„Bedingungsloses Grundeinkommen: NEIN, Grundrecht auf soziale Teilhabe: JA“ – widersprüchliche Einwände…

…von Peter Glaser auf Makroskop. Der Beitrag zeichnet sich trotz seines wortstarken Auftakts nicht gerade durch Klarheit aus. An manchen Stellen ist er ein Plädoyer für ein BGE, ohne dass der Autor das so sieht. Er beginnt:

„Die deutsche Sprache ist eine sehr präzise Sprache, die es erforderlich macht, Sachverhalte korrekt zu beschreiben. Die Begrifflichkeit „bedingungsloses Grundeinkommen“ ist einerseits eine „Unmöglichkeit“ und andererseits eine sachlich falsche Beschreibung. Hier bewegen wir uns auf dem Gebiet sprachlicher „Schlampigkeit“, die dafür sorgt, dass Sachverhalte verschleiert werden und damit missbraucht werden können.“

Starke Worte. In der Tat ist das Schlagwort Bedingungsloses Grundeinkommen nicht so prägnant, wie man es sich wünschen würde. Was wären die Alternativen, etwa: allgemeines oder garantiertes Grundeinkommen oder Sozialdividende? Das wäre auch kein Prägnanzgewinn und der Favorit des Autors „soziale Teilhabe“ ist nicht besser. Erklärt er sich etwa von selbst? Kaum.

Bei aller mangelnden Prägnanz des Schlagworts BGE, so ist auch Wohlwollen geboten. Es handelt sich beim BGE nicht um einen wissenschaftlichen Begriff, es ist vielmehr ein politischer. Bei den genannten Alternativen oben bleibt noch mehr im Unklaren, was sie von heute existierenden, mit Leistungsbedingungen versehenen Sicherungsleistungen unterscheidet. Ebensowenig ist das der Fall bei „sozialer Teilhabe“. Wir werden das noch sehen. Arbeitslosengeld 2 ist eben auch ein garantiertes Grundeinkommen in einer bestimmten Form. Kontextualisiert man hingegen die Entstehung des Schlagwortes BGE, dann wird die Bedeutung des Attributes „bedingungslos“ sehr prägnant. Es richtete sich in der deutschen – wie in der internationalen – Diskussion von Anfang an gegen die Leistungsbedingungen, die diejenigen erfüllen müssen, die ein Ersatzeinkommen benötigen (Arbeitslosengeld, Sozialhilfe usw.).

Weiter schreibt Glaser:

„Aber auch der Begriff „Grundeinkommen“ ist für etwas, für das niemand etwas tun soll, zumindest irreführend. Einkommen ist immer das Ergebnis des Einsatzes der Produktivfaktoren Boden, Arbeit und Kapital. Das Teilwort „Grund…“ deutet eher auf den Verwendungszweck des Einkommens, hat aber mit der Erlangung von Einkommen nichts zu tun.“

Sicher kann es kein Einkommen geben, ohne daß etwas hervorgebracht wurde. Das bezweifeln BGE-Befürworter nicht. Wir können diesen Einwand aber auch verlängern und sagen: Es kann auch nichts hervorgebracht werden, ohne daß es handlungsfähige erwachsene Personen gibt, die etwas hervorbringen können. Was hängt nun wovon ab? „Arbeit“ – im Sinne menschlicher Arbeitskraft – ist eben nicht einfach „da“, sie muss sich erst bilden durch einen langwierigen Bildungsprozess. Auch für „Boden, Arbeit, Kapital“ gilt also, das sie erst vorhanden sein müssen. Nicht nur sie sind „Produktivfaktoren“, auch wenn diese Darstellung in den Wirtschaftswissenschaften gängig ist, Bildungsprozesse in Vergemeinschaftungen sind es ebenso, wenn auch nur mittelbar. Wenn schon, dann sollte der Blick auf das Ganze gerichtet werden, nicht auf das Halb-Ganze.

Dass die Vorsilbe „Grund-“ etwas darüber sagt, wie Einkommen bereitgestellt wird, ist unstrittig. Denn die Erlangung von Einkommen aus dem Wertschöpfungsprozess sagt noch nichts darüber, wie das Einkommen nun zu Individualeinkommen von Personen wird. Es geht beim BGE nicht darum, dass Wertschöpfung vom Himmel fällt, sondern dass die Bereitstelltung eines Anteils daran von keiner Gegenleistung direkt (!) abhängig gemacht wird. Insofern ist Glaser vorschnell.

Er schreibt dann weiter:

„Worum es bei diesem Thema eigentlich geht, ist die Ausübung eines „Grundrechts auf soziale Teilhabe“ in unserer Gesellschaft. Da dies im Kapitalismus nun mal nur mit „Geld“ möglich ist, geht es letztendlich um eine angemessene Verteilung! Wenn die für das Einkommen erforderliche Leistung erbracht wird, Indikator dafür wäre ein steigendes BIP, muss man fragen, wie das Einkommen verteilt werden soll, so dass das Grundrecht auf Teilhabe gewährleistet ist.“

Ja, eben, deswegen „Grund“-Einkommen, wobei dieses Einkommen von der Geldseite her lediglich ökonomische Teilhabe ist, wenn man präzise sein will. Glaser schreibt zu Recht, dass Geld diese „Teilhabe“ nur ermöglicht. Sozial ist diese Teilhabe nicht des Geldes wegen, sondern weil die Bereitstellung durch ein Gemeinwesen erfolgen muss.

Dann folgt ein Bekenntnis:

„In Artikel 2 (2) im Grundgesetz heißt es: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich…“. Wenn wir dieses Recht ernst nehmen, müssen wir jedem Menschen in unserem Land die dafür erforderliche Ausstattung – in unserem System „Geld“ – zur Verfügung stellen.“

Aha, also ein Plädoyder für BGE, oder? Das hängt nun entscheidend davon ab, nach welchem Modus Geld bereitgestellt werden soll.

„Dies sollte vorrangig über die Möglichkeit, das Geld durch Arbeit zu verdienen, erfüllt werden. Wenn dies, durch welchen Umstand auch immer, nicht möglich ist, ist unsere Volkswirtschaft leistungsstark genug, einen Teil in Form von Geld an die Menschen zu verteilen, für die wir zeitweise oder dauerhaft keinen bezahlten Arbeitsplatz bereitstellen.“

Warum „vorrangig“ über Erwerbsarbeit? Diese Werthaltung kann man haben, sie führt zu den Widersprüchen, in denen wir heute leben. Glaser baut nun eine Ausnahme von der Regel ein, wenn er die Bereitstellung vorsieht, ohne dass jemand erwerbstätig ist „durch welchen Umstand auch immer“? Was ist mit „Umstand“ gemeint? Sonderbar wäre, wenn als Umständ gelten könnte, für die eigenen Kinder zuhause zu bleiben, denn das wäre eine freie Entscheidung und kein Umstand. Das passte dann auch nicht mit Glasers Regel zusammen, „Geld durch Arbeit“ zu verdienen. Erst im Fortgang wird klar, worin dieser Umstand besteht. Er geht nicht vom Individuum aus, dass eine Entscheidung trifft, sondern vom Gemeinwesen „wir“, das zu etwas nicht in der Lage ist: einen bezahlten Arbeitsplatz bereitzustellen. Was geschieht mit dem, für den ein Arbeitsplatz bereitgestellt wäre, der aber Besseres zu tun hätte? Wie man es dreht und wendt, so fortschrittlich es klingt, so wenig änderte es am heutigen normativen Gefüge, dass Erwerbstätigkeit den Vorrang vor allem anderen hätte und dass diejenigen, die daran nicht teilnehmen wollen, kein Einkommen erhielten oder nur eines, das mit Auflagen versehen wäre, z. B. angebotene Arbeit anzunehmen. Willkommen im Hartz-IV-Land, das wäre also die Konsequenz der „sozialen Teilhabe“ nach Glaser.

Er schreibt weiter:

„Dass sich die Machtverhältnisse mit der Einführung eines solchen Rechts verschieben werden, ist klar. In einer wirklich demokratischen Gesellschaft sollte das aber niemand besorgen, da es für die Masse Leistungen ermöglicht, die bisher vielen zu teuer sind. Ökonomie und Ökologie könnten sich beispielsweise viel leichter im Gleichschritt entwickeln, wenn allen Menschen eine angemessene Teilhabe am gemeinsam erarbeiteten Fortschritt erlaubt wird. Dann wäre wirklich die Wirtschaft für die Menschen da und nicht umgekehrt!“

Was verschiebt sich denn, wodurch? Allenfalls würde die Stellung der Erwerbstätigen gestärkt, nicht aber der Bürger im Gemeinwesen, denn für die gälte nach wie vor: Erwerbsarbeit ist der höchste Zweck, alles andere kommt danach. Glasers Vorschlag würde wie jeder erwerbszentrierte Sozialpolitik, an der Abwertung anderer Tätigkeiten festhalten und nicht die Person um ihrer und um des Gemeinwesens selbst willen anerkennen. Erwerbstätigkeit bliebe wie heute die normative Verpflichtung, Nicht-Erwerbstätigkeit die Ausnahme von der Regel.

Vielleicht folgt Aufklärung noch:

„Für jede Leistungserbringung in unserer arbeitsteiligen Wirtschaft ist immer ein „Startkapital“ erforderlich. Bei der Anschaffung einer Maschine ist dies jedem selbstverständlich, nur für den Primärleistungserbringer „Mensch“ soll das nicht gelten?“ […]
Da es heute nicht mehr mit der Überschreibung eines Grundstückes getan ist, müssen wir andere Systeme verwenden. Wenn wir wieder „Vermögen“ als Basis für die Grundversorgung benutzen wollen, müssen wir das alte römische Recht des Eigentums entsprechend anpassen. Wie in dem interessanten Buch von Sarah Wagenknecht mit dem Titel „Reichtum ohne Gier“ überzeugend beschrieben wird, wäre ein anderer Umgang mit dem Eigentum denkbar und könnte die Basis für ein kapitalbasiertes Einkommen für alle schaffen.“

Was hat er nun hier vor Augen? Liefe das alles nicht auf ein Grundeinkommen hinaus und wenn er das zumindest als „Startkapital“ vorsieht, dann für alle zu einem bestimmten Zeitpunkt im Leben, z. B. der Volljährigkeit? Dann wären wir beim Vorschlag von Bruce Ackerman und Anne Alstott (siehe auch hier), dem „stakeholder grant“. Immerhin, auch hier bleibe die Erwerbsverpflichtung bliebe bestehen, denn das „Startkapital“ muss investiert werden, um einen „return“ bringen, der langfristig Einkommen verschafft.

Interessant und wieder in eine andere Richtung weisend dies:

„Damit ein Mensch Arbeit leisten kann, müssen die dafür erforderlichen Voraussetzungen gegeben sein. Der Mensch als soziales Wesen benötigt in der heutigen Zeit neben menschlichen Zuwendungen, die schon immer von großer Bedeutung waren, Geld zur Erhaltung seiner Arbeitsfähigkeit.“

In dieser Allgemeinheit unstrittig, aber wie genau? Wessen Zuwendungen zu welcher Zeit benötigt „der Mensch“? Geld, damit Eltern sich dieser Aufgabe widmen können, meint Glaser das? Das würde aber zu seinem Vorrang von Erwerbstätigkeit nicht passen, also dann doch Ausbau der Ganztagsbetreuung – auch eine Art menschlicher Zuwendung -, damit Eltern die angebotenen Arbeitsplätze annehmen könnten. Warum sagt er es nicht?

„Die Leistungsbasis „Mensch“ damit zu versorgen, um damit die Leistungserbringung zu ermöglichen, ist mit dem in der Regel aus dem Nichts geschaffenen Geld für die Investition einer Maschine durchaus vergleichbar, wenn auch den meisten dieser Vergleich aus moralischen Gründen nicht gefällt. Sachlich ist er vollständig angemessen.“

Und weshalb dann kein Bedingungsloses Grundeinkommen, um deutlich zu machen, dass es um den „Menschen“ und das Gemeinwesen geht, dem die Wirtschaft letztlich zu dienen hat? Der Beitrag ist ein Durcheinander, in dem an einem auf jeden Fall festgehalten wird: dem Vorrang von Erwerbstätigkeit.

Sascha Liebermann

„Ein Grundeinkommen für alle“ – Kommentar zum Essay von Paul Nolte

In einem Essay für NDR Kultur, Gedanken zur Zeit hat sich jüngst Paul Nolte, Professor für Neuere Geschichte an der FU Berlin, zur Diskussion um das Bedingungslose Grundeinkommen geäußert. Er befasst sich nicht das erste Mal damit und war vor vielen Jahren in einer Talkshow vehementer Gegner eines BGE (siehe hier). In seinem aktuellen Beitrag gibt er sich milder, stellt das BGE und die Diskussion darüber jedoch durchaus eigenwillig dar. Darin kehren manche Missverständnisse wieder, die in der Diskussion häufiger angetroffen werden können.

Schon in den ersten Absätzen heißt es mit Bezugnahme auf die Schweizer Volksabstimmung im Juni, die Ausgangspunkt des Essays ist, dass „das staatliche Basiseinkommen […] bei den Gutverdienenden mit dem Arbeitslohn verrechnet [würde]“. Zwar gab es in der Schweizer Diskussion u.a. von Seiten des Bundesrats solche Darstellungen, dem Vorschlag der Initianten entsprach dies jedoch nicht. Wenn von einer „Verrechnung“ gesprochen werden kann, dann lediglich in Gestalt der finanztechnischen Darstellung des Verhältnisses zwischen Erhalt von Steuern in Gestalt eines BGE und Abführen von Steuern. Diejenigen die mehr Steuern in Gestalt eines BGE erhalten als sie abführen, bezeichnet man als Nettoempfängern, die die mehr Steuern abführen, als sie in Gestalt des BGE erhalten als Nettozahler. Das hat jedoch nichts damit zu tun, dass das BGE mit dem Arbeitslohn „verrechnet“ wird.

An einer anderen Stelle sprich Nolte von einem „radikalen Systemwechsel“, einer „revolutionär neue[n] Auffassung von der freien und selbstbestimmten Lebensführung aller Menschen“. Vor dem Hintergrund republikanischer Demokratien ist ein BGE weder ein Systemwechsel, noch ist es revolutionär. Lediglich auf die Konstruktionsprinzipien des heutigen Sozialstaates bezogen trifft diese Charakterisierung zu. Radikal ist das BGE, weil es an die Wurzeln der Demokratie anschließt und die Bürger ins Zentrum der Sicherungssysteme rückt; revolutionär ist es, weil es die Vorherrschaft der Erwerbsnorm in diesem Sozialstaat durch die Stellung der Bürger in ihm ersetzt. Damit vollzieht es lediglich eine Fortentwicklung des Sozialstaats im Geiste der Demokratie.

Überraschend ist, dass Nolte – wie viele andere – die dem Apostel Paulus (siehe auch hier) zugeschriebene Äußerung falsch zitiert, die von Stalin in die Verfassung der Sowjetunion aufgenommen wurde: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“. Der entscheidende kleine Unterschied, sie so zu zitieren oder vollständig „wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“, wird damit unterschlagen.

Nolte greift ebenso die Diskussion um etwaige Folgen der Digitalisierung auf und schreibt, nachdem er auf die sinkende Arbeitslosigkeit in Deutschland seit 2005 hingewiesen hat:

„In die Zukunft des Jahres 2050 können wir nicht schauen – allerdings spricht jede historische Erfahrung gegen die momentan so beliebten Szenarios vom Wegbrechen jedes zweiten oder dritten Arbeitsplatzes durch Mikrochips und Roboter: Solche Prognosen haben sich seit 200 Jahren regelmäßig als grundfalsch erwiesen.“

In der Tat sind diese Prognosen mit Vorsicht zu genießen, wobei manche derer, auf die sich hierzu berufen wird, in den originalen Ausführungen zur Frage, was die Digitialsierung mit sich bringen könnte, durchaus vorsichtig sind – so z. B. Frey und Osborne.

Nolte übergeht indes, was die Entwicklung des Arbeitsvolumens erkennen lässt, dass es für Deutschland einen langen Trend der Abnahme gibt. Es ist zwar nicht klar, vor allem, wenn sie mit Daten aus anderen OECD-Staaten verglichen wird, welche Schlüsse daraus gezogen werden können, doch so einfach, wie er es sich hier macht, ist die Sache auch nicht (siehe „Geht der Gesellschaft die Arbeit aus?“).

Weil er der Auffassung ist, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland kein so dringliches Problem mehr sei, schreibt er dann:

„Die unmittelbare Dringlichkeit einer arbeitsfreien Grundsicherung ist also etwas zurückgetreten. Der Streit ist grundsätzlicher geworden und die Bewegung hat ein neues Gesicht bekommen. Sie wird nicht mehr von prominenten Gelehrten, Unternehmern oder Politikern dominiert, sondern, wie das Beispiel der Schweiz zeigt, als sozialer Aktivismus vor allem von Jüngeren, gut Gebildeten in Netzwerken „von unten“ getragen.“

Diese Einschätzung trifft nicht zu. Wer sich mit der jüngeren Grundeinkommensdiskussion beschäftigt, wird feststellen, dass schon zu Beginn im Jahre 2004, grundsätzliche Fragen gestellt wurden und die Arbeitslosigkeit ein Aufhänger war, wenngleich manche BGE-Befürworter sie für entscheidend hielten. Wir – Freiheit statt Vollbeschäftigung – haben von Anfang an darauf hingewiesen, dass ein BGE unabhängig von Arbeitslosigkeit und der Entwicklung des Arbeitsvolumens zu betrachten sei. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte diese Überlegungen in einem Beitrag von Thomas Loer sogar in gekürzter Form abgedruckt.

Unzutreffend oder zumindest ungenau ist die Feststellung, dass es erst jetzt, seit oder im Laufe der Diskussion in der Schweiz vor der Volksabstimmung eine „vernetzte, globale“ Bewegung gebe. Zumindest das Basic Income Earth Network besteht seit 1986 und hält zweijährlich Kongresse ab. Es zieht Teilnehmer aus der ganzen Welt an. In den USA gibt es ein Grundeinkommensnetzwerk, in andern Ländern gibt es Initiativen, die sich dafür einsetzen. Falls Nolte vor Augen gehabt haben sollte, dass diese Diskussionen bislang stark akademisch ausgerichtet waren bis vor wenigen Jahren, da wäre etwas dran. Zumindest für die jüngere Diskussion in Deutschland 2004, die lange Zeit die stärkste und intensivste war, gilt das aber nicht.

Abschließend äußert sich Nolte dann zu den Realisierungschancen eines BGE, nachdem die Ablehnung in der Schweizer Volksabstimmung eindeutig gewesen sei. Bedenkt man, dass eine Zustimmung für die AfD in Deutschland von 20 Prozent als beunruhigend wahrgenommen wird, könnte die Zustimmung in der Schweiz von 23 Prozent angesichts eines so weitreichenden Vorschlags allerdings für erstaunlich gehalten werden. Er schreibt dann:

„Auf absehbare Zeit spricht wenig dafür, dass sich irgendein Land anders entscheidet als die Schweiz und sich auf die soziale Revolution des Grundeinkommens einlässt. Erst recht wird das nicht Deutschland sein, wo Beruf und Erwerbsarbeit nicht nur ökonomisch, sondern auch in Kultur und Mentalität immer noch eine besonders große Bedeutung für das Selbstbild von Menschen und für die Motivation ihrer Lebensführung besitzen.“

Hier würde ich die Verhältnisse genau andersherum sehen. In der Schweiz fällt die Diskrepanz zwischen der bodenständigen und selbstverständlich verankerten direkten Demokratie auf der einen und dem enorm starken Arbeitsethos auf der anderen Seite besonders ins Auge. Eine dem Elterngeld vergleichbare Leistung gibt es in der Schweiz nicht, der Druck auf Eltern, besonders auf Mütter, früh in Erwerbstätigkeit zurückzukehren ist noch stärker als in Deutschland. Dass Arbeit tatsächlich so entscheidend sei für die „Motivation der Lebensführung“, wie Nolte schreibt, ist eine gängige Behauptung, übersieht aber, dass dies weder der Bedeutung sogenannter Haushaltstätigkeiten strukturell entspricht, noch dem Aufwand in Stunden, der dafür jährlich erbracht wird. Er ist höher als die Zeit, die für Erwerbsarbeit aufgebracht wird.

Die gemeinschaftliche Basis des Zusammenlebens in republikanischen Demokratien spielt in Noltes Beitrag überhaupt keine Rolle, wird nicht einmal erwähnt. Dass es gerade die Demokratie ist, deren Souverän die Bürger sind und denen genau deswegen bedingungslos Grundrechte zugesichert werden, muss doch erstaunen angesichts dessen, wie häufig sich Nolte schon zur Verfasstheit der Demokratie geäußert hat. Denn von der Demokratie aus gedacht, ist das BGE nur ein kleiner Schritt.

Sascha Liebermann

„80 Prozent der neuen Jobs entstehen im Niedriglohnsektor“…

…so Andy Stern in einem Interview für Die Zeit. Der ehemalige Präsident der US-amerikanischen Gewerkschaft Service Employees International Union hat sich wiederholt pro Grundeinkommen geäußert. Auch dieses Mal aber bleibt das Bedinungslose Grundeinkommen – so ist es im Interview übersetzt, Stern sprach bislang meist von Basic Income – reaktiv, es ist Reaktion auf eine Entwicklung, die als Bedrohung daherkommt: Digitalisierung, Automatisierung, Rationalisierung. In diesen Passagen wird das deutlich:

„Stern: Es sind uralte Denkgewohnheiten, die dem [den BGE, SL] widersprechen. Stellen Sie sich vor, dass Trucks ohne Fahrer fahren dürfen – technisch ist das ja schon möglich. Wir sprechen hier nicht über Science-Fiction, sondern in wenigen Jahren wird das Truckfahren anschlussfrei wegfallen, also dreieinhalb Millionen Jobs in den USA. Hinzu kommen nahestehende Jobs, etwa eine Million Versicherungsmitarbeiter, ein bis zwei Millionen Reparaturwerkstätten, Tankstellen, Motels, Restaurants und so weiter. Ein Heer von Arbeitslosen – beim Wegfall von nur einem Beruf! So werden an vielen Stellen technische Lösungen schlagartig unzählige Menschen arbeitslos machen. Diese Einsicht ist schmerzhaft. Wo sollen auf die Schnelle Jobs für all diese Menschen herkommen? Darauf müssen wir uns jetzt vorbereiten.“

Und auch hier:

Stern: Ein Grundeinkommen hilft, dass jeder ein tragendes Standbein hat und sein Spielbein selbstständig entwickeln kann, auch wenn der Job weg ist. Wenn wir dieses Standbein nicht bedingungslos gewähren, verlieren unzählige Menschen in Zukunft völlig ihren Halt. Diese ökonomische Grundbasis sollten wir uns zugestehen. Dann kann das zentrale Credo der Arbeitsgesellschaft wieder fruchtbar sein, nämlich Arbeit als Möglichkeit zum sozialen Aufstieg. Allerdings mit umgekehrten Vorzeichen, weil nicht mehr der Staat die Menschen in Arbeit bringt, sondern sie ökonomisch befreit, damit sie sich selbst verwirklichen können. Die meisten Erfindungen und Geschäftsideen scheitern heute, bevor sie versucht werden, aus Angst vor dem sozialen Abstieg.“

Treffend wird beschrieben, inwiefern ein BGE hilfreich wäre, wenn diese Entwicklung einträte, es wird aber auf sie beschränkt. Es geht nur um Arbeit, Erwerbsarbeit, um genauer zu sein. Es geht um ökonomische Befreiung, wie er gegen Ende des zweiten Zitats sagt. Dass ein BGE vor allem dem Geist der Demokratie entspricht, ganz gleich welche Folgen die Digitalisierung hat, dass ein BGE dem gerecht würde, was schon heute für das Zusammenleben in Demokratien unerlässlich ist: Vertrauen in das Individuum und zugleich Loyalität zum Gemeinwesen – davon kein Wort. Damit bleibt das BGE eine Reparaturmaßnahme und erhält keine davon eigenständige Begründung (siehe auch hier und zur Bedeutung von Feldexperimenten hier).

Sascha Liebermann

„…nur dann erledigt werden, wenn auf den Leuten ein gewisser Erwerbsdruck lastet“

Grundeinkommen.ch hat den Beitrag über das Bedingungslose Grundeinkommen und die Schweizer Debatte, der in der vorletzten Ausgabe des Spiegels (20/2016) erschienen war, online verfügbar gemacht. Der Artikel bietet eine Übersicht über die Diskussion, enthält allerdings auch manch Sonderbares. Dass in den USA die Debatte über Grundeinkommen schon ziemlich weit sei, wird da behauptet. Wo der Autor diese Debatte ausmacht, wird nicht geschrieben. Es gibt einzelne, die sich damit beschäftigen wie Robert Reich, Albert Wenger und manch andere, durchaus auch mit sehr unterschiedlichen Begründungen für ein Grundeinkommen, ob es um ein bedingungsloses geht, ist dabei nicht immer klar. So war es auch bei dem Future of Work-Kongress in Zürich, auf den sich der Beitrag teils bezieht. Meiner Wahrnehmung nach ist die Debatte in den USA in der Öffentlichkeit überhaupt nicht weit, in den großen Parteien wird sie gar nicht geführt. Vergleicht man die Lage dort, damit, dass schon vor Jahren die Parteien in Deutschland sich damit befasst und Stellung bezogen haben, verwundert die Einschätzung besonders. Auch ist die politische Kultur in den USA eine sehr andere als in Kontinentaleuropa, zumal in Deutschland. Es verwundert nicht, dass dort Libertäre das Grundeinkommen teils begrüßen, um den Staat loszuwerden, das bezeugte auch die Diskussion mit Vertretern des Cato-Instituts auf dem schon erwähnten Kongress in Zürich.

Der Autor des Beitrags argumentiert, wie in letzter Zeit viele andere, vorwiegend entlang der Digitalisierungsdebatte, verweist dabei auf Erik Brynjolfsson, der allerdings keineswegs Befürworter eines BGE ist:

„Es ist fahrlässig, zu sagen, wir geben denen Geld, und fertig“, sagt Soziologe Engler. Silicon-Valley-Vordenker Brynjolfsson meint: „Ein allgemeines garantiertes Grundeinkommen schützt zwar vor Not, nicht aber vor Laster oder Langeweile.“ (zu Brynjolfsson siehe hier)

Wolfgang Engler hat seine Einschätzung des BGE, entgegen der Ausführungen im Spiegel-Beitrag nicht erst in jüngerer Zeit geändert. Schon 2006, kurz nach Erscheinen des von Mathias Brauck erwähnten Buches „Bürger, ohne Arbeit“ erwies sich Engler als verkappter Volkspädagoge (siehe auch hier), der der Freiheit nicht über den Weg traut und ein BGE nur mit einer Bildungspflicht verbunden befürworten konnte.

Brauck schreibt an einer Stelle:

„Das ist die Kehrseite der Utopie. Dass der Raum der Freiheit des einzelnen Bürgers nicht ausgeweitet, sondern eingeengt wird. Ist es besser, wenn er den Anspruch auf Arbeit gegen das Recht auf Faulheit eintauscht?
Jenseits aller Finanzierungsfragen und Faulheitsdiskussionen ist das der eigentlich riskante Punkt. Weil kaum vorherzusehen ist, wie die Menschen reagieren.“

Gibt es heute einen Anspruch auf Arbeit? Meint Brauck etwa, das Sanktionsregime im Arbeitslosengeld II entsprechen diesem Anspruch? Zumindest kann man es als konsequente Umsetzung der Vorstellung betrachten, es sollte einen Anspruch um jeden Preis geben.

Und welches Risiko ist es denn, nicht zu wissen, wie „die Menschen reagieren“? Wissen wir das denn heute etwa, was „die Menschen“ morgen tun? Wir meinen vielleicht es zu wissen und vertrauen auf unsere Erfahrung, wirklich wissen wir es jedoch nicht. A propos Erfahrung: sie müsste dann eher Anlaß sein, in die praktische Vernunft der Bürger zu vertrauen, die schon längst ihre Leben in die eigenen Händen nehmen.

In einer weiteren Passage wird dann Clemens Fuest, der neue Präsident des Ifo-Instituts zitiert, seine Äußerung spricht Bände:

„Es klingt erst einmal gut, den Menschen vom Erwerbsdruck zu befreien“, sagt der Ökonom und Präsident des Ifo-Instituts Clemens Fuest. „Aber die Erfahrung zeigt doch, dass die Jobs, die keiner gern macht, nur dann erledigt werden, wenn auf den Leuten ein gewisser Erwerbsdruck lastet.“

Wer sagt denn, dass die nicht gern gemachten Jobs von anderen gemacht werden müssen als uns selbst? Und falls dies keine Option ist, wer sagt, dass Druck die angemessene Option sei in einer Demokratie? Und was bezeugt es, wenn Fuest „Erwerbsdruck“ für ein probates Mittel hält, ihre Erledigung herbeizuführen? Es ist doch klar, wen dieser Erwerbsdruck trifft. Demokratie adieu, könnte hier resümiert werden, wenn so offen das Ausüben von Druck befürwortet wird. Allerdings ist diese Haltung Fuests nicht neu. Sie zeigte sich schon vor vielen Jahren anlässlich einer Veranstaltung zum Solidarischen Bürgergeld im Deutschen Bundestag.

So passt auch das Zitat direkt im Anschluss:

„Er halte, sagt Fuest, die Debatte über das bedingungslose Grundeinkommen für ein Elitephänomen. „Es wird vor allem von Menschen propagiert, die die Erfahrung gemacht haben, dass sie besser und kreativer arbeiten, je freier sie sind. Aber das trifft auf die Mehrheit der Arbeit nicht zu. Die muss einfach gemacht werden.“ Außerdem, sagt Fuest, sei es nicht bezahlbar.“

Was Fuest für ein Elitephänomen hält, das BGE, zeigt doch vielmehr, wie elitär er denkt. Weil Arbeit gemacht werden müsse, sei, so muss gefolgert werden, Druck angemessen. Wer sagt denn, dass es dieses Druckes überhaupt bedarf, damit diese „Arbeit“ erledigt wird? Weshalb sollte in einem demokratischen Gemeinwesen nicht die Möglichkeit bestehen, solche Tätigkeiten nicht machen zu wollen? Falls daraus ein Problem erwächst, wäre nicht Druck das Mittel der Wahl, sondern eine öffentliche Diskussion darüber, dass wir eine Lösung für „notwendige Arbeit“ finden müssen, ohne Druck auszuüben. Wir müssten sie dann zu einer res publica machen.

Dass Fuest ein Ökonom gegenübergestellt wird, der das BGE befürwortet und der sogar in seiner jüngsten Kolumne sich über das Menschenbild seines Kollegen gewundert hat, ist erfreulich. Doch Thomas Straubhaars Überlegungen für ein BGE lassen immer wieder erkennen, dass sein Menschenbild nicht gänzlich anders ist, wenn er die Bedeutsamkeit von Arbeitsanreizen herausstellt, für deren Erhaltung es wichtig sei, dass das BGE nicht zu hoch ausfalle. Seine widersprüchlichen Einlassungen zur bevorstehenden Volksabstimmung in der Schweiz lassen einen eher irritiert zurück. Es liegt nicht lange zurück, da feierte er das Agenda 2010-Jubiläum und die Erfolge der Hartz-Reformen. Beruhen diese vermeintlichen Erfolge aber nicht gerade auf dem Fuest-System?

Sascha Liebermann

„Lohn ohne Arbeit, Geld ohne Gegenleistung“ – Grundeinkommen im Schweizer Fernsehen

Eine sehr interessante Diskussion, die auch die Widersprüche deutlich macht, in denen sich die Kritiker der Eigenössischen Volksinitiative bewegen. Theo Wehner wies darauf hin, dass alle Aussagen darüber, was mit einem BGE passieren würde, spekulativ seien, auf sie könne man sich also nicht berufen. Sehr wohl könne man sich aber fragen, welches Menschenbild wir in der Praxis vorfinden und da zeigt sich, dass der Mensch ein tätiges Wesen sei. Darauf setze die Initiative. In der ersten Hälfte spielten etwaige, ebenso spekulative Folgen der Digitalisierung eine große Rolle. Denen könnte man zwar mit einem BGE gelassen entgegen sehen, eine gute Begründung dafür sind sie jedoch nicht (siehe dazu hier).

Es kamen in der Sendung viele der bekannten Argumente pro und contra vor, es zeigten sich alle Widersprüche deutlich, insofern eine sehr gelungene Diskussion. Erschreckend war wieder einmal, wie über Familie von den Kritikern gesprochen wurde. Dass mehr Zeit für Familie, für Väter wie Mütter, etwas Gutes wäre, konnten die Kritiker in keiner Weise erkennen. Dabei kann es heute als Problem gelten, dass nun nicht nur mehr die Väter wenig präsent sind, die Mütter werden es zunehmend ebenfalls sein, wenn die Verherrlichung der Erwerbsarbeit weiter voranschreitet. Für die Familie als Erfahrungsraum von Solidarität und verlässlicher Zuwendung ist das ein sehr schlechtes Zeichen (siehe auch hier und ein kürzlich erschienes Interview mit Remo Largo).

Es sind nicht die Befürworter des BGE, die Erwerbsarbeit ihren Sinn absprechen, es sind die Kritiker, wenn sie immer wieder die „negativen Erwerbsanreize“ hervorheben, die von einem BGE ausgehen sollen. Wenn man es mit den sinnerfüllenden Möglichkeiten von beruflichem Engagement ernst meint, das müssten die Kritiker des BGE, dann dürften sie konsequenterweise den Beruf nicht auf „Anreiz“ durch Einkommen reduzieren. Sie tun es aber und entwerten berufliches Engagement gerade dadurch selbst.

Daniel Straub fragte schon in der ersten Hälfte der Sendung den Bundesrat Berset sinngemäß, ob er den Schweizern nicht zutraue, mit dem BGE vernünftig umzugehen. Das verneinte dieser, doch die weitere Diskussion bezeugte denau das. Dieser Anfangsimpuls, der es erlaubt hätte, die Existenzbedingungen einer republikanischen Demokratie wie in der Schweiz zum Argument für ein BGE zu machen, wurde leider nicht aufgegriffen und weitergeführt. Es ist misslich, dass ein solch zentraler Begründungszusammenhang, der unmittelbar aus dem Heute zum BGE führt, in der Debatte so wenig Berücksichtigung findet.

Der Schweizer tagesanzeiger hat einen Faktencheck zusammengestellt.

Sascha Liebermann

Meinungsumfragen und Onlineabstimmungen – Illusionierung oder Demokratisierung?

Auf der Future of Work-Konferenz in Zürich wurden Ergebnisse einer Meinungsumfrage zum Bedingungslosen Grundeinkommen in den sechs größten EU-Ländern vorgestellt (Videomitschnitt, ab 8:47:00; siehe auch den Bericht im tagesanzeiger). Es war die erste Umfrage dieser Art im EU-Raum laut Nico Jaspers, CEO bei Dalia Research, der die Ergebnisse vorstellte. Dass BGE wurde den Befragten als etwas erläutert, dass alle „social security payments“ ersetzen solle (8:48:55). 64 Prozent der Befragten befürworteten die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens laut Umfrage. Dass es sich selbstverständlich um eine „hypothetical question“ handelte, die gestellt wurde, erwähnte Nico Jaspers, womit deutlich sein sollte, was die Ergebnisse besagen. Was lässt sich aus solchen Befragungen schließen? Folgendes möchte ich hierzu anmerken:

1) Meinungsumfragen arbeiten standardisiert, d. h. Fragen wie Antwortoptionen stehen fest. Dort wo andere Antworten möglich sind, müssen diese wiederum standardisiert werden, um sie verarbeiten zu können. Was nicht in die festgelegten Optionen fällt, wird nicht erhoben. Diese Art des Vorgehens in der Datenerhebung führt dazu, dass man nichts Genaues darüber erfährt, weshalb die Antworten gegeben wurden, die gegeben wurden, was die Befragten dabei konkret beschäftigte, ob sie überhaupt verstanden haben, worum es ging. Die Daten, die man dabei erhält, sind recht grob und haben vom wirklichen Leben wenig in sich aufgenommen. Um so misslicher, dass es eine verbreitete Auffassung ist, solche Daten seien präzise (weiterführende Überlegungen finden sich hier).

2a) Es wird eine hypothetische Frage gestellt. Die Befragten sollen so antworten, als wüssten sie, was sie in einer Situation tun würden, die nicht real vorliegt. Dabei wird unterstellt, als wisse man selbst genau, was man in einer solchen Situation tun würde. Das ist aber nicht so, wie jedem vertraut ist, der mit nicht-standardisierten Daten arbeitet. Was hier also einzig in gewisser Weise abgefragt wird, sind Teile eines Selbstbildes, das der Befragte von sich hat, das aber keineswegs seinem Handeln entsprechen muss. Diese Diskrepanz zwischen „Einstellung“ und „Verhalten“, wie sie in der Methodenliteratur gefasst wird, ist die Krux dieser Befragungen. Sie sagen nichts darüber aus, was jemand tun wird

(Nicht zu verwechseln sind diese Befragungen mit den ex-post-Befragungen am Wahlabend, nachdem Wähler eine Entscheidung getroffen haben. Allerdings geben diese Befragungen auch keinen Aufschluss darüber, warum jemand tatsächlich die Wahl getroffen hat, die er getroffen hat. Dafür sind die Daten ebenfalls zu grob.)

2b) Da es beim BGE nun um etwas geht, das wir heute in dieser Form nicht haben, ist die hypothetische Frage noch weiter entfernt vom konkreten Leben, als das ohnehin schon der Fall ist bei hypothetischen Fragen. Wie soll jemand zu einer solchen Frage eine aussagekräftige Einschätzung haben, wenn er zum Befragungszeitpunkt weder Erfahrungen mit einem BGE hat machen können, noch sich eingehender damit befasst hat?

Kurzum: Solche Meinungsumfragen sind aus vielerlei Gründen unbrauchbar, um etwas darüber zu erfahren, was Menschen in ihrem Handeln leitet bzw. um herauszufinden, was sie tatsächlich tun würden, wenn…

Darüber hinaus sind Umfragen eben keine Entscheidungen, der Befragte hat seine Antwort nicht zu verantworten, sie ist unverbindlich, es folgt nichts aus ihr. Ganz anders als bei Wahlen oder – wie in der Schweiz – bei Volksabstimmungen. Entscheidungen wie diese haben ganz konkrete Folgen. Sie müssen von Bürgern dann mit allen Konsequenzen getragen werden.

Ähnlich wie damit verhält es sich mit einer App, die auf derselben Konferenz euphorisch gemeinsam mit ein wenig Deutschland-Bashing angekündigt wurde (Future of Work-Konferenz ab Minute 46:20). „Democracy needs an update“ – mittels Votesapp soll per Smartphone zu Fragen des öffentlichen Lebens Stellung bezogen werden. Es können auch Fragen gestellt oder von anderen gestellte Fragen bewertet werden. Da 60% der Deutschen, laut Armin Steuernagel, – der neben Michael Bohmeyer, Johannes Ponader und anderen zum Team gehört – die deutsche Demokratie nicht für eine Demokratie halten, soll mittels App offenbar eine Demokratisierung der Demokratie erreicht werden. Votesapp reduziere die Barrieren, um Demokratien zu machen und führe direkte Demokratie ein.

Weder sind die Abstimmungen per App ein legitimiertes demokratisches Verfahren, noch sind sie verbindlich oder initieren ein Gesetzgebungsverfahren. Wie bei Meinungsumfragen bleiben sie unverbindlich, die abgegebenen Stimmen müssen nicht verantwortet werden – es folgt aus ihnen nichts. Votesapp, so wie es vorgestellt wurde, entspricht damit bislang all den unverbindlichen Petitions- und Bürgerbeteiligungsverfahren (siehe dazu hier und hier), in denen Meinungen bekundet werden können – ohne dass sie berücktsichtigt werden müssen.

Sind solche Unverbindlichkeiten nicht gerade ein Problem? Verstärkt die Abstimmungsapp nicht genau diese Unverbindlichkeit?

Eines lässt sich mit Sicherheit sagen: mit Demokratie als politischer Ordnungsform der Selbstverwaltung eines Gemeinwesens hat eine unverbindliche Befragung nichts zu tun. Davon abgesehen unterschätzt das Deutschland-Bashing die Möglichkeiten, die gegenwärtig bestehen, um sich einzumischen. Ich würde das Problem, das die Macher womöglich umtreibt, anders verorten: In Deutschland begreifen sich die Bürger zu wenig als Bürger, nutzen zu wenig die Möglichkeiten, die sie haben. Apropos Demokratie: die Abstimmungsbeteiligung in der Schweiz schwankt erheblich und ist oft niedriger als in Deutschland bei Bundestagswahlen. Darauf kommt es also nicht an.

Sascha Liebermann

„Die Schweiz stimmt ab“ – Veranstaltung zur Abstimmung an der Alanus Hochschule

„Am 5. Juni 2016 stimmt die Schweiz über die Eidgenössische Volksinitiative „Für ein bedingungsloses Grundeinkommen“ ab. Sie schlägt vor, das Bedingungslose
Grundeinkommen (BGE) in die Bundesverfassung der Schweiz aufzunehmen. Würde die Initiative angenommen, dann wäre die Schweiz das erste Land auf der Welt, das sich dazu entschieden hat, den Sozialstaat auf ein anderes Fundament zu stellen. Denn ein BGE ist als dauerhafte Sicherung eines Mindesteinkommens von der Wiege bis zur Bahre gedacht, ohne dass
Bedürftigkeit vorliegen oder eine Gegenleistung erbracht werden muss. Auch
in Deutschland hat das Bedingungslose Grundeinkommen seinen festen Platz
in der öffentlichen Diskussion über Alternativen zu Systemen sozialer Sicherung
heute – eine Volksabstimmung darüber abhalten können wir jedoch nicht.
Warum?“ Zur Website der Alanus Hochschule.

Future of Work-Konferenz in Zürich – Mitschnitt online

Nicht klar war über weite Strecken auf der Konferenz, welches Grundeinkommen die einzelnen Referenten bzw. Podiumsteilnehmer vor Augen hatten, wenngleich aus manchen Ausführungen – z. B. aus dem Verzicht auf eine Bedarfsprüfung – darauf Rückschlüsse gezogen werden konnten. Ob es von der Wiege bis zur Bahre als eigenständige, mit anderen Einkommen nicht zu verrechnende Leistung verstanden wurde, konnte man hier und da ahnen. Überwiegend wurde das BGE als Antwort auf die Digitalisierung betrachtet und den von manchen prognostizierten Verlust von Arbeitsplätzen. Andere, sehr deutlich war hier Albert Wenger, wiesen auf die Freiräume hin, die es schaffen würde, um initiativ werden zu können. Erstaunlich besonders für die Schweizer Diskussion war, dass so gut wie niemand die Bedeutung des BGE für die Demokratie aufwarf. Guy Standing sprach vom „emancipatory value“ des BGE, der noch viel bedeutender sei als „money“.

Im Mitschnitt können Sie sich am Programmablauf orientieren:

09:30 Begrüssung: David Bosshart (CH), CEO, Gottlieb Duttweiler Institute, Einführung ins Thema – Schweizer Perspektive
09:50 Einführung: Albert Wenger (USA), Union Square Ventures; Armin Steuernagel (DE), Neopolis Network/ Purpose Foundation, Social Policy 4.0 – Internationale Perspektive
10:15 Keynote: Bruno S. Frey (CH), Wirtschaftswissenschaftler, Universität Basel Direkte Demokratie als ein Gesellschaftswerkzeug
10:30 Keynote: Robert Johnson (USA), Institute for New Economic Thinking, Die Reaktionen auf die Technologische Revolution – ein Grundeinkommen als Paradigmenwechsel
11:20
Saal: Podium – Übersicht der Experimente zum Grundeinkommen
Guy Standing (UK), Universität London; Michael Faye (USA), GiveDirectly; Ville-Veikko Pulkka (FI), Kela, Institut für Sozialversicherung; Amira Yehia (DE), Mein Grundeinkommen
Moderation: John Thornhill (UK), Financial Times
Bibliothek: Keynote Enno Schmidt (DE/CH), Autor und Initiant der Schweizer Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen Bedingungslosigkeit – die kulturelle Dimension des Grundeinkommens
Keynote: Rick Wartzman (USA), Drucker Institute, Die Geschichte von garantiertem Lohn und Einkommen
12:15 Saal: Podium – Grundeinkommen – jenseits politischer Lager?
Michael Tanner (USA), CATO Institute; Daniel J. Mitchell (USA), CATO Institute; Robert B. Reich (USA), University of California, Berkeley; Reiner Eichenberger (CH), Ökonom; Moderation:  Alexandra Borchardt (D), Süddeutsche Zeitung
Bibliothek: Podium – Die Zukunft der Arbeit (deutsch)
Daniel Häni (CH), Unternehmer und Mitinitiant der Schweizer Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen; Dirk Helbing (CH), Professor ETH; Albert Wenger (USA), Union Square Ventures; Myke Näf (CH), Doodle; Moderation: Börries Hornemann (DE), Neopolis
14:30 Entrepreneur-Podium: Disruptive Arbeit Albert Wenger (USA), Union Square Ventures; Natalie Foster (USA), peers.org; Robin Chase (USA), Zipcar; Betsy Masiello (USA), Uber; Moderation: John Thornhill (CH), Financial Times
15:30 Keynote: Robert B. Reich (USA) University of California, Berkeley, Technologischer Wandel und die Unausweichlichkeit des bedingungslosen Grundeinkommens
15:55 Podium und Keynote: Labor Panel – Zukunft der Gewerkschaften und soziale Sicherheit
Andrew Stern (USA), ehem. SEIU Gewerkschaft; Nell Abernathy (USA), Roosevelt Institute
Vania Alleva (CH), Unia Gewerkschaft; Dorian Warren (USA), Center for Community Change; Moderation: Alexandra Borchardt (DE), Süddeutsche Zeitung
17:20 Live-Übertragung: Erik Brynjolfsson (USA), Professor MIT 17:35 Trailer „Free Lunch Society“, Christian Tod (AT), Golden Girls
17:45 Keynote: Anthony Painter (UK), The Royal Society of Art, Kreative Bürger, kreativer Staat – die Grundsätze und pragmatischen Überlegungen zum Grundeinkommen
18:05 Keynote: Yanis Varoufakis (GRE), ehem. Griechischer Finanzminister, Wann wird eine Gesellschaft sozial?

«Schweiz ist ideal für Experimente mit dem Grundeinkommen»…

…meint der ehemalige griechische Finanzminister Gianis Varoufakis in der Schweizer Zeitung Der Bund. Man könnte hier allerdings einwenden, ob es sich überhaupt um ein Experiment handelt, denn die Voraussetzungen, die ein Bedingungsloses Grundeinkommen benötigt, sind schon vorhanden. Das Menschenbild des Grundeinkommens ist das Menschenbild der Demokratie (siehe hier und den Beitrag von Sascha Liebermann in diesem Band). Und diese Voraussetzungen müssen nicht erst herausgefunden werden (siehe hier).

„Dein Grundplatz in der Welt ist gesichert“ – Hartmut Rosa über das Bedingungslose Grundeinkommen

„Die Resonanz auf Facebook ist nicht nachhaltig“, so war ein Interview in der Neuen Zürcher Zeitung mit Hartmut Rosa, Professor für Soziologe an der Universität Jena, übertitelt. Darin äußerte er sich auch zum Bedingungslosen Grundeinkommen.

Rosa sagte „Wenn wir resonante Weltverhältnisse schaffen wollen, müssen wir die Steigerung als blindlaufenden Zwang überwinden“, worauf er gefragt wurde:

„NZZ: Wie geht das?
Rosa: Da scheinen mir drei Dinge nötig. Erstens: Ich halte Märkte und Wettbewerb in bestimmten Bereichen für sinnvoll, aber Wettbewerb ist kein Endzweck. Wir brauchen eine Veränderung der ökonomischen Verhältnisse hin zu einer Wirtschaftsdemokratie. Zweitens brauchen wir eine Veränderung des Sozialstaats. Ich bin ein grosser Anhänger des bedingungslosen Grundeinkommens, weil es die Weise unseres In-die-Welt-gestellt-Seins fundamental verändern würde.“

So sympathisch die Bemerkung zum Bedingungslosen Grundeinkommen ist, muss man sich doch fragen, ob es tatsächlich zu so einer fundamentalen Veränderung führen würde. Denn auch heute ist es nicht so, dass der Marktwettbewerb alle Lebensverhältnisse durchdringt. Die Demokratie lebt von anderen Zusammenhängen, die – man schaue nur ins Grundgesetz – nach wie vor unangetastet sind. Dass die Stellung der Bürger im Gemeinwesen eine ist, die sich von keiner Gegenleistung ableitet, ist unbestritten und gerät heute nur mit dem sozialstaatlichen Bedingungsgefüge in Konflikt. Damit stehen die Grundfesten unserer Demokratie in denkbar starkem Gegensatz zur politischen Verfasstheit, ein Widerspruch, der nach Aufhebung verlangt. Rosa hält das BGE für ein Mittel, um den Sozialstaat zu veränden, schlägt aber nicht die Brücke dazu, dass es damit sogleich sich auf die Wirtschaftsverhältnisse auswirken würde. Eine „Wirtschaftsdemokratie“, was ich für einen missverständlichen Begriff halte, wäre mittelbar über ein BGE zu erreichen, weil sich die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer in jeder Hinsicht verändern würde.

Eine große Veränderung, wenn auch nicht fundamental, könnte die Klärung sein in Hinsicht auf unsere heutigen Lebensverhältnisse, über die wir uns offenbar nicht im Klaren sind. Statt in einer Ausbreitung von „Märkte[n] und Wettbewerb“ eine gegenwärtige Entwicklung zu erkennen, scheint mir eher eine Haltung, die Planung und Kontrolle in jedem Lebensbereich will, bezeichnend für unsere Lage zu sein.

Weiter heißt es im Interview:

„Sie schreiben, das bedingungslose Grundeinkommen würde «die Existenz pazifizieren». Können Sie das erläutern?
Der gegenwärtige Sozialstaat lässt uns ja auch nicht verhungern, aber er entzieht uns den Ort in der Welt. Wer von Sozialhilfe lebt, der ist im gegenwärtigen Verständnis ein Schmarotzer, er stirbt fast so etwas wie einen sozialen Tod. Alle Zuteilungsmechanismen, besonders die von Status, hängen an der Erwerbsfähigkeit. Unser Weltverhältnis würde sich fundamental verändern, wenn wir sagten: Dein Grundplatz in der Welt ist gesichert.“

Rosa weist zurecht auf die Erwerbszentrierung des Sozialstaats hin, mit allen Folgen, die das für die Bezieher von Leistungen hat, aber nicht nur im Fall der Sozialhilfe, sondern auch bei Arbeitslosengeld I und II. Denn die über Beiträge erworbenen Ansprüche auf Versicherungsleistungen im ALG I bringen ebenso Verpflichtungen mit sich wie im ALG II. Auch im ALG I kann sanktioniert werden. Die Auswirkungen gegenwärtiger Sozialpolitik sind also viel breiter, als Rosa meint.

Was auf der einen Seite zutreffend ist, auf die normative Vorrangingkeit von Erwerbsarbeit hinzuweisen, ist auf der anderen Seite aber nur die halbrichtig. Die Erbwerbszentrierung des deutschen Sozialstaats steht nämlich im Gegensatz zur politischen Verfasstheit unserer Demokratie. Der Status der Staatsbürger ist nämlich einer, der keine Leistungsbedingung kennt, er ist in diesem Sinne bedingungslos. Wer Leistungen aus den Systemen sozialer Sicherung bezieht, verliert nicht seinen Status als Angehöriger des Gemeinwesens. Den Status, von dem Rosa sagt, dass er an Erwerbsfähigkeit hänge, betrifft nicht die Staatsbürgerschaft und damit nicht die Zugehörigkeit zum Souverän. An dieser Stelle sind seine Ausführungen überraschend verkürzt. Es würde sich durch ein BGE unser Weltverhältnis also mittelbar verändern, weil wir Angehörige eines Gemeinwesens wären, das ein BGE bereitstellt. Das Weltverhältnis wäre also durch die Vergemeinschaftung konstituiert und nicht unabhängig von ihr zu fassen.

Sascha Liebermann