Grundeinkommensprojekt in Kenia von GiveDirectly

Hierzu gab es verschiedene Meldungen in jüngerer Zeit. Die Basic Income News berichteten darüber, ebenso die Süddeutsche Zeitung. Noch hat GiveDirectly die Mittel für dasProjekt nicht zusammen, steht aber offenbar kurz davor. In der Berichterstattung wird hervorgehoben, was die Feldversuche leisten, welche Einsichten sie zutage fördern könnten usw. Über den eigenartigen Charakter solcher Projekte, die Entwicklungshilfevorhaben ähneln, nicht von den Regierungen der Länder, in denen sie stattfinden, finanziell unterstützt werden usw. wird wenig bis gar nichts geschrieben, das ist verwunderlich. Sascha Liebermann hat sich dazu mehrfach geäußert, siehe hier und hier.

„Das Grundeinkommen ist ein verführerisches Gift“…

…schreibt Anke Hassel, wissenschaftliche Direktorin des WSI der Hans Böckler Stiftung und Professorin an der Hertie School of Governance in der „Außenansicht“ der Süddeutschen Zeitung über das Bedingungslose Grundeinkommen. Wie bei vielen Beiträgen zu diesem Thema steckt auch der von Anke Hassel voller weitreichender Annahmen, die nicht ausgeführt werden, aber die Basis für Schlussfolgerungen abgeben. Deswegen widme ich ihm etwas ausführlicher.

Nachdem in hier und da ironisierender Weise etwaige Folgen eines BGE aufgeführt werden, schreibt sie:

„Aber die finanzielle Seite ist noch nicht einmal das wichtigste Argument gegen ein Grundeinkommen. Das Grundeinkommen ist ein verführerisches Gift. Es nutzt den Rändern der Gesellschaft auf Kosten ihrer Mitte. Für Bedürftige und Langzeitarbeitslose ist das Grundeinkommen eine Hilfe, weil es den Druck zur Arbeitsaufnahme nimmt und die unangenehmen Seiten der Aktivierungspolitik beseitigt. Die Reichen wird es voraussichtlich nicht mehr kosten als bisher und ihnen zugleich ihr soziales Gewissen erleichtern. Steigende soziale Ungleichheit wäre dann kein gesellschaftlicher Skandal mehr, da alle ja ein Auskommen haben, liege es auch nahe an der Armutsgrenze. Gerade daraus ergeben sich drei wesentliche Gründe, die gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen sprechen:“

Ein starkes Bild wird hier benutzt, ein Gift kann tödlich sein, die Sinne vernebeln, die Wahrnehmung trüben usw. Heißt das, es gebe keine Argumente für ein BGE, die sich prüfen und abwägen ließen, um sich daran ein Urteil zu bilden? Auf der einen Seite nutze es den „Bedürftigen und Langzeitarbeitslosen“, auf der anderen aber „auf Kosten der Mitte“ – weshalb? Außerdem nimmt es den Druck von allen, man darf ja nicht übersehen, dass er nicht nur über das Jobcenter und die Arbeitsagentur weitergegeben wird, sondern über den normativen Vorrang von Erwerbstätigkeit.

Ist es Aufgabe der Reichen, für gemeinschaftlichen Ausgleich zu sorgen in einem demokratisch verfassten Gemeinwesen? Es geht ja hier nicht um Almosen oder freiwillige Leistungen, sondern um demokratisch herbeigeführte Entscheidungen, die dann Gesetzescharakter erhalten. Das „soziale Gewissen“ der „Reichen“ ist hierfür nicht maßgeblich. Sie sind Bürger wie allen anderen.

Weshalb wäre steigende soziale Ungleichheit kein „Skandal“ mehr, wenn es ein BGE gäbe? Es wird einer sein, wenn die Bürger z. B. das BGE als zu niedrig erachten, dann sind sie aufgerufen, dagegen etwas zu unternehmen. Wenn es in ihren Augen ausreichend ist, werden sie nichts unternehmen. Übersieht Frau Hassel hierbei nicht, dass ein BGE, weil pro Person bereitgestellt, enorme Wirkungen auf jede Form von Haushalt hätte? Dass ein BGE dadurch gerade zu einer erheblichen Beitrag zur relativen Reduzierung dieser Ungleichheit beitrüge? Es lässt sich nun, nach den voraussetzungsvollen Ausführungen im ersten Drittel des Beitrags ahnen, in welche Richtung wohl die Gründe gehen, die gegen ein BGE sprechen sollen. Wie lauten sie?

„Erstens wird das Grundeinkommen die Gesellschaft weiter spalten und soziale Mobilität verhindern. Jene, die aufgrund ihrer familiären Herkunft gute Aussichten auf eine interessante Beschäftigung und ein hohes Einkommen haben, werden weiterhin am bestehenden Arbeitsethos festhalten, sich in Schule und Studium engagieren und zwischendurch das eine oder andere Sabbatical einlegen. Das ist eine feine Sache. Jungen Menschen aus der bereits bei der Bildung benachteiligten Hälfte der Gesellschaft, aus Arbeiter- und Migrantenfamilien, wird der Aufstieg jedoch noch schwerer gemacht, als er ohnehin schon ist.“

Weshalb sollte das so sein und weshalb gerade durch das BGE? Interessant ist, dass soziale Mobilität hier offenbar nur auf Erwerbstätigkeit, also Einkommenserzielung, bezogen wird. Zumindest klingt das so. Eine weitere Verknüpfung fällt auf: zwischen familiärer Herkunft, Einkommenschancen und Schule/ Studium. Gerade ein BGE würde doch Kindern aus einkommensschwachen Haushalten erleichtern, ein Studium ernsthaft ins Auge zu fassen, Schülern ans Ausflügen teilzunehmen usw.

Hassel verknüpft wie selbstverständlich Bildungsaspiration und Einkommenschance, ohne es weiter zu erläutern. Wer ist denn heute von den Bachelor-Master-Studienstrukturen am meisten betroffen? Das sind die Kinder aus relativ einkommensschwachen Familien, weil sie nebenbei relativ viel durch Jobs verdienen müssen, um ihr Studium zu finanzieren. Sie sind aber noch in ganz anderer Weise benachteiligt. BA-MA-Strukturen sind – ganz gleich in welcher Ausgestaltung, es gibt rigide und weniger rigide Varianten – stark lenkend. In einem Studium sich auf die Suche zu machen, um herauszufinden, ob einen das wirklich interessiert, was man studiert, ist nicht mehr selbstverständlich. Das war aber die Chance früherer Studiengänge, vor allem der Magisterstudiengänge, in der Vor-Bologna-Zeit. Studienabbruch gilt heute, angesichts der hohen Studierquote, viel mehr als Scheitern denn zuvor. Warum sieht Hassel nicht, dass ein BGE also hier Unterstützung schaffen würde? Entweder ist sie der Meinung, dass Kinder sich nur des BGE wegen um Bildung nicht mehr scheren – weshalb sollte das BGE dafür die Verantwortung tragen und nicht vielmehr das Elternhaus, ein statusorientiertes Bildungswesen, in dem Mittelschichtsgeist herrscht, der schon in Bildungsstudien der 1960er und 1970er Jahre als das eigentliche Problem ausgemacht wurde. Bildungsbenachteiligung durch normative Überwertung der Lebensambitionen der Mittelschicht. Wenn, dann muss all dies auf den Tisch, statt es dem BGE zuzuschreiben.

Sie schreibt weiter:

„Das süße Gift des Grundeinkommens wird sie bei jedem Schritt in ihrer Schul- und Berufsausbildung begleiten. Die Kinder aus dem Berliner Problembezirk Neukölln sagen heute oftmals: „Ich werde Hartzer“, wenn sie gefragt werden, was ihre Berufsziele sind.“

Hier kehrt das Betäubende, Vernebelnde wieder, um dann die Berufswunschäußerung zu zitieren, die oft in diesem Zusammenhang zitiert wird. Und Anke Hassel lässt sie einfach so stehen, nimmt sie als Beleg. Ohne anzugeben, woher sie diesen Ausspruch bezieht, lässt sich wenig dazu sagen. Im Allgemeinen muss man sich allerdings nur fragen, was in Jugendlichen im Pubertätsalter vorgeht, die gerade auf der Suche nach ihrem Platz in unserem Gemeinwesen sind. Ist es angesichts einer Bildungs- und Sozialpolitik, die noch immer der Maxime folgt „Jeder Arbeitsplatz ist besser als keiner“ nicht eine gewaltige Provokation, wenn Autoritäten wie Eltern und Lehrern entgegengeschleudert wird, „Hartzer“ werden zu wollen? Und geht es in der Pubertät oder Adoleszenz nicht entscheidend darum, sich mit den Zumutungen des Erwachsenenlebens auseinanderzusetzen, wozu durchaus das demonstrative Abweisen gehört, wenn es denn dazu dient, die Peer Group zu stärken?

Dass dieser Druck objektiv besteht, kann Frau Hassel nicht entgangen sein, dann muss er aber auch einbezogen werden in die Deutung solcher Äußerungen. Desweiteren werden Problemlagen, die im heutigen Gefüge entstehen, einfach auf ein BGE übertragen. Das Provokative des Ausspruchs, „Hartzer“ werden zu wollen, fiele mit einem BGE doch weg, weil es ein legitimes Einkommen wäre. Wer sagen würde „Ich werde Grundeinkommen“, dem würde wohl entgegnet „Ja, und? Das sind ja alle“.

Echte Integration würde gerade durch ein BGE möglich, weil es Jugendliche als erstes so anerkennt, wie sie sind und sie sich gegen Druck wehren können, der sie in eine Richtung drängt, in die sie nicht gehen wollen. Genau darin besteht ja durchaus das Innovative der Adoleszenz, andere Wegen gehen zu wollen als die Erwachsenen bisher. Das gehört zur Pluralität in einem Gemeinwesen, wie auch das Vertrauen darauf, dass Jugendliche ihren Platz schon finden, sofern man bereit ist, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Hier könnte Anke Hassel nun ernsthaft Sorgen artikulieren, denn wie ist eine solche Auseinandersetzung möglich, wenn die Vollerwerbstätigkeit beider Eltern zunimmt, wenn Betreuungszeiten in Kitas zunehmen, so dass für solche Auseinandersetzungen immer weniger Zeit und Raum bleiben?

Erwerbstätigkeit gewährleistet gerade keine Integration als ganze Person, denn relevant ist der Einzelne in Erwerbsverhältnissen nur bezogen auf Aufgaben, die es zu bewältigen gilt. Es geht diesbezüglich um Leistung. Wer sich dafür nicht eignet, muss gehen, ganz gleich, was für ein Mensch er ist. Es ist eine Illusion – wenn durchaus eine verbreitete – zu glauben, heute und in der Vergangenheit sei Integration auf diese Weise erreicht worden.

Das BGE ist eine starke Solidargeste, die nicht als Fürsorge und nicht als Almosen daherkommt, sondern als demokratisch beschlossene Einkommensgarantie. Weshalb wird das nicht gesehen von der Verfasserin?

Weiter heißt es:

„In Zukunft werden sie stattdessen „Ich werde Grundeinkommen“ dazu sagen. Ihre Zahl wird in dem Maße steigen, wie auch das Grundeinkommen steigt. Ihre Motivation, in sich selbst zu investieren und über qualifizierte Arbeit aufzusteigen, wird täglich auf eine neue Probe gestellt werden, und zwar in einem Alter, in dem man sowieso mit sich und den Anforderungen der Umwelt zu kämpfen hat. Der Rest der Gesellschaft wird sich um diesen Aufstieg noch weitaus weniger kümmern als heute – die Leute sind ja versorgt.“

Nun wird ausgesprochen, was zuvor nur angedeutet war: „in sich selbst zu investieren und über qualifizierte Arbeit aufzusteigen“ – das ist das Ziel. Was bewegt nun Hassel zu diesem Schluss? Liegt er nahe? Doch nur, wenn bestimmte Voraussetzungen gemacht werden, dass nämlich der Wunsch, zum Gemeinwesen beizutragen, grundsätzlich durch ein BGE geschwächt wird. Je höher es ausfiele, um so stärker wäre das der Fall ihrer Meinung nach. Anstrengung, Neugierde, Bildungsprozesse – das alles hängt also davon ab, ob Einkommenschancen bestehen. Gespräche mit Jugendlichen zwischen 14 und 18 über Sozialstaat, Bildung und ähnliche Fragen lassen ebenso andere Schlüsse zu. Zuerst einmal wissen die meisten Schüler wie auch Studenten im ersten Semester überhaupt nicht, was „Hartz IV“ überhaupt ist, wie es bereitgestellt wird, was Bezieher machen müssen. Die Funktionsweise der heutigen Sicherungssysteme ist ihnen meist nicht bekannt. Sie sind, wie es dieser Entwicklungsphase entspricht, sehr mit sich beschäftigt und sehen die Welt aus dieser Perspektive. Deswegen sind die Anforderungen der Umwelt auch eine Zumutung, eine notwendige, um aus dieser Phase herauszukommen. Dass dieser Zumutung trotzig begegnet wird, ist nicht ungewöhnlich. Der Trotz dient auch der Abwehr von Anforderungen, von denen der Jugendliche noch nicht weiß, ob er ihnen entsprechen kann und will.

Wie steht es mit dem zweiten Einwand?

„Zweitens fehlt dem bedingungslosen Grundeinkommen die gesellschaftliche Legitimation. Es lassen sich derzeit keine Modelle vorstellen, in denen alle Teile der Gesellschaft gleichermaßen gewinnen.“

Ist mit Legitimation Mehrheit gemeint? Dass das BGE bislang nicht mehrheitsfähig ist, ist unstrittig (von Meinungsumfragen sollte man sich nicht beeindrucken lassen). Deswegen setzen sich Befürworter ja für eine Diskussion an, um auf etliche Vorurteile und Ilusionen hinzuweisen, mit denen wir leben. Nur weil die Relevanz nicht gesehen wird, setzt das Argumente nicht außer Kraft. Gleichwohl ist es richtig, dass Argumente nicht reichen, denn in der Gestaltung des Zusammenlebens geht es um Werturteile, um die Frage, was man für richtig hält. Eine Diskussion ist aber der einzige Weg in einer Demokratie, um auf Widersprüche in unseren Vorstellungen über unser Zusammenleben aufmerksam zu machen (siehe hier, hier und hier). Es ist also nicht so, dass das BGE den Gerechtigkeitsvorstellungen vollständige entgegenstehe, schon gar nicht der Verfasstheit unserer politischen Ordnung (siehe hier und hier).

Wenn alle ein BGE erhielten und es ausreichend hoch wäre, um auf Erwerbstätigkeit zu verzichten, dann würden doch alle gewinnen, oder ist etwas Anderes gemeint?

„Wahrscheinlich ist daher, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen von der Mitte der Gesellschaft an diejenigen umverteilt, die nicht oder nur in geringem Umfang erwerbstätig sind.“

Das ist missverständlich. Ein BGE erhält doch jeder, es wird also von der Gemeinschaft an alle umverteilt. Oder ist hier die Verteilung der Steuerlast gemeint? Oder das Verhältnis von Nettoempfängern zu Nettozahlern? Wie das gestaltet wird, ist eine praktische Entscheidung.

„Umfassende Sozialleistungen, die über reine Armutsbekämpfung hinausgehen, werden jedoch über bestehende Gerechtigkeitsvorstellungen legitimiert – wie auch sonst? Dazu gehört das Ziel der Chancengleichheit, das etwa Bildungsausgaben oder die Erbschaftsteuer begründet.“

Dahinter steht die Vorstellung, man müsse nur mehr investieren, dann werde das schon. In der Regel ist das verbunden mit starken normativen Lenkungen, so z. B. heute die Ausweitung der Kinderbetreuung sowohl was die Altersspanne der Kinder (ab dem ersten Lebensjahr oder auch früher) als auch die Menge des Angebots betrifft. Einher geht damit die enorme Aufwertung von Erwerbstätigkeit. Über all das verliert Frau Hassel wahrscheinlich deswegen kein Wort, weil sie es für richtig hält. Das ist ihr gutes Recht, nicht aber ein Problem des BGE, das genau daran ja etwas ändern will. Wer Bildung und Erwerbstätigkeit so eng miteinander verknüpft, wie es in dem Beitrag bislang der Fall ist, landet dort, wie wir heute im Bildungswesen stehen. Daran ändern Investitionen gar nichts, sie bestärken es nur. Die Frage ist, wollen wir das? Und wenn wir es wollen, sind wir bereit die Konsequenzen zu tragen?

„Drittens ist das bedingungslose Grundeinkommen das Gegenteil von dem, was eine rasch wachsende Einwanderungsgesellschaft braucht. Bei einer hohen Zahl von Arbeitsmigranten und anderen Zuwanderern sind mehr Mechanismen der gesellschaftlichen Integration nötig und nicht weniger.“

Eben, das geht aber nicht über Erwerbstätigkeit, wenn man damit ernst machen will und so, wie bislang Einwanderung gehandhabt wurde, ist es kein Weg für die Zukunft.

„Es ist eine Erfahrung, die jeder im Alltag machen kann: Menschen begegnen sich am Arbeitsplatz, sie lernen einander kennen, erfahren Wertschätzung und lernen die Sprache. In dieser Situation den Menschen einen Grund zu geben, aus der Erwerbsarbeit auszusteigen, nicht mehr Qualifikationen zu erwerben, sondern zu Hause zu bleiben, wäre ein fatales Signal.“

Auch hier werden wieder zwei verschiedene Formen der Wertschätzung in einen Topf geworfen: Wertschätzung der Leistung einer Person und Wertschätzung der Person um ihrer selbst willen. Am Arbeitsplatz steht Leistung im Zentrum, sie ist die Legitimationsbasis für Arbeitsverhältnisse. Sicher erfährt man manches über Kollegen, das nicht an den Arbeitsplatz gehört, das hat eben deswegen seine problematische Seite.

Die Wendung am Schluss des Absatzes spricht Bände. Weshalb sollte das BGE der Grund sein auszusteigen? Genauso gut ließe sich sagen, dass es eine andere Basis verschafft, einzusteigen. Wer beitragen will, wird beitragen, wer nicht will, wird es nicht tun. Dagegen ist kein Kraut gewachsen, es lässt sich nicht verhindern, wenn partout keine Bereitschaft besteht. Wo der Grund dafür jedoch der stigmatisierende Effekt der heutigen Erwerbszentrierung ist, wird er an  Bedeutung eben verlieren.

Der Schluss des Beitrags erstaunt:

„Dessen ungeachtet brauchen wir eine Debatte über eine gute Gesellschaft, die nicht allein auf Erwerbstätigkeit und den Arbeitsmarkt setzt. Es gibt viel gesellschaftlich notwendige Arbeit, die nicht über den Markt erfolgen kann und die honoriert werden muss. Das bedingungslose Grundeinkommen ist jedoch dafür der falsche Weg.“

Nun hat Frau Hassel nicht die kleinste Bemerkung dazu gemacht, wie sie sich das vorstellt. Angesichts ihrer Ausführungen, die den normativen Vorrang von Erwerbstätigkeit überhaupt nicht in Frage stellen, mag sie an Lebenszeitkonten, „atmende Lebensverläufe“ und ähnliche Arbeitszeitmodelle denken. Das BGE jedoch geht viel weiter und schafft mehr Freiraum als jedes dieser Modell vermag.

Baukje Dobberstein wandte sich in einem offenen Brief an Anke Hassel und kritisierte in ihrem Blog, dass manche Ausführungen überheblich klingen. Dagegen verwahrte sich Anke Hassel so:

„Ich verwahre mich jedoch ausdrücklich gegen den Vorwurf der elitären Überheblichkeit. Ich lebe in dieser Gesellschaft genau wie Sie und habe Zugang zu anderen Menschen. Ich habe Kinder und lange mit jungen Menschen gearbeitet. Es ist völlig unbenommen, dass Menschen, die nicht erwerbstätig sind, ein sinnvolles Leben führen. Warum auch nicht. Es geht hier nicht um intrinsische Motivation sondern darum, ob jungen Menschen die Orientierung an Erwerbsarbeit, die in unserer Gesellschaft die einzige Möglichkeit sozialer Mobilität außer dem Glücksspiel ist, eher genommen wird oder nicht. [Hervorhebung SL| Das ist nicht überheblich sondern eine ernsthafte Überlegung. Als elitär und überheblich empfinde ich es, wenn sehr reiche Menschen für ein BGE plädieren, weil sie davon ausgehen, dass man die Arbeitswelt nicht gerecht organisieren kann oder will. Aber selbst darüber würde ich eher mit ihnen diskutieren und sie nicht diffamieren.“

Diese Sorge wie es um die Orientierung der „jungen Menschen“ stehe, kann man haben. Dann ist man allerdings in der Verantwortung, Argumente dafür anzuführen. Einfach zu behaupten, dass ein BGE diese Orientierung „eher“ nehme, ist kein Argument (siehe „Ich werde Hartzer“). Anke Hassels Beitrag ist voller Voraussetzungen, die ob ihrer diagnostischen Angemessenheit gerade in Frage stehen. Dass soziale Mobilität durch eine stabile Einkommenssituation, wie ein BGE sie schafft, gerade gefördert werden könnte; dass Qualifizierungen außerhalb von Erwerbsverhältnissen erworben werden könnten – das sollte dann zumindest erwogen werden. Ein BGE würde zur Öffnung der außerordentlich starken Erwerbszentrierung führen, das wäre die Chance.

Zum Vorwurf der Überheblichkeit. Anke Hassel weist ihn zurück und setzt auf Diskussion, wie sie am Ende bemerkt. Das ist sympathisch, eigentlich selbstverständlich. Die Passage über die „Ich werde Hartzer“-Jugendlichen, die ich oben kommentiert habe, ist jedoch mindestens ambivalent. Weder wird die Äußerung samt der Hintergründe, vor denen sie gemacht wird, analysiert, noch einbezogen, dass ein BGE eine ganz andere Situation schaffen würde. Von daher wohnt der Passage ein Paternalismus inne, der den Einzelnen bestimmte Freiräume nicht geben will, in der Sorge, sie könnten missbraucht werden. Ist diese Art von Paternalismus mit guten Absichten dann nicht doch überheblich? Stellt man sich nicht über denjenigen, über den man spricht, wenn man weiß, was für sie richtig ist?

Sascha Liebermann

„…lieber im geltenden System […] bleiben“…

…so wird der Wirtschaftswissenschaftler Peter Bofinger im Beitrag von Alexander Hagelüken, „Der Absturz lässt sich stoppen“, in der Süddeutschen Zeitung, zitiert. Es geht darin vor allem um die Digitalisierung und ihre etwaigen Folgen, das Sinken der Erwerbsarbeitszeit seit dem Jahr 2000, Produktivität usw. Dann führt Hagelüken das Grundeinkommen als etwas an, das „neben den linken Initiatoren“ nun auch von Unternehmesvorständen vertreten werde. Abgesehen, dass dies historisch so nicht eingeordnet werden kann, stimmt es nicht einmal für die jüngere deutsche Diskussion, wenn man an das Engagement von Helmut Pelzer, Götz W. Werner und manch andere denkt, die von Anfang an sich für das BGE eingesetzt haben. Man wundert sich manchmal, wie Journalisten recherchieren oder ob sie überhaupt recherchieren. Dann folgt dieser Absatz:

„Dann beginnen die Fragen: Wie viel? Die 560 Euro, die beim Modellversuch in Finnland an Arbeitslose fließen, werden vielen Menschen zu wenig sein. Für 1200 bis 1400 Euro, die ebenso im Gespräch sind, gilt dies womöglich auch, allemal, wenn davon Kinder satt werden müssen. 1400 Euro entsprechen dem, was in Deutschland mit Mindestlohn zu verdienen ist. Brutto. Wer macht noch solche Jobs, wenn er das Geld auch so kriegt, und ist das Grundeinkommen finanzierbar, wenn es sehr viele in Anspruch nehmen? Ist es überhaupt finanzierbar? Wie stehen die Bezieher der Grundeinkommens da, wenn jene Steuerzahler, die es finanzieren, politisch eine Abschaffung durchsetzen?“

Beim BGE soll es sich ja um ein Individualeinkommen handeln, in einem Haushalt kumuliert es also zu sovielen BGE wie es Personen gibt. Selbst ein BGE in der Höhe von 800 Euro würde hier – je nachdem, was davon bezahlt werden muss – zu einem Haushaltseinkommen bei drei Personen von 2400, bei vier von 3200 Euro führen. Ist das zu wenig, um davon „satt werden“ zu müssen? Eine sonderbare Perspektive. Bedenkt man darüber hinaus, dass über Erwerbstätigkeit weitere Einkommen hinzukommen könnten, wundert man sich um so mehr.

Interessanter als die Nachlässigkeiten Hagelükens ist aber die Bemerkung Bofingers über das „geltende System“. Sicher, man kann es sich einfach machen, und damit die heute mit Leistungsbedingungen versehenen, bereitgestellten Einkommen der verschiedensten Art bezeichnen (Rente, Arbeitslosengeld, Sozialhilfe usw.). Das ist aber nur ein Teil des „Systems“, denn das andere würde einem BGE ganz entsprechen: die demokratische Verfasstheit mit ihren ausdrücklichen Geltungsbedingungen. Dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht, dieses Volk sich durch die Staatsbürger bildet und die Stellung der Staatsbürger, also als Souverän, durch bedingungslose verliehene Rechte geschaffen und abgesichert ist. Diese Seite des Systems, das in gewissem Widerspruch zu unserem heutigen Gefüge sozialer Sicherung steht, ruft geradezu nach einem BGE. Doch das wird viel zu wenig gesehen und entsprechend zu wenig darüber diskutiert.

Sascha Liebermann

„Übertriebene Heilserwartungen“, „Gefahren“, Märchen und die Sorge vor dem Verlust der Alltagstruktur

…auf diesen Nenner könnte man einen Kommentar von Ulrike Herrmann in der taz zum Pilotprojekt in Finnland und einen von Alexandra Borchardt in der Süddeutschen Zeitung zum Bedingungslosen Grundeinkommen bringen.

Ulrike Herrmann hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder zum BGE geäußert (siehe unsere Kommentare hier), die im jüngsten Kommentar angestellten Überlegungen wirken vertraut. Treffend spießt sie in mancher Hinsicht den Charakter des finnischen Experiments auf, unterschlägt Vorteile eines BGE nicht, um dann jedoch folgendermaßen zu schließen:

„Doch man sollte die Gefahren nicht unterschätzen. Ein Grundeinkommen kann schnell dazu genutzt werden, soziale Leistungen auf dieses garantierte Minimum zu senken. Deutschland hat es vorgemacht, wie man ein Kürzungsprogramm zulasten der Ärmsten sprachlich aufhübscht: Hartz IV wurde auch verkauft als „der Einstieg in die Grundsicherung“.

In der Tat kann jedwedes Vorhaben zu etwas anderem genutzt werden, als es ursprünglich gedacht war. Da jedoch in einer Demokratie nicht im Geheimen darüber befunden wird, wie das Zusammenleben gestaltet wird und es immer Vorläufer für Veränderungen gibt, kann daraus nicht folgen, keine Schritte Richtung BGE zu ergreifen. Gerade Hartz IV hat sich – was seinen Geist betrifft – frühzeitig angekündigt. Nicht erst die Rot-Grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder setzte ihn in die Welt, schon zuvor, z. B. in Hessen unter Roland Koch, war er zu vernehmen (Koch hielt auch später daran fest, siehe hier), er lag in der Luft – Geist der Zeit eben. Wolfgang Streeck und Rolf Heinze, beide Sozialwissenschaftler, veröffentlichten 1999 einen Beitrag im Spiegel mit dem Titel „An Arbeit fehlt es nicht“, in dem sie davon sprechen, dass „(fast) jeder Arbeitplatz besser ist als keiner“ – da sind wir dann bei „Sozial ist, was Arbeit schafft“. In dem Beitrag heißt es entsprechend: „Auch neigen Menschen dazu, sich in Abhängigkeit und Randständigkeit einzurichten, wenn ihnen die Erfahrung vorenthalten wird, daß sie für sich selbst sorgen können.“ Forschungsergebnisse bestätigen diese These nicht, die manchmal unter dem Schlagwort der Armuts- oder Arbeitslosigkeitsfalle verhandelt wird. Der Grund für „Hartz IV“ war also nicht, dass gute Ideen missbraucht werden oder schlechte geschickt verpackt werden können. „Hartz IV“ war möglich, weil die Vorstellung, die Bürger brauchen einen Tritt in den Hintern, um ihr Leben auf die Reihe zu bringen, weiter verbreitet ist, als es einem lieb sein kann. Hirngespinste wie die, ohne Tritt gehe es nicht, halten sich eben lang. Ulrike Herrmann liegt mit ihrer Einschätzung also nicht richtig, und zwar in zweierlei Hinsicht. Die Verschärfung der Sozialgesetzgebung war durchsetzbar, weil es dieses Hirngespinst gibt, dass ohne Druck nichts gehe. Der Realität der Lebensführung entspricht das zwar nicht, aber was schert sich ein Hirngespinst darum. Folglich ist es Sache der Bürger sich gegen eine Sparversion des BGE zu wehren, wenn sie diese nicht haben wollten. Und wenn sie sie doch haben wollen, ist das in einer Demokratie nicht nur legitim, es ist Ausdruck politischen Willens. Die Gefahren, von denen Ulrike Herrmann spricht, sind der politisch Wille. Wer ihn als Gefahr sieht, muss die Demokratie als Gefahr sehen. Die Sorge um Gefahren erweist sich als bevormundender Paternalismus, der ebenfalls so selten nicht ist (siehe hier).

Eine ähnliche Stoßrichtung hat der Essay Alexandra Borchardts in der Süddeutschen Zeitung. In ihm fallen besonders folgenden Passagen auf:

„Dieses Paradies könnte allerdings eine Falle sein. Denn ein Einkommen zementiert die soziale Schichtung. Ein Anreiz entfällt, sich aus eigener Kraft von den Fesseln der Staatsstütze zu befreien, etwas zu wagen, zu gründen, sich zu bilden, seinen Kindern eine bessere Zukunft zu erkämpfen. Warum dafür ins Zeug legen, wenn es sich doch auch so bescheiden leben lässt?“

Da ist das Hirngespinst wieder, obwohl dieselbe Autorin an anderer Stelle das Gegenteil bekundet. Sonderbar. Weiter heißt es:

„Doch das sind Rechenspiele. Viel wichtiger ist es, grundsätzlich über Arbeit zu reden. Denn für die meisten Menschen ist der Job mehr als der Garant des monatlichen Auskommens. Arbeit bietet Struktur im Alltag, das Gefühl, gebraucht zu werden, etwas Sinnvolles zu tun. Bei der Arbeit trifft man vertraute Menschen, tauscht Ideen aus, schafft sich ein Netzwerk. Gesund zu sein und einen guten Job zu haben seien die wichtigsten Faktoren für Lebenszufriedenheit, hat die OECD für ihren Better Life Index ermittelt. So schnell wird sich das nicht ändern, auch wenn die Digitalisierung vieles auf den Kopf stellen mag.“

Nun, die grundsätzliche Frage, die sich hier stellt, lautet: Beschäftigung schaffen oder Freiraum, sich entscheiden zu können? Das BGE votiert für letzteres. Wenn Arbeit all das bedeutet, was Borchardt schreibt, braucht sie sich keine Sorgen zu machen. Denn das BGE würde an dieser Bedeutung ja nichts ändern. Falls ein BGE aber den Blick weitet und andere Tätigkeiten von ihrer Zweitrangigkeit befreit, diese dann ausgeübt werden können, ohne erwerbstätig zu sein, dann wird diese Vielfalt zur Geltung kommen. Doch die Autorin zieht einen anderen Schluss:

„Insofern sollten sich all jene, die das Instrument [das BGE, SL] als ausreichenden Ersatz für potenziell entfallende Arbeitsplätze betrachten, nichts vormachen: Menschen möchten nicht nur konsumieren, sie wünschen sich einen guten Arbeitsplatz und wollen gebraucht werden.“

Ja, aber das spricht nun nicht gegen ein BGE. Der schleichende Paternalismus wird auch hier erkennbar, wenn angenommen wird, es könnte überhaupt der Zustand eintreten, dass „Menschen“ sich sagen ließen, was sie zu tun haben und ihr Leben auf das Konsumieren sich beschränken ließen, wenn sie es nicht wollten.

Was bleibt?

„Es gibt viele spannende Themen in der Debatte zur Zukunft der Arbeit, viele Aufgaben, die zu lösen sind: Wie können Menschen und Maschinen sinnvoll zusammenarbeiten, mithilfe von künstlicher Intelligenz mehr leisten, im Job zufriedener werden? Wie lassen sich Familienaufgaben und Erwerbsarbeit über die gesamte Lebensspanne hinweg klug verbinden? Wie lässt sich in einer Welt der digitalen Vernetzung die persönliche Freiheit erhalten? Welcher Ethik sollten Roboter folgen? Und ja, wie sieht ein guter Sozialstaat aus?“

Und dazu soll das BGE keinen Beitrag leisten können? Wie angesichts der Überlegungen, die über die Schlussfolgerungen der Autorin hinausreichen, gegen ein BGE votiert wird, ist erstaunlich.

Sascha Liebermann

„Der Mensch schafft sich ab“ – eine Überschätzung der Digitalisierung

Die Diskussion um etwaige Folgen der Digitalisierung hält an, da niemand genau weiß, was auf uns zukommt, jedoch technologische Möglichkeiten Veränderungen in einem Ausmaß bergen könnten, das verunsichert. Alexander Hagelüken widmet in der Süddeutschen Zeitung dieser Thematik einen längeren Beitrag mit einem irreführenden Titel. Er schließt seine Betrachtungen mit folgendem Abschnitt:
 
„Es gibt eine bessere Idee als ein Grundeinkommen
Als Antwort auf diese absehbare Spaltung der Gesellschaft findet vermehrt ein Grundeinkommen Anhänger. Doch es ist nur eine zweitbeste Idee, da ein Grundeinkommen Almosen ist, das sich jederzeit widerrufen lässt. Wer den Wohlstand des Maschinenzeitalters wirklich gerechter verteilen will, sollte die Arbeitnehmer an den Gewinnen der Unternehmen beteiligen. Als Aktionäre mit breit gestreuten Anlagen, nach einem Konzept, das noch formuliert werden muss, vielleicht in Form staatlich kontrollierter Fonds, die Profis managen.

Kein Zweifel: Der digitale Kapitalismus könnte eine Schlagseite bekommen, die unsere Gesellschaften bis zur Unkenntlichkeit verändert. Arbeiteraktionäre wären eine erzkapitalistische Antwort mit sozialem Impetus, die ein solches Drama verhindern könnte. Sie bedeuten eine Verteilung der Macht, keine Almosen. Kein Wunder, dass die Silicon-Valley-Millionäre, die ihre Macht nicht schmälern wollen, lieber das Grundeinkommen favorisieren.“

Wie kommt der Autor darauf, dass ein Grundeinkommen „ein Almosen“ sei? Ist jede Form der Finanzierung öffentlicher Aufgaben dann ein „Almosen“? Almosen sind freiwillige Hilfeleistungen aus Mildtätigkeit, so das verbreitete Verständnis, in religiösen Zusammenhängen allerdings gelten sie durchaus als Pflicht – eine Pflicht ohne Rechtscharakter allerdings. Wenn darin das entscheidende Kriterium besteht, wäre ein Grundeinkommen gerade kein Almosen, da es Rechtscharakter erhalten soll. Und weshalb soll es problematisch sein, dass ein Grundeinkommen sich widerrufen lässt? Jede Leistung innerhalb eines Gefüges sozialer Sicherung lässt sich widerrufen in dem Sinne, dass sich Gesetze ändern lassen. Das gilt grundsätzlich ebenso für Eigentümsansprüche an Unternehmen in Gestalt von Aktien. Für diese Form soll dann, so seine Überlegung, der Staat die Kontrolle übernehmen. Warum dann nicht für ein Grundeinkommen?

Schlussfolgerungen, die keine sind, kann man da nur festhalten. Ein Grundeinkommen, ein bedingungsloses, wäre eben etwas, das durch ein Gemeinwesen garantiert werden muss, in der Tat als Rechtsanspruch.

Sascha Liebermann

„Ein Grundeinkommen kann die Gesellschaft wieder vereinen“…

…ein Beitrag von Thomas Straubhaar in der Süddeutschen Zeitung.

An einer Stelle schreibt er treffend:

„Wie hoch das Grundeinkommen sein soll, wie viel Steuern der Besserverdienende mehr zahlen soll als der Geringverdienende, damit unterschiedlichen Gerechtigkeitsvorstellungen entsprochen wird, bleiben Streitpunkte, die auch künftig durch die Politik zu beantworten sind.“

Entgegen der weitverbreiteten Forderung, detaillierte Vorschläge vorzulegen, die die Richtung, für die das BGE steht, im Klein-Klein des Details zu verlieren, bleibt Straubhaar grundlegend. Das halte ich für angemessen, weil die Entscheidung über die konkrete Ausgestaltung beim Souverän liegt. Sie hängt davon ab, was mit den zu ergreifenden Schritten in der Ausgestaltung ermöglicht werden soll. Entsprechend breit sind die Vorstellungen, worin diese Schritte bestehen könnten. Entgegen der Hoffnung, durch konkrete Vorschläge der Einführung näher zu kommen, ließe sich genauso gut dafür argumentieren, dass eine zu frühe Verlegung auf die Ausgestaltung die politische Willensbildung behindern kann. Solange der Schritt zum BGE grundsätzlich nicht befürwortet wird, sind andere Diskussionen zu führen als die über eine Ausgestaltung en détail. Wie sie dann letztlich auszusehen hat, darüber hat der Souverän zu befinden, nicht Experten.

Dann heißt es missverständlich:

„Das Grundeinkommen ist lediglich das Instrument zur Umsetzung politischer Entscheidungen. Es ist im Kern nichts anderes als eine fundamentale Steuerreform. Es bündelt alle sozialpolitischen Maßnahmen in einem einzigen Instrument.“

Straubhaar sagt zwar nicht ausdrücklich, dass Leistungen oberhalb des BGE ausgeschlossen sind, er erwähnt aber auch nicht, dass sie fortbestehen sollen. Das macht jedoch einen großen Unterschied, weil im ersten Fall Härtefälle entstehen würden, das BGE also diejenigen, die Bedarfe oberhalb des BGE haben aufgrund einer Erkrankung oder Ähnlichem, alleine lassen würde. Im weiten Fall hingegen wären sie geschützt.

Wenn es gegen Ende des Beitrages heißt, das BGE sei radikal, da es die „Grundlage zu einem neuen Gesellschaftsvertrag“ biete, kann man das so sehen. Ich hingegen würde herausheben, dass der Schritt weniger radikal ist, als er scheint. Wir würden damit vielmehr ein Sicherungssystem schaffen, das unserer demokratischen Grundordnung gemäß ist, statt einen Sozialstaat fortzuschreiben, in dessen normatives Zentrum Erwerbstätigkeit ist, nicht demokratische Souveränität. Wir leben nicht, wie es so oft heißt, in einer Arbeitsgesellschaft, sondern in einem Widerspruch zwischen einem Sozialstaat, der die Arbeitsgesellschaft im Zentrum hat, und einer Demokratie, in deren Zentrum die Bürgergemeinschaft steht.

Thomas Straubhaar hat sich in den letzten Jahren sehr deutlich zum BGE geäußert, allerdings durchaus auch missverständlich oder hat etwa in gleichem Atemzug die Agenda 2010 gelobt, ohne etwas über das Sanktionsregime im Arbeitslosengeld II zu sagen. Frühere Kommentare von mir zu seinen Ausführungen finden Sie hier.

Sascha Liebermann