominiert, sondern, wie das Beispiel der Schweiz zeigt, als sozialer Aktivismus vor allem von Jüngeren, gut Gebildeten in Netzwerken „von unten“ getragen.“

Diese Einschätzung trifft nicht zu. Wer sich mit der jüngeren Grundeinkommensdiskussion beschäftigt, wird feststellen, dass schon zu Beginn im Jahre 2004, grundsätzliche Fragen gestellt wurden und die Arbeitslosigkeit ein Aufhänger war, wenngleich manche BGE-Befürworter sie für entscheidend hielten. Wir – Freiheit statt Vollbeschäftigung – haben von Anfang an darauf hingewiesen, dass ein BGE unabhängig von Arbeitslosigkeit und der Entwicklung des Arbeitsvolumens zu betrachten sei. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte diese Überlegungen in einem Beitrag von Thomas Loer sogar in gekürzter Form abgedruckt.

Unzutreffend oder zumindest ungenau ist die Feststellung, dass es erst jetzt, seit oder im Laufe der Diskussion in der Schweiz vor der Volksabstimmung eine „vernetzte, globale“ Bewegung gebe. Zumindest das Basic Income Earth Network besteht seit 1986 und hält zweijährlich Kongresse ab. Es zieht Teilnehmer aus der ganzen Welt an. In den USA gibt es ein Grundeinkommensnetzwerk, in andern Ländern gibt es Initiativen, die sich dafür einsetzen. Falls Nolte vor Augen gehabt haben sollte, dass diese Diskussionen bislang stark akademisch ausgerichtet waren bis vor wenigen Jahren, da wäre etwas dran. Zumindest für die jüngere Diskussion in Deutschland 2004, die lange Zeit die stärkste und intensivste war, gilt das aber nicht.

Abschließend äußert sich Nolte dann zu den Realisierungschancen eines BGE, nachdem die Ablehnung in der Schweizer Volksabstimmung eindeutig gewesen sei. Bedenkt man, dass eine Zustimmung für die AfD in Deutschland von 20 Prozent als beunruhigend wahrgenommen wird, könnte die Zustimmung in der Schweiz von 23 Prozent angesichts eines so weitreichenden Vorschlags allerdings für erstaunlich gehalten werden. Er schreibt dann:

„Auf absehbare Zeit spricht wenig dafür, dass sich irgendein Land anders entscheidet als die Schweiz und sich auf die soziale Revolution des Grundeinkommens einlässt. Erst recht wird das nicht Deutschland sein, wo Beruf und Erwerbsarbeit nicht nur ökonomisch, sondern auch in Kultur und Mentalität immer noch eine besonders große Bedeutung für das Selbstbild von Menschen und für die Motivation ihrer Lebensführung besitzen.“

Hier würde ich die Verhältnisse genau andersherum sehen. In der Schweiz fällt die Diskrepanz zwischen der bodenständigen und selbstverständlich verankerten direkten Demokratie auf der einen und dem enorm starken Arbeitsethos auf der anderen Seite besonders ins Auge. Eine dem Elterngeld vergleichbare Leistung gibt es in der Schweiz nicht, der Druck auf Eltern, besonders auf Mütter, früh in Erwerbstätigkeit zurückzukehren ist noch stärker als in Deutschland. Dass Arbeit tatsächlich so entscheidend sei für die „Motivation der Lebensführung“, wie Nolte schreibt, ist eine gängige Behauptung, übersieht aber, dass dies weder der Bedeutung sogenannter Haushaltstätigkeiten strukturell entspricht, noch dem Aufwand in Stunden, der dafür jährlich erbracht wird. Er ist höher als die Zeit, die für Erwerbsarbeit aufgebracht wird.

Die gemeinschaftliche Basis des Zusammenlebens in republikanischen Demokratien spielt in Noltes Beitrag überhaupt keine Rolle, wird nicht einmal erwähnt. Dass es gerade die Demokratie ist, deren Souverän die Bürger sind und denen genau deswegen bedingungslos Grundrechte zugesichert werden, muss doch erstaunen angesichts dessen, wie häufig sich Nolte schon zur Verfasstheit der Demokratie geäußert hat. Denn von der Demokratie aus gedacht, ist das BGE nur ein kleiner Schritt.

Sascha Liebermann