„Die Rente mit 70 ist eine gestrige und ungerechte Idee“…

…schreibt Thomas Straubhaar auf Die Welt und weist darauf hin, dass die Lebenserwartung im Verhältnis zum Einkommen steht, so dass statistisch betrachtet diejenigen mit weniger Einkommen auch einen kürzeren Rentenbezug haben. Insofern laufe eine Erhöhung des Renteneintrittsalters – was schon oft in den letzten Jahren aus demselben Grund kritisiert wurde – auf eine Ungerechtigkeit hinaus, denn untere Einkommensschichten mit geringerer Lebenserwartung müssen den Renteneintritt noch weiter nach hinten verschieben, obwohl sie zugleich statistisch betrachtet früher sterben.

Straubhaar legt dar, dass abgesehen von dieser Ungerechtigkeit auch fragwürdig ist, ob das ökonomisch sinnvoll ist, wenn der Wandel der Arbeitswelt betrachtet wird. Lebensarbeitszeit müsse eher verkürzt, gesundheitsschädigende Erwerbsarbeit automatisiert werden.

Weshalb, diese Frage beantwortet Straubhaar nicht, wird also dennoch an der Bedeutung von Erwerbstätigkeit festgehalten, sie – wie auch Straubhaar erkennen lässt, wenn er von sinkender Wettbewerbsfähigkeit spricht – geradezu in Gegensatz zur Orientierung an Wertschöpfung gebracht?

Meines Erachtens hängt diese Denke mit einem beschränkten Begriff von Autonomie zusammen, der diese als etwas erachtet, das erst durch Erwerbstätigkeit gewonnen werde, durch „der eigenen Hände Arbeit“, wie es oft heißt. Damit wird aus den Augen verloren, dass die Entstehung von Autonomie in Bildungsprozessen fundiert ist, die jeder Erwerbstätigkeit vorausgehen und diese erst ermöglichen. Wer „sozialen Zusammenhalt“ bzw. „soziale Integration“ vor allem wenn nicht gar ausschließlich über Erwerbsarbeit vermittelt sieht, muss in Schaffen und Bewahren von Arbeitsplätzen ein entscheidendes politisches Ziel sehen. Allerdings übersieht diese Haltung, dass die wirklich umfängliche „Integration“ über einen Status geschieht, der gerade unverfügbar ist und ohne Vorbehalt gilt: Staatsbürgerschaft (und das Bekenntnis zu Bürgerrechten). Von ihm ausgehend wäre ein Sozialstaat zu entwerfen, der seine Leistungen weder von Erwerbstätigkeit abhängig macht, noch sie zum vorrangigen Ziel hat. Dann erst werden auch Leistungsformen ernst genommen, die heute unter den Tisch fallen – die sogenannte unbezahlte Arbeit.

Sascha Liebermann

Universal Basic Income „Freedom from government interference“ – missverständlich…

…denn die Regierung unterliegt, zumindest in modernen Demokratien, der parlamentarischen Kontrolle. Das Parlament wiederum ist in seiner Legitimität an das Staatsvolk gebunden, muss sich vor ihm verantworten. Das Staatsvolk als politische Gemeinschaft der Bürger muss die Ordnung tragen und sich für ihre Veränderung engagieren, sonst ist sie nichts wert (siehe hier). Das UBI oder BGE wird von dieser Gemeinschaft in ihrer Verfasstheit auch als Staat bereitgestellt. Kein Gemeinwesen ohne Ordnung, d.h. ohne bestimmte Schranken oder Beschränkungen, die aus Normen folgen. Oder ist mit „interference“ etwas Spezielles gemeint?

Sascha Liebermann

„Erneuerung […] der Bürgerrechte für alle“ durch ein garantiertes Mindesteinkommen,…

…darüber schrieb Ralf Dahrendorf in der Zeit 1986 in einem Beitrag zum „garantierten Einkommen“. Der Beitrag ist Teil einer Serie zu dieser Thematik. Darin heißt es z. B.:

„Das Mindesteinkommen löst also auch nicht alle Fragen der Zeit. Aber es ist eine wichtige Antwort auf eine Grundfrage: Gehen wir in eine Zeit, in der die Mehrheitsklasse der Besitzenden immer brutaler ihren Status verteidigt – oder öffnen wir uns erneut für die Bürgerrechtsgesellschaft, die allen Freiheit verspricht?“

So wartet der Beitrag noch mit anderen Anmerkungen auf, die beinahe wie aus der Gegenwart klingen, auch wenn der folgende Anfang nicht mehr gilt:

„Die Verfechter eines garantierten Mindesteinkommens werden im offiziellen Deutschland beinahe totgeschwiegen. Wer will schon ernsthaft über die Zukunft unseres Gemeinwesens reden, nachdem doch die Von-Tag-zu-Tag-Politik sogar die Grünen in kurzer Zeit eingeholt hat? Und doch, um es zu wiederholen: Die Idee wird bleiben.“

Hier hat er Recht behalten, wenn es auch in den 1990er Jahren ziemlich still um das Grundeinkommen geworden war (siehe hier). Und später im Beitrag heißt es z. B.:

„Die andere Methode muß daher in einer Erneuerung des dynamischen Prozesses der Bürgerrechte für alle bestehen. Es ist ja schon eine nachdenklich stimmende Tatsache, daß der im Prinzip allen gemeinsame Grundstatus aller Bürger zum Privileg geworden ist – zum Privileg der großen Mehrheit gewiß, aber doch zu einem ausschließenden, nicht zu einem einschließenden Grundsatz.“

Für Dahrendorf ist das garantierte Grundeinkommen nicht vor allem eine Antwort auf Arbeitslosigkeit und Armut, was noch heute eine große Rolle in der Debatte spielt, aber auch hier ist es hilfreich. Es gibt nicht viele, die diesen Zusammenhang so deutlich herausheben. Bedenkt man, wie lange Dahrendorfs Ausführungen zurückliegen, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es offenbar nicht so einfach ist, eine Einkommensgarantie als Bürgerrecht zu erkennen.

Sascha Liebermann

„Der arbeitende Souverän“ – oder: zur Verkürzung von Autonomie durch die Brille der Arbeitsgesellschaft…

…so ließe sich ein Beitrag des Sozialphilosophen Axel Honneth mit dem Titel „Der arbeitende Souverän“, den die taz veröffentlicht hat, übertiteln. Es geht darin um das Verhältnis von Demokratie bzw. demokratischer Willensbildung und der Bedeutung von Erwerbstätigkeit. Nachdem ich schon angefangen hatte, den Beitrag zu kommentieren, habe ich nun aufgegeben, da die Zusammenhänge in meinen Augen äußerst verkürzt sind. Stattdessen verweise ich auf einen Kommentar, den ich Anfang des letzten Jahres verfasst hatte. Dieser bezog sich auf ein Interview, das Honneth dem handelsblatt gab und in dem er sich zum Bedingungslosen Grundeinkommen äußerte. Hier geht es zum Kommentar.

Sascha Liebermann

„Eine Möglichkeit, wieder aktiv zu werden“ – Rückschau auf ein instruktives Missverständnis

Viele Jahre liegt es zurück, da gab Philippe Van Parijs, anlässlich des Grundeinkommenskongresses 2005 in Wien, neues deutschland ein Interview. Es war die Zeit, als die BGE-Diskussion wieder in Gang gekommen ist (zu Entstehung und Verlauf der Debatte siehe hier und hier), die dazu beigetragen hat, dass der Vorschlag heute seinen festen Platz in der sozialpolitischen Diskussion hat. Van Parijs spricht im Interview über seine Anfänge in der Beschäftigung mit der Idee, über BIEN, dessen Gründungsmitglied er ist, und äußert sich zum Slogan „Freiheit statt Vollbeschäftigung“, mit dem meine Mitstreiter und ich damals anfingen, uns für eine öffentliche Debatte einzusetzen. Was sagte Van Parijs?

„Nicht alle Grundeinkommensbefürworter – auch auf dem Kongress – stimmen damit überein, dass der Begriff der Arbeit so eng an das Grundeinkommen geknüpft ist. Das kann zu Missverständnissen führen.

Das habe ich gemerkt. In Deutschland gibt es eine kleine Organisation für die ich Sympathie habe. Aber ihren Slogan: »Freiheit statt Vollbeschäftigung« kann ich nicht gutheißen. Für mich ist das nicht die richtige Opposition. Bezahlte Arbeit darf zwar nicht das einzige Ziel im Leben sein aber man sollte auch nicht einen derartigen Kontrast zwischen Grundeinkommen und Vollbeschäftigung herstellen. Wenn man Vollbeschäftigung nicht als Vollzeitarbeit für alle deutet, sondern als Möglichkeit für alle Leute, die eine Arbeit wollen, eine Arbeit zu finden, bekommt der Begriff eine ganz andere Dimension. Grundeinkommen bedeutet nicht die Arbeit aufzugeben. Im Gegenteil – es ist eine Möglichkeit, dass die Leute wieder aktiv werden. Zur Zeit gibt es eine repressive Form des aktiven Sozialstaates – wie in Deutschland Hartz IV. Aber es gibt auch eine emanzipatorische Form des aktiven Sozialstaates: das Grundeinkommen.“

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Wichtige Fragen, gute Antworten von Barbara Prainsack – wenige Anmerkungen

Das Video bei Youtube anschauen.
In diesem Gespräch werden häufige Einwände gegen ein BGE thematisiert, die von Barbara Prainsack treffend pariert werden. Sie beantwortet sie – wie eingangs gesagt wird – auf Basis des Modells von BGE, das sie vertritt. Wenige Anmerkungen habe ich dazu.

Gleich zu Beginn favorisiert sie eine gestaffelte Höhe des BGE, weshalb, wird nicht erläutert. In der Diskussion wird häufig die Staffelung mit der Finanzierungsfrage verbunden, die Staffelung verringert den Finanzierungsaufwand. Bedacht werden an dieser Stelle drei Dinge nicht: 1) Ein BGE soll die Person um ihrer selbst willen anerkennen, weshalb also die Staffelung, die zu einer Ungleichbehandlung führt? 2) Alleinerziehende werden durch ein gestaffeltes BGE schlechter gestellt, obwohl sie häufig den Alltag alleine schultern müssen. 3) Die volle Betragshöhe in z. B. einem Vierpersonenhaushalt, auf die der Interviewer verweist, würde nur für eine bestimmte Zeitspanne relevant sein – solange nämlich, wie die Kinder zuhause leben.

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Immer wieder erstaunlich: Die Sorge vor dem Stillhalten bzw der „Stilllegung“, wenn ein BGE bereitgestellt würde…

…, doch weshalb sollte deswegen jemand stillhalten bzw. stillgelegt werden können, ohne es zu wollen? Doch nur dann, wenn den Bürgern nicht zugetraut wird, ihre Interessen wahrzunehmen und gegen ein solches Ansinnen sich zu wehren. Selbst wenn sie stillhalten wollten – was auch immer das bedeutete – wäre es ihre Sache. Darüber könnte eine öffentliche Diskussion angestoßen werden, wenn man damit nicht einverstanden wäre, andere Mittel gibt es in einer Demokratie nicht. Es sei denn, man will den Bürgerstatus und die damit verbundene Selbstbestimmung unter Vorbehalt stellen. Den Eindruck kann man bei manchen Einwänden gewinnen.

Frühere Beiträge zu dieser Frage finden Sie hier und hier.

Sascha Liebermann

„Freiheit und Freizeit für alle“ – aber wie und auf welcher Basis?

Lukas Hermsmeier schreibt auf Zeit Online über Erwerbsarbeit und ihre Überschätzung, ja Glorifizierung als Ort der Erfüllung und Selbstverwirklichung. Dabei bezieht er sich auf Ausführungen verschiedener Autoren, die sich zur Entwicklung des Arbeitsverständnisses und seiner Folgen äußern. An einer Stelle taucht der Vorschlag eines Bedingungslosen Grundeinkommens auf:

„Benanavs Analyse geht über die übliche Dystopie-Utopie-Binarität der Diskurse zum Thema Automation hinaus. Weder werden uns Roboter zwangsläufig alle Jobs wegnehmen und uns so zu Sklaven der Technik machen, erklärt Benanav, noch werden sie uns von aller Arbeit erlösen und dadurch befreien. Entscheidend dafür, in welche Richtung es gehe, sei, wer die Technologien für wen unter welchen Bedingungen vorantreibe. Auch an die angebliche Allheilkraft der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens glaubt Benanav nicht. Die Vorschläge dazu ließen das zentrale Problem unangetastet, das darin liege, wie Arbeit generell organisiert ist, so nämlich, dass die allermeisten Menschen keinerlei Kontrolle haben und die allerwenigsten davon profitieren. „Die Menschen haben heute wenig Mitspracherecht, wie ihre Arbeit erledigt wird“, schreibt Benanav, was daher komme, dass eine „winzige Klasse von ultrareichen Individuen die Entscheidungen über Investitionen und Beschäftigung monopolisieren“.“

„Allheilkraft“ – sollte Benanav das so vertreten haben, erstaunt einen der Popanz, denn wo behauptet jemand ernsthaft, ein BGE könne eine solche „Allheilkraft“ sein? Ähnlich wie bei Vertretern einer Jobgarantie wird behauptet, ein BGE lasse „das Problem unangetastet“, wie „Arbeit generell organisiert“ sei.

In der Tat lässt ein BGE direkt die Organisation von Arbeit unangetastet. Aber durch die Handlungsmöglichkeiten, die es schafft, schafft es zugleich eine Machtumverteilung, von der relativen Asymmetrie heute zu mehr Egalität.

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„Bedingungsloses Grundeinkommen. Der ewige Traum“ – oder vielmehr ein Vorschlag, der gegenwärtige Widersprüche erkennen lässt?

Timo Reuter schreibt auf Zeit Online über ein Bedingungsloses Grundeinkommen und nennt Vorteile, die es mit sich bringen würde im Vergleich zu heute. Zu Beginn heißt es:

„Es könnte so einfach sein: 1.000 Euro, jeden Monat, ohne dass man etwas dafür tun muss. Alle Menschen würden vom Staat dafür bezahlt, dass sie am Leben sind.“

Missverständlich ist hier zweierlei, zum einen wenn der Staat als eine Größe erscheint, die den Bürgern gegenübersteht. Denn das trifft nur insofern zu, als er Aufgaben wahrnimmt, die die Bürger nach geltenden Verfahren ihm übertragen haben bzw. wollen, dass er sie wahrnimmt. Zum anderen ist das BGE keine Bezahlung im Sinne einer Gegenleistung für eine Leistung, sondern eine Alimentationsverpflichtung der politische Vergemeinschaftung von Bürgern gegenüber ihren Angehörigen. Das mag kleinlich klingen, ist aber ein wichtiger Unterschied.

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„Das teure Nest“ – Elisabeth von Thadden über Ungleichheit, den Mythos der Leistungsgesellschaft – und die Alternative?

In ihrem Beitrag auf Zeit Online wirft Elisabeth von Thadden wichtige Fragen auf und blickt auf gegenwärtige Schieflagen in der Vermögensverteilung. Diese entlarven den Mythos von der Leistungsgesellschaft, den von Thadden allerdings recht eng fasst. In dieser Form der Erzielung von Einkommen und der Bildung von Vermögen war er ohnehin nie gegeben, denn die Leistung, die zu Einkommen führen kann, entsteht nicht im luftleeren Raum, sie hat vielerlei Voraussetzungen, von denen Arbeitsbedingungen und Löhne nur wenige sind. Um überhaupt leistungsfähig in diesem engen Sinne zu werden, bedarf es anderer Leistungen im Sinne einer sorgsamen Zuwendung und Anerkennung des Individuums, wie sie zuallererst in der Familie erfahren wird. Im Zuge der Sozialisation gehen Bildungsprozesse, die durch die familiale Dynamik initiiert und getragen werden, anderen Leistungen voraus und ermöglichen sie erst. Schon hier also bedarf es einer Korrektur am enggeführten Leistungsverständnis. Aber selbst wenn man ein Leistungsverständnis im engen Sinne betrachtet, wird deutlich, dass auch hier allerlei Illusionen im Spiel sind, denn arbeitsteilige Prozesse der Erzeugung und Bereitstellung standardisierter Güter machen es unmöglich, Leistungsergebnisse individuell zuzurechnen. Das ist der Grund dafür, weshalb Löhne willkürliche Vereinbarungen im Rahmen des Verteilbaren darstellen. Insofern also ist die Vorstellung, Leistung gehe vor allem und alleine auf individuelle Anstrengungen und Erfolge zurück, stets eine Illusion gewesen. Das soll nicht die Bedeutung der Leistungsbereitschaft des Einzelnen schmälern, aber ohne sie im weiteren Zusammenhang zu sehen, führt sie zu Verklärung. Hier ein Zitat aus dem Beitrag von Thaddens:

„Wenn es sich für die junge Generation bis auf ein paar finanzmutige Glückspilze nicht mehr lohnt, zu arbeiten (zumal für Ostdeutsche, denen nach 1989 die Immobilien von Westdeutschen, unterstützt durch staatliche Steuergeschenke, weggekauft wurden und die also deutlich weniger erben, wie es auch die Kinder aus Zuwandererfamilien tun), dann wird das Versprechen von demokratischen Leistungsgesellschaften zur Chimäre. Dann macht sich ein Gefühl von Ohnmacht breit.

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